Fußball: Fesseln der Islamischen Republik für eine Nacht gesprengt
Am Mittwochabend, den 8. Juni 2005, fand in Teheran ein Fußballspiel zwischen den Nationalmannschaften von Bahrain und Iran statt. Es handelte sich um ein Auswahlspiel für die Fußballweltmeisterschaften.
Das Stadium, das 100.000 Zuschauer fasst, war zum Bersten voll. Sämtliche Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen vom 17. Juni hatten ihre Werbegruppen losgeschickt, um dort auf Stimmenfang zu gehen. Zum ersten Mal verteilten die Revolutionswächter - die Pasdaran - unter den Zuschauern Schokolade. Die Zuschauer ließen sich allerdings von den Parolen der Wahlwerber nicht beeindrucken - sie interessierten sich nur für das Fußballspiel.
Nach dem Ende des Spiels, das mit 1:0 für die iranische Mannschaft ausging, verließ die Menschenmenge rasch das Stadium und begab sich in die Stadtmitte von Teheran.
Die Nachricht vom Spielausgang verbreitete sich rasch in der Bevölkerung, worauf die Menschen überall auf die Straße gingen und die Gelegenheit nutzten, ihre Freude fröhlich feiernd und tanzend mitzuteilen. Nicht nur in Teheran, auch in anderen Großstädten - wie Maschhad, Tabris, Schiras, Isfahan, Kermanschah - kam es zu vergleichbaren Szenen.
Zum ersten Mal seit 26 Jahren konnte die Jugend auf der Straße feiern, ohne dass die Polizei, die zuschaute, eingegriffen hätte. In einigen Fällen forderten die Jugendlichen die Polizisten auf, gemeinsam mit ihnen zu tanzen. Sogar Menschen, die sich überhaupt nicht kannten, umarmten sich. Obwohl viele Menschen auf der Straße Parolen gegen das islamistische Regime riefen und zum Boykott der Wahlen aufriefen, schritt die Polizei nicht ein.
Da der Verkehr unter dem Ansturm der Massen ins Stocken geriet und die Polizei überfordert war, übernahmen in vielen Städten Jugendliche die Verkehrsregelung und meisterten ihre Aufgabe bravourös, wie Augenzeugen berichten.
In Kermanschah kam es auch zu gewalttätigen Ausschreitungen, dort wurden die Fensterscheiben von Banken und Behörden eingeschlagen. An vielen Orten konnte man beobachten, dass die Wahlplakate der Präsidentschaftskandidaten zerrissen wurden oder die zerbrochenen Plakatwände in Müllcontainern endeten.
Der ehemalige Präsident und jetzige Kandidat Rafsandschani versuchte, die Gunst der Stunde zu nutzen und sich als "liberal" zu profilieren, indem er zu nächtlicher Stunde ein Wahlteam aussandte, das mitten auf der Straße Tontechnik installierte und Techno-Musik spielte, um die Jugendlichen anzulocken.
In Maschhad schickte sich eine Gruppe von fanatischen Hisbollahis - Anhängern der Gottespartei - an, Autos, die laut Musik spielten, mit Farbsprays zu markieren, damit sie am nächsten Tag leicht zu identifizieren wären und verfolgt werden könnten. Die Menge war darüber so aufgebracht, dass sie die 30-40 Hisbollahis umzingelte und so verprügelte, dass diese ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.