Prozesserklärung von Eva Juhnke

Internationalistin, seit Oktober 1997 im Gefängnis in der Türkei in Mus

März 1998
Teil I

Am 05. oder 06. Oktober 1997 fiel ich im Zuge der sogenannten "Safak"-Operation in die Hand türkischer Sicherheitskräfte. Ich werde mich hier nicht lang und breit darüber auslassen, wie die folgenden drei Wochen vergingen, bis man mich vors DGM brachte, das mich in die Haft entließ. Ich weiß noch sehr genau, wie ich das erste Mal vor Gericht stand, von dem einzigen Gedanken beseelt: Raus aus dem Verhör und rein in die Zelle. Alles weitere war mir zu dem Zeitpunkt ziem-lich egal. Drei Wochen lagen hinter mir, drei Wochen, die damit begannen, daß während des Ver-hörs ein im Raum mit "keiner Aufgabe" betrauter Soldat aufsprang und sich fluchend auf mich warf und man mir, über meine Situation aufklärend, sagte: "Sieh, niemand weiß, daß du in unserer Hand bist, als du verhaftet wurdest, warst du allein. Wenn wir dich also in einen Hubschrauber setzen und dich hinausstoßen, wer wird da schon Fragen stellen? Es liegt an dir, gestehe, oder du fällst." Ein Soldat, der die Übersetzung machte, fügte dann noch hinzu: "Sei nicht stur, hier ist nicht Deutschland, sondern die Türkei." Schließlich eröffnete man mir, daß, wenn ich nicht mit ihnen spräche, sie mich eben anderen überlassen müßten, und die wüßten dann schon andere Mittel und Wege. So fesselten sie mir die Hände, verbanden mir die Augen, und ich saß da und wartete auf das, was da wohl kommen würde. Es kamen dann welche in den Raum, nahmen mich und brachten mich nach draußen, wo sie mich in ein wartendes Auto warfen. Nachdem sie eine Runde mit dem Auto gedreht hatten, brachten sie mich zurück zu dem Haus und brachten mich dort in eine Zelle. Sie stell-ten mich dort in deren Mitte und verließen mich unter dem Hinweis, daß es mir verboten sei, mich zu setzen oder meine Stellung zu verändern. Sie postierten noch einen Wächter, der das kontrollieren sollte, und verließen mich. So stand ich in der Zelle mit verbundenen Augen und gefesselten Händen. Nachdem sie dann noch mehrmals kamen, ließen sie mich bis zum Morgen, an dem sie das Verhör fortsetzten, in Ruhe. Einen Tag später ging es dann zum versprochenen Hubschrauber. Die Augen verbunden, die Hände gefesselt, hörte ich nur: "Schmeißt sie raus." Nun, der Weg war sehr lang, bis ich dann wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Dort leiteten dann Zivile das Verhör. Zwei Wochen blieb ich dort. In einer Zelle 2m x 3m, ohne Fenster oder Toilette. Tag und Nacht brannte das Licht. Wenn die Wächter mir das Essen brachten, mußte ich mich zur Wand drehen, damit ich sie nicht sehen konnte. Zum Verhör wurden mir die Augen verbunden. Es waren zwei Wochen, die ich größtenteils damit verbrachte, die Wand anzusehen. Nach Ablauf der zwei Wochen riefen sie mich, stellten wütend fest, daß ich zur Zusammenarbeit nicht willig war. Bevor sie mich entließen, verlangten sie noch eine Unterschrift, die ich, da meine Augen verbunden waren, nicht leistete. Erneutes Geschrei, doch was nützte es, und so brachte man mich erneut zum Hubschrauber. Bei meiner Ankunft in Hakkari wurde ich dann zumindest die Augenbinde los. Man brachte mich auch wieder zur ärztlichen Kontrolle, der vierten seit meiner Verhaftung. Und was nicht freiwillig ging, wurde eben erzwungen. Sie glaubten sich wohl im Recht. Danach wieder Verhör. Ich war fertig und schwieg. Sie schrieben dann irgendwas an Hand der Akte. Am nächsten Tag ging es dann noch einmal zur ärztlichen Kontrolle und dann nach Van vors DGM. Das vorangegan-gene erwähne ich nur. um sich ein wenig ein Bild von der generellen  Situation machen zu können.

Ich habe lange überlegt, ob ich eine Aussage vor Gericht mache oder nicht. Eine Aussage bedeutet ja vor allem, daß ich sie anerkenne, das heißt ihre Funktion, ihre Befugnisse akzeptiere. Das tue ich nicht. Auch werde ich keine persönliche Verteidigung führen; da ich nicht schuldig bin, besteht auch keine Notwendigkeit einer Verteidigung. Trotzdem habe ich mich entschlossen, eine Erklärung abzugeben. Ich denke, zur Aufhellung der wichtigsten Fragen ist ein kurzer Blick in die Ge-schichte das Sinnvollste, allerdings werde ich ihn sehr kurz halten,
nur zum besseren Verständnis der Zusammenhänge.

Die Geschichte der Türkei, bzw. des Osmanischen Reiches, ist in den letzten 150 Jahren untrennbar mit der Geschichte Deutschlands verbunden. Als die deutschen Fürstentümer sich zu einem Staatenbund ordneten, mußten sie feststellen, daß sie jetzt zwar geeint waren, daß die Welt aber im großen und ganzen verteilt war. Daß sie etwas spät gekommen und so ziemlich alles sich in der Hand ihrer starken Nachbarn Frankreich, Spanien, Großbritannien und dem zaristischen Rußland befand. Da Deutschland selbst klein war und nicht viel an eigenen Rohstoffen und Märkten vorzuweisen hatte, wie sollte es da die Anforderungen, die die Enwicklung des Kapitalismus mit sich brachte, beantworten? Es sah sich also nach einem geeigneten Ziel um. Es traf sich gut, daß etwa um die gleiche Zeit das Osmanische Reich, groß aber an seiner Größe schwer tragend, zu einigen Modernisierungen gezwungen, sich nach einem geeigneten Partner umsah. Nicht gerade nach einem starken Partner, der die Gefahr bot, daß man in seine Hand fiel, und so fiel sein Blick auf Deutschland. Man kann sagen, es war im gegenseitigen Interesse. Das war so, bis Deutschland den Auftrag für den Bau der Berlin Bagdad Bahn erhielt. Von da an war Deutschland seine Probleme los. Es hatte mit dem Bauauftrag Rechte aller Art gewonnen. Seine Industrie hatte einen Markt, Rohstoffe; die Banken blühten auf. Das Osmanische Reich wurde mit Rüstungsprodukten aus Deutschland beliefert. Und als letztes kam dann noch ein Vertrag, der im Kriegsfalle die gegenseitige Unterstützung zusicherte.
Und so wollte Deutschland, das, was ihm seiner Meinung nach zustand, beanspruchen. Die Welt bedurfte einer Neuordnung. Der erste und zweite Weltverteilungskrieg waren Produkt dieses Strebens. Wenn Deutschland auch nicht ganz so daraus hervorkam, wie es sich das eigentlich vorgestellt hatte, so wurde doch die Welt gründlich neugeordnet. Das zaristische Rußland war nicht mehr zaristisch, das Osmanische Reich kein Reich mehr. Und Kurdistan viergeteilt. Nachdem sich Deutschland von den Folgen seines Handelns erholt, seinen Platz in einem der sich gebildeten Blöcke eingenommen hatte, konnte es sich dann auch wieder mit seinem alten Partner befassen. Doch die Machtverhältnisse in der Welt hatten sich verändert, der Kapitalismus hatte sich entwickelt. Demgegenüber war in der Türkei einiges, was der neuen Situation anzupassen galt. Da solche Anpassungsphasen nicht gerade leicht zu tragen sind, war das beste Mittel solcher Phasen der Militärputsch. Dreimal putschte das Militär und hat dennoch nichts erreicht. Die Opfer waren groß, doch der Nutzen gering. Und die Welt hat sich erneut verändert, der kalte Krieg ist vorbei. In der Geschichte hat sich eins jedoch nie verändert: Deutschlands Konzerne und damit die politische Führung war immer bereit, jegliches Massaker als notwendiges oder zumindestens unumgängliches Übel anzusehen, das man stillschweigend akzeptierte, wenn nötig sogar in gewissem Rahmen un-terstützte, solange es nicht zur Gefahr der eigenen wirtschaftlichen Interessen wurde. So konnte ein Moltke, der den Auftrag hatte, die Armee des Osmanischen Reiches neu zu ordnen, zwar bedauernd in seinen Briefen von Massakern an Kurden berichten, aber irgendwelchen konkreten Schritte folgten nicht. Und als der Völkermord an den Armeniern folgte, war das zwar auch nicht schön, aber da waren wieder die Interessen und die Notwendigkeit des Krieges, die stärker wogen. Und daran hat sich heute nicht viel geändert. So waren es chemische Waffen aus deutscher Technik, die 1988 1000en Kurden der Stadt Halabja das Leben und die Gesundheit kostete. Kein Wort des Bedauerns, kein Versuch, das nicht Wiedergutzumachende wiedergutzumachen. Und dann Anfang 90'er die Bilder der deutschen Panzer, die in Cizre und Umgebung das Volk niederwalzten. Das Bild eines an die Rückfront eines deutschen Panzers Gebundenen, den man zu Tode geschleift hatte. Doch zurück zur Geschichte. Nach dem ersten Weltverteilungskrieg wurde die Welt nach den Interessen der imperialistischen Großmächte neu geordnet. Kurdistan wurde dabei viergeteilt. Der Nordwesten fiel unter die Kontrolle des türkischen Regimes, das schon wenig später mit der Niederschlagung jeglichen nationalen Ausdrucks des kurdischen Volkes begann. Dabei wurde wohl einer der barbarischsten Genozide, mit denen ein Volk je konfrontiert war, angewandt. Nicht daß man sich damit begnügte, das Volk zu massakrieren, nein, dieser Genozid sollte nicht einmal den Namen seines Opfers tragen. Begriffe wie Kurdistan und Kurde wurden aus den Landkarten gestrichen, aus der Geschichte, aus dem Sprachgebrauch entfernt. Das Volk der Kurden wurde zu "Bergtürken" erklärt. Dörfer und Städte erhielten türkische Namen. Das kurdische Volk sollte nicht nur aufhören zu existieren, nein es sollte so scheinen, als habe es nie existiert. Nach dem Massaker in Dersim breitete sich dann lange Friedhofsruhe im Lande aus. Ja bis ... bis sich in den 70er Jahren die ersten Kader der PKK bildeten. Obwohl sie sehr wohl unter dem Eindruck vorangegangener nationaler Befreiungskämpfe und sozialer Bewegungen entstanden, kopierten sie diese nicht, sondern entwickelten einen eigenen Charakter und eigene Strategie nach den Bedürfnissen und Realitäten, wie sie in Kurdistan herrschen. Sie sahen Kurdistan als einheitliche Nation unter dem Joch kolonialisierender Länder, überwanden somit die Teilung, unter der Kurdistan stand. Sie wandten sich radikal gegen jede Form rückschrittlicher Gesellschaftsverhältnisse und traten entschieden gegen die traditionelle Herrschaft in Kurdistan an, die als Handlanger des Kolonialregimes dechiffriert wurde. Die Führung dieser Bewegung war nicht in der Hand traditioneller Kräfte, sondern in der Person des Genossen Abdullah Öcalan in der Hand der Schichten des Volkes. Von Anbeginn stand die Bewegung in engem Kontakt zum Volk, ja war Teil dieses, auf nichts anderes bauend als auf die eigene Kraft.
Schon früh erkannten die feindlichen Kräfte die neue Qualität dieser Bewegung und reagierten mit Provokationen aller Art. So wurde im Mai 1977 der Genosse Haki Karer ermordet. Doch statt sich auf die Provokation einzulassen, verwandelte sie den Angriff der feindlichen Kräfte in einen orga-nisatorischen Sieg ihrerseits. Es folgte die Gründung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), als Partei mit Programm und Statut. Die Aktivitäten der PKK bewegten sich nicht in engen Zirkeln um ein Parteiorgan oder in abgeschlossenen Büros, sondern immer in den Reihen des Volkes selbst.
Als sich dann 1979 der Militärputsch abzuzeichnen begann - in Kurdistan war der Kriegszustand vor dem eigentlichen Militärputsch ausgerufen worden - bereitete die PKK rechtzeitig den taktischen Rückzug vor. Durch diese weitsichtige Herangehensweise sicherte sie die Kräfte für eine Fortsetzung der Bewegung.
Im Zuge des Militärputsches fielen dann tausende Patrioten, Sympathisanten und auch Kader in die Hand des faschistischen Regimes, wo sie in den Gefängnissen grausamster Foltermethoden unter-zogen wurden. Das faschistische Militärregime glaubte, so die beginnende Bewegung - der Kader in den Gefängnissen oder in der Ferne des Exils - im Keime erstickt zu haben. Doch der sich ausbrei-tenden Kapitulation traten die Kader der PKK mit einem entschiedenen Widerstand entgegen. Das Signal für diesen Widerstand setzte der Genosse Mazlum Dogan, der am Tag des Newroz 1982 den Märtyrertod fand. Aber der Widerstand lebte und fand noch im selben Jahr in dem Hungerstreik im Herbst seinen Ausdruck. Die Gefängnisse wurden zu Burgen des Widerstandes. Eines Widerstandes, der weit über die Grenzen Kurdistans hinaus seinen Widerhall fand.
Zwei Jahre später begann dann der bewaffnete Kampf. Seitdem hat der nationale Befreiungskampf des kurdischen Volkes eine rasche Entwicklung durchlebt. Und durch die Volksaufstände in den Jahren 1990-1992 seine breite Basis unter Beweis gestellt.
Und dann 1993 der erste offiziell anerkannte Kurde im türkischen Herrschaftsbereich, oder besser gesagt die erste Kurdin - Özals Großmutter.
Die PKK rief die einseitige Waffenruhe aus, und die Welt hielt den Atem an, ob der Dinge, die sich entwickeln könnten...
Nun, Özal segnete für alle plötzlich und unerwartet das Zeitliche, und seine Nachfolger schlugen die Chance aus, etwas wirklich Großes zu leisten, etwas Großes nicht nur für Kurdistan, sondern vor allem für die Türkei. Sie verließen sich lieber auf die althergebrachten aber völlig unbrauchbaren Methoden von Antipropaganda, Assimilation, Vertreibung, Massakern und der Vollstreckung von Hinrichtungen ohne Todesurteil, der unzählige Journalisten, Politiker, Menschenrechtler, Ge-werkschaftler usw. zum Opfer fielen. Und wenn heute Özals Großmutter die stolze Zahl von 15 Millionen Nachfahren vorzuweisen hat, so verdanken wir das nicht dem Fleiß der Großmutter (übrigens bezieht sich das auch auf ihre eigene Existenz), sondern ist das, das Ergebnis des uner-müdlichen Kampfes der PKK, des unbeugsamen Widerstandes und der großen Opfer des kurdi-schen Volkes. Eines Volkes, das sich seinem vermeintlichen Schicksal nicht ergab, sondern selbst-bewußt sein Schicksal in die Hand nahm.
Die PKK ist eine revolutionäre nationale Befreiungsbewegung aber keine Nationalisten. Keine Nationalisten mit Parolen wie „Der Arier ist alles“, „Der Türke ist alles und noch mehr“ und „Der Kurde ist alles“. Nein, dazu war der Arier nicht geeignet, noch der Türke und schon gar nicht der Kurde. Wir sind keine Faschisten. Der Mensch ist alles. Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern. Sie Verlaufen zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern; denen, die sich in unglaublicher Weise alles das aneignen, was doch allen gehört.
Der Kampf der PKK dient dem kurdischen und dem türkischen Volk und würde die Entwicklung eines dauerhaften Friedens im Nahen Osten ermöglichen. Ein Frieden ist aber nur auf der Grundla-ge gegenseitiger  Anerkennung und Achtung möglich. Kurz, die PKK teilt nicht, sie verbindet.
Ich sage offen, das kurdische Volk ist nicht alles, aber ohne die Anerkennung der legitimen Rechte des kurdischen Volkes ist alles Nichts. Die Lage, wie sich sich heute im Nahen Osten, speziell auch der Türkei zeigt, beweist das nur all zu deutlich.
Man muß realistisch sein, in einer Welt, die auf dem Prinzip von Nationalstaaten beruht, ist für ein Volk ohne Ausweis kein Platz und kein Recht. Aber einem Volk, das aufsteht und seine legitimen Rechte verlangt, die Rechte, die ihm wie jedem anderen Volk zustehen, muß man diese Rechte zugestehen. Ob und wie dieses Volk letztendlich diese Rechte nutzt, ist dann die Entscheidung des Volkes selbst. Sie müssen diese Rechte dem kurdischen Volk zugestehen, nicht nur wegen des kurdischen Volkes, sondern vor allem ihrer selbst willen. Denn eines sollte klar sein: die Türkei wird keines ihrer heutigen bedrohlichen Probleme lösen, ohne die Lösung des kurdischen Problems auf allen Ebenen. Und mit jedem Tag, den die Türkei ihre bis heute verfolgte Politik fortsetzt, wird sie den Preis, den sie dafür bezahlt, nur unnötig in die Höhe treiben. Der Kampf bedeutet für das kurdische Volk die Existenz. Aber die Fortsetzung des Krieges bedeutet für die Türkei das Ende.

Und so bin ich im Verlauf dieses Krieges in die Hand des Feindes gefallen. Ich stehe hier als Kriegsgefangene. Mein persönliches Schicksal hängt, wie das Schicksal jedes Kriegsgefangenen, vom Verlauf des Krieges ab und von nichts anderem. Ich teile mein Schicksal mit dem Schicksal des ganzen kurdischen Volkes, dessen Hoffnung, der Kampf um Selbstbestimmung und soziale Veränderung unter Führung der Arbeiterpartei Kurdistans ist.

Alle Völker sind Brüder
Hoch die Internationale Solidarität
Es lebe der Nationale Befreiungskampf des kurdischen Volkes

Und so bleibt mir nur zum Schluß
Dem kurdischen Volk innerhalb und außerhalb des Landes, seinen Institutionen
Den Genossen in den Bergen und den Gefängnissen
Allen Sympathisanten, den Freunden in aller Welt und
Dem Genossen Vorsitzenden Abdullah Öcalan
anläßlich des Newrozfestes meine hochachtungsvollsten und revolutionären Grüße auszurichten.



 
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