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Krieg der Zwerge
Notwendigkeit und Grenzen
eines minderheitenorientierten Ansatzes
in der linksradikalen Drogendiskussion
Seit sich ein großer Teil der Drogenszene im Schanzenviertel
bewegt bzw. dort lebt, sind Ausgrenzung, Vertreibung und Rassismus
nichts mehr, was leicht irgendwo da draußen, außerhalb
"unseres Viertels", verortet werden kann. Beim Verlassen
der Haustür, und manchmal schon davor, sind sie die Realität,
die sofort ins Gesicht springt. Da die polizeilichen Vertreibungen,
die offenen Diskriminierungen und die hinter vorgehaltener Hand
fast durchweg als Kampf gegen Drogen verkauft werden, wurde von
der Flora und anderen Gruppen im Stadtteil der Versuch unternommen,
eine neue Position zu Drogen-Konsum und Handel zu entwickeln
und zu etablieren. Galt bis dahin in vielen besetzten Häusern
und Zentren die Parole "Dealer verpißt euch!", so
wurde im "Zwer-gen-flugblatt" der Flora neben der Aus-grenzung
und Vertreibung der Drogen-konsu-mentInnen vor allem auch die rassistische
Dealer-Hetze ange-griffen. Das wenige, was an links-radikaler Diskussion
in den zweieinhalb Jahren seit dem "Zwergen-flugblatt"
stattgefunden hat, hat kaum neue Argumente oder Perspektiven hervorgebracht.
Wir wollen hier diese Diskussion aus unserer Sicht nachzeichnen
und bewerten.
I. Zwei Politik-Ansätze
Die konkreten Auseinandersetzungen in der links-radikalen Drogendiskussion
bewegten sich in den letzten drei Jahren entlang mehrerer zusammen-hängender
Fragen: Wie finden wir das Benutzen von Drogen? Wie stehen wir zu
den Ängsten der AnwohnerInnen gegenüber der Drogenszene?
Wie zu unseren eigenen? Ist die Forderung nach mehr Druckräumen
im Viertel unterstützenswert? Wie-viel "Ausgrenzung"
oder "Vertreibung" ist legitim, wenn es um die eigenen
halb- oder nicht-öffentlichen Räume geht?
Zwar gab es zu den einzelnen Fragen meistens mehr als zwei Positionen,
und nicht immer bedeu-tete die gleiche Position bzgl. einer Frage
auch das Übereinstimmen bei den anderen Fragen. Trotzdem lassen
sich aus einer bestimmten Perspektive etwas vereinfachend zwei Arten
von Positionsbe-stim-mun-gen ausmachen, die offenbar von grund-legend
verschiedenen Politik-Ansätzen aus-gehen. Wohl am deutlichsten
manifes-tierten sich diese beiden Politik-Ansätze an der "Anwohne--rInnen-Frage":
Wie soll damit umgegangen werden, wenn der Großteil der AnwohnerInnen,
die noch vor zehn Jahren mithalfen das "Phantom der Oper"
im Viertel zu verhindern, heute vor allem versucht, ihr multikulturell-alterna-tives
Idyll Schanzen-vier-tel von der Drogen-szene sauber zu halten
insbesondere dann, wenn dabei rassistische Ressentiments zutage
treten? Stehen die nicht eigent-lich auf unserer Seite und müssen
nur noch davon überzeugt werden, oder ging es "denen"
wie den meisten von "uns" - schon vor zehn Jahren
haupt-sächlich darum, "unser" Viertel vor fremden
Ein-flüssen zu schützen nur daß es damals
die Yuppies und Bullen waren und heute die "Junkies" und
"schwarzen Dealer"?
Die grundlegende Verschiedenheit der Politik-Ansätze macht
sich an den verschiedenen Vorstellungen vom Verhältnis zwischen
linksradikaler Politik, dominanten Bevölkerungsmehr-heiten
und marginalisierten Min-der--heiten fest. Zentral für eine
mehrheitsorientierte Position ist die Vorstellung, daß ein
politischer Kampf nur gewonnen werden kann, wenn viele Menschen
mobilisiert werden können und nicht nur, wie jetzt, versprengte
und isolierte kleine Grüppchen daran beteiligt sind. Im Vordergrund
steht damit das Ziel, für linksradikale politische Inhalte
eine breitere Basis herzustellen, was im Allgemei-nen durch Aufklärung,
Agitation und Bündnis-Arbeit, oder allgemeiner: durch Auseinandersetzungs-
und Kompromiss-Bereitschaft zu erreichen versucht wird. Im Kampf
gegen Ausgrenzung von marginalisierten Minder-heiten steht deshalb
der Versuch im Vordergrund, Teilen der an Ausgrenzung beteiligten
Mehrheit die Problematik und die Konsequenzen ihrer Denk- und Handlungs-muster
bewußt zu machen. Im Schanzen-viertel bekommt dabei der gute
Kontakt zu den AnwohnerInnen und die Vermittelbarkeit des eigenen
politischen Handelns eine essentielle Bedeutung. In Abgrenzung dazu
ist für die minderheitenorientierte Position die (kritische)
Solidarität mit den marginalisierten Minderheiten und das konsequente
Angreifen jeder (möglicherweise sehr subtilen) Form von Ausgren-zung
voranging - auch wenn dadurch Sympathien verspielt werden und mensch
damit selbst ins politische Abseits gerät. So ging es in der
Diskussion also vor allem auch darum, inwieweit es richtig oder
sinnvoll war sich gegen die große Mehrheit der zwar
vielleicht ein bißchen rassis-tischen aber immerhin links-alternativen
AnwohnerInnen zu stellen und damit endgültig außerhalb
des Viertels zu stehen und möglicherweise gar keinen Einfluß
mehr zu haben.
Offensichtlich ist, daß zwischen den beiden Politik-Ansätze
kein notwendiger Widerspruch liegt, da der Unterschied ja nur darin
besteht, was an erster Stelle steht: die Größe und Kraft
der Bewegung gegen Ausgrenzung oder das direkte und konsequente
Angreifen jeder Form von Ausgrenzung. So können diese beiden
Ansätze im Normalfall ganz gut neben- bzw. miteinander Grundlage
einer linksradikalen Politik sein. Allerdings gibt es natürlich
immer wieder Situationen, in denen die Prioritäten im Sinne
des einen oder anderen Ansatzes gesetzt werden müssen. So z.B.
um den Beschluß des Flora-Plenums, Drogen-Konsum und Handel
um die Flora herum zu tolerieren, innerhalb des Gebäudes aber
nicht zu dulden.
II. Warum minderheitenorientiert?
Zunächst wollen wir versuchen zu erklären, warum wir im
Kontext der Drogenverbotsproblematik im Schanzenviertel eine minderheitenorientierte
Position für notwendig halten. Linksradikale Politik muß
immer den gesellschaft-lichen Rahmen innerhalb dessen sie agiert,
berück-sichtigen und sich darauf beziehen. Wir sehen gegenwärtig
im Schanzenviertel eine starke Tendenz hin zu einer Mehrheits-gesellschaft:
Während die Mehrheit der Viertel-BewohnerInnen immer mehr in
die herrschenden Macht-strukturen integriert wird (z.B. durch Beteili-gungs-verfahren
wie die "AG Umgestaltung Schulter-blatt" der STEG ), werden
bestimmte Minder-heiten um so stärker sozial und politisch
ausge-schlossen. Diejenigen, die auf dem Weg des Schanzenviertels
zu einem angesagten, schicken und für Hamburg repräsentativen
Viertel dienlich sind, werden mit ihrem Anders-Sein, ihrem Protest,
ihrer Kritik einbe-zogen: so kann der türkische Gemüse-händler
genauso wie das "pittoreske Abbruch-ambiente" der Flora
zum alternativ-multi-kuturellen Flair der Location Schanzen-viertel
beitragen der Schwarze auf der Straße, der nur noch
als Dealer identifiziert wird, kann das aufgrund der Dealer-Hetze
schon nicht mehr und muß deshalb weg. So wird der Teil des
Anders-Seins, der als immer wieder notwendige Auffrischung der Strukturen
und Ausdrucks-formen der Gesellschaft die Akzeptanz ihrer Herschaftsformen
sichert, aufge-nommen, der Rest wird davon abgetrennt und ver-schwindet
sang- und klanglos. Diejenigen, deren Anders-Sein nicht in einer
solchen Weise nützlich ist, werden ausge-grenzt, vertrieben,
ihnen werden immer mehr die Exis-tenz--grundlagen entzogen, ihre
Handlungs-spiel-räume werden immer weiter einge-schränkt.
So befinden wir uns in einer Situation wo diejenigen, die unter
der herrschenden Ordnung ganz offen benachteiligt werden, keine
oder kaum noch Möglich-keiten des Widerstandes haben, und diejenigen
die diese Möglichkeiten haben, entweder so weit eingebunden
sind, daß sie dies gar nicht (mehr) wollen oder in ihrem Kampf
selbst immer wieder zum Teil dessen gemacht werden, was sie bekämpfen.
Eine Politik, die sich gegen soziale Ungleichheit richtet, muß
daher vor allem ver-suchen, dieses Zusammen-spiel von Integration
und Ausgrenzung zu durch-brechen. Für uns als radikale Linke
ist es daher in der aktuellen Situation von essentieller Bedeutung,
ob wir es schaffen, unsere Politik solchen integrierenden Mechanis--men
zu entziehen. Die Orientierung an der dominanten Mehrheit bzw. die
Öffnung ihr gegenüber zum zentralen Ansatzpunkt linksradikaler
Politik zu machen, geht deshalb in die falsche Richtung.
So wirkt z.B. die angeblich offene und gleichberechtigte Dis-kussion
zwischen VertreterInnen von Minderheiten-Positionen und denen von
Mehrheits-Positionen in seiner Funktion im Allgemeinen in einer
solchen integrieren-den Weise: Aufgrund des Machtgefälles zwischen
den beiden Positionen werden die Vertre-terInnen der Minderheiten-Position
dazu ge-nötigt, von vorneherein und immer wieder Zugeständ-nisse
an die VertreterInnen der Mehrheits-Position zu machen: z.B. das
Akzeptieren von rassistischen Ressentiments wenn in der Diskussion
um ein Zentrum für afrikanische Jugendliche im Schanzenviertel
Afrikaner und ihre UnterstützerInnen von AnwohnerInnen dazu
genötigt werden, zu erklären wie sie Drogenhandel sowie
lautes Trommeln und Partys bis zum Morgen (was Afrikaner halt so
machen) im Zentrum verhindern wollen. Da wir davon überzeugt
sind, daß in der öffentlichen Diskussion nicht die besseren
Argumente entscheiden, sondern eher das ungleiche Macht-verhältnis
der Positionen, muß es unserer Ansicht nach zunächst
darum gehen, die Position der Ausgrenzung direkt anzugreifen und
zu schwächen, bevor wir unser Haupt-arbeitsfeld in der Aufklärung
und Diskussion sehen können.
Dieses Schwächen der Position der Ausgrenzung muß dabei
sowohl auf der praktischen als auch auf der ideologischen Ebene
stattfinden: Zum einen muß es darum gehen, bei polizeilichen
Vertreibungsmaßnahmen, rassistischen Polizei-Kontrollen oder
offenen Diskrimi-nierungen durch AnwohnerInnen immer wieder direkt
einzugreifen. Gleichzeitig muß gesehen werden, daß die
Politik der Ausgrenzung gerade deshalb so reibungslos durchgesetzt
werden kann, weil auf der anderen Seite von Ausgrenzung und Vertreibung
Akzeptanz-Manage-ment und Ideologie--Produktion stehen. So muß
der Widerstand gegen diese Politik auch z.B. da ansetzen, wie über
Drogen-Konsum und DrogenHandel, über Obdachlose oder
über Menschen schwarzer Hautfarbe in der Öffentlichkeit
geredet wird, und es muß versucht werden, einen eigenen Einsatz
in diese Diskurse einzuschleusen.
Wenn wir nun die konkreten Auseinandersetzungen in der linksradikalen
Drogen-Diskussion betrachten, wird klar, daß diese allgemeinen
Überlegungen etwas zu einfach gestrickt sind und an der Praxis
weiterentwickelt werden müssen.
III. Konkretisierungen
Anhand von zwei Diskussionen innerhalb der linksradikalen Szene,
die mit der Drogenszene in Zusammenhang stehen, wollen wir einige
Konkreti-sierungen des minderheitenorientierten Ansatzes vornehmen,
die unserer Ansicht nach notwendig sind, um eine sinnvolle politische
Praxis entwickeln zu können.
Der Umgang mit Ängsten / kritische Solidarität
Das aus linksradikaler Sicht wohl stärkste Argument von vielen
AnwohnerInnen gegen die Drogenszene war der Bezug auf ihre Ängste:
vor Spritzen, Depots, Waffen usw. Aus der mehrheitsorientierten
Position wurde gefordert, diese Ängste erstmal ernst zu nehmen,
um nicht von vorne herein die Gesprächs-ebene, ohne die nichts
bewirkt werden könne, zu zerstören. Einige der Ängste
seien ja aus eigener Erfahrung auch berechtigt, ansonsten gäbe
es auf der Gesprächsebene die Möglichkeit, diese Ängste
mit guten Argumenten nehmen zu können. Dagegen wurde aus der
minderheiten-orinetierten Position argumentiert, daß das öffentliche
Reden von den eigenen Ängsten im Kontext einer Medien-kampagne
über die "Verslummung" des Schanzen--viertels und
einem verstärkten Bezug polizei-licher Vertreibungs-maß-nahmen
auf ein "subjektives Sicher--heits-bedürf-nis" vor
allem dazu diene, Ausgren--zug, Vertreibung und Rassismus zu legitimieren.
Ein erstmal-Ernstnehmen dieser Ängste hieße in diesem
Kontext, den realen Ausdruck dieser Ängste die Platzverweise
für Drogen-konsu-men-tInnen, die Kontrollen von Menschen aufgrund
ihrer schwarzen Hautfarbe, die rassistischen Äußerungen
im Hausflur als diskutabel anzuerkennen und ihm damit mehr
Legitimation zu verschaffen. Wenn die Ängste der meist gutsituierten
Viertel-bewohne-rInnen nicht über die existentielle Bedrohung
für Obdachlose, Drogen-UserInnen und Schwarze gestellt werden
sollen, müsse öffentliches Reden über diese Ängste
politisch angegriffen werden, und das gilt natürlich auch für
die eigenen Ängste.
Auch wenn wir diese minderheitenorientierte Argu-men-tation schlüssig
und ihre Implikationen prinzipiell richtig finden, bleibt dabei
offen wie denn mit diesen Ängsten umgegangen werden soll. Zunächst
kann es unserer Ansicht nach nicht darum gehen, von richtigen oder
berechtigten Ängsten versus falschen oder irrationalen Ängsten
zu reden. Ängste sind Gefühle und lassen sich nicht in
solcher Weise bewerten. Das heißt aber nicht, daß deshalb
alle Ängste politisch ernst genommen werden müssen. Erstmal
ist zu beobachten, daß vieles von dem, was unter Ängste
gefaßt wird, eher der eigene Nerv mit Einzelnen ist, den wir
alle kennen. Dabei ist klar, daß ein Genervt-Sein politisch
sicherlich einen anderen Stellenwert hat, als ein direktes Angstgefühl,
und deshalb auch so benannt werden sollte. Ausgrenzung Einzelner
läßt sich aufgrund von Genervt-Sein kaum rechtfertigen,
aufgrund eines direkten Angstgefühls möglicherweise schon.
Wenn es nun tatsächlich um Angst geht, muß unter-schieden
werden: Sicherlich gibt es Ängste, die sich auf Menschen beziehen,
die der Drogenszene zugerechnet werden, und die aufgrund ihrer Begründung
ernst-zunehmen sind: z.B. die Angst vor einer Person, von der schonmal
jemand mit einem Messer bedroht wurde. Was aber im Normalfall geschieht,
ist daß Ängste, die in persönlichen Erfahrungen
oder Erzählungen wahrer oder unwahrer Geschichten begründet
liegen, von den konkreten Personen, auf die sich diese Begründungen
beziehen, übertragen werden auf die vermeintlich homogene Gruppe,
die um sie herum konstruiert wird: "die Junkies", "die
schwarzen Dealer" usw.
Solche Übertragungen finden nicht nur bei vielen AnwohnerInnen
statt: Etwas verdeckter lässt sich eine ähnliche Übertragung
in einem Text der "einige Flora-UserInnen" finden. Offensichtlich
aus Angst durch die Solidarität mit einer Gruppe, auf die momentan
der gemeinsame Hass des Viertels projiziert wird, selbst noch mehr
ins Abseits zu geraten, wird in diesem Text eine grundsätzliche
Abgrenzung zwischen linker Szene und Drogenszene vorgenommen - da
"sie ganz grund-sätzlich andere Dinge wollen". Weil
sich einzelne Drogen-KonsumentInnen auch mal gewalttätig oder
sexistisch verhalten, sollte den UserInnen im Allge-meinen die Solidarität
verweigert werden. Damit wird Solidarität zu etwas, was nur
denjenigen gebührt, die einer Gruppe zugerechnet werden, deren
vermeint-liche Mitglieder allesamt in jeder Hinsicht politisch korrekt
sind. Verallgemeinernde Übertragungen werden dabei genauso
verwendet wie wenn umgekehrt Solidarität als etwas verstanden
wird, das allen Menschen, die einer bestimmten marginalisierten
Gruppe zugerechnet werden, immer und in jeder Situation gebührt
- wie das manchmal bei Soli-Gruppen für nationale Befreiungs-bewegungen
vorkommt.
Stattdessen müßte eine kritische, kontextbezogene Solidarität
angestrebt werden, die sich auf die unterlegene Position bezieht,
die Angehörigen einer bestimmten Gruppe in einem bestimmten
Herrschafts-verhältnis zukommt, und nicht auf die Menschen
dieser Gruppe an sich. Eine solche kritische Solidarität wäre
immer abhängig davon, welches Herrschafts-verhältnis in
einem bestimmten Kontext im Vorder-grund steht. Damit ist auch klar,
daß mit kritischer, kontextbezogener Solidarität auf
keinen Fall gemeint sein kann, einen Drogen-Konsumenten, der in
einem Hauseingang einer Frau einen sexistischen Spruch an den Kopf
wirft, zu verteidigen, wohingegen es angebracht wäre, den gleichen
Menschen zu unterstützen, wenn ihn am nächsten Tag eine
Streife mitnehmen will.
Allerdings wird an diesem Beispiel auch schon klar, daß eine
solche kritische, kontextbezogene Solidarität, oft eine Form
von Umschalten bedeutet, die nicht immer so einfach zu bewerkstelligen
ist. Insofern ist klar, daß ein Gerechtwerden der Einzelnen
und der konkreten Situation gegenüber selten 100%-ig möglich
ist, aber trotzdem angestrebt werden kann. Eine solche Haltung kann
mensch auch nicht von heute auf Morgen einnehmen, es geht vielmehr
um die stetige selbst-kritische Hinterfragung der eigenen Wahrnehmungen.
Trotzdem bleibt offen, wie ein öffentliches Reden über
diese Ängste möglich ist. Ist es möglich, durch konkrete
Erfahrungen begründete Ängste vor bestimmten Personen
öffentlich zu be-nennen ohne damit die Tür für verallgemeinernde
Übertragungen durch andere zu öffnen? Und wie ist es mit
den anderen, auf solchen Übertragungen basierenden Ängsten?
Auch wenn ein öffentliches Reden darüber aus oben genannten
Gründen äußerst problematisch ist, müßte
das lang-fristige Ziel doch sein, eine kritische Auseinander--setzung
mit diesen Ängsten, von denen wir selbst ja auch nicht frei
sind, zu initiieren. Aber wie ist das möglich, ohne dabei gleich
wieder für Ausgrenzung, Vertrei-bung und Rassismus funktionalisiert
zu werden? Wir denken, daß diese Fragen nicht offen bleiben
können, wenn ein minderheitenorientierter Ansatz in der politischen
Praxis umgesetzt werden soll.
Druckraumforderung / StellvertreterInnen-Politik
Eine andere lang diskutierte Frage war, ob die Forderung nach mehr
Druckräumen im Viertel aus einer linksradikalen Position heraus
unterstützt werden sollte. Die verschiedenen Positionen zu
dieser Frage lassen sich nicht so leicht mit der Gegenüberstellung
von mehrheits- und minderheits-orientierten Ansätzen beschreiben
wie in der Frage um den Umgang mit den Ängsten. Zwar orientier-ten
sich die Hauptargumente, die gegen die Forderung nach mehr Druckräumen
ins Feld geführt wurden, an einer gegen Ausgrenzung einer Minderheit
gerichteten Haltung: Druckräume sind Elendsverwaltung und bedeuten
Überwachung von als krank definierten Menschen; Druckräume
dienen dazu, die Drogen-szene von der Straße und damit aus
dem Blickfeld zu rücken. Die Argumente, die für die Forderung
nach mehr Druckräumen vorgebracht wurden, orientierten sich
dagegen sowohl an den DrogenkonsumentInnen als auch an den AnwohnerInnen:
Druckräume bedeuten erstmal eine konkrete Lebens-verbesserung
für KonsumentInnen; gleich-zeitig ist eine solche Forderung
direkt faßbar und realistisch und läßt sich deshalb
im Viertel gut vermitteln (und nicht deshalb, weil damit das "Problem"
aus dem Blickfeld gerückt wird).
Hier stellt sich die Frage, ob unter minderheiten-orientierter Politik
StellvertreterInnen-Politik für marginalisierte Minderheiten
zu verstehen ist. Innerhalb einer solchen müßte wohl
die Argumentation verortet werden, mit Druckräumen eine konkrete
Lebensverbesserung für Marginalisierte zu bewirken. Die Argumentation
der GegnerInnen der Druckraum-forderung läßt sich dagegen
eher in eine Politik gegen Ausgrenzungs-mechanismen einordnen. Gerade
im Falle "der Drogenszene" wird ziemlich schnell deut-lich,
mit welchen Problemen eine Stellver-treterInnen-Politik behaftete
ist: Erstens ist es für uns als Menschen, die keine oder kaum
illegalisierte Drogen konsumieren, nicht obdachlos sind usw. nur
schwer erkennbar, welche Bedürfnisse für Kosumen-tInnen
im Vordergrund stehen vor allem: für wen im Vorder-grund
stehen: die Mehr-heit der Konsumen-tInnen? Was ist dann mit dem
Rest? Zweitens funktionieren gesellschaftliche Ideologien bei Marginalisierten
oft nicht weniger gut als im Rest der Gesellschaft, so daß
viele der KonsumentInnen be-stimmte vielleicht subtiler arbeitende
Ausgren-zungs--mechanis-men akzeptieren (z.B. wenn sie sich
selbst als "krank" verstehen). Eine minderheitenorien-tierte
Politik muß sich deshalb unserer Ansicht nach in erster Linie
gegen das richten, was wir als Ausgren-zungs-praktiken und diskurse
wahr-neh-men können, und kann sich nur in zweiter Linie an
dem orientieren, was wir von den Bedürfnissen der Marginalisierten
mitbekommen. Es kann nicht darum gehen, die Interessen von Marginalisierten
vertreten zu wollen, sondern darum, diejenigen Praktiken und Diskurse
anzugreifen, die es Marginalisierten mehr und mehr unmöglich
machen, ihre Interessen selbst zu vertreten.
IV. Grenzen
Abgesehen von diesen notwendigen Konkretisierungen eines minderheitenorientierten
Ansatzes sehen wir auch Grenzen für einen solchen Ansatz in
der Praxis: Unter Umständen kann ein straightes Festhalten
an einer klar minderheiten-orientierten Position dazu führen,
sich selbst handlungsunfähig zu machen und damit jede Form
der Einflußmöglichkeit zu verlieren. Dieser Punkt ist
z.B. für die Flora durch ihre solidarische Haltung zur Drogenszene
im Moment sicherlich nicht erreicht, aber vielleicht wäre er
erreicht worden, wenn die Flora Drogenkonsum und handel im
Gebäude dulden würde. Wann dieser Punkt erreicht ist,
kann nur am einzelnen Fall konkret diskutiert werden, und unterliegt
natürlich immer einem Konglomerat subjektiver Einschätzungen.
Eine einfache Regel dafür läßt sich wohl kaum aufstellen.
Abgesehen davon liegt eine nicht unerhebliche Gefahr für einen
minderheitenorientierten Ansatz darin, zur reinen BürgerInnen-
und AnwohnerInnen-Feindlichkeit zu werden. Sicher-lich bedeutet
eine minderheitenorientierte Position in der Praxis oft auch einen
Angriff auf Denk- und Handlungs-Muster der großen Mehrheit,
die sich ihre Zufriedenheit mit den Zuständen über die
Ausgrenzung von bestimmten Minderheiten holt. Trotzdem bedeutet
eine minderheitenorientierte Politik für uns keine identitäre
Abgrenzung von "den BürgerInnen". Erstens sind wir
"denen" dazu viel zu ähnlich, gehören selbst
viel zu sehr dazu; und zweitens sind wir, wenn wir als UnterstützerIn
von Ausgegrenzten in einer Minder-heiten-Position stehen, noch lange
nicht selbst ausgegrenzt. Eine Identität als "die Guten"
in Abgrenzung zu "den BürgerInnen" ist deshalb mehr
als fragwürdig besonders dann, wenn dabei der eigene
Bezug auf Ausgegrenzte dazu benutzt wird, sich selbst unangreifbar
zu machen. Stattdessen muß es um eine politische Abgrenzung
gehen, die erstmal nur bedeutet, die dominante Mehr-heit nicht politisch
unterstützen zu wollen, wie auch immer die Menschen, die dazu
gehören, genau "aussehen".
Trotz der vielen schönen Worte stellt sich die momentane Situation,
in der der Widerstand gegen Ausgrenzung und polizeiliche Vertreibung
im Viertel kriminalisiert wird, für uns als Bewährungsprobe
für eine minderheitenorientierte Politik dar. Denn es ist klar,
daß der Repression nur wirkungsvoll etwas entgegengesetzt
werden kann, wenn sich viele Menschen an dem Kampf dagegen und an
der Soli-dari-tät mit den von Repression Betroffenen beteiligen
gruppe neben der spur
Anmerkungen:
Das Ergebnis dieser Diskussion ist im Zwergenflugblatt der Flora
nachzulesen.
Etwas ausführlicher ist dazu das Flora-Flugblatt "Runde
Tische für ein rundes Schanzenviertel"
Unsere Kritik bezieht sich auf die Texte der "einige Flora-UserInnen",
die im Rahmen der "Flora-Seiteneingangs-Debatte" in der
ZECK veröffentlicht wurden.
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