Der Ort, an dem wir uns jetzt befinden, war vor zehn Jahren noch ein überwucherter Hang, ein übrig gebliebenes Stück Stadt. Unbebaut, aber keine Brache mehr. Denn da gab es bereits den Plan, an diesem Ort eine städtische Utopie zu verwirklichen: PARK FICTION. Die Vision eines Parks, in dem Sehnsüchte in Gestaltung übersetzt sind, der Muße, Spiel und Glück verspricht. Wir sehen hier also das Ergebnis einer über zehn Jahre andauernden Arbeit. In deren Verlauf haben sich die Wünsche und Sehnsüchte, die Meinungen und Ansichten einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen in Auseinandersetzung begeben. Sie haben darum gerungen, eine Gestalt von Stadt zu erfinden, die aus ihren Bedürfnissen wächst. So gestattet uns der Park um uns herum einen Blick darauf, was Stadt alles sein könnte. Die verschiedenen Ansprüche haben sich aber auch gestritten und sind auf Widerstand gestoßen. Auch das zeigt uns der Park: so wie die Utopie enthält er die Realität der Stadt: die dominierende Vorstellung davon, was Stadt ist und wie mit ihr umgegangen werden soll.
PARK FICTION ist ein Paradebeispiel für einen aktualisierten Begriff von Kunst im öffentlichen Raum. Die Befürwortung durch die Kunstkomission 1996 hat dies bekräftigt. Das Programm weitergehen, in dessen Rahmen CATHY SKENE und CHRISTOPH SCHÄFER eingeladen wurden, plädierte für eine gesellschaftlich engagierte Kunst des Öffentlichen, in der „[...] die politischen/ sozialen/ ästhetischen Konfliktfelder selbst zum Gegenstand“ der Kunst werden sollten.
Kunst spielte in PARK FICTION von Beginn an eine wichtige Rolle. KünstlerInnen und MusikerInnen als beteiligte AnwohnerInnen/ aus dem Viertel haben mit ihren Arbeitsweisen die kollektive Wunschproduktion ermöglicht – indem sie präzise Formen für die Forderung nach einem Park und für ihre Kritik an der Zurichtung der Stadt fanden. Und indem sie einen ganzen Stadtteil in den künstlerischen Planungsprozess einbezogen. Die Anerkennung als beispielhaftes Kunstprojekt und der taktische Einsatz dieses Status hatten zudem einen beträchtlichen Anteil an der erfolgreichen Durchsetzung des Begehrens nach dem Park.
Die besondere Qualität und Ausstrahlung aber, die PARK FICTION bis heute besitzt, ist aber nicht allein darauf zurück zu führen, dass KünstlerInnen in einem politischen Begehren mitgewirkt haben – und dass dieses wiederum als Kunst anerkannt wurde. PARK FICTION bezieht seinen Sonderstatus vielmehr daraus, dass sich Akteure ganz unterschiedlicher Provenienz – aus Kunst, Gemeinwesenarbeit, Politik, Wissenschaft, Subkultur – für ein gemeinsames Ziel verbündeten, ihre spezifischen Kenntnisse dort hinein investierten und sich auf einen Prozess des Voneinander-Lernens einließen, den die Filmemacherin MARGIT CZENKI als sich gegenseitig schlauer machen beschrieben hat.
Ich bin der Meinung, der Erfolg von PARK FICTION darf nicht auf die Integrationseffekte einer interventionistischen oder partizipatorischen Kunstpraxis reduziert werden, wenn man dem Anspruch und der Realität des Projekts gerecht werden möchte. PARK FICTION steht für die andauernde Geschichte der praktischen Stadtkritik, für die Rückeroberung des Stadtraums durch seine BewohnerInnen, für die Einforderung des subjektiven Begehrens und für seine Verwirklichung im öffentlichen Raum. Die Kunst spielte eine wichtige Rolle, weil sich KünstlerInnen ebenso wie andere AnwohnerInnen in die Wunschproduktion einbrachten. Aber die Forderung nach einem Park war ohne ihr Zutun entstanden. Dass diese Forderung im Raum stand und ihre Durchsetzung überhaupt möglich schien, erklärt sich zunächst aus der spezifischen Situation hier am Hafenrand zu Beginn der 90er Jahre.
VOR ORT
PARK FICTION entstand aus einer Kritik an den konkreten Lebensbedingungen hier in St. Pauli. In diesem Viertel, bis heute eines der ärmsten in Hamburg, sind die BewohnerInnen durchaus einigen Härten ausgesetzt. Den beständigen Strom der Amüsierwilligen kennen Sie aus eigener Anschauung, wahrscheinlich auch den Lärm, den Verkehr und den Müll in ihrem Kielwasser. Darüber hinaus ist das Viertel, gerade hier im südlichen Teil, baulich stark verdichtet, die Wohnungen sind klein. Orte, an denen sich ein öffentliches Leben entfalten kann, sind rar und oft von Konsumerwartungen durchsetzt.
1994 fasste die Hamburger Bürgerschaft den Beschluss, diesen ehemaligen Geesthang, einen der letzten Plätze in St. Pauli mit freier Sicht auf die Elbe, zu bebauen. Es verwundert wenig, dass dies auf Widerspruch stieß. Und zusätzlich entstand dieser Widerspruch auf bereitetem Boden.
Denn auf St. Pauli hatte sich eine Kultur der Kritik entwickelt, die für einen selbstbestimmten Umgang mit Lebens- und Wohnformen steht, und zwar jenseits der behördlichen Vorstellungen. Die Besetzung – oder besser: die Inbesitznahme – der Häuser in der Hafenstraße 1981 und die gut zehn Jahre andauernden Kämpfe um ihren Erhalt sind sicherlich die bekanntesten Beispiele dafür. Doch auch die Mieterkämpfe der sechziger Jahre und eine seit damals engagierte Gemeinwesenarbeit haben Grundsteine gelegt, auf die PARK FICTION aufgebaut hat. Bereits Anfang der 90er Jahre, nach der Befriedung der Hafenstraße, entstand hier eine ganze Reihe von Ideen, wie die gesammelten Erfahrungen mit Stadtkritik und der Gestaltung der eigenen Lebensumgebung umgesetzt werden könnten – einige wie das Kinderhaus am Pinnasberg wurden Wirklichkeit.
ALLIANZEN
Der Widerstand gegen den Bauplan formierte sich aus diesem Kraftfeld heraus: dem Netzwerk zum Erhalt der Hafenstraße, sozialen Institutionen wie der Gemeinwesenarbeit St. Pauli-Süd, Cafés, AnwohnerInnen, StadtplanerInnen, MusikerInnen, KünstlerInnen usw. Sie verbanden ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Forderungen zu einer Kritik am Planungshandeln der Stadtverwaltung, die sich weit über diesen Ort hinaus erstreckte. Sie bezogen Position im Kampf um die Deutungshoheit darüber, wie die Stadt zu sein und wie sie auszusehen habe.
PARK FICTION bezieht sich auf eine theoretische Tradition der Stadtkritik, die das Subjekt und sein Begehren gegenüber dem rationalisierten Planungshandeln des Staates stark macht. Mit dem französischen Stadtsoziologen HENRI LEFÈBVRE stellt PARK FICTION das Private in den Vordergrund und behauptet, dass der urbane Widerstand und die Veränderung der Stadt hier ansetzen müssen. Für LEFÈBVRE ist der Wohnraum der Ort, an dem sich das Verhältnis des Menschen zum Imaginären entfaltet. In den einfachen Dingen des Alltagslebens sieht er den Ausdruck unserer Bedürfnisse und Sehnsüchte:
„Es ist dem menschlichen Wesen unmöglich, etwas zu bauen, darin zu bleiben, [...] ohne etwas, mehr (oder weniger) als es selbst: seine Beziehung zum Möglichen wie zum Imaginären. [...] Auch der banalste Alltag trägt in sich eine Spur von Größe und spontaner Poesie...“, so LEFÈBVRE in Die Revolution der Städte (1970).
PARK FICTION nimmt diese Position auf und ergänzt sie um ein von DELEUZE und GUATTARI entwickeltes produktives Verständnis des Wunsches: wo sich mehrere Wünsche zusammenschließen und in Allianz begeben, können „Wunschmaschinen“ mit revolutionärem Potenzial entstehen, die nach Überschreitung der realen Verhältnisse drängen.
Diese beiden Stränge fließen im Planungskonzept der kollektiven Wunschproduktion ineinander: „Die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen“ ist sowohl Slogan als auch politisches Programm von PARK FICTION. Ganz im Sinne von DELEUZE wird das theoretische Vokabular für das konkrete politische Anliegen angewandt – die Forderung nach einem Park hier und heute. Es ist das Ziel der kollektiven Wunschproduktion, die Wünsche der AnwohnerInnen aus der Wohnung heraus und auf die Straße zu locken, sie miteinander ins Gespräch zu bringen und eine neue und selbst bestimmte Ordnung des Stadtraums zu entwerfen. Das subjektive Begehren als das organisierende Prinzip der kollektiven Wunschproduktion soll dadurch Antrieb und Orientierung der Veränderung von Stadt werden.
Um dieses Begehren zu wecken, griff PARK FICTION auf Tricks aus Kunst und Aktivismus zurück, sowie auf Methoden einer kritischen, emanzipativen Gemeinwesenarbeit. MitarbeiterInnen der GWA St. Pauli-Süd brachten diese Ansätze aus der konfliktorientierten Tradition der Gemeinwesenarbeit in Folge von SAUL ALINSKY und anderen in den Kampf für den Park mit ein. Die jahrelange kontinuierliche Arbeit der GWA im Stadtteil hatte außerdem eine Basis geschaffen, auf der PARK FICTION den Hebel der kollektiven Wunschproduktion ansetzen konnte: denn wenn das Private und der Wohnraum eine zentrale Rolle im Planungsprozess spielen, müssen Wege dort hinein gefunden, müssen diese Räume und ihre BewohnerInnen wahr- und ernst genommen werden – und das bedeutet, eintausend verschiedene Möglichkeiten zu finden, wie die eigenen Wünsche entdeckt, formuliert und schließlich durchgesetzt werden können.
Die Kunst öffnete eine Reihe solcher Möglichkeiten. Sie erfand neue Zugänge und Ausdrucksweisen, um die in den Dingen des Alltags verkapselten Sehnsüchte hervorzuholen. Das Action Kit beispielsweise, ein aufklappbarer Planungskoffer mit Hafenpanorama, mit dem Wünsche geschrieben, gezeichnet, geknetet, modelliert und gesprochen werden konnten. Oder die Infotainment-Reihe, die in Diashows, Vorträgen und Filmbeiträgen die Gärten der Welt nach St. Pauli brachte. Sowie eine Reihe von Ausstellungen, Festen und Konzerten und schließlich die Dreharbeiten zum PARK FICTION Spielfilm.
Die Anregung zum Wünschen, zum Spielerischen und zur Imagination brachte künstlerische Arbeitsweisen in den Planungsprozess ein. Diese halfen dabei, subjektive Sichtweisen stark zu machen, kompromisslos zu sein und auch die zwangsläufig auftauchenden Konflikte auszuhalten. So gelang es, die Autonomieansprüche der Kunst auf alle am Planungsprozess Beteiligten auszudehnen.
ACTION
In den zehn Monaten der kollektiven Wunschproduktion entstand ein Entwurf des Parks, der die ganze Bandbreite utopischen und realistischen Wünschens enthält: Sonnen- und Grillplattformen auf Schienen, rollende Rasenstücke, den Boulevard der von der Straße verdrängten Möglichkeiten, ein Erdbeerbaumhaus und den Seeräuberinnenbrunnen, Teegarten und Obstbaumwiese, Bänke, Blumen und eine Feuer spuckende Inkagöttin als Kochskulptur.
PARK FICTION Teams waren mit dem Action Kit im Stadtteil unterwegs, besuchten die Menschen zu Hause und fragten nach den Pflanzen auf dem Fensterbrett. Der Planungscontainer am Parkgelände war regelmäßig geöffnet, um dort in Fragebögen und Interviews Wünsche einzusammeln. Es entstanden Modelle des Parks, aus Pappmaché und aus Lebensmitteln. Hunderte von Zeichnungen, Fotos, Skizzen wurden eingereicht. Die kollektive Wunschproduktion entfaltete eine Dynamik, die das ganze Stadtviertel mitriss und darüber hinausging. Denn mit dem Wunsch nach dem Park wuchs der Wunsch nach der ganzen Stadt, nach der Souveränität ihrer BewohnerInnen, nach Handlungsmacht.
Ich denke, die Wunschproduktion ist ein Schlüsselkonzept, das in die Diskurse der beteiligten Bereiche zurückwirkt. Sie ist ein Kampfbegriff und schlägt gleichzeitig alternative Handlungsmodelle vor. In der Stadtplanung kritisiert sie die Ignoranz gegenüber den NutzerInnen der Stadt und wendet sich gegen den Umbau der Städte nach wirtschaftlichen Interessen. Sie zeigt, wie es gelingen kann, die Planung der Stadt denjenigen zu überlassen, die in ihr wohnen und sie nach ihren Bedürfnissen gestalten. Den methodischen Konzepten der Gemeinwesenarbeit verleiht sie politische Schärfe. Sie betont die Radikalität des subjektiven Wunsches und seine Fähigkeit, über die realen Bedingungen hinaus zu gelangen. Und sie entwickelt künstlerische Arbeitsweisen, mit denen sich Autonomiegewinne und erweiterte Handlungsräume für mehr Menschen als den künstlerischen Autor allein gewinnen lassen.
SCHIKANE
Es wäre schön gewesen, und es hätte Ungeahntes und Unerhörtes ermöglicht, wäre die Behinderung durch Behörden und Stadtverwaltung in der Umsetzung nicht so immens gewesen. Jahrelange zähe Verhandlungen mit Ämtern, Bezirksversammlungen usw. haben aus dem wilden, reichen gewünschten Park einen TÜV-gerecht und kostengünstig gebauten gemacht. Sicher – der Park ist da, samt fliegendem Rasenteppich, Buchsbaumpudel und Palmen. Aber man kann sehen, dass die Unfähigkeit und der Unwille der Stadtverwaltung, den Entwurf zu begreifen und wertzuschätzen, PARK FICTION stark beschädigt hat. Viele der radikalen Entwürfe wurden in der jahrelangen Verhandlung pragmatisch kleingekocht, ihre Subjektivität entschärft. Mehr noch: auch nach knapp 12 Jahren sind immer noch wesentliche Bestandteile des Parks nicht realisiert – zuallererst das Wunsch-Archiv, das vorne am Parkende aufgebockt werden sollte.
Jedoch: die Stadtverwaltung übt sich weiter in Blockade des Parkbaus auf allen Ebenen. Und da von der einen Seite die HafenCity heran wächst, sich auf der anderen die Perlenkette schließt und von hinten der Umbau zur Eventmeile vor rückt, genügt sie so nicht ganz zufällig den Ansprüchen der anliegenden Gastronomen- und Investorenclique.
WAS TUN?
Meine Geschichte ist zwar historisch, aber PARK FICTION ist nicht beendet. Der Umbau Hamburgs zur Erlebnislandschaft und die heikle und oft affirmative Rolle, die der Kultur und Kunstproduktion darin zukommen, bringen auch den Park in Bedrängnis. Neben dem Tauziehen mit dem Bezirksausschuss muss nun auch die wachsende Zahl derjenigen im Schach gehalten werden, die den Park für ihre Zwecke vereinnahmen wollen. Solche Übergriffe scheinen auch möglich, weil man dem Park selbst im Moment kaum ansieht, dass seine Geschichte die eines jahrelangen Kampfes ist.
Der Archivcontainer hätte bereits vor Jahren stehen müssen, um diese Geschichte des Parks zu erzählen und die Fortführung der Arbeit und der Zusammenhänge aus der kollektiven Wunschproduktion zu unterstützen. Dass PARK FICTION diesen Entwurf vorgestern zugunsten eines explodierenden Archivs zurückgezogen hat, ist ein Ergebnis der behördlichen Blockade.
Auch heute bringt PARK FICTION einmal mehr Menschen zusammen, die sich außerhalb ihres eigenen Bereichs (heute dem der Kunst) orientieren. Und die sich – ohne die Qualitäten der eigenen Zunft zu vernachlässigen – in einen Austausch auf Augenhöhe mit den emanzipatorischen Bewegungen anderer Disziplinen einlassen wollen. Darin sehe ich die Voraussetzung für Allianzen, in denen Kunst zu sich selbst kommen UND das Versprechen auf Überschreitung der bestehenden Verhältnisse einlösen kann.
Wanda Wieczorek, 14.10.2006