Martin Eckert vom Hamburger Verein „Leben mit Behinderung“ ist sofort bereit Stellung zu beziehen. Er sieht die Angelegenheit, wie er selbst sagt, humorlos. Auf die Frage, ob man es als Behinderter nicht auch manchmal leid sei, ständig als Alibi missbraucht zu werden, für etwas, das aus anderen Gründen als der beschworenen Barrierefreiheit nicht gebaut werden soll, folgt ein kategorisches Nein. Wenn es der Sache dient, sei es vollkommen unwichtig, auf welchen tieferen Beweggründen die Forderung nach einer Behinderten gerechten Bauweise ursprünglich basiert.
Andere tun sich mit dem Stellung nehmen wesentlich schwerer. Konkret geht es um den Bau des Park Fiction Archivs, gewissermaßen das Herzstück des in St. Pauli beheimateten und durch Teilnahme an der Documenta 11 im Jahr 2002 international bekannt gewordenen Kunst- und Nachbarschaftsprojekts. Nach einer zehnjährigen Planungsphase konnten im August 2005 tausende Anwohner, Künstler und Unterstützer mit dem Ende des ersten Bauabschnitts die Parkeröffnung feiern. Doch schon zu diesem Zeitpunkt wird die Freude über den Park durch die Blockade des essentiell zum Projekt gehörenden Archiv-Gebäudes überschattet. Im Oktober dieses Jahres hat Park Fiction nun endgültig die Konsequenzen aus den andauernden Querelen mit dem Bauausschuss des Bezirksamts Mitte gezogen: Die Initiative zieht den durch die Kunstkommission zur Realisierung empfohlenen Archiv-Entwurf von Christoph Schäfer zurück.
Fehlender Bauwille
Ironischer Weise spielt die Finanzierungslücke als das übliche „Aus“ so vieler Projekte in diesem Fall keine Rolle. Die Kostenübernahme für den Bau des an einem utopischen Entwurf von El Lissitzky orientierten „fliegenden Containers“ war bereits 2002 durch die Kulturbehörde zugesichert worden. Statt an fehlendem Baugeld krankt die Aufstellung des Archivs seit nunmehr vier Jahren offensichtlich an fehlendem Bauwillen.
Die Entscheidung der Stadt Hamburg Park Fiction 1997 im Rahmen des durch die Kulturbehörde ausgelobten Kunst im öffentlichen Raum Programms „weitergehen“ zu realisieren und zwar nicht irgendwo, sondern auf dem lukrativen Hafenrand-Grundstück Pinnasberg/Ecke Antonistraße, kommt bis heute einem kleinen Wunder gleich. Jetzt allerdings macht es den Eindruck, als solle das Wunder rückwirkend entzaubert werden, als würde nach Kräften daran gearbeitet, die politische Botschaft des Parks zu neutralisieren.
Denn dass es mit dem Park zwar stets auch um ein reales Stück Stadt, aber nicht nur darum ging, war von Anfang an klar. „Die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen!“ war das zentrale Motto sämtlicher Aktivitäten. Neben der konkreten Verbesserung des Wohnumfelds für die Anwohner von St. Pauli zielt das Projekt damit auf eine grundsätzliche Infragestellung von Planungsprozessen, Entscheidungsstrukturen und Besitzverhältnissen in der Stadt. In dem Archiv soll nicht nur rückwirkend Material gesammelt und zur Verfügung gestellt werden, sondern von dem Archiv sollen weitere Forschungen und Experimente im urbanen Raum ausgehen, wie etwa 2003 der Kongress „Unlikely Encounters in Urban Space“ oder vor wenigen Wochen das Symposion zu Kunst im öffentlichen Raum „Umsonst und Draußen“.
Reißen wir das Schild doch einfach ab!
Nun sieht man dem Park in seinem jetzigen Zustand die Radikalität nicht ohne weiteres an. Zwangsläufig sind bei der Realisierung der in der Planungsphase gesammelten Anwohner-Wünsche Zusammenfassungen, Modifikationen und Auslassungen entstanden, die die Auseinandersetzungen und das Chaotische des gemeinsamen Formfindungsprozesses geglättet haben. Wer den Park ohne Vorwissen durchquert, empfindet ihn bestenfalls als extrem, als extrem gestaltet, als extrem vielgesichtig und als extrem bunt. So gesehen könnte es sich aber auch um eine öffentliche Ausstellung der Landschaftsgärtnerinnung handeln. Ohne ein prominent gesetztes Archiv ist der kollektive und emanzipatorische Prozess, der den Park hervorgebracht hat, nicht sichtbar. Er droht in Vergessenheit zu geraten.
Genau das, den Park durch Unsichtbarkeit seines Entstehungsprozesses langfristig entpolitisieren zu wollen, kann aber durchaus als Interesse der anliegenden Gastronomie und Immobilienbesitzer unterstellt werden. Tendenziell drängt, so Margit Czenki, Mitinitiatorin und zentrale Kraft von Park Fiction, derzeit alles in den Park. Geradezu krakenhaft breiten sich die „Riverkasematten“ aus, veritable Zweit-Immobilie des Rote Flora Käufers Klausmartin Kretschmer. Die Auflagen des Denkmalschutzamts scheinen ihm dabei weniger Schwierigkeiten zu bereiten als Park Fiction. Derzeit ist ein Versorgungsanbau für die Gastronomie geplant, der zwar das Gesamtbild des historischen Hafen-Ensembles zerstören wird, aber offensichtlich dringend notwendig ist, um die Salatköpfe nicht weiterhin offen im Container lagern zu müssen, wie die Bildzeitung letzten Sommer angeekelt auftischte. Während Kretschmer und seine Pächter von unten drücken, drohen von oben die Restaurants „Schauermann“ und „Amphore“Teile des mühsam erkämpften, öffentlichen Raums durch wachsende Terrassenflächen erneut privat zu vereinnahmen. Spätestens mit der Eröffnung der „Riverkasematten“ hat sich auch die Polizeipräsenz im Viertel deutlich erhöht, patroullierende Sicherheitsleute des Lokals verbreiten ein subjektives Bedrohungsgefühl.
Um die Zeit bis zur Realisierung des Archivs mit einem sichtbaren Zeichen zu überbrücken, hat Park Fiction mit Zustimmung aller Anwohner und Behörden ein Schild auf dem Kreisverkehr Antonistraße/Bernhard-Nocht-Straße aufgestellt, das auf den Entstehungskontext des Parks verweist. Überhaupt sind während der vergangenen Jahre alle Entscheidungen kleinteilig, wenn nicht nanoteilig, am Runden Tisch besprochen worden. Doch plötzlich scheint sich, so Czenki, niemand mehr an die Abmachungen halten zu wollen. Hinweise dafür gibt es genug: Mitglieder des Bauausschusses, die ganz spontan vorschlagen, dass Park Fiction Bauschild einfach abzureißen; ein Teil des Ausschusses, der sich plötzlich für ein Schauermann-Denkmal auf dem Kreisverkehr stark macht statt die längst beschlossene Aufstellung des Seeräuberinnen-Brunnen an dieser Stelle zu respektieren und natürlich die massive Einmischung in die Gestaltung des Archivs. Die gipfelte schließlich in der Forderung, der aufgebockte Container, eine Art alternativer „Info-Box“ zur Park-Baustelle, geplant für das Parkstück zwischen Treppe und Pudel Club, solle doch bitteschön erstens tiefergelegt und zweitens hinter den Büschen vor den Hafenstraßenhäusern auf Höhe des Buttclubs versteckt werden.
Das explodierte Archiv
„Für mich ist das eine fliegende Wohnung.“, begründet Christoph Schäfer sein Interesse an dem utopischen Architekturentwurf „Wolkenbügel“ des russischen Konstruktivisten El Lissitzky. „Diese Idee von der Arbeiterklasse, die sich nicht mehr von der Schwerkraft besiegen und niederdrücken lässt, das finde ich sehr schön daran.“ Mit dem Typ des vertikalen Bürohauses erfand Lissitzky 1924 ein Gegenbild zu den schier unendlich in die Höhe wachsenden amerikanischen Skyscrapern, Symbol des Kapitalismus. Trotzdem besitzt allein die Gebäudeform keine eindeutige politische Botschaft. Prominentes Gegenargument ist die „Info-Box“ am Potsdamer Platz, die sich ebenfalls formal auf Lissitzky bezieht, aber das im Dienste einer komplett anderen Ideologie: „Für Park Fiction ist die „Info-Box“ ein Beispiel für spektakuläre Partizipation und eine freche Enteignung konstruktivistischer Architektur, insbesondere El Lissitzkys Wolkenbügel. Diesen holt der aufgebockte, fliegende Park Fiction Container zurück.“
Nachdem der Bauausschuss den Entwurf zunächst in einer bemerkenswerten Kompetenzüberschreitung ästhetisch als „nicht schön“ kritisiert und besagte Änderungen eingefordert hatte, wurde jetzt mit der fehlenden Barrierefreiheit nach langer Suche endlich ein etwas stichhaltigeres Argument gegen die Realisierung des Gebäudes gefunden. Obwohl der Bauausschuss des Bezirksparlaments laut Justitiarin der Kulturbehörde in dieser Sache gar keine Genehmigung erteilen, sondern nur informiert werden muss, hat Park Fiction sich gegen einen Rechtsstreit entschieden und stattdessen die Arbeit von Christoph Schäfer zurückgezogen. „Das explodierte Archiv“ lautet der Titel des neuen Entwurfs, der Ende November vorgelegt werden soll. Nach der dazugehörigen Pressekonferenz wurde Park Fiction postwendend aufgefordert, dass Schild ebenfalls binnen einer Woche abzubauen.
Auskunft allerstrengstens verboten!
Durch das insgesamt 14.000 m2 große Park Fiction Areal verläuft eine unsichtbare Grenze, nämlich die zwischen dem Bezirksamt Altona und dem Bezirksamt Mitte. Rainer Doleschall vom Bezirksamt Altona weiß noch nichts davon, dass der Archiventwurf zurückgezogen wurde und will sich „sofort schlaumachen“. Im Gegensatz zu Mitte, das auch seiner Einschätzung nach „stets Schwierigkeiten mit dem Projekt hatte“, ist man auf Altonaer Seite fast fertig mit den Baumaßnahmen und „schmückt sich mit dem Park“, gerne auch „Antoni-Park“ genannt. Ist ja auch richtig so. Was kann es für einen Politiker schöneres geben als eine erfolgreiche Eigeninitiative? Im Bezirksamt Mitte sieht man das anders. Nur warum, will niemand sagen. Die Antworten sämtlicher Ansprechpartner vom Bezirksamtsleiter Markus Schreiber über einzelne Mitglieder bis hin zum Vorsitzenden des Bauausschuss Jan-Hinrich Fock (SPD) erinnern an die drei Türen auf dem Gang in das verboten Reich von Petrosilius Zwackelmann in Preusslers’ Hotzenplotz: Auskunft streng verboten! Auskunft strengstens verboten! Auskunft allerstrengstens verboten!
Nur Bodo Hafke von der Verwaltung des Baudezernats in Mitte darf sich äußern. Probleme habe es vor allem mit der Fernansicht gegeben. Außerdem sei der Park ja existent und „vielleicht müsse man dann ja nicht auch noch die Info-Box so prominent ans Elbufer setzen“. Dass von Seiten des Bauausschusses da nach einem Kompromiss gesucht werde, sei ein ganz normaler Vorgang. Dass sich der Künstler aber nicht so einfach in seinen Entwurf reinreden lasse, findet er zum Glück auch ganz normal. Messerscharf konstatiert er hier eine Konfliktsituation, genauso wie es einen Konflikt zwischen den Interessen des Bauausschuss und denen der Kulturbehörde gegeben haben muss.
Der Kulturbehörde aber, die anfangs entscheidend dazu beigetragen hat, das „Dauerpicknick gegen Gentrifizierung“ überhaupt erst möglich zu machen, und die ja auch die Finanzierung des Archivs übernehmen wird, ist, so scheint’s, im Laufe der langjährigen und zähen Verhandlungen die Luft ausgegangen. Zumindest im Moment sieht man dort keinen Handlungs-, geschweige denn Gesprächsbedarf: „Wir warten den neuen Entwurf ab und dann sehen wir weiter“, lautet die knappe Stellungnahme des Pressebüros. Dazu ist Herrn Raube, Mitglied im Bauausschuss für die CDU, ein interessanter Kommentar in den Hörer gerutscht. Nachdem er ausführlichst darauf hingewiesen hat, dass die Sitzungen des Ausschusses nicht öffentlich und Auskunft deshalb allerstrengstens verboten ist, entgleitet ihm ein „...wenn die Kulturbehörde so von sich überzeugt wäre, hätte sie das Ding ja da hinstellen können...“. Womit er in jeder Hinsicht Recht hat, juristisch wie, tja, wie nennt man so etwas? Moralisch? Ethisch? – wie aus Sicht der Erwartungen, die man an eine selbstbewusste Kulturinstitution stellen kann. Von Seiten der Kulturbehörde hätte man sich viel stärker gegen die Verfälschungsversuche an dem durch ihr Haus geförderten Kunstprojekt zur Wehr setzen müssen. Streng genommen wäre hier eine ebenso rigorose Stellungnahme am Platz gewesen, wie das anfangs erwähnte kategorische Nein aus Sicht der Interessenvertretung der Behinderten.
Ohnehin muss die Kulturbehörde aufpassen, dass sie sich nicht aufgrund von Profillosigkeit sukzessive selber abschafft. Viele Entscheidungen der letzten Zeit zeigen deutlich, dass es der Institution an Haltung nach Außen, zum Beispiel gegenüber anderen Behörden wie der Baubehörde, aber auch an klaren, internen Arbeitsgrundsätzen fehlt. Angesichts so einer Wischi-Waschi-Position kann leicht mal jemand auf die Idee kommen, auf die Kultur als eigenständiges Ressort zu verzichten, wie jüngst durch Berlin vorgemacht. In diesem konkreten Fall kommt allerdings erschwerend hinzu, das muss man fairer Weise dazusagen, dass das Bezirksamt Mitte in Amtshilfe für die Kulturbehörde offizieller Bauherr ist – und es vermutlich keine Handhabe gibt, um genügend Druck aufzubauen, damit man sich dort über die Empfehlungen des eigenen Bauausschusses hinwegsetzt. Schauen wir mal, was als nächstes kommt und ob nicht neue Probleme auftauchen, sollte Park Fiction jetzt ebenerdig bauen. Nach Denkmalamt und Rollstuhlfahren bleiben immer noch Tierschutz und Umweltbehörde... Die Forderung nach „barrierefreiem Bauen“ kann Park Fiction sich jedenfalls längst selber auf die Fahnen schreiben.