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M., A., S.
KMII und FA Poznan - Versuch eines Beitrags zu einer Auseinandersetzung
Wir möchten mit diesem Text versuchen, einen Beitrag zu leisten zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung zwischen der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" (KMII) und der FA Poznan, und beziehen uns dabei auf das Papier von F. "Zur Auseinandersetzung mit der FA (Federacja Anarchystyczna) Poznan" in der Fassung vom 21. März (überarbeitete Fassung des Papiers vom 7. März). Unser Interesse ist, dass die Diskussion um die aufgeworfenen Fragen auf einer Ebene ausgetragen wird, die Mißverständnisse nach Möglichkeit ausschließt und sich zuerst auf die wichtigsten Punkte der Auseinandersetzung konzentriert. Wir sehen das Papier von F. als wertvoll an, da es eine Auseinandersetzung anstrebt, die im Hinblick auf eine mögliche weitere Zusammenarbeit unbedingt nötig ist und offen und unvoreingenommen ausgetragen werden sollte. F. nennt zwei Punkte, die Anlaß zur Auseinandersetzung geben:
F. verlangt - erstens in Solidarität mit polnischen Feministinnen, die seit über einem Jahr eine Auseinandersetzung fordern, zweitens als Voraussetzung für eine weitere Zusammenarbeit mit KMII, konkret auch im Zusammenhang mit dem geplanten antirassistischen Grenzcamp an der polnisch-ukrainischen Grenze im Juli - von der FA Poznan eine Distanzierung von Sexismus und "rechten Bündnissen". Es erscheint uns richtig, von der FA Poznan eine solche Distanzierung zu erwarten. Wir sehen die Forderung als Ausdruck von Kriterien, die im Kontext einer politischen Praxis in und bereits vor der Kampagne KMII von beteiligten AktivistInnen über Jahre hinweg kollektiv entwickelt wurden. Diese Kriterien gehören grundlegend zum Selbstverständnis von KMII und sind insofern nicht verhandelbar. Informelle Gespräche mit einzelnen Leuten der FA Poznan deuten darauf hin, dass diese Kriterien von der FA Poznan geteilt werden - allenfalls nach einer Verständigung über den darin verwendeten Begriff "rechts" (siehe Anhang). Wir erwarten nun von der FA Poznan, dass sie sich im Rahmen einer offenen Auseinandersetzung auch als Gruppe dazu politisch äußert. Im Zusammenhang mit der Forderung erscheint es uns nützlich, aus unserer eigenen Erfahrung heraus einige Dinge zu vermitteln bezüglich möglicher Kommunikationsschwierigkeiten, die unseres Erachtens in der je verschiedenen Geschichte der Kampagne KMII und der FA Poznan angelegt sind. Der allgemeine Kontext der Auseinandersetzung zwischen KMII und FA Poznan ist der eines imperialistischen Zugriffs des "Westens" auf Polen und andere Länder Osteuropas sowie einer weitgehenden Unfähigkeit (gekoppelt mit Desinteresse) der westdeutschen Linken im Umgang mit den Anliegen ostdeutscher AktivistInnen, geschweige denn polnischer oder anderer osteuropäischen AktivistInnen; darüber hinaus darf nicht aus den Augen verloren werden, dass historisch Rassismus in Polen insbesondere auch von Deutschen ausgegangen ist (auch wenn in neuerer Zeit eine polnische Elite darum bemüht ist, dass Polen in den Club der westlichen Mächte aufgenommen wird und den imperialistischen Druck nach Osten weitergeben kann, der etwa in einem verstärkten Rassismus gegenüber UkrainerInnen zum Ausdruck kommt). Darin erscheint es uns naheliegend, dass Leute von der FA Poznan, die weder mit F. noch mit anderen Leuten von KMII die Gelegenheit hatten, eine in Krisensituationen wirksame gemeinsame Diskussionspraxis zu entwickeln, die Vorwürfe an ihre Gruppe zunächst als Angriff und die aufgestellten Forderungen als Erpressung lesen, gegenüber den "moralisch besseren" westlichen AktivistInnen "Buße zu tun". Es erscheint uns daher wichtig zu betonen, dass es bei dem Papier von F. in keiner Weise darum geht, die FA Poznan unter Druck zu setzen, gegen ihre Überzeugung zu handeln oder eine Schuld zu bekennen. Die klare Stellungnahme von F. und die Formulierung verbindlicher (und zweifellos für die FA Poznan einleuchtender und akzeptabler) Kriterien für eine Zusammenarbeit gibt im Gegenteil der FA Poznan die Möglichkeit, sich zu diesen Kriterien in derselben Klarheit zu äußern und Zweifel aus dem Weg zu räumen. Es handelt sich bei dieser Auseinandersetzung auch nicht nur um eine deutsch-polnische bzw. KMII/FA Poznan-Debatte, denn F. knüpft explizit an eine innerpolnische Auseinandersetzung an und bezieht sich auf Originalquellen wie die Broschüre polnischer Anarcho-Feministinnen über den "Poznan-Zwischenfall", die Gazeta Polska und den Artikel von Maciej Roszak in Liberation. Es ist uns bewusst, dass die Dynamik der Auseinandersetzung dazu tendiert, die Diskussion auf Nebenschauplätze zu lenken, so dass vor lauter Personalisierungen und Diskussionen um (möglicherweise umstrittene) Einzelheiten der von F. beschriebenen Begebenheiten die wesentlichen zwei Punkte untergehen. Um eine solche unproduktive Dynamik zu verhindern, erscheint es uns unerläßlich, zuerst die grundsätzlichen Punkte zu klären und sich über die beiden Kriterien (aktive Ablehnung von Sexismen sowie von Bündnissen mit "rechten" Gruppen) zu verständigen. Wir laden deshalb die FA Poznan dazu ein, sich zuallererst als Gruppe zu diesen beiden Kriterien grundsätzlich zu äußern. Dies würde unseres Erachtens den Weg frei machen für eine weitere Diskussion über Einzelheiten der beschriebenen Vorfälle auf einer Ebene, die entspannter und produktiver wäre. Wir waren selber bestrebt, den vorliegenden Text so aufzubauen, dass er sich zuerst mit den grundlegenden Punkten beschäftigt. Erst im Anhang bringen wir einige Gedanken zu spezifischeren Aspekten der erwähnten Vorfälle ein, als Beitrag zu einer vielleicht kontroverseren Diskussion. Mit solidarischen Grüßen,
Zum sexistischen Vorfall Von den beiden Vorwürfen, die F. formuliert, scheint der erste der eindeutigere. Es wird von der FA Poznan nicht bestritten, dass ein sexistisches Plakat in den Räumlichkeiten des besetzten Hauses Rozbrat hing, dass es von Frauen, die dies nicht akzeptieren wollten, abgehängt wurde, und dass Mitglieder der FA Poznan handgreiflich das Plakat verteidigt haben. Unseres Erachtens mag es zwar nützlich sein, den genauen Sachverhalt (wie kam es dazu, dass das Plakat an öffentlichen Veranstaltungen und Demos mit getragen wurde? gab es dazu eine Auseinandersetzung? wie ist diese im Weiteren verlaufen?) zu klären. Wichtiger als Einzelheiten des Vorfalls selber erscheint uns aber, ob die FA Poznan gewillt ist, sich den Fragen zu stellen, warum und wie ein sexistisches Plakat von der Gruppe zumindest geduldet wurde, und warum dies für polnische Feministinnen und für die Kampagne KMII nicht akzeptabel ist. Nach Aussagen von Mitgliedern der FA Poznan sei eine Distanzierung der Gruppe von den Vorfällen publiziert worden. Es wäre sicher hilfreich, wenn die FA Poznan diese Stellungnahme(n) für die Diskussion zur Verfügung stellen würde. Zu den "rechten Bündnissen" F. fordert eine Abgrenzung von bestimmten Gruppen, mit denen eine Zusammenarbeit nicht erwünscht ist. F. bezeichnet diese Gruppen als "rechte Bündnisse". Verschiedene Begriffe zur Beschreibung von Gruppen, mit denen eine Zusammenarbeit nicht angebracht erscheint, sind aus verschiedenen Gründen nicht eindeutig oder bedürfen zumindest einer Verständigung, um sicherzustellen, dass wir nicht aneinander vorbei reden. Wir gehen davon aus, dass Bündnispolitik eine schwierige und vielschichtige Angelegenheit ist. Gleichzeitig gehen wir mit F. einig, dass für KMII als antirassistische Kampagne die Zusammenarbeit mit Leuten, die in Bündnissen mit rassistischen Gruppen stecken, politisch fatal wäre. Eine Diskussion mit der FA Poznan über grundsätzliche Kriterien und die alltägliche Realität von Bündnispolitik scheint uns daher unerläßlich. "Rechts" Wahrscheinlich bleibt das Rechts-Links-Schema in Westeuropa - auch wenn es bisweilen in Frage gestellt wurde - nützlich zur alltäglichen Beschreibung von politischen Gruppierungen. Trotzdem treten bereits hier Widersprüche auf, etwa in der Einordnung autoritärer marxistisch-leninistischen Gruppen oder antisemitischer Tendenzen in manchen antiimperialistischen Ansätzen. Noch komplexer erscheint uns die Lage in Polen oder anderen osteuropäischen Ländern, in denen mit "links" oft (ehemalige) VertreterInnen eines staatskapitalistischen Machtsystems bezeichnet werden und "rechts" zumindest in einer Übergangsphase von Teilen der Bewegungen gegen dieses System positiv gesetzt wurde. Der Begriff bedarf daher unseres Erachtens einer genaueren Definition, die nur in einer Diskussion zwischen der FA Poznan und der Kampagne KMII erarbeitet werden kann. Dennoch dürfte intuitiv vermittelbar sein, worauf der negative Bezug auf "rechts", ob im Papier von F. oder im vorliegenden Text, zielt, nämlich auf eine Kombination von autoritär, rassistisch, nationalistisch, sexistisch, ausgrenzend. "Nationalistisch" Selbst in der westeuropäischen Linken hat es immer auch einen positiven Bezug auf Nationalismus gegeben, auch wenn er in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt wurde. Nach wie vor unterscheiden viele AktivistInnen zwischen einem imperialistischen Nationalismus und einem "Befreiungsnationalismus". Gerade in Polen hat sich ein Kampf gegen die Unterwerfung durch die Sowjetunion bzw. jetzt durch die EU entwickelt, der mit einem teilweise nationalistischen Diskurs auftritt, aber nicht einer rassistischen Tradition zu entspringen braucht. Es ist jedoch sicher angebracht, auch solche nationalistischen Diskurse kritisch zu hinterfragen, insbesondere insofern sie Ansatzpunkte bieten für "Querfront"-Bündnisse, in denen sie sich überlagern mit chauvinistischem Nationalismus und Rassismus gegenüber den östlichen Nachbarn. "Querfront"-Bündnisse F. zitiert ausgiebig aus einem Artikel von Piotr Lisiewicz von Naszosc, in dem dieser eine klassische "Querfront"-Strategie beschreibt und lobt, in der sowohl die Naszosc als auch die FA Poznan neben explizit rassistischen Gruppen vertreten sind. Die Art von Bündnissen zwischen "links" und "rechts", zwischen emanzipatorischen und rassistischen Gruppen, als die Lisiewicz das Bündnis "Wolny Kaukaz" beschreibt, scheint uns extrem gefährlich. Ob der Autor des Artikels auch selber einen explizit rassistischen Diskurs führt, scheint unwichtig angesichts seiner Bemühungen, rassistische Gruppen durch die "Querfront" aufzuwerten. Wenn die Beschreibung von "Wolny Kaukaz" durch Lisiewicz zutrifft, gehen wir mit F. einig, dass die FA Poznan nicht gleichzeitig mit einem antirassistischen Bündnis wie KMII und mit einem "Querfront"-Bündnis wie "Wolny Kaukaz" zusammen arbeiten kann. Zur Symbolik des Hakenkreuzes Eine Bemerkung wert erscheint uns auch der Hinweis, dass beim Farbanschlag gegen das russische Konsulat Hakenkreuze an die Mauer gemalt wurden. In Deutschland werden Hakenkreuze an Wände gemalt von Leuten, die sich positiv auf dessen Nazi-Symbolik beziehen. In vielen anderen Ländern steht die Sache umgekehrt. Als im Prager Frühling Sowjet-Panzer mit Hakenkreuzen bemalt wurden, ging es den BemalerInnen darum, die Sowjet-Armee dadurch abzuwerten, und nicht etwa darum, Nazi-Symbolik aufzuwerten. So benutzen auch polnische Anarchisten das Hakenkreuz heute, um ein russisches Konsulat abzuwerten. Die Verwendung des Hakenkreuzes auch in dieser Bedeutung kann sicher kritisiert werden, doch ist der Ausgangspunkt der Diskussion ein ganz anderer, als wenn Hakenkreuze aus einer Sympathie für Nazi-Gedankengut heraus gemalt würden. |
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