Im folgenden dokumentieren wir einen Kommentar aus "die
tageszeitung" vom 17.8.2000:
Schuld und Verbrechen
Beim nicht enden wollenden Streit um die Wehrmachtsausstellung
geht es nicht nur um falsch zugeordnete Fotos, sondern um Geschichtsschreibung
als Sinnstiftung
Die Auseinandersetzungen um die Hamburger Wehrmachtsausstellung
berührten stets mehr als nur Fotos. Die Korrektur der falschen
Bildzuschreibungen ist eine Selbstverständlichkeit. Die Hinnahme
sich ausweitender Diskussionen ist es nicht. Denn im Kern geht es
bei der Kontroverse nicht allein um die unkorrekte Zuordnung von
Bildern. Sondern es geht um das seit 1945 stets umkämpfte Bild,
das sich Mitlebende und Nachfahren von der Wehrmacht gemacht haben.
Kritiker der Ausstellung wie die FAZ haben sich niemals über
Bilder erregt, sondern über eine Konzeption, die auf eine Lebenslüge
der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft - die "saubere Wehrmacht",
die Wehrmacht als Ort der inneren Emigration - zielt. Die Ausstellungsmacher
haben die Wehrmacht hingegen als ein Werkzeug verbrecherischer Politik
gedeutet. Damit befinden sie sich in bester politischer Gesellschaft,
seit selbst Norbert Blüm festgestellt hat, dass die Wehrmacht
auch Auschwitz verteidigt habe.
Bei der politischen Wehrmachtsdiskussion geht es bislang weniger
um konkrete persönliche soldatische Verantwortung, sondern
eher um Schuld durch Verstrickung, durch Feigheit vor dem verbrecherischen
Befehl, durch einen Befehlsgehorsam, der nur an das eigene Überleben
dachte und nicht selten Kadavergehorsam als Ausdruck kameradschaftlicher
Verantwortung verklärte. Die Wehrmacht als ein Werkzeug verbrecherischer
Politik zu deuten heißt zwangsläufig, dass jeder, der
in dieser Wehrmacht diente, mit Schuld und Verantwortung konfrontiert
wurde.
Statt dieses Eingeständnisses pflegte man ein anderes Bild
vom Krieg. Nur zu gern verdrängte man die Entfesselung des
Krieges, die Aggressionen gegen die Bevölkerung in den besetzten
Gebieten, die ethnische Flurbereinigung größten Stils
- und konzentrierte sich auf die Endkämpfe, die angeblich vor
allem der deutschen Zivilbevölkerung im Osten Sicherheit bringen
sollten - und zwei Millionen Soldaten das Leben kosteten. So verfestigte
sich das Bild der heroischen Verteidiger der Heimat. Dabei verdrängte
man, dass der Krieg bereits in seiner Planungsphase verbrecherische
Ziele verfolgte. Diese individuelle und kollektive Sinnstiftung
war durchaus verständlich, denn ohne das falsche Bild vom Zweiten
Weltkrieg hätten Überlebende kaum ihre Lebens- und Leidensgeschichte,
das verübte und das erlittene Leid, ausgehalten.
Bei der Gründung der Bundeswehr Mitte der Fünfzigerjahre
galt die Wehrmacht noch als Vorbild. Sie wurde als Bollwerk der
Verteidigung Deutschlands und des zivilisierten Europa gedeutet.
Erst die Konfrontation mit den Verbrechen, die im Rücken der
Front begangen worden waren oder eine stabile Front zur Voraussetzung
hatten, weckte Zweifel. Dass es den Nationalsozialisten nicht um
die Verteidigung Deutschlands, sondern um die deutsche Hegemonie
in Europa ging, machten erst Untersuchungen der Zeithistoriker klar.
Nun stand fest: Die Wehrmacht war der Angreifer, denn die Deutschen
hatten den Krieg entfesselt. Deshalb galten deutsche Soldaten in
den überfallenen Staaten als Angreifer und als Besatzer, die
man dort verachtete oder bekämpfte. Dieser Partisanenkampf
bot für manche Soldaten die Rechtfertigung für brutale
Übergriffe auf die Zivilbevölkerung; die NS-Führung
kaschierte Verbrechen der Einsatzgruppen als Folge des Kampfs gegen
"Banden". So sprach man in Deutschland bis weit in die
Sechzigerjahre hinein von Kriegsverbrechen, wenn man nationalsozialistische
Gewaltverbrechen an Juden, Roma und Sinti, an Zivilisten, meinte.
Diese Tabus wurden lange bewahrt, ja beschworen. Auch die Unterscheidung
in Waffen-SS und Wehrmacht gehörte dazu. Die Wehrmacht galt
vielfach als sauber, als Ort der inneren Emigration, als eine bewaffnete
Macht, die sich an das Kriegsrecht hielt. Geiselerschießungen
ließen Zweifel wachsen, auch die Vermengung von Partisanenkrieg
und Rassenmord, und schließlich war auch die ideologische
Nähe führender Militärs zu den Nationalsozialisten
nicht mehr zweifelhaft. Lediglich der Hinweis auf den militärischen
Widerstand verschaffte eine gewisse Entlastung. Dabei war seit Beginn
des Kriegs im Herbst 1939 deutlich geworden, dass es sich für
die deutsche Seite um einen Rassen- und Weltanschauungskrieg handelte.
Polen, das waren für die deutsche Führung slawische Untermenschen,
ebenso wie die Völker im Osten, die man in einem Großgermanischen
Reich unterdrücken und ausbeuten wollte. Mit dem Krieg begannen
umfangreiche Umsiedlungsaktionen im Osten. Juden wurden in Gettos
zusammengetrieben, sofern sie nicht wie im Baltikum sofort erschlagen
wurden. Seit Januar 1942 wurde der Massenmord koordiniert und von
nun an weniger durch Einsatzgruppen als vielmehr in Vernichtungslagern
exekutiert. Für die NS-Führung wurde die "Endlösung"
spätestens dann zum Ersatzkriegsziel, als der militärische
Sieg unwahrscheinlich geworden war.
Mit dem Krieg gegen die Sowjetunion hatte sich der Kreuzzug gegen
das Weltjudentum mit dem antibolschewistischen Kreuzzug überlagert.
Ohne die Beteiligung der Wehrmacht wäre er nicht zu führen
gewesen. Der Krieg wurde gerechtfertigt als Verteidigung des Abendlandes
gegen "asiatische Horden" und kannte kein Gebot: Die Nazis
ließen geisteskranke Kinder ebenso ermorden wie politische
Sowjetkommissare. Der Gerichtsbarkeitserlass stellte solche Verbrechen
außer Verfolgung und somit straffrei. Geisteskrankenmorde,
Gettoisierung, Kommissarbefehl und Gerichtsbarkeitserlass machten
die Wehrmacht zu einer der wichtigsten Stützen eines Vernichtungskrieges,
der sich aus dem Willen der NS-Führung speiste, die deutsche
Vorherrschaft in Europa und der Welt auf eine rassenideologische
Grundlage zu stellen.
Die Wehrmachtsausstellung in ihrer alten Form verdeutlichte ein
prinzipielles Problem, das im Selbstverständnis der Nachkriegsgesellschaft
eine wichtige Rolle spielte und keineswegs relativiert werden kann,
weil einige Bilder fälschlich beschriftet und zugeordnet wurden.
Diese Fehler sind bedauerlich, ja auch klar zu kritisieren, können
aber keineswegs dazu führen, nun jenen Kritikern der Ausstellung
nachzugeben, denen es um die Reinwaschung der Wehrmacht geht. Sie
war nicht sauber, denn sie war ein williges Werkzeug des nationalsozialistischen
Hegemonialkriegs. Sie war eine entscheidende Stütze des Systems.
Die Unterscheidung zwischen Waffen-SS und Wehrmacht ist für
die Bewertung der Wehrmacht unerheblich. Denn das entscheidende
Problem ist die Bereitschaft, sich in ein verbrecherisches System
einzubinden. Konflikte zwischen Wehrmacht und Waffen-SS sind niemals
gravierend gewesen, und nach dem 20. Juli 1944 akzeptierte die Wehrmacht
Heinrich Himmler als Befehlshaber des Ersatzheeres und übernahm
statt der militärischen Grußbezeugung durch Anlegen der
Hand an die Kopfbedeckung den Hitlergruß. Bis zuletzt scharten
sich die Wehrmachtsverbände um die Fahne, die das Hakenkreuz
trug. Bis heute werden in Kameradenkreisen Deserteure diffamiert,
kritisiert man den militärischen Widerstand als Landesverrat
- wenn man unter sich ist.
Die Wehrmachtsausstellung war mehr als eine Dokumentation von
Texten und Fotos. Sie traf einen Lebensnerv, sie setzte dem Selbstbetrug
von Kameradschaftsverbänden eine Grenze und verstellte den
Politikern, die sich gern als Wehrmachtsangehörige bekannten,
manchen Weg in die Verklärung des Fehlverhaltens. Vor diesem
Hintergrund konnte schließlich sogar das Traditionsverständnis
der Bundeswehr modifiziert werden. Die preußische Befreiungszeit,
der Widerstand im Umkreis des 20. Juli sollten den Traditionsstrang
der Bundeswehr bilden, hatte selbst Verteidigungsminister Scharping
im Sommer 1999 verkündet.
Nun erfolgt die Korrektur der Ausstellung, begleitet von heftigen
Reaktionen, die auch die Kritik an einer zu späten und nicht
selten selbstsicheren, auch selbstgerechten Argumentation der bisherigen
Verantwortlichen um Hannes Heer spiegelt. Die Ausstellung jedoch
so zurückzuziehen, wie Philipp Reemtsma es getan hat, bestärkt
die unverantwortlichen Totalkritiker, deren ganz andere Motive nur
zu offensichtlich sind. So weckt man bei ihnen geradezu Triumphgefühle.
Das ist weder verhältnismäßig noch der Sache angemessen
- und letztlich ein leichtfertig hingenommener Rückschlag für
alle, die sich geweigert haben, dem Mythos von der sauberen Wehrmacht
zu folgen.
taz-Debatte
taz Nr. 6221 vom 17.8.2000 Seite 11 Meinung und Diskussion 295 Zeilen
Kommentar PETER STEINBACH
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