Internationale Reaktionen
auf das Todesurteil
UN: Öcalan-Prozess hat internationale Standards verletzt
Nach
Ansicht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson,
hat der Prozess gegen Öcalan internationale Standards verletzt. Robinson
forderte die türkischen Behörden in Genf auf, Öcalans Recht
auf Berufung zu respektieren. Weiterhin zeigte sie sich besorgt, "dass
bestimmte Aspekte des Verfahrens gegen Öcalan von internationalen
Standards über das Recht auf einen fairen Prozess vor einem unabhängigen
und unvoreingenommenen Gericht abwichen". Öcalan sei nach seiner
Festnahme entgegen den Bestimmungen auch des türkischen Rechts zehn
Tage in Isolationshaft festgehalten worden. Sein Kontakt mit Anwälten
sei begrenzt gewesen, und die Anwälte seien bedroht und schikaniert
worden, hieß es in der Stellungnahme Robinsons. Die Hochkommissarin
stellte auch die Unabhängigkeit der Richter in Frage. (dpa, 29.6.99)
Europarat gegen Hinrichtung Öcalans
Der Europarat hat nach dem Todesurteil die türkische Regierung aufgefordert,
von einer Hinrichtung abzusehen. "In der Türkei wurden in den
letzten 15 Jahren keine Todesurteile mehr vollstreckt. Wir hoffen, dass
das türkische Parlament diese Leistung beibehält", hieß
es in einer gemeinsamen Erklärung des Ministerkomitees der 41 Europaratsländer,
des Generalsekretärs Daniel Tarschys und des Präsidenten der
Parlamentarischen Versammlung, Lord Russell-Johnston.
Der Europarat forderte die Regierung in Ankara gleichzeitig auf, alle
demokratischen Forderungen der Staatenorganisation zu erfüllen, zu
denen die Abschaffung der Todesstrafe gehört.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte im
Fall einer drohenden Hinrichtung Öcalans mit einem Dringlichkeitsverfahren
eine aufschiebende Wirkung des Urteils erzielen. Die Anwälte des
PKK-Vorsitzenden könnten sich dazu in erster Linie auf Artikel sechs
der Menschenrechtskonvention über ein faires Gerichtsverfahren berufen,
sagte ein Sprecher des Gerichtshofes. Darin heißt es, dass jeder
Bürger das Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und
unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht hat, und über ausreichend
Zeit verfügen muss, um seine Verteidigung vorzubereiten.
Der Leiter der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung
des Europarats, Wolfgang Behrendt hat ebenfalls die Türkei vor einer
Vollstreckung des Todesurteils gegen Abdullah Öcalan gewarnt. "Das
würde bedeuten, dass wir die Suspendierung der Mitgliedschaft der
Türkei im Europarat vornehmen müssten" sagte Behrendt.
In einem solchen Falle sei auch ein Beitritt der Türkei zur Europäischen
Union völlig ausgeschlossen.
Würde die Türkei dagegen das Todesurteil nicht vollstrecken
und "sich um eine Lösung des Kurdenproblems bemühen, dann
wäre dies das richtige Signal auch für eine Mitgliedschaft in
der EU" betonte Behrendt. In einem solchen Falle solle der Europarat
ein Gespräch zwischen Vertretern der türkischen Regierung und
der Kurden initiieren, um das Problem zu lösen.
Er warf den europäischen Staaten und ihren Institutionen zugleich
Versäumnisse bei der Lösung des Kurdenproblems vor. Ab und zu
sei in den vergangenen Jahren ein Auge zugedrückt worden, da wirtschaftliche
und militärstrategische Interessen in den Beziehungen zum Nato-Partner
Türkei im Vordergrund gestanden hätten, insbesondere für
die USA. "Die amerikanische Seite hat schon starken Einfluss genommen",
räumte er ein. (dpa und adn, 29.6.99)
Appell
aus Brüssel
Die
Europäische Kommission und das Europäische Parlament haben an
die Türkei appelliert, das Todesurteil gegen Öcalan auszusetzen.
Parlamentspräsident Gil-Robles forderte den Präsidenten des
türkischen Parlaments, Akbulut, auf, sich einer Bestätigung
des Urteils zu verweigern. Das Europäische Parlament sei stets gegen
die Todesstrafe eingetreten, und das Recht auf Leben gelte auch für
Kurdenführer Öcalan. Die Vorsitzende der sozialdemokratischen
Fraktion, die britische Abgeordnete Green, warnte vor schwerwiegenden
politischen Auswirkungen auf das Verhältnis zur EU. Eine Vollstreckung
des Todesurteils verstoße gegen die Verpflichtungen aus der türkischen
Mitgliedschaft im Europarat und die auch von der Türkei unterzeichnete
Europäische Menschenrechtskonvention. Der für die EU-Außenbeziehungen
verantwortliche Kommissar van den Broek bekräftigte, dass die EU
die Todesstrafe grundsätzlich ablehne. Die Gemeinschaft setze fest
darauf, dass die Türkei diese Haltung im weiteren Verfahren berücksichtigen
werde. (AFP, 29.6.99; FAZ, 30.6.99)
Die
Präsidentschaft der EU zum Urteil gegen Öcalan
"Die
Präsidentschaft der Europäischen Union nimmt zur Kenntnis, dass
das Staatssicherheitsgericht Ankara Abdullah Öcalan am 9. Juni 1999
zum Tode verurteilt hat. Die Präsidentschaft bekräftigt ihre
bekannte Position, dass sie die Todesstrafe grundsätzlich und unabhängig
von der Person des Angeklagten oder der Straftat, deren er überführt
wurde, ablehnt.
Die Präsidentschaft verleiht ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Türkei
der seit 15 Jahren stets geübten Praxis folgt und das Todesurteil
gegen Abdullah Öcalan nicht vollstreckt. Im Lichte der erklärten
Absicht der Türkei, Mitglied der Europäischen Union werden zu
wollen, sollte beachtet werden, dass die Nichtanwendung der Todesstrafe
zu den gemeinsamen Werten (...) der Europäischen Union gehört."
(Pressereferat - Auswärtiges Amt, 29.6.99)
Bundesregierung: Todesurteil verbaut Türkei Weg in EU
Die Bundesregierung will alles ihr Mögliche tun, um die Vollstreckung
eines möglichen Todesurteils gegen Öcalan zu verhindern. Sie
werde den Fortgang des Prozesses und die Haftbedingungen Öcalans
weiterhin mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. Bundesinnenminister
Otto Schily warnte unterdessen in einem Gespräch mit der Berliner
Morgenpost, ein Todesurteil gegen den Kurdenführer würde einen
Beitritt der Türkei zur Europäischen Union erschweren. Die Regierung
in Ankara solle die durch die aktuelle Lage gebotene historisch einmalige
Chance nutzen, das Kurdenproblem in einer friedlichen Form zu lösen.
Weiterhin sagte Schily, dass "die Bundesregierung sich mit Kräften
dafür engagiere, dass die Türkei eine europäische Perspektive
hat. Diese Bemühungen würden erheblich beeinträchtigt,
wenn sich die Türkei beim Thema Todesstrafe taub stellt. Das Interesse
der Türkei sollte sein, die Tür zu Europa nicht zuzuschlagen".
(AFP, 23.6.99)
USA:
"Öcalan ist ein Terrorist"
Nach
Darstellungen des Sprechers des Weißen Hauses, Joe Lockhart, sei
Öcalan ein internationaler Terrorist, der zur Verantwortung gezogen
werden sollte. Im Außenministerium bescheinigte Sprecher James Rubin
der Türkei, der Prozess sei ordentlich verlaufen. Die Todesstrafe
sei im übrigen eine innertürkische Angelegenheit.
Dennoch wird der Öcalan-Prozess in Washington gleichfalls als eine
Gelegenheit für die türkische Regierung gesehen, den Dialog
mit den Kurden zu suchen und die Menschenrechte für alle zu stärken.
Für die USA sei Öcalan kein Freiheitskämpfer. An seiner
Festnahme in Nairobi waren sie nicht unbeteiligt. Über vier Monate
lang, so schilderten anonym bleibende Regierungsbeamte in der US-Presse,
habe Washington die Spur Öcalans verfolgt, der am 9. Oktober 1998
unter türkischem und amerikanischem Druck seinen "sicheren Hafen"
Syrien verlassen musste. (dpa, 30.6.99)
Britische Regierung: In lebenslange Haft umwandeln
Die britische Regierung hat die Türkei aufgefordert, das Todesurteil
in lebenslange Haft umzuwandeln, sofern es auch nach einer Berufungsverhandlung
bestehen bleibt.
"Die Haltung der Regierung zur Todesstrafe ist wohlbekannt. Wir und
die EU werden weiterhin darauf dringen, dass alle Todesurteile einschließlich
des jetzt verhängten in lebenslange Haft umgewandelt werden",
sagte ein Sprecher von Premierminister Tony Blair. Zuvor allerdings müsse
der Rechtsweg erschöpft sein. Die Regierung in London gehe davon
aus, dass nach der Verhängung der Todesstrafe automatisch eine Berufungsverhandlung
folge. Das Urteil sei "eine Angelegenheit der türkischen Behörden".
(dpa, 29.6.99)
Frankreich:
Öcalan-Prozess ist eine "Parodie"
Der
Präsident des außenpolitischen Ausschusses der franzö-sischen
Nationalversammlung, Jack Lang, hat den Prozess gegen Abdullah Öcalan
als "Parodie" bezeichnet. Der Prozess habe bewiesen, dass die
Türkei kein Rechtsstaat ist, sagte Lang. Das Todesurteil werde von
den Kurden als "Beleidigung und Provo-kation" empfunden werden.
Das Verfahren habe in keiner Weise ermöglicht, das "tragische
Schicksal der kurdischen Bevölkerung in der Türkei zu erwähnen".
Der ehemalige Kulturminister legte Ankara "eine große Geste
zugunsten von Frieden und Aussöhnung" nahe. Nach seinen Vorstellungen
könnte am 'runden Tisch' vereinbart werden, dass die Kurdengruppen
auf Gewalt verzichten und die türkische Regierung sich im Gegenzug
zu einem Autonomiestatut für die Kurden verpflichtet. (AFP, 29.6.99)
Schweiz
bestellt türkischen Botschafter ein
Der
Schweizer Außenminister Joseph Deiss hat nach dem Urteil gegen Öcalan
den türkischen Botschafter Tümer ins Außenministerium
einbestellt. Die Türkei sei als Mitglied des Europarates gehalten,
die Hinrichtung nicht zu vollziehen, sagte Deiss. Die Schweiz erwarte
den Verzicht auf die Urteilsvollstreckung. Die Regierung in Bern hat das
Todesurteil gegen Öcalan mit "größter Besorgnis"
zur Kenntnis genommen. Die Hinrichtung Öcalans würde in der
Türkei und im übrigen Europa eine neue Steigerung der Gewalt
auslösen und nicht zur friedlichen Lösung der Kurdenfrage beitragen,
hieß es in einer Erklärung. (dpa, 29.6.99)
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