Aufruf: DIE STADT GEHÖRT ALLEN!

Image 13. JUNI 2009 - DEMONSTRATION GEGEN MIETERHÖHUNG, PRIVATISIERUNG & VERTREIBUNG

1000 Euro für die erfolgreiche Vermittlung einer Wohnung in den üblichen Vierteln ist Alltag gewordener Laternenpfahl. In innenstadtnahen Altbauvierteln wie St. Pauli oder St. Georg sind Nettokaltmieten von 10 Euro aufwärts normal geworden. Über Wilhelmsburg rollt die erste Mieterhöhungswelle. Fußgänger_innen mit und ohne Kinderwagen und Rollifahrer_innen quälen sich im Schanzenviertel über Gehwege, die zu Außenflächen der Gastronomie mutiert sind. Private Wachdienste entscheiden im sog. Business Improvement District am Neuen Wall, wer dort flanieren darf. In der möglichst obdachlosen- und punkerfreien Innenstadt wird mit Hilfe willkürlicher Platzverweise aussortiert, wer nicht ins Image passt.
VON DER STADT ZUM STANDORT

Hamburgs Stadtentwicklungspolitik orientiert sich am Leitbild der „Wachsenden Stadt“, das der CDU/FDP/Schill-Senat 2002 aufgestellt hat:

„In einer Zeit, in der Menschen und Unternehmen angesichts des erreichten Standes der Technik und der Infrastruktur hochmobil sind und sich nahezu an jedem Ort engagieren und entfalten können, werden in Konkurrenz um kreative Menschen und Investitionen (…) die sogenannten weichen Standortfaktoren wesentliche Wettbewerbsparameter. Das beginnt bei Sauberkeit und Sicherheit in der Stadt, bei qualitativ hochwertigen Bildungs- und Ausbildungsangeboten und reicht über eine funktionierende und moderne öffentliche Infrastruktur hin bis zu einem vielfältigen und anspruchsvollen kulturellen Angebot, einer intakten Umwelt, einer hohen Lebensqualität, einem ansprechenden Wohnumfeld sowie einem attraktiven städtebaulichen Gesamtbild usw.“
Freie und Hansestadt Hamburg, Staatliche Pressestelle: Leitbild: Metropole Hamburg - Wachsende Stadt; Hamburg 2002, S.10

Diese Standortorientierung führt letztendlich die Tradition Hamburger Stadtentwicklungspolitik weiter, die SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi 1983 bereits unter dem programmatischen Titel „Unternehmen Hamburg“ vorlegte. Der CDU-GAL-Senat verspricht jetzt ein „Wachsen mit Weitsicht“. Von diesem modifizierten Leitbild erwarten wir kosmetische, jedoch keine grundlegenden Veränderungen.

Das Marketing der Stadt wird mit Eventkultur unterfüttert: Noch die einfältigste Idee darf mit großzügiger Förderung rechnen - wenn sie nur ins maritime Image passt, sei es der Hafengeburtstag, die Cruise Days oder das Tamm-Museum. Marathon, Radrennen, Harley Days, Düsenjägershows, Schlagermove usw. usw. führen zu senatsgesponsorter Dauerbelastung für die Anwohner_innen.

DIE REPRESSION NIMMT ZU -
PREISGÜNSTIGE WOHNUNGEN NEHMEN AB

Die Verschiffung der Bibi Altona nach Mecklenburg-Vorpommern macht Flüchtlinge im Stadtkern nahezu unsichtbar. Gut sichtbar hingegen ist die Bebauung des Altonaer Elbufers mit Bürogebäuden und den sie umgebenden Flächen, die sicher öffentlich genutzt werden könnten, die aber nicht öffentlich sind.

Die Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher Räume wird durch Überwachung und Repression abgesichert. Das 2006 in Kraft getretene Hamburger Polizeigesetz, als härtestes Polizeigesetz Deutschlands angepriesen und mit Panikmache vor allgegenwärtiger Kriminalität durchgedrückt, markiert (unter anderem) eine Verlagerung der Entscheidungsbefugnis von den Gerichten zur Polizei. Bis zu 14-tägige Ingewahrsamnahmen und einjährige Aufenthaltsverbote, verdachtsunabhängige Kontrollen, Videoüberwachung und vieles mehr führen letztlich dazu, dass jeder Mensch zunehmend stärkeren polizeilichen Eingriffen ausgesetzt ist.

Eine Förderung des sozialen Wohnungsbaus findet nur noch auf dem Papier statt: Gab es 1990 noch 265.000 Sozialwohnungen, so sind es heute noch 119.000. Jährlich nimmt der Bestand um 5.300 Wohnungen ab, die aus der Mietpreisbindung herausfallen. Dabei sind 20 % der Hamburgerinnen und Hamburger arm und auf günstigen Wohnraum angewiesen. Zu ihnen gehören u.a. kinderreiche Familien, Jungerwachsene, Menschen mit Behinderungen, Haushalte mit Migrationshintergrund, Geringverdiener_innen, Erwerbslose und Wohnungslose.
Öffentliche Gelder gibt es für Sanierungsgebiete oder für studentisches Wohnen in Wilhelmsburg oder auf der Veddel, um diese Viertel für Zuziehende attraktiver zu machen. Damit trägt der Senat zur Umstrukturierung der Viertel bei und befördert Gentrifizierung.

GENTRI... WAS?

London, 1964: Ehemalige Stallungen oder Cottages - kleine Häuschen mit zwei Räumen oben, zwei unten - sind in elegante, teure Wohnungen umgebaut worden. Heruntergekommene größere Häuser im viktorianischen Stil, zuvor noch als Pensionen genutzt, wurden ebenfalls aufgewertet und neu bezogen.
Dies sind Anzeichen einer Entwicklung, der die britische Stadtsoziologin Ruth Glass den Namen "Gentrification" gibt. Begrifflich lehnt sie sich dabei an den Zuzug des englischen Landadels (landed gentry) in die städtischen Ballungsgebiete im 18. Jahrhundert und die damit verbundene Verdrängung der ansässigen Bevölkerung an. Denn auch 1964 beobachtet sie einen Verdrängungsprozess: In den von ihr untersuchten innerstädtischen Vierteln werden fast alle ursprünglichen Bewohner_innen aus der Arbeiterklasse durch zahlungskräftigere Mittelschichtsangehörige ersetzt. Letztlich ändert sich damit auch der gesamte soziale Charakter des Wohngebietes.

Heute ist der Begriff Gentrification oder Gentrifizierung nicht nur in der Stadtforschung zu Hause, sondern auch in Kämpfen um städtische Freiräume oder bei Mieter_innenprotesten. Ausgelöst wird Gentrifizierung durch gesteigerte private und öffentliche Investitions- und Modernisierungs-tätigkeiten. Mieter_innen, die sich die erhöhten Mieten nicht mehr leisten können oder wollen, verlassen das Viertel. Je attraktiver dieses wird, desto mehr nehmen auch Versuche zu, Alt-mieter_innen zu vertreiben. Vermieter_innen wollen entweder durch Luxusmodernisierung und Neuvermietung Topmieten erzielen oder durch die Umwandlung von Miet- in Eigentums-wohnungen Traumrenditen realisieren. Auch in Hamburg als Deutschlands Stadt der Millionäre profitieren diese unmittelbar (als Hauseigentümer) oder mittelbar (über Immobilienfonds) von der Umstrukturierung der inneren Stadt.

Für Kleingewerbetreibende sind die gestiegenen Mieten ebenfalls nicht mehr tragbar. Modische Klamottenläden und immer mehr Gastronomie werden schließlich ergänzt durch Filialen der Konsumketten, bis sich der Stadtteil kaum noch von einer x-beliebigen Fußgängerzone unterscheidet. Weichen müssen dafür Geschäfte, in denen die Bewohner_innen Sachen für ihren Alltagsbedarf kaufen konnten und teilweise auch selbst gearbeitet haben.

MIETSTEIGERUNGEN DURCH SAGA UND GWG

In der Wachsenden Stadt werden die Räume enger: Studierende, Leute mit unregelmäßigem Einkommen oder kleinen Renten, Hartz-IV-Empfänger_innen können sich ihre Wohnung nicht mehr leisten; Familien mit Kindern müssen in Wohnghettos an den Stadtrand ziehen. Künstler_innen oder Musiker_innen wandern im Metropolenwettbewerb direkt nach Berlin ab - die Subkulturen trocknen aus.

Das alles verschärft die Gentrifizierung - und die hat viele Gesichter: St. Pauli ist umstellt von Investorenarchitektur, Marketing Events und Videoüberwachung. Subkulturen werden aus dem Viertel gedrückt und sollen über die Elbe springen: in Wilhelmsburg werden im Zuge der Stadtteil-“Aufwertung“ durch die Internationale Bauausstellung (IBA) Sanierungsmaßnahmen durchgezogen, ohne nennenswerte Rücksicht auf Mieter_innenrechte zu nehmen. So steigen Mieten beim Bauverein Reiherstieg eG um 20%. Und die SAGA fasst bei der Sanierung einer Siedlung im Reiherstiegviertel viele günstige kleine Wohnungen zu wenigen größeren teuren zusammen.
In Kirchdorf-Süd gehen die Grundstücke gleich blockweise an Finanzinvestoren wie Fortress.
Das öffentliche Wohnungsbauunternehmen SAGA - einst gegründet, um günstigen Wohnraum bereitzustellen - muss heute Profit machen und überweist jährlich zig Millionen zur Finanzierung der Elbphilharmonie an die Stadt. In Barmbek macht die SAGA vor drastischen Mieterhöhungen um die 30% nicht halt.


ANGRIFFE AUF SELBSTBESTIMMTE FREIRÄUME

Inoffizielle Freiräume, jahrelang genutzt von Bootsbewohnern in Kanälen, Seitenarmen, ungenutzten Häfen, werden von der Hamburg Port Authority beschnitten: Sie passen nicht in das wohlhabende Bild der “Stadt am Wasser“.
Das Mövenpick-Hotel betrachtet den Schanzenpark als seinen Vorgarten und setzt auch im öffentlichen Park mithilfe der Polizei Ruhe und Frieden für die Hotelgäste durch. Auf viel genutzten Freizeitflächen wie der Eisbahn Planten un Blomen oder dem Volkspark sollen kommerzielle Sporterlebnis-Locations entstehen.

In den einschlägigen Stadtteilen jagt ein Großevent den anderen – während politische und unkommerzielle Aktionen wie das alljährlich selbst organisierte Schanzenviertelfest mit Auflagen und Schikanen überzogen oder verhindert werden sollen. Bauwagenplätze werden seit Jahren gegängelt und mit Polizeigewalt geräumt.
Die Schließung von kulturellen und sozialen Einrichtungen erfüllt gleich mehrere Funktionen im Sinne der Gentrifizierung. Oft befinden sie sich schon seit langem in mittlerweile hochbegehrten Immobilien, die so wieder dem Markt zur Verfügung gestellt werden. Vor allem aber wird mit der Schließung von Hilfeinstitutionen auch deren unliebsame Klientel aus dem Viertel vertrieben. Der Senat musste den Fixstern am Schulterblatt 2003 noch selbst schließen. Aktuell ist die Drogenhilfeeinrichtung Palette im Schanzenviertel – wie alle anderen Mieter_innen des von der Stadt verkauften Montblanc-Gebäudes - von Mieterhöhungen von 35% mit zusätzlicher Staffelmiete betroffen.


DOCH ES REGT SICH WIDERSTAND:

• Mieter_innen schließen sich zusammen und machen sich schlau über ihre Rechte: auf St. Pauli, in Osdorf, Lurup, St. Georg, Wilhelmsburg und vielen anderen Stadtteilen. Sie wenden sich mit ihrem Protest an die Medienöffentlichkeit, sammeln Unterschriften und wehren sich politisch und juristisch gegen ruinöse Ausplünderung und Vertreibung

• In der Ludwigstraße im Schanzenviertel wurde allen Bewohner_innen im kleinen Holzhaus Nr. 11 gekündigt, damit das historische Gebäude abgerissen und ein hoher Neubau mit Eigentumswohnungen errichtet werden kann. Die gekündigten Mieter_innen kämpfen gemeinsam darum, als Wohnprojekt bleiben zu können.

• In der Bernstorffstraße verhindern Anwohner_innen den Abriss des Kinos.

• Das Aktionsnetzwerk gegen Gentrification mobilisiert erfolgreich gegen Beachclubs beim Fischmarkt und beginnt mit der Wunschproduktion für einen „Strand für alle“.

• Hunderte protestieren dagegen, dass die Eisbahn in den Wallanlagen in ein teures Eventcenter umgewandelt wird.

• Das Mövenpick Hotel im Schanzenpark wird nicht ungestört sich selbst überlassen.

• Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht Symbole dieser Entwicklung, wie zum Beispiel neue Läden und neugebaute Eigentumswohnblocks im Schanzenviertel, Objekte spontaner Umgestaltung der Schaufensterscheiben und Fassaden werden.

• Das Centro Sociale im Karolinenviertel wird von Anwohner_innen in Eigenregie der drohenden kommerziellen Nutzung entzogen, als Freiraum angeeignet und genutzt.


RECHT AUF STADT!

Das Recht auf eine freie und auf sozialer Gleichheit beruhende Stadt haben alle: ob sie eine Wohnung gemietet haben oder ob sie wegen Hartz IV-Mietobergrenzen Wohnung und Stadtteil verlassen müssen; ob sie, geduldet, auf einem Kahn in einem Hafenbecken leben oder ob sie als Obdachlose einen innenstadtnahen Platz zum Platte-machen und Betteln benötigen; ob sie einen Park mit Vogelgezwitscher zum Erholen, einen Verkaufsort für selbstgehäkelte Socken, einen Ausblick auf den Hafen zum den Kopf klar kriegen, eine Bank zum Knutschen oder einen Spot zum Skateboarden brauchen.
Recht auf Wohnen, Recht auf Aneignung, auf Orte der Leidenschaft, Ruhe, auf dem Dach tanzen, in der Elbe schwimmen, auf Austausch und und und... Das kann nur gelingen, wenn wir uns gemeinsam gegen diejenigen wenden, die von der Verarmung, Verdrängung und Unterdrückung profitieren - damit wir morgen wieder sagen können: Stadtluft macht frei!
Stadt für alle und zwar sofort!

• Bezahlbare Wohnungen überall in der Stadt – Wohnen ist Menschenrecht!

• Keine Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen!

• Keine Mieterhöhungen nach Modernisierung - Mieten einfrieren!

• Keine Privatisierung öffentlicher Räume, - kein Verkauf von städtischen Wohn- und Gewerbeimmobilien!

• Alternative Projekte erhalten, soziale und kulturelle Freiräume schaffen!

• Keine Vertreibung von Hartz-IV-Empfänger_innen aus ihren Wohnungen - Abschaffung der lebensfremden Mietobergrenzen, Schluss mit den Zwangsumzügen!

• Neubau von zehntausenden öffentlich geförderten, preiswerten und schicken umweltfreundlichen Wohnungen in den nächsten Jahren in attraktiven Lagen!

• Freie Wohnortwahl für Flüchtlinge!

• Gegen Polizeiwillkür und Überwachung!

DIE STADT GEHÖRT ALLEN!
DEMONSTRATION - 13. JUNI 2009 14 UHR JUNGFERNSTIEG ECKE BALLINDAMM
Erstunterzeichner_innen:
Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg
Avanti – Projekt undogmatische Linke Hamburg
Buchhandlung im Schanzenviertel
Einwohnerverein St. Georg von 1987
Es regnet Kaviar – Aktionsnetzwerk gegen Gentrification
Freies Netzwerk für den Erhalt des Schanzenparks
Gaststätte Fritz Bauch
Gruppe Commode
GWA ST. Pauli Süd
MieterInnenrat Hamburg
SPSH e.V.
Stadtteilkollektiv Rotes Winterhude
Wohnprojekt Ludwigstr
Wohnprojekt Parkhaus
Wohnprojekt Plan B visdp: Carola Roth, Susannenstr. 99, 20357 HH