Drei Veranstaltungen zum rassistischen Alltag in Deutschland
und zu möglichen Widerstandsformen haben im Kölibri, Hein-Köllisch-Platz
12 in Hamburg-St.Pauli, am 14., 15. und 23. Juni 2000 stattgefunden.
Im folgenden dokumentieren wir die Einladung zu diesen drei Veranstaltungen
und dem damit im Zusammenhang stehenden 3. antirassistischen Grenzcamp,
das vom 29. Juli bis zum 6. August 2000 in Forst seine Zelte aufgeschlagen
hat:
Abschottung. Abschiebung. Angriffe.
Eine deutsche Bilanz der Jahre 1993 bis 1999:
257 Tote, 1104 Verletzte.
113 Menschen starben auf dem Weg in die Bundesrepublik. 267 Verletzte
beim Grenzübertritt. 78 Menschen töteten sich selbst angesichts
ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der
Abschiebung zu fliehen. 185 Flüchtlinge verletzten sich aus
Verzweiflung und Panik vor Abschiebung oder versuchten sich umzubringen
und überlebten schwer verletzt. 5 Flüchtlinge starben
während der Abschiebung. 97 Verletzte aufgrund von Zwangsmaßnahmen
oder Misshandlungen während der Abschiebung. 9 Flüchtlinge
starben durch Polizeigewalt in der Bundesrepublik Deutschland, 97
wurden verletzt. 52 Tote durch Brände in Flüchtlingsunterkünften
und 458 z.T. erheblich Verletzte. Unzählige nicht dokumentierte
Angriffe gegen Flüchtlinge und Migranten.
Antirassistisches Grenzcamp vom 29.7.-6.8.2000 in Forst/Brandenburg
Flughafenblockade Berlin-Schönefeld am 1.7.2000
zero tolerance für den Extremismus der Mitte
Was tun an der polnisch-deutschen Grenze? Wer sich davon einen
Eindruck verschaffen und zu miserablen Verhältnissen laut NEIN
sagen will, dessen Urlaub ist beim dritten antirassistischen Grenzcamp
richtig gebucht. Auch dieses Jahr ist es Kristallisationspunkt an
der Grenze, die in Europa die Teilhabe am Wohlstand oder Verurteilung
zu Armut markiert.
[Auf dem Grenzcamp in Forst ist ein Webjournal
produziert worden, das den Teilnehmenden vorort ermöglicht,
direkt vom Camp im Internet zu publizieren. Durch einfachen
Mausklick lässt sich das Ergebnis begutachten.]
Am 1. Juli jährt sich zum siebten Mal die faktische Abschaffung
des Asylrechtes. Der Flughafen Schönefeld soll an diesem Tag
total blockiert werden. Keine Abschiebung, kein Urlaub, keine Geschäfte.
Geschlossen.
Von denen niemand spricht!
Opfer rechter Gewalt fangen an, sich zu wehren!
Mit einer VertreterIn von Opferperspektive e.V. und einem Flüchtling
aus Rathenow
Morde, Hetzjagden, Überfälle, Angriffe auf Jugendzentren,
Brandanschläge auf Asylunterkünfte und Synagogen, Bedrohungen,
ständige Diskriminierungen und Beleidigungen - für viele
MigrantInnen und Flüchtlinge, aber auch für JüdInnen,
Schwule, Lesben, Obdachlose und Menschen mit Behinderungen gehört
rassistisch und faschistisch motivierte Gewalt inzwischen zum Alltag.
Doch die rechte Gewalt richtet sich nicht nur gegen sog. Randgruppen,
sondern auch immer öfter gegen Menschen, die nicht in das rechte
Weltbild passen, sich gegen Rechts aussprechen oder einfach nicht
typisch deutsch aussehen.
Besonders in den neuen Bundesländern ist es den Rechten gelungen,
ein Klima der Angst aufzubauen, "national befreite Zonen"
zu schaffen und sich auf gesellschaftlicher und kultureller Ebene
weitgehend durchzusetzen. Dabei können die Neonazis und ihre
AnhängerInnen auf einen breiten Konsens in der Bevölkerung
vertrauen. Diskussionen über ihre Taten finden allenfalls unter
der Frage statt, was die Täter dazu bringen konnte, sich so
zu verhalten. Niemand spricht über die Opfer! Sie finden meist
keine Unterstützung, sondern werden ein zweites Mal gestraft,
wenn sie ignoriert oder als Eindringlinge und Linksradikale abgestempelt
werden. In Brandenburg hat sich der Verein Opferperspektive gegründet,
der es sich zum Ziel gesetzt hat, Kontakt mit Opfern rechtsextremer
Gewalt aufzunehmen, um mit ihnen Perspektiven für die Zeit
nach dem Angriff zu entwickeln. Gleichzeitig erarbeiten sie mit
interessierten Menschen vor Ort Strukturen, um der rechten Gewalt
den Nährboden entziehen zu können.
Opferperspektive e.V. unterstützt Prozesse der Selbstorganisierung
wie die der Flüchtlinge in der Asylunterkunft Rathenow. Einer
von ihnen wurde kürzlich zum zweiten Mal von Neonazis angegriffen.
Die Flüchtlinge haben sich mehrfach an Politik und Öffentlichkeit
gewandt, weil sie in Rathenow nicht mehr leben können, da ihr
Leben dort ständig in Gefahr ist. Wir wollen auf der Veranstaltung
auch diskutieren, wie sich durch eine praktische Solidarität
mit Opfern und Ausgegrenzten Strukturen schaffen lassen, die rassistische
Angriffe verhindern und die zunehmende Dominanz rechter Kultur zurückdrängen
können.
Guben - eine braune Zone in Deutschland
Der Prozess gegen die Mörder Farid Guendouls und seine Hintergründe
Am 13. Februar 1999 wurde im brandenburgischen Guben der algerische
Flüchtling Farid Guendoul von mindestens 15 Nazis in den Tod
getrieben. Niemand griff ein als die Verfolgung begann. Als Farid
Guendoul die Glastür eines Wohnhauses eintrat, um Schutz zu
suchen, verletzte er sich schwer und verblutete im Hausflur. Keiner
der Bewohner, die durch den Lärm geweckt wurden, öffnete
die Tür. Obwohl der Polizei bekannt war, dass rechtsradikale
Gubener in dieser Nacht eine sog. Racheaktion durchführen wollten,
ergriffen sie keine Maßnahmen. Statt dessen verfolgten sie
einen der Nazihorde entkommenen Flüchtling.
Im Juni 1999 begann der Prozess gegen die 11 Angeklagten. Diese
versuchen sich als Opfer eines Angriffes durch Ausländer zu
präsentieren, während ihre Verteidiger immer wieder den
Fortgang des Prozesses sabotieren. Obwohl das rassistische Motiv
der Tat offen auf der Hand liegt, wird weder durch die Staatsanwaltschaft
noch durch das Gericht der rechtsradikale Hintergrund der Angeklagten
thematisiert. Dabei begingen mehrere der Angeklagten weitere rechtsradikale
Straftaten. So beteiligten sich zwei der Angeklagten an der Schändung
des Gedenksteins für Farid Guendoul. Andere liefen in der Silvesternacht
1999 mit der Reichskriegsflagge "Sieg-Heil" gröhlend
durch die Gubener Innenstadt. Zwei der Angeklagten, die ein Teilgeständnis
abgelegt und damit andere Angeklagte belastet haben, wurden daraufhin
von Rechtsradikalen angegriffen und verletzt.
Die Täter selber sind Teil einer aktiven rechten Szene, die
in den letzten zwei Jahren u.a. zweimal den jüdischen Friedhof
geschändet hat, zuletzt im Februar dieses Jahres. Flüchtlinge
und MigrantInnen werden in Guben ständig bedroht. Die Nazis
können sich der Akzeptanz und Förderung (z.B. Finanzierung
rechter Jugendzentren im Rahmen der akzeptierenden Jugendarbeit)
durch einen Großteil der Bevölkerung sicher sein. Das
rassistische Klima wird u.a. durch den heftigen Widerstand gegen
die Städtepartnerschaft mit der polnischen Nachbarstadt Gubin
deutlich.
Im Juli 1999 errichtete die Antifa Guben einen Gedenkstein in der
Nähe des Tatortes. Die Bewohner des Wohnhauses verhinderten
zuvor das Anbringen einer Gedenktafel am Haus. Es vergeht in Guben
keine Woche, in der der Gedenkstein nicht geschändet wird.
Normale Gubener lassen ihre Hunde ungehindert an den Stein pinkeln,
Nazis beschmieren ihn mit Hakenkreuzen.
Der Mord an Farid Guendoul verdeutlicht ein Klima, wie es in vielen
Städten der ehemaligen DDR vorzufinden ist. Eine rechte Dominanzkultur
verschafft sich mittels Gewalt die Herrschaft im Alltag. Die Angriffe
richten sich überwiegend gegen MigrantInnen und Flüchtlinge,
aber auch gegen alle, die als sogenannte Nicht-Deutsche von ihren
Tätern erkannt werden. Das rassistische und faschistische Weltbild
deckt sich mit Teilen der Bevölkerung, die die Taten durchaus
begrüßen. Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter
lassen die Täter gewähren, verharmlosen die Übergriffe
und ermutigen somit die rechte Szene. Über den Prozess berichtet
Rechtsanwältin Christa Clemm als Nebenklägerin der Familie
Guendoul. Dem Gesamtumfeld widmet sich der Beitrag der Vertreter
der "Forschungsstelle Flucht und Migration".
Kontakt:
GWA St. Pauli Süd
Tel.: 040-3193623
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