Dieser Prozeß vollzieht sich aber in den ersten Jahren
zunächst eher untergründig, bedingt durch die
»inneren« Hemmnisse, die der serbische Nationalismus auf
gesamtjugoslawischer Ebene noch erfährt. Diese gegenseitige Blockade
von Nationalisten und Anhängern der Jugoperestroika führt aber
Anfang der 80er nur zu einer Aufweichung der Deregulierungsstrategie, die
zwar eine Inflationierung der Einkommen in Gang setzt, darüber hinaus
aber keine Mechanismen entwickelt, um die Einkommenskämpfe und den
Niedergang der Arbeitsproduktivität zurückzudrängen, und
somit eine »Morgendämmerung« der sozialen Kämpfe
befördert, in der die nationalistische Aufladung zunächst peripher
bleiben sollte.
In Serbien etablieren sich, bedingt durch die Politk der »harten
Hand« in der Kosovo-Frage, die radikalen Nationalisten, die sich
personell zusammensetzen sowohl aus nationalistisch gewendeten alten
Regimekadern als auch aus der nationalistischen Opposition gegen das
sozialistische Regime, als hegemoniale Kraft, und 1986 beginnen diese mit
dem »Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und
Künste« den Angriff auf die fragilen Machtstrukturen
einzuläuten, und nur ein Jahr später haben sie alle entscheidenden
Positionen des Regimes unter Kontrolle.
Das »Memorandum« ist im Kern der programmatische Entwurf
eines »Großserbien«, und damit kündigt sich an,
daß Jugoslawien in den bis dato bestehenden Strukturen keine
Überlebenschancen mehr hat, denn nur »ein schwaches Serbien
bedeutet ein starkes Jugoslawien«. Die »Lösung der
Kosovo-Frage« als einer Überlebensfrage des gesamten serbischen
Volkes, die Zurückdrängung der Arbeiterselbstverwaltung und die
Revision der Verfassung von 1974 sollen die Stationen der Liquidierung der
»slowenisch-kroatisch antiserbischen Koalition« sein, die das
serbische Volk entrechte und sie zwinge, über mehrere Republiken
verteilt zu leben, ihre geistigen und kulturellen »Wurzeln«
einschränke, um damit letztlich die eigentliche unterdrückte
Nation Jugoslawiens zu sein. Ein »Großserbien«, das alle
serbischen Gebiete außerhalb der Republik Serbien mit umfaßt,
unter Ausschaltung der Mitspracherechte anderer Nationalitäten erst
würde die Gleichberechtigung Serbiens mit den anderen Republiken
ermöglichen.
Was im »Memorandum« nicht ausgesprochen wird, ist damit aber
zumindest theoretisch besiegelt, denn für die nationalistischen Serben
sollte es nunmehr nur noch zwei Optionen der jugoslawischen Erneuerung
geben: entweder Jugoslawien als ein »Großserbien« oder die
Sezession.
Die Programmatik des »Memorandums« bestimmt nun weitgehend
die politisch-strategische Vorgehensweise der serbischen Neuordnungspolitik.
Damit wird aber auch deutlich, daß die eigentliche Problematik die
soziale Situation im »Engeren Serbien« ist. Die soziale Krise,
die im Verlauf des Transformationsprozesses nicht nur in eine
Verwertungskrise mündete, sondern sich zu einer Krise der gesamten
Gesellschaftlichkeit entwickelte und damit eine Hegemoniekrise der Macht
selbst wurde, welche sich in einer Handlungsunfähigkeit bezüglich
der produktiven Rekonstruktion von Gesellschaftlichkeit äußerte,
verlangte nach einer konzentrischen Lösung, die die produktive
Zerlegung der serbischen Gesellschaft in einem neuen Konzept der
Hierarchisierung der Regionen sozial und materiell abfederte und einen neuen
Korporatismus initiierte, der sich aus der aktiven Partizipation der
Menschen an der Neuordnung ergeben sollte, um so zu einer sozial produktiven
Rekonstruktion der gesellschaftlichen, politischen und militärischen
Machtstrukturen zu gelangen. Dieser Prozeß verlief nun als Konzert von
unterschiedlichen Aktivitäten, in denen der »Druck der
Straße«, der zum Teil vom Regime selbst erzeugt wurde, und eine
funktional bestimmte Integration oder Zerschlagung der sozialen und
politischen Opposition konstruktiv verarbeitet und zum Motor der
Rekonstruktion der Gesellschaftlichkeit gemacht wurde.
Dieser Prozeß läßt sich nun in drei Teile gliedern: 1.
die nationalistische Mobilisierung der Massen zur Unterstützung der
Serbisierung außerhalb des »Engeren Serbiens«, 2. die
Integration und Ausschaltung der sozialen und politischen Opposition und 3.
die Ethnisierungspolitik im Medium des Kriegs.
Die Massenmeetings und die »Strategie der
Spannung«
Im Kosovo-Kapitel sind die nationalistischen Massenmeetings der Serben
schon erwähnt. Sie hatten eine außerordentliche
Mobilisierungskraft. Regelmäßig ließen sich Hunderttausende
bis zu einer Million Menschen mobilisieren. Die Massenmeetings waren
ursprünglich eine der Hauptbewegungsform der Einkommenskämpfe der
autonomen ArbeiterInnenbewegung. Taktisch außerst geschickt
verknüpfte das serbische Regime die Bewegungsform der Massenmeetings
und die sozialen Einkommensforderungen mit einer nationalistischen
Durchsetzungsperspektive, die darin bestand, die Vorstellungen und den
Wunsch nach einem besseren Leben an die Vertreibung der Albaner zu koppeln,
damit der Reichtum des Kosovo endlich wieder den Serben zugute komme, denen
er historisch begründet zustehe.
Die Massenmeetings waren aber nur der herausragende Teil eines gesamten
Szenarios und der medial inszenierte kollektive Bestätigungsmythos zur
Legitimation der administrativen Entrechtung und Unterdrückung der
AlbanerInnen, der anti-albanischen Pogrome und der Zunahme der
alltäglichen gewalttätigen Angriffe auf die AlbanerInnen. Die
Verteidigung der AlbanerInnen, die aufgrund dieser Bedingungen mehr und mehr
zu direkten gewalttätigen Angriffen auf SerbInnen und einer
Verfestigung des albanischen Nationalismus führte, bildet das
beabsichtigte Komplement dieser Strategie und läßt diesen
Prozeß als einen sich selbst perpetuierenden Circulus vitiosus
erscheinen. Tatsächlich ist diese Konfliktualität aber
beabsichtigter Bestandteil einer »Strategie der Spannung«, die
im Kosovo erstmals angewandt wird und in Serbien direkt in die Partizipation
der mobilisierten Massen am kriegsmäßig organisierten
Vertreibungs- und Vernichtungsangriff auf die AlbanerInnen mündet.
Die Massenmeetings als Durchsetzungsinstrument der Serbisierung bleiben
aber nicht auf den Kosovo beschränkt. Im Juli 1988 setzen sie sich in
der Vojvodina fort, der agroindustriell organisierten
»Kornkammer« Jugoslawiens, in der der Großteil des
agrarischen Exports Jugoslawiens produziert wird, um im Oktober die
Provinzregierung durch einen »Putsch der Straße« zu Fall
zu bringen. In der Vojvodina setzt, ähnlich wie im Kosovo, sofort
anschließend die Serbisierung der Gesellschaft ein, und ein
Großteil der nichtserbischen Bevölkerung, fast 40% der
Gesamtbevölkerung, wird zur Flucht gezwungen.
Produkt dieser »Strategie der Spannung« ist einerseits die
Vertreibung hunderttausender NichtserbInnen, deren Wohnungen und
Arbeitsplätze umgehend durch umgesiedelte SerbInnen aus dem
»Engeren Serbien« besetzt werden. Andererseits mündet dies
in eine Verstärkung sowohl des Nationalismus als auch der
Identifikation mit dem Regime durch die zumindest partielle materielle
Einlösung der Versprechen. Für das Regime eröffnen sich zudem
durch die Umsiedlungen Rationalisierungs- und
Modernisierungsmöglichkeiten besonders im agrarischen Sektor.
Eine weitere Variante der Massenmobilisierung beginnt im Oktober in
Montenegro und bringt die dortige Republiksführung, wegen angeblich
mangelnder Unterstützung Serbiens in der Kosovo-Frage, nach drei
Monaten zu Fall und ersetzt sie durch eine serbienfreundliche.
Integration und Ausschaltung der Opposition
Die Verfestigung des Nationalismus durch die Integration der
Massenbewegung in die serbische Expansionspolitik führte aber nicht
automatisch zum Rückschlag in einen Korporatismus der die Bereinigung
der sozialen Unwägbarkeiten im »Engeren Serbien« quasi im
Vorübergehen vollziehen konnte. Oftmals sind es die gleichen Subjekte,
v.a. die deklassierten und von Deklassierung bedrohten männlichen
Jugendlichen und Neumigranten, die einerseits Träger des expansiven
Nationalismus und andererseits Bestandteil der städtischen
Sozialbewegung sind, die sich direkt gegen das Regime und die Deregulierung
richtet.
Das Milosevic-Regime hatte nach der Erlangung der Macht Ende 87 und den
anschließenden Säuberungen im Parteiapparat beständig und
autoritär die Konfrontation mit den anderen Republiken als auch mit der
Opposition in Serbien angeschoben. Der damit initiierte Zerfallsprozeß
Jugoslawiens mündete in eine Verschärfung der ökonomischen
Krise und ballte die ehedem latent explosive soziale Konfliktualität
extrem zusammen. Die Ausschaltung selbst der nationalistischen serbischen
Opposition, deren Programmatik sich nur um Nuancen von der der
Milosevic-Fraktion unterschied, verhalf diesen und hier besonders der
»Serbischen Erneuerungsbewegung« von Draskovic zu einer starken
Mobilisierungsfähigkeit bei den am stärksten von der Krise
betroffenen städtischen Bevölkerungssegmenten.
In der zweiten Märzwoche 1991 initiierte die »Serbische
Erneuerungsbewegung« eine Demonstration in Belgrad gegen die
Medienpolitik des Regimes, die sich zur größten Demonstration in
Jugoslawien seit 1968 entwickeln sollte. Die »Serbische
Erneuerungsbewegung« verlor aber rasch die Kontrolle über die
Demo, und v.a. die deklassierten Jugendlichen verwandelten sie in eine
Kampfdemonstration gegen das Regime. Bei der Zerschlagung durch die
paramilitärischen Polizeieinheiten wurden mindestens zwei Menschen
getötet. Daraufhin kam es zu Barrikadenkämpfen und
Plünderungen in der Belgrader Altstadt. Die JNA fuhr mit Panzern auf,
und die Miliz ging gegen die rioters vor und zerschlug die Unruhen. Zwei
Tage dauerte der »nicht erklärte Ausnahmezustand«, und als
das Militär endlich abzog, strömten die Menschen erneut auf die
Straßen. Abermals wurde die Miliz eingesetzt.
Der Aufstand war damit zwar zunächst zerschlagen, verdeutlichte
aber die Unfähigkeit des Regimes, die sozialen Spannungen
nichtmilitärisch zu kontrollieren. Wie bedrohlich das Regime die
Situation einschätzte, wird daran deutlich, daß die
Führungsspitze die Verhängung des Ausnahmezustands in ganz Serbien
diskutierte und der Generalstabschef der JNA gar für eine
»militärische Lösung« plädierte. Das Regime aber
ging einen anderen Weg.
Zum einen war es eine quasi militärische Lösung: Direkt nach
dem Aufstand wurde eine kolportierte Aufstandsdrohung im Kosovo dazu
benutzt, die jugendlichen Reservisten der JNA in den Kosovo zu mobilisieren.
Dieser Mechanismus sollte auch weiterhin Bestandteil des repressiven Umgangs
mit dem männlichen Teil der sozialen und politischen Opposition bleiben
und nahm im Krieg die Form der drohenden physischen Vernichtung an, indem
vorzugsweise Kriegsgegner, Aktivisten der ArbeiterInnenkämpfe und
Angehörige von nationalen Minderheiten zu besonders gefährlichen
Kampfeinsätzen an die Front geschickt wurden.
Die andere Seite war die Funktionalisierung der politischen Opposition
durch das Regime. Die Verhaftung Draskovics während des 91er Aufstands
erwieß sich dabei als besonders glücklich. Zum Märtyrer
stilisiert, wurde er von den Medien zum wichtigsten Führer der
Opposition und der »Unzufriedenen« aufgebaut. Während
Tausende für seine Freilassung demonstrierten, verhandelte das Regime
aber schon mit der Opposition, um diese an der Macht zu beteiligen. Der
»Preis«, den die Opposition für diese Beteiligung zu zahlen
hatte, bestand in einer »Politik der nationalen
Versöhnung«, in der der Opposition die Aufgabe zukam, über
eine Hegemonisierung der sozialen Bewegung dieser die Stoßkraft gegen
das Regime zu nehmen und gleichzeitig Serbien international durch den
Anschein der Liberalisierung des politischen Lebens aufzuwerten. Die
Inszenierung des politischen Symbolismus der Opposition zeigte sich v.a. in
der Hegemonisierung der verschiedenen Teile der Antikriegsbewegung und hatte
ausschließlich ihre Einbindung in die Macht zum Ziel, die über
ihre Kompetenz als Kontrollinstanz der sozialen Bewegung erreicht werden
sollte. Diese »Zähmung« der Sozialbewegung verlief
über die Initiierung einer ganzen Reihe riesiger
Antikriegsdemonstrationen, bei denen am Ende selbst der amerikanische
Botschafter mitlief und ihnen damit eine erstaunliche internationale
Reputation verschaffte. Die Zersetzungskraft, die ihr Symbolismus im Inneren
der Sozialbewegung entwickelte, zeigte sich aber spätestens am
Jahrestag des 91er Aufstandes, an dem zwar eine Petition zum Rücktritt
des Regimes von fast 600.000 Menschen unterschrieben wurde, die
Demonstrationen aber klein blieben und fast nur noch StudentenInnen
umfaßten.
Im Mai 1992 gründete sich die DEPOS als parteienübergreifendes
Bündnis der sogenannten demokratischen Bewegung. Diese Bündelung
der oppositionellen Kräfte scheint rückblickend ein entscheidender
Pluspunkt auf Seiten des Regimes zu sein. Im Vertrauen auf ihre gewachsene
Stärke versuchte die DEPOS einen stärkeren Konfrontationskurs mit
dem Regime einzuschlagen und begann eine Demonstration zu organisieren, die
ein Ausdruck dieser Stärke sein sollte. Milosevic hob daraufhin Cosic,
einen alten Nationalisten, Mitverfasser des »Memorandums« und
jetzigen DEPOS-Führer, ins Amt des Präsidenten der Bundesrepublik
Jugoslawien. Nach dieser Integration in das Zentrum der Macht sagte die
DEPOS die geplante Demonstration wieder ab, die daraufhin aber autonom
weiterorganisiert wurde und die DEPOS zwang, die Organisation der Demo
wieder an sich zu reißen. An der Demo nahmen schließlich 100.000
Menschen teil, und es folgten weitere Demos in ähnlicher
Größenordnung, die allesamt den Rücktritt des Regimes
verlangten. Am 8.7. werden schließlich in Belgrad wieder Barrikaden
gebaut. Der Integrationskurs der DEPOS, der in der öffentlichen
Verkündung Cosics gipfelte, nunmehr eine »Politik der nationalen
Kompromisse« zu machen, hatten aber die Fronten gegen das Regime schon
zu stark eruiert. Die Barrikaden wurden von den DemonstrantInnen wieder
abgebaut, und das Militär brauchte nicht einzugreifen. Unmittelbar
danach wurde unter Cosic ein neues Versammlungsgesetz beschlossen, das alle
Ansammlungen von mehr als drei Menschen unter Strafe stellte.
Mit Panic, einem Kriegsgewinnler aus der Chemiebranche, stellten die
sogenannten »gemäßigten« Nationalisten nun den
Ministerpräsidenten, während die Milosevic-Fraktion, im
Hintergrund die eigentlichen Fäden spinnend, sich in der
Öffentlichkeit nicht mehr die Hände schmutzig machen
mußte.
Die DEPOS verlor in diesem Prozeß immer mehr an öffentlichem
Ansehen, und als ab Mitte 92 die ultranationalistische Radikale Partei den
Konfrontationskurs zur DEPOS verschärfte, war die Unterstützung
der DEPOS nur noch spärlich und ihre Demos blieben unbedeutend.
Anläßlich des Rücktritts Panics kam es im Januar zwar
nochmals zu starken Auseinandersetzungen auf der Straße, die DEPOS
aber war überflüssig geworden und das Regime unterdrückte den
Aufruhr innerhalb eines Tages, ohne daß sich die Opposition davon
wieder erholen konnte.
Gerade die Bündelung der oppositionellen Kräfte, die sich in
der DEPOS ausdrückte, und ihre Hereinnahme in die
Regierungsverantwortung, war der entscheidende Vorteil, den das Regime bei
der Zerschlagung der DEPOS hatte. Die Breite der DEPOS ermöglichte
ihnen, in weite Bereiche der Opposition gegen das Regime vorzudringen und
diese zu hegemonisieren und schließlich zu kontrollieren. Die
Übernahme der Regierungsverantwortung aber führte dazu, daß
sie den oppositionellen Schleier abnehmen und als offensichtlicher Teil des
Regimes ihre Unglaubwürdigkeit selbst sichtbar machen mußten.
Damit verlängerten sie aber ihre Depression in eine Depression der
Sozialbewegung, nachdem sie diese vorher zerschlagen hatten.
Dies kontrastiert nun die kriegsmäßige Mobilisierung des
männlichen Teils der Opposition, der entweder an der vordersten Front
der Vernichtung ausgesetzt ist oder sich dem Militärdienst durch Flucht
entzieht. Das gigantische Ausmaß der Desertationen in Serbien
verdeutlicht auch den Aderlaß, den die Sozialbewegung verkraften
mußte und der ihre Zähmung wahrscheinlich erst
ermöglichte.
Ethnisierung im Krieg
Die Bedeutung und Breite der Ethnisierung im Medium des Kriegs wird im
Beitrag über den Krieg als Transformationsprozeß gesondert
beschrieben. Hier soll nur zusätzlich darauf hingewiesen werden,
daß die serbische Okkupationspolitik gezielt mithilfe ethnischer
Säuberungen Raum schafft um Umsiedlungen aus dem »Engeren
Serbien« und die Ansiedlung der serbischen Kriegsflüchtlinge v.a.
aus den »ethnisch gesäuberten« kroatischen und muslimischen
Gebieten zu ermöglichen. Fast ausschließlich agrare Regionen sind
das Ziel dieser Politik, und das Beispiel des Kosovo zeigt, daß mit
den Umsiedlungen gleichzeitig eine Rationalisierung der Landwirtschaft in
Richtung des Ausbaus der Agroindustrialisierung erreicht werden soll, wie
überhaupt das fast vollständige Desinteresse der serbischen
Eroberungspolitik an den industrialisierten Städten und Regionen wohl
kaum »ethnisch« begründet werden kann, sondern darauf
hinweist, daß möglicherweise gerade die Agroindustrialisierung
der eroberten und ethnisch bereinigten Gebiete die Lösung des
Migrationsdrucks sowie den Abbau der städtischen
»Überbevölkerung« in einer neuen ethnisch
homogenisierten und repatriarchalisierten Gesellschaftsordnung
bewerkstelligen soll.
Perspektiven
Das Konzert dieser Maßnahmen konnte die soziale
Konfliktualität zwar begrenzen, nicht aber zähmen, und die Angst
des Regimes vor erneuten sozialen Eruptionen äußerte sich
beispielsweise in der Einschränkung des öffentlichen
Personenverkehrs in Belgrad mit dem Ziel, mögliche Massenansammlungen
zu erschweren.
Der Krieg wirkte auch in Serbien als gigantisches Deregulierungsprojekt.
Die Militarisierung der Gesellschaft und der kriegsökonomische Umbau
zertrümmerten die Überlebensbastionen und -ressourcen der
Bevölkerung, die sie sich selbst im Krisenangriff der 80er nicht hatten
nehmen lassen, im Zeitraffer.
Nahezu 500.000 Kriegsflüchtlinge aus den umkämpften und
ethnisch gesäuberten Gebieten leben mittlerweile zusätzlich zur
eingesessenen Bevölkerung in Serbien, und es scheint sich zumindest in
den Städten eine neue Konfliktlinie um die mehr und mehr begrenzten
Überlebensressourcen abzuzeichnen zwischen der eingesessenen
Bevölkerung, den Kriegsflüchtlingen und den immer noch v.a. nach
Belgrad strömenden MigrantInnen aus den ländlichen Regionen des
»Engeren Serbien«.
Das Regime versucht durch Umsiedlungen in die serbisch okkupierten und
ethnisch gesäuberten Gebiete einen Teil dieser städtischen
»Überbevölkerung« abzuschmelzen, und es ist zu
erwarten, daß sich dies noch weiter steigern solle um den Druck, der
besonders auf Belgrad durch die gewaltige
»Überbevölkerung« liegt, die einem funktionalen und
produktiven Umbau der Städte im Wege steht, durch eine Reagrarisierung
einer großen Anzahl der jetzigen städtischen Bevölkerung zu
mindern. Daß damit gleichzeitig eine Ausbreitung der agroindustriellen
Basis betrieben wird, ergibt sich aus den Erfahrungen der bisherigen
Umsiedlungen.
Dies wäre zumindest die Logik der Okkupationen, der ethnischen
Säuberungen sowie ein Schluß, der sich aus den Konstellationen
des blockierten Transformationsprozesses in Serbien ergeben
könnte.
Ob es allerdings die Logik der Umzusiedelnden sein wird, ist zu
bezweifeln. Sie sind schließlich nicht ohne Grund in die Städte
gezogen und werden voraussichtlich auch nicht freiwillig zurück aufs
Land gehen. Aber womöglich wird das Modell der brasilianischen
Triage-Stationen auch bald in Europa zu finden sein: Als Kontrollstellen der
Landflucht in Serbien.
Der agroindustrielle Ausbau Serbiens und der eroberten Gebiete
würde aber perspektivisch auch eine neue Kampffront zu den immer noch
sehr traditionell agrarischen Dorfzusammenhängen besonders im
»Engeren Serbien« eröffnen.
Als stabilisierend im Prozeß der immer rapideren Entwertung der
Überlebensressourcen erweist sich einzig die Embargopolitik gegen
Serbien, die eine äußerst wichtige Unterstützung des Regimes
darstellt. Durch sie erscheint die erhoffte aber ausbleibende materielle
Verbesserung der Subjekte als durch einen Angriff von Außen
verschuldet. Damit wird die serbische Gesellschaft auf ein Neues als
Opfergemeinschaft zusammengeschmiedet und dies allein scheint dem Regime
noch die nötige Luft zum Atmen zu verschaffen.
III. Bosnien-Herzegowina
Ähnlich wie im Kosovo und in Serbien entspringen Ethnisierung und
Nationalismus auch in Bosnien-Herzegowina direkt dem Krisen- und
Kriegsverlauf und sind mit ihm stetig verbunden. Anders aber als in Serbien,
wo die ethnische Homogenität im internen Krisenverlauf durch externe
Faktoren und interne Prozesse in ein großserbisches, nationales
Entwicklungsprojekt transformiert wird, und anders als im Kosovo, wo die
Zwangsethnisierung die Konstitution einer neuen Pariaschicht und ihre
produktive Vertreibung, im Sinne eben dieses serbischen
Entwicklungsprojekts, ideologisch und materiell begleitet, beide
Ethnisierungsprozesse also ihre Modernität im Rückgriff auf
geradezu klassische »nationale« bzw. »ethnische«
Differenzen und durch die Vitalisierung nationaler Mythen ideologisch
absichern, gibt es diesen Prozeß der sinnkonstituierenden
Rückbezüglichkeit als konstitutives Element der Ethnisierung in
Bosnien-Herzegowina so gut wie gar nicht. Stattdessen verläuft die
Ethnisierung hier direkt entlang den gewalttätigen, räuberischen
Suchlinien im Findungsprozeß des serbischen und kroatischen
Okkupationsprozesses, der eng an den Bedarf des jeweiligen
Entwicklungsmodells angekoppelt ist. Auch historisch rückblickend gibt
es keine kontinuierliche Linie der ethnisch-nationalistischen Separierung
und Aufspaltung oder eine Kontinuität des Zusammenhangs von Serben und
Kroaten in Bosnien-Herzegowina mit den jeweiligen Republiken bzw.
Hauptsiedlungsgebieten. Einzig im NS gab es dies, als stark
außengeleiteten, gewalttätigen und im Medium von Krieg und
Befreiungskrieg prozessierenden, aber stark gebrochenen
Differenzierungsprozeß. Die kulturelle und religiöse
Unterschiedlichkeit erhob sich selten zu einer politischen Differenz, und im
Zuge der Nachkriegsindustrialisierung Bosnien-Herzegowinas werden diese
Unterschiede noch weiter nivelliert.
Rapide Verstädterung
Die Nachkriegsindustrialisierung Bosnien-Herzegowinas zentrierte sich
fast ausscchließlich auf das zentralbosnische Becken um Sarajewo und
Zenica, das einzige Gebiet Bosnien-Herzegowinas, in dem schon vor dem Krieg
eine bescheidene Industrialisierung stattgefunden hatte. Entsprechend den
riesigen Roh- und Energiestoffvorkommen entwickelte sich hier eine
Schwerindustrie und eine darauf bezogene Sekundärindustrie, die das
zentralbosnische Becken zu einer massiv konzentrierten Industrieregion mit
starker Anziehungskraft auf die ländlichen Regionen machte.
1945 lebten noch ca. 80% der Bevölkerung von der Landwirtschaft,
vor Ausbruch des Krieges waren es nur noch ca. 20%. Der Anteil der
Stadtbevölkerung von ca. 40% der Gesamtbevölkerung verdeutlicht
auch die enorme Ausstrahlung, die gerade die Industrialisierung des
zentralbosnischen Beckens auf die umliegenden Regionen ausübte. Die
Bevölkerungsdichte hat sich im Bereich des zentralbosnischen Beckens
seit 1945 mehr als verdoppelt, und neben zahlreichen neugegründeten
industriellen Retortenstädten explodierte in den industrialisierten
alten Städten das Bevölkerungswachstum v.a. durch Zuwanderung. So
hatte Sarajewo 1945 kaum 100.000 EinwohnerInnen, Ende 80 dagegen mit
Randgemeinden fast 700.000; Zenica 1945 gerade 10.000 und Ende 80 fast
80.000 EinwohnerInnen. Das enorme Wachstum der Industriestädte
führte dazu, daß sich die städtebauliche Physiognomie
vollends veränderte. Mit Ausnahme von Sarajewo gab es keine
Industriestadt im zentralbosnischen Becken, die noch mehr als Rudimente
traditioneller Stadtarchitektur besaß. Der Anteil der
Bevölkerung, der in den verslumten Außenrandsiedlungen der
Städte wohnte, war hier noch größer als in Serbien.
Diese vollkommene Neubegründung der Städte war aber gerade
hier nur der sichtbarste Ausdruck der soziokulturellen und
sozioökonomischen Neubegründung von Gesellschaftlichkeit im
Modernisierungsprozeß, deren wohl wichtigster Ausdruck der zunehmende
Funktionsverlust der traditionellen Familienbeziehungen durch die Ausweitung
der gesellschaftlichen Hausarbeit und die Veränderung der Rolle der
Frau durch deren Integration in den industriellen Sektor, war. Die fehlende
ethnische Differenzierung war hier die Regel und bei einem Großteil
der StadtbewohnerInnen entwickelte sich eine Identität als
»Stadtmensch«, die nicht mehr serbisch, kroatisch oder
muslimisch, sondern für jugoslawische Verhältnisse kosmopolitisch
war.
Industrialisierung
Ein weiterer wichtiger Punkt, der die nichtkriegerische Umwandlung
sozialer Erwartungen in nationalistische Bewegungen im industrialisierten
städtischen Bereich des zentralbosnischen Beckens verhinderte, scheint
dem Umstand geschuldet zu sein, daß es hier, im Gegensatz zum Rest des
ehemaligen Jugoslawien, nicht zu einer vollständigen Durchsetzung der
Arbeiterselbstverwaltung kam, sondern daß sich gerade in den
größten und modernsten Betrieben eine typisch kapitalistische
Betriebshierachie durchgesetzt hatte.
Noch stärker als in Serbien entvölkerte die durch den
Industrialisierungsprozeß ausgelöste »Revolution der
Erwartungen« in Bosnien-Herzegowina den ländlichen Raum, der
geprägt war von subsistenzwirtschaftlicher arbeitsintensiver
Agrarwirtschaft im traditionell organisierten
Großfamilienzusammenhang. Anders aber als in Serbien war die
Industrialisierung hier massiv konzentriert auf einen zusammenhängenden
Raum, und mit der Veränderung des siedlungsgeographischen Charakters
des Raums verändern sich auch die sozioökonomischen Determinanten
der Konstitution und Reproduktion von Gesellschaftlichkeit. Die totale
Dominanz des industriellen Sektors, die sich im Migrationsprozeß
verstärkende Abnabelung von den agrarischen
Herkunftszusammenhängen, fügten sich zusammen zu einer
Konstitution der Städte als Zentren von Massenarbeit, in denen die
ethnischen Differenzen immer weitgehender nivelliert wurden. Die eigentliche
Problematik der Städte war somit nicht die ethnische Differenzierung,
sondern die massive Zuwanderung, für die weder ausreichend
Einkommensmöglichkeiten noch genügend Wohnraum vorhanden war, die
Auflösung der traditionellen ethnischen, religiösen und nationalen
Bande und die Konstitution einer klassischen
MassenarbeiterInnengesellschaftlichkeit der Städte.
Der Krieg gegen die Städte
Die Städte waren nun auch zu Beginn des Krieges die Orte, an denen
sich sowohl der Widerstand gegen den Krieg manifestierte, als auch die Orte,
in denen die Ethnisierung der Gesellschaft vorerst nicht gelingen sollte.
Sämtliche Bestimmungsmerkmale des Gelingens der Ethnisierungstrategie
im ehemaligen Jugoslawien waren hier nicht oder nur rudimentär
ausgebildet: weder war die Arbeiterselbstverwaltung breit durchgesetzt und
konnte somit auch nicht in ein nationalistisches Projekt übersetzt
werden, noch gab es die Dominanz einer sich ethnisch definierenden
Bevölkerungsgruppe. Die räumliche Konzentration der Ethnien war im
Prozeß der rapiden Verstädterung weitgehend verschwunden, und
eine Vielzahl sogenannter Mischehen machte die freiwillige Ethnisierung zur
Absurdität. Genau dieser Zusammenhang bildet nun aber auch den
Erklärungshintergrund, warum jede Stadt in Bosnien-Herzegowina einer
Belagerungs- und Aushungerungspolitik ausgesetzt war oder noch ist: sie
werden regelrecht ethnisch zurechtgeschossen. Und wichtig ist es zu wissen,
daß die Belagerung einzelner Stadtteile zwar ethnisierend als
Belagerung bspw. muslimischer Stadtteile bezeichnet wird, die Menschen, die
dort wohnen, sich aber häufig nicht ethnisch definieren, und wenn doch,
daraus keine Differenz ableiten und den Widerstand gegen die Belagerung
sowie den Überlebenskampf dementsprechend gemeinsam organisieren.
Durch den Krieg gegen die Städte wird aber nun die Frage des
Überlebens direkt an die Zugehörigkeit zu einer sich ethnisch
definierenden Gruppe gekoppelt, und die Städte werden in ihrer
bisherigen sozialen und sozialräumlichen Konstitution vollständig
aufgelöst und neu zusammengesetzt. Ein Ziel dabei ist der Abbau der
sogenannten städtischen Überbevölkerung. Hauptsächliche
Opfer dieser kriegsmäßigen bevölkerungspolitischen
Neuordnung sind die Muslime, die ca.40% der Bevölkerung
Bosnien-Herzegowinas ausmachen und nun innerhalb der ethnischen Neuordnung
zur Überbevölkerung deklariert werden, durch die ethnischen
Säuberungen aus ihren Wohnorten vertrieben, in Hungermärschen
einem Ausleseprozeß unterworfen und durch das Land gehetzt werden, um
schließlich in den belagerten muslimischen Städten und Gebieten,
für die die Bezeichnung territoriale »Konzentrationslager«
zutreffender ist als Schutzzonen, zu enden. Die Belagerung dieser
Städte erfüllt nun nicht mehr den Zweck, die Bevölkerung zu
mobilisieren, sondern sie gerade an der Mobilität zu hindern, um in
faktischer Korrespondenz mit den spärlichen internationalen
Hilfslieferungen den Ausleseprozeß weiter zu verlängern. Die
Perspektive liegt dabei relativ eindeutig in der Zurichtung zur
Weltmarktarbeitskraft in zu freien Produktionszonen transformierten und
militärisch abgesicherten territorialen Arbeitslagern, die zudem , in
Anlehnung an die Erfahrungen in Irak-Kurdistan, zum Versuchsfeld der
sozialpolitischen Kompetenz von NGO`s werden.
Durchsetzung des Nationalismus
Der eigentliche soziale Ursprungsort der Ethnisierungspolitik in
Bosnien-Herzegowina ist das Land. Mit Ausnahme der Beckenregionen, die sehr
fruchtbar sind und im Laufe des Modernisierungsprozesses, ebenso wie die
Industriestädte, Auffangbecken des Zustroms aus den übrigen
agrarischen Regionen waren, ist das Land meist nicht sehr fruchtbar und wird
in der Regel noch in traditioneller Weise bewirtschaftet. Vorherrschende
Form ist der kleinbäuerliche Mehrgenerationenfamilienbetrieb mit
starker subsistenzwirtschaftlicher Ausrichtung. Gerade im Umkreis der
Industriestädte war die Landwirtschaft, bedingt durch die vorwiegend
außerlandwirtschaftliche Tätigkeit der Männer, fast
ausschließlich die Domäne von Frauen.
Die niedrigen staatlichen Abnahmepreise für landwirtschaftliche
Erzeugnisse führten hier wie überall in Jugoslawien zu einem
ständigen Wertetransfer von der Landwirtschaft in den modernen
städtischen Sektor. Erschwerend kam hinzu, daß trotz des immensen
Abstroms in die Industrieregionen, der einen Verlust gerade der aktivsten
und produktivsten Teile der Bauernökonomie darstellte, immer noch eine
starke »Übersetzung« der Landwirtschaft vorhanden war.
Im Zusammenhang mit den Autonomiebestrebungen der Serben in Kroatien und
der Durchsetzung der Ethnisierung als bevölkerungspolitischer
Neuordnungsstrategie im gesamten restlichen Jugoslawien transformierte sich
zuallererst in der bosnischen Krajina, einem der Hauptsiedlungsgebieten der
SerbInnen in Bosnien, und von da ausgehend im ganzen Land, dieser
Prozeß in eine ethnisch definierte Frontstellung sowohl des Landes zur
Stadt als auch zu den anderen Ethnien.
Daß dieser Prozeß in seinem Wesenskern auf einer
gewalttätigen Repatriarchialisierung beruht, wird an den
Massenvergewaltigungen deutlich, die von den Männern aller
Kriegsparteien begangen werden und die nicht auf die Vergewaltigungslager
begrenzt sind, sondern einen unbegrenzten gesellschaftlichen Normalzustand
darstellen.
In Bosnien-Herzegowina wird nicht nur die Macht der Frauen im
Agrarsektor und die gesellschaftliche Stellung und Macht der Frauen
insgesamt gewaltsam zertrümmert, sondern die Zerstörung der
Frauenmacht vollzieht sich direkt durch physische und psychische Vernichtung
der Frauen.
Die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas
Die bevölkerungs- und geopolitische Zielsetzung des Krieges in
Bosnien-Herzegowina ergibt sich nun genau aus der Auflösung der
doppelten Blockade, einerseits der der Städte und andererseits der des
Landes. Und zwar im Sinne der bevölkerungspolitischen
Zertrümmerung der alten unproduktiven Gesellschaft und der Initiierung
einer produktiven Gesellschaftlichkeit, da die Geschichte gezeigt hat,
daß die Verfügungmacht der Regimes über Rohstoffe und
Maschinen allein nicht ausreicht. Wichtigste Instrumente dieser Politik sind
die ethnischen Säuberungen bzw. die Ethnisierung der Gesellschaft im
Medium des Kriegs und die geopolitische Neuaufteilung des Raums als Resultat
der Okkupationspolitik.
Das Hauptinteresse des serbischen Regimes ist, wie im vorigen Kapitel
beschrieben, v.a. auf agrarische Regionen konzentriert, um den Raum zu
haben, die eigene Gesellschaft durch Umsiedlungen produktiv neu
zusammenzusetzen. Das gleiche gilt, im beschränkteren Maße, auch
für Kroatien, wobei hier noch das Interesse der Verfügungsgewalt
an der herzegowinischen Hochkarstregion hinzukommt, die mit ihren
ausgebauten künstlichen Bewässerungssystemen lebensnotwendig
für die Energiewirtschaft an der dalmatinischen Küste ist, die
immerhin 30% des kroatischen Energiebedarfs produziert.
Für die Muslime bleibt, wenn überhaupt, im wesentlichen nur
das zentralbosnische Becken übrig. Diese Region ist zwar stark
industrialisiert und reich an Bodenschätzen, die Dominanz der
Schwerindustrie und des Bergbaus konfrontiert sie aber in ihrer produktiven
Struktur mit fast allen anderen Regionen Ost- und Südosteuropas, die im
Zerfallsprozeß gerade hier gezwungen sind, ihre Produkte zu
Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt zu verschleudern.
Es liegt nahe zu vermuten, daß sich das serbische Regime nicht
noch mehr kaum zu deregulierende Schrottindustrie aufhalsen wollte als es eh
schon hat und den Wertetransfer aus Bosnien eher über
Nahrungsmittellieferungen organisieren wird. Denn egal wie groß die
Region sein wird, in ihr werden bis zu 40% der verbleibenden Einwohnerschaft
Bosnien-Herzegowinas leben müssen, und das ohne eine auch nur
annähernd ausreichende eigene Agrarproduktion.
Desweiteren besitzt Serbien das absolute Monopol an Transportwege um die
möglichen muslimischen Regionen, sdaß dort nicht einmal eine
Stecknadel herauskommt ohne serbisches Gebiet passieren zu müssen.
IV. Schluß
Das weite Ausholen, um den Prozeß der Ethnisierung im ehemaligen
Jugoslawien zu veranschaulichen, sollte das Ausmaß der sozialen
Blockaden des Deregulierungsprozesses verdeutlichen, die zu einer
Sozialität besonders des Südens geführt hatte, die in allen
Bereichen und in ihrer ungeheuren Breite und Tiefe nicht auf
nichtkriegerischen Wege zu zerlegen war. Auch wenn sich in Jugoslawien,
bedingt durch die internationale Situation, eine besondere Situation
entwickelte, so ist diese doch in ihrem Kern paradigmatisch für den
gesamten ehemaligen sozialistischen Raum und es ist daher anzunehmen,
daß Jugoslawien nur das Laboratorium der Relevanz der sozialen
Zerstörungskraft künftiger Deregulierungskriege ist.
Die eigentliche Dynamik dieses gewalttätigen Zerlegungsprozesses,
und dies geht in den moralinsauren metropolitanen Diskursen um Intervention
und Nichtintervention völlig unter und verdeutlicht deren Bestimmung
als politischer Betroffenheitsinszenierung, die im wesentlichen auf den
metropolitanen Sozialprozeß selbst gerichtet ist, ist aber keineswegs
aus den verschiedenen Konstellationen des Sozialprozesses im ehemaligen
Jugoslawien allein zu entschlüsseln, sondern nur in deren Konfrontation
mit den Imperativen der Neuordnung des europäischen Großraums.
Egal ob in den industriellen Regionen und Übergangsregionen Sloweniens
und Kroatiens oder in den prospektierten agro- und rohstoffproduzierenden
südlichen serbisch kontrollierten Regionen und in den zu erwartenden
Weltmarktproduktionsinseln in den muslimischen Gebieten, überall sind
die Konflikte nur zu entschlüsseln aus der Funktionalität und der
Konfrontation mit dem Großraum. Und auch die verschiedenen
Kommandoformen der Subzentren, ob »faschistisch«,
»nationalistisch« oder »demokratisch«, sind nur
begreifbar aus der Konfrontation mit den globalen Determinanten des
Großraums, die den Weg autozentristischer Experimente endgültig
abgeschafft haben und mit einem System der selektiven Verwertung der
Regionen die Handlungskompetenzen der Regimes im Sinne der Durchsetzung der
Wertraubbedingungen fixieren.
Die Ethnisierung des Sozialprozesses ist dabei keineswegs, das war der
Sinn der Ausführungen, aus dem »Inneren« des
Sozialprozesses selbst entsprungen, sondern wesentlich ein sozialpolitisches
Rationalisierungs- und Herrschaftsprojekt, was sich im übrigen schon
ergibt aus der Globalität und der Relevanz von Ethnisierungstendenzen
in den unterschiedlichsten Sozialräumen, und vermittelt sich nur in
einem äußerst gewalttätigen Prozeß, in dem die
ethnischen Säuberungen und der Krieg nur die Spitze darstellen.
In der krisenhaften Zuspitzung und Verengung der Handlungs- und
Überlebensperspektive der Subjekte eröffnet die Ethnisierung
Perspektiven des Überlebens, und damit kommt der Prozeß
überhaupt erst in Gang. Die Verbindung von Herrschaftsinteresse und
subjektiven Erwartungen transformiert die sozialen Aspirationen direkt in
Aspirationen auf Teilhabe an Herrschaft, und dies bildet die Basis des
ethnischen Korporatismus, der sich nun stark auf die Eigenbewegung der
Subjekte stützt, um den blockierten Sozialprozeß zu
zertrümmern.
Wieweit sich dieser Prozeß aber nichtkriegerisch verlängern
läßt ist momentan noch nicht abzusehen. Die blockierte
Deregulierung in Slowenien und Kroatien und besonders die Situation in
Serbien, wie sie hier beschrieben ist, zeigt aber, daß dies durchaus
schon an Grenzen gestossen ist, und es ist durchaus möglich, daß
daher der Krieg als Dauerzustand diesen Prozeß auf lange Sicht immer
wieder neu und in den diversesten Variationen inszeniert. Der rapide und
massive Umbau der serbischen Polizei zu einer paramilitärischen
Aufstandsbekämpfungsarmee deutet darauf hin, daß zumindest im
Süden der Krieg als permanente Perpetuierung einer
»ethnischen« Neuordnung in den unterschiedlichsten Varianten des
Transformationsprozesses erwartet und geplant ist. Die »Ethnie«
erweist sich damit als modernster politischer Kontrollbegriff der
sozialpolitischen Neuordnung und Herrschaftssicherung im Prozeß der
Konstruktion des europäischen Wirtschaftsraums.