Wunschproduktion und Planungsprozess als Spiel und Tools

Image In St. Pauli, Hamburgs Rotlichtviertel, aber auch Wohnort von Leuten ohne Pass, ohne Geld, von Hausbesetzern, Künstlern, Musikern und Hunden, ging es Mitte der Neunzigerjahre darum, zu verhindern, dass das letzte Stück Blick auf Elbe und Hafen verkauft und zugebaut würde. Da wir keine Lust auf Grabenkämpfe hatten und der legale Weg zu keinem Ergebnis zu führen versprach, schlugen wir einen anderen Weg ein: wir organisierten einen Parallelen Planungsprozess und eine Kollektive Wunschproduktion im Stadtteil.

DIE WÜNSCHE WERDEN DIE WOHNUNG VERLASSEN UND AUF DIE STRASSE GEHEN
TOOLS

Ohne zu diesem Zeitpunkt staatlicherseits legtimiert worden zu sein, fingen wir mit der Wunschproduktion direkt an: wir organisierten diesen Prozess als Spiel, entwickelten Fragebögen, die die Frage nach Parkentwürfen verbanden mit der Frage nach Situationen, Ferienorten, Städten, nach den Orten des Glücks, ob man dort allein war oder mit jemandem, und mit wem und wieviele sonst noch da waren; nach Urlaubsfotos, Beschreibungen und Skizzen. Wir entwickelten tools: zunächst Schilder wie man sie von amerikanischen Demos kennt, die man in den noch unbebauten Hang hämmern konnte; später einen Spielplan, der die Zugangsmöglichkeiten zum Planungsprozess zeigte; wir stellten einen Bürocontainer ins Planungsgebiet, der neben einer Gartenbibliothek das Knetbüro enthielt, Tische, die man zum Planungsgebiet im Massstab 1:35 zusammensetzen konnte, und das Wunscharchiv. Für Menschen, die mitten in der Nacht die besten Einfälle haben, gab es eine telefonische Hotline.

Mit dem Action Kit, einem tragbaren Planungsstudio mit ausklappbarem Hafenpanorama, Plänen, Bastelmaterial, Polaroidkamera und Cassettenrecorder wurde die Nachbarschaft durchstreift. Als ich eine türkische Frauengruppe mit dem Action Kit besuchte, war vor mir eine andere Besucherin dran, die ebenfalls einen Koffer dabei hatte: eine Kosmetikerin, mit einem beeindruckenden Set Make Up und Nagellackproben.

GARTENFÖRMIGE SALATBAR

Statt auf frontale Vorträge und Demonstrationen, griffen wir auf Formen zurück, die im Vokabular von Politik und Aufklärung vergessen schienen, und die zunächst auch nicht als politisch erkannt wurden: wir organisierten eine gartenbezogene Ausstellung in allen Läden, Cafés, Kneipen und einigen Wohnungen um den Park; zur Eröffnung gab es eine gartenförmige Salatbar, Führungen und Infotainment, Open Air Kino mit Propaganda Diaschau statt Vorfilm. Der Vortrag zum islamischen Garten fand in einem temporären türkischen Teegarten statt – es ging uns um das Herstellen von Situationen, die auch schon in dem Moment Spass machen, inspirieren, und nicht erst ihren Sinn bekämen, wenn das politische Ziel erreicht wäre.

INTERVENTIONISTISCHE ANRAINERINNEN

Diese Praxis wurde getragen von einem Nachbarschaftsnetzwerk, das sich in der Zeit der Hausbesetzungen kennengelernt und radikalisiert hatte. Neben einzelnen Nachbarn gab es streitlustige Pastoren, eine visionäre Schulleiterin, eine Grafikerin, Cafebesitzer, KünstlerInnen und vor allem die Musikszene um den Golden Pudel Klub. Ort der politisierten Musiker der Hamburger Schule, deren selbstironischer Auftrittsstil Park Fiction beeinflusst hat, und zugleich Heim der „Galerie Nomadenoase“ und der Akademie Isotrop, befand dieser sich mitten im (gewünschten) Park und war durch den städtischen Bebauungsplan von Abriss bedroht. Als es nach einem Jahr endlich gelang, einen hochrangigen Politiker auf unser Gelände zu ziehen, war Park Fiction als Vorstellung und Wunschpark bereits überall, und als soziales Geflecht ganz real, hip, und im deutschsprachigen Kunstbereich bekannt.

Letztlich auf Basis dieser, andernorts als Konstituierende Praxis bezeichneten Arbeit, und dieses Netzwerks (im Hintergrund lauerte damals die Angst der Hamburger Regierung vor dem wieder Aufflammen der militanten Häuserkämpfe), gelang es uns, 1997, kurz vor der Wahl in Hamburg, den Park durchzusetzen. Wir entwickelten aus den Wünschen ein Parkkonzept und stellten alle Ideen auf einer Stadtteilkonferenz vor. Dort fehlten dann zum Beispiel alle Jugendlichen (die eigentlich am meisten Ideen entwickelt hatten), und ausgerechnet die Skateboardbahn (ein Snakerun im Stil der späten Siebzigerjahre) wurde aus dem Plan gestrichen. In der Park Fiction Gruppe diskutierten wir, dass wir unter Wunschproduktion nicht das demokratische Kleinreden von Ideen verstehen, und entschieden uns, dass alle Wünsche, Entwürfe und Ideen, der eine zweite und letzte Stadteilversammlung zustimmen würde, nicht weiter in der großen Gruppe bearbeitet würden. Stattdessen wurden diese von den Autorinnen mit den KünstlerInnen und ArchitektInnen zugespitzt, die Unterschiedlichkeit herausgearbeitet. So entstand das Konzept eines Parks aus Inseln, mit unterschiedlichen, sich widersprechenden oder ergänzenden Funktionen und Sprachen. Unsere Idee von Öffentlichkeit sollte nicht behaupten, dass alle gleich sind (wie man die Arbeiter des Industriezeitalters imaginierte und die der errechneten Bedürfnisbefriedigung entsprechenden Grünanlagen), sondern dass sich alle, in ihrer Unterschiedlichkeit, einen Raum teilen.