In der Schweiz haben Ärztinnen und Ärzte der "Vereinigung unabhängiger Ärzte" (VUÄ) der Region Zürich und Mitglieder der "Autonomen Sanität Zürich" (ÄSZ im Schweizerischen Roten Kreuz) eine Vielzahl jener rund 100 ihnen bekannt gewordenen behandlungsbedürftigen Opfer von Gummigeschossen untersucht, versorgt und weiterbeobachtet. Ihre Ergebnisse geben verschiedene Verletzungsarten an:
Trifft ein Hartgummischrot auf den Körper, so ist natürlich entscheidend, aus welcher Entfernung der Abschuss geschah und wie stark dämpfend die Kleidung wirkt. Eine ungefähre Vorstellung von der Wucht der Geschosse mag das Ergebnis eines bundesdeutschen Polizeiversuches aus dem Jahr 1980 geben, als trotz Hemd, Pullover und Parka ein Treffer auf den Rücken aus 25 Meter Distanz noch ..schmerzhaft mit leichter Hautrötung" (1) wirkte. Bei geringeren Entfernungen und/oder leichterer Bekleidung wirken Treffer auf den Körper dementsprechend schwerwiegender: Blutergüsse, deren Form exakt einem Abdruck der Geschosse entspricht, sind die zuerst sichtbaren Auswirkungen. Je nach Schwere und persönlicher Anfälligkeit kann es anschliessend zu massiven Blutungen in das Gewebe kommen, die in extremen Fällen eine Punktierung (Absaugen der Gewebsflüssigkeit mit einer Kanüle) nötig machen.
Zu Riss-Quetschwunden kommt es, wenn relativ dicht unter der Haut Knochen liegen und das darüberliegende Gewebe durch die Wucht des Geschosses quasi ,,zerquetscht" wird und ,,platzt".
Besonders gefährlich wirken sich solche Verletzungen natürlich im Gesicht aus: Die Geschosse, die mit 200 km/h abgeschossen werden und deren Wucht der von massivsten Faustschlägen entspricht, schlugen in Zürich Zähne aus, brachen Nasenbeine, rissen Lippen auf und schössen Augen aus.
Gerade die Schweizer wie auch die bundesdeutsche Version von Gummigeschossen haben eine Form, deren geringe Grösse es mit sich bringt, dass sie mit ihrer ganzen Energie allein den nicht von umgebenden Knochen geschützen Teil des Auges treffen. Die sich daraus ergebenden Verletzungen werden in der Fachsprache ,,stumpfe Traumen" genannt, sind also Verletzungen, die die harte, widerstandsfähige Augenhülle nicht zerreissen, im Inneren des Augapfels aber zu schweren Folgen führen: zu Prellungen (Contusionen) oder Rissen (Rupturen).
"Das Auge verhält sich in einem gewissen Sinne vergleichbar dem Hirn bei Schädeltraumen, an dem bekanntlich auch schwere Verletzungen entstehen können, ohne dass der knöcherne Schädel eingedrückt ist", schrieb der Züricher Augenarzt, Dr. med. Walter Steinebrunner, im Oktober 1981 in einem Gutachten für den ,,Verein betroffener Eltern". ,,Es handelt sich hier meist um den sogenannten contre-coup-Mechanismus, der auf der Druckwelle beruht, die sich bei einem Schlag in einem solchen nicht dehnbaren Hohlkörper ausbreitet (und auf der dem Schlag gegenüberliegenden [»contre-coup«] Seite zu Schäden führt, Anm.). Bei den durch Gummigeschosse ausgelösten Schäden können praktisch alle für den Sehapparat wichtigen Teile des Auges schwerstens geschädigt werden. Leichtere Traumen betreffen häufig nur die vorderen Augenabschnitte mit Dehnung des Irismuskels, dadurch ausgelöster Störung der Hell- und Dunkeleinstellung sowie manchmal auch der Naheinstellung des Akkomodationsapparates (Scharfeinstellung der Linse auf verschieden weit entfernte Gegenstände, Anm.). Spätfolgen von Traumen mittlerer Stärke sind nicht allzu selten ein Grüner Star (Grüner Star, Glaukom: krankhafte Steigerung des Augeninnendrucks mit schädigender Einwirkung auf Sehnerv und Netzhaut [evtl. Erblindung], Anm.), der erst Jahre oder sogar erst ein Jahrzehnt nach dem Trauma auftreten kann oder auch erst spät auftretende Linsentrübung (Grauer Star). Werden aber die hinteren Augenabschnitte: Glaskörper, Netzhaut und Aderhaut mitbetroffen, ist meist die Prognose noch schlechter: Zerreissung der Aderhaut oder Faserzerreissungen des optischen Nervus führen meist zu ganz schweren Seheinschränkungen. Die Prognose von traumatisch ausgelösten Netzhautablösungen feiner weiteren möglichen Komplikation) kann zwar durch Operationen meist etwas verbessert werden, dennoch ist eine schwere Invalidisierung des betroffenen Auges sicher. Auch hier können Spätkomplikationen noch nach längerer Zeit auftreten. Eine Ruptur des Auges bedeutet praktisch mit 100 %iger Sicherheit den totalen Verlust der Sehkraft, meist aber auch noch den Verlust des Auges als solches, d.h. das schwer traumatisierte und narbengeschrumpfte Auge muss später entfernt werden" (2).
Eineinhalb Jahre später, im Februar 1983, nachdem mittlerweile bei sieben Menschen der totale oder teilweise Verlust der Sehkraft auf einem Auge zu beklagen ist, gelangt Dr. Steinebrunner zu der Bewertung: ,, Ursprünglich hatte ich angenommen, dass die Polizei und die verantwortlichen politischen Gremien dieses Demonstrationsbekämpfungsinstrument ohne grosse Überlegungen gewählt hatten und sich über seine Gefährlichkeit nicht im Klaren waren. Jetzt, 'nach all den gemachten Erfahrungen, bin ich zu einem sehr viel deprimierenderen Schluss gekommen. Hätte es sich um eine Wahl aus Unkenntnis gehandelt, dann hätte man sicher nach der ersten schweren Verletzung auf dieses Mittel verzichtet. Jetzt glaube ich, dass es gewählt wurde, weil es einen ungeheuer grossen Abschreckungseffekt hat. Man kann mit ihm gewissermassen das Lebenssymbol, das Auge nämlich, auslöschen, ohne das wirkliche, physiologische Leben auslöschen zu müssen. Man kann scharf schiessen, ohne sich dem Vorwurf aussetzen zu müssen, scharf geschossen zu haben" (3).
Rissquetschwunde an der Oberlippe | |
Blutergüsse durch Nahschuss aus 2-3 m Distanz; durch dünne Sommerbekleidung nur schwache Dämpfung der Geschosse - die Form der Schrote zeichnet sich als Blutgerguss gut sichtbar ab! | |
Blutergüsse durch Nahschuss aus 2-3 m Distanz; durch Winterkleidung Dämpfung und Verteilung der Wucht auf eine grössere Fläche | |
Platzwunde vor dem linken Ohr durch Nahschuss aus ca. m Distanz (links); die ältere Dame schützte ihr Gesicht mit den Händen, (...) | |
(...) die Folge: Fraktur des linken Mittelfingers (rechts) - s.a. folgende Seite: Augenzeugenbericht zum Vorfall am Landesmuseum, Januar 1981. |