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Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 6

Die Ethnisierung des Sozialen

Die Transformation der jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges

Teil IV - Nationalismus und Ethnisierung


Verlag der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen 1993
Kontakt zur Redaktion: Buchladen Schwarze Risse,
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Vorwort
Jugoslawien im Kontext des ost- und südosteuropäischen Umbruchs
Bemerkungen zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Zur Kampfsituation 1987
Nationalismus und Ethnisierung
Krieg als Transformationsmechanismus
Die EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und Kriegsdynamik
Anhang

[Anfang Nationalismus und Ethnisierung]
Dieser Prozeß vollzieht sich aber in den ersten Jahren zunächst eher untergründig, bedingt durch die »inneren« Hemmnisse, die der serbische Nationalismus auf gesamtjugoslawischer Ebene noch erfährt. Diese gegenseitige Blockade von Nationalisten und Anhängern der Jugoperestroika führt aber Anfang der 80er nur zu einer Aufweichung der Deregulierungsstrategie, die zwar eine Inflationierung der Einkommen in Gang setzt, darüber hinaus aber keine Mechanismen entwickelt, um die Einkommenskämpfe und den Niedergang der Arbeitsproduktivität zurückzudrängen, und somit eine »Morgendämmerung« der sozialen Kämpfe befördert, in der die nationalistische Aufladung zunächst peripher bleiben sollte.
In Serbien etablieren sich, bedingt durch die Politk der »harten Hand« in der Kosovo-Frage, die radikalen Nationalisten, die sich personell zusammensetzen sowohl aus nationalistisch gewendeten alten Regimekadern als auch aus der nationalistischen Opposition gegen das sozialistische Regime, als hegemoniale Kraft, und 1986 beginnen diese mit dem »Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste« den Angriff auf die fragilen Machtstrukturen einzuläuten, und nur ein Jahr später haben sie alle entscheidenden Positionen des Regimes unter Kontrolle.
Das »Memorandum« ist im Kern der programmatische Entwurf eines »Großserbien«, und damit kündigt sich an, daß Jugoslawien in den bis dato bestehenden Strukturen keine Überlebenschancen mehr hat, denn nur »ein schwaches Serbien bedeutet ein starkes Jugoslawien«. Die »Lösung der Kosovo-Frage« als einer Überlebensfrage des gesamten serbischen Volkes, die Zurückdrängung der Arbeiterselbstverwaltung und die Revision der Verfassung von 1974 sollen die Stationen der Liquidierung der »slowenisch-kroatisch antiserbischen Koalition« sein, die das serbische Volk entrechte und sie zwinge, über mehrere Republiken verteilt zu leben, ihre geistigen und kulturellen »Wurzeln« einschränke, um damit letztlich die eigentliche unterdrückte Nation Jugoslawiens zu sein. Ein »Großserbien«, das alle serbischen Gebiete außerhalb der Republik Serbien mit umfaßt, unter Ausschaltung der Mitspracherechte anderer Nationalitäten erst würde die Gleichberechtigung Serbiens mit den anderen Republiken ermöglichen.
Was im »Memorandum« nicht ausgesprochen wird, ist damit aber zumindest theoretisch besiegelt, denn für die nationalistischen Serben sollte es nunmehr nur noch zwei Optionen der jugoslawischen Erneuerung geben: entweder Jugoslawien als ein »Großserbien« oder die Sezession.
Die Programmatik des »Memorandums« bestimmt nun weitgehend die politisch-strategische Vorgehensweise der serbischen Neuordnungspolitik. Damit wird aber auch deutlich, daß die eigentliche Problematik die soziale Situation im »Engeren Serbien« ist. Die soziale Krise, die im Verlauf des Transformationsprozesses nicht nur in eine Verwertungskrise mündete, sondern sich zu einer Krise der gesamten Gesellschaftlichkeit entwickelte und damit eine Hegemoniekrise der Macht selbst wurde, welche sich in einer Handlungsunfähigkeit bezüglich der produktiven Rekonstruktion von Gesellschaftlichkeit äußerte, verlangte nach einer konzentrischen Lösung, die die produktive Zerlegung der serbischen Gesellschaft in einem neuen Konzept der Hierarchisierung der Regionen sozial und materiell abfederte und einen neuen Korporatismus initiierte, der sich aus der aktiven Partizipation der Menschen an der Neuordnung ergeben sollte, um so zu einer sozial produktiven Rekonstruktion der gesellschaftlichen, politischen und militärischen Machtstrukturen zu gelangen. Dieser Prozeß verlief nun als Konzert von unterschiedlichen Aktivitäten, in denen der »Druck der Straße«, der zum Teil vom Regime selbst erzeugt wurde, und eine funktional bestimmte Integration oder Zerschlagung der sozialen und politischen Opposition konstruktiv verarbeitet und zum Motor der Rekonstruktion der Gesellschaftlichkeit gemacht wurde.
Dieser Prozeß läßt sich nun in drei Teile gliedern: 1. die nationalistische Mobilisierung der Massen zur Unterstützung der Serbisierung außerhalb des »Engeren Serbiens«, 2. die Integration und Ausschaltung der sozialen und politischen Opposition und 3. die Ethnisierungspolitik im Medium des Kriegs.

Die Massenmeetings und die »Strategie der Spannung«
Im Kosovo-Kapitel sind die nationalistischen Massenmeetings der Serben schon erwähnt. Sie hatten eine außerordentliche Mobilisierungskraft. Regelmäßig ließen sich Hunderttausende bis zu einer Million Menschen mobilisieren. Die Massenmeetings waren ursprünglich eine der Hauptbewegungsform der Einkommenskämpfe der autonomen ArbeiterInnenbewegung. Taktisch außerst geschickt verknüpfte das serbische Regime die Bewegungsform der Massenmeetings und die sozialen Einkommensforderungen mit einer nationalistischen Durchsetzungsperspektive, die darin bestand, die Vorstellungen und den Wunsch nach einem besseren Leben an die Vertreibung der Albaner zu koppeln, damit der Reichtum des Kosovo endlich wieder den Serben zugute komme, denen er historisch begründet zustehe.
Die Massenmeetings waren aber nur der herausragende Teil eines gesamten Szenarios und der medial inszenierte kollektive Bestätigungsmythos zur Legitimation der administrativen Entrechtung und Unterdrückung der AlbanerInnen, der anti-albanischen Pogrome und der Zunahme der alltäglichen gewalttätigen Angriffe auf die AlbanerInnen. Die Verteidigung der AlbanerInnen, die aufgrund dieser Bedingungen mehr und mehr zu direkten gewalttätigen Angriffen auf SerbInnen und einer Verfestigung des albanischen Nationalismus führte, bildet das beabsichtigte Komplement dieser Strategie und läßt diesen Prozeß als einen sich selbst perpetuierenden Circulus vitiosus erscheinen. Tatsächlich ist diese Konfliktualität aber beabsichtigter Bestandteil einer »Strategie der Spannung«, die im Kosovo erstmals angewandt wird und in Serbien direkt in die Partizipation der mobilisierten Massen am kriegsmäßig organisierten Vertreibungs- und Vernichtungsangriff auf die AlbanerInnen mündet.
Die Massenmeetings als Durchsetzungsinstrument der Serbisierung bleiben aber nicht auf den Kosovo beschränkt. Im Juli 1988 setzen sie sich in der Vojvodina fort, der agroindustriell organisierten »Kornkammer« Jugoslawiens, in der der Großteil des agrarischen Exports Jugoslawiens produziert wird, um im Oktober die Provinzregierung durch einen »Putsch der Straße« zu Fall zu bringen. In der Vojvodina setzt, ähnlich wie im Kosovo, sofort anschließend die Serbisierung der Gesellschaft ein, und ein Großteil der nichtserbischen Bevölkerung, fast 40% der Gesamtbevölkerung, wird zur Flucht gezwungen.
Produkt dieser »Strategie der Spannung« ist einerseits die Vertreibung hunderttausender NichtserbInnen, deren Wohnungen und Arbeitsplätze umgehend durch umgesiedelte SerbInnen aus dem »Engeren Serbien« besetzt werden. Andererseits mündet dies in eine Verstärkung sowohl des Nationalismus als auch der Identifikation mit dem Regime durch die zumindest partielle materielle Einlösung der Versprechen. Für das Regime eröffnen sich zudem durch die Umsiedlungen Rationalisierungs- und Modernisierungsmöglichkeiten besonders im agrarischen Sektor.
Eine weitere Variante der Massenmobilisierung beginnt im Oktober in Montenegro und bringt die dortige Republiksführung, wegen angeblich mangelnder Unterstützung Serbiens in der Kosovo-Frage, nach drei Monaten zu Fall und ersetzt sie durch eine serbienfreundliche.

Integration und Ausschaltung der Opposition
Die Verfestigung des Nationalismus durch die Integration der Massenbewegung in die serbische Expansionspolitik führte aber nicht automatisch zum Rückschlag in einen Korporatismus der die Bereinigung der sozialen Unwägbarkeiten im »Engeren Serbien« quasi im Vorübergehen vollziehen konnte. Oftmals sind es die gleichen Subjekte, v.a. die deklassierten und von Deklassierung bedrohten männlichen Jugendlichen und Neumigranten, die einerseits Träger des expansiven Nationalismus und andererseits Bestandteil der städtischen Sozialbewegung sind, die sich direkt gegen das Regime und die Deregulierung richtet.
Das Milosevic-Regime hatte nach der Erlangung der Macht Ende 87 und den anschließenden Säuberungen im Parteiapparat beständig und autoritär die Konfrontation mit den anderen Republiken als auch mit der Opposition in Serbien angeschoben. Der damit initiierte Zerfallsprozeß Jugoslawiens mündete in eine Verschärfung der ökonomischen Krise und ballte die ehedem latent explosive soziale Konfliktualität extrem zusammen. Die Ausschaltung selbst der nationalistischen serbischen Opposition, deren Programmatik sich nur um Nuancen von der der Milosevic-Fraktion unterschied, verhalf diesen und hier besonders der »Serbischen Erneuerungsbewegung« von Draskovic zu einer starken Mobilisierungsfähigkeit bei den am stärksten von der Krise betroffenen städtischen Bevölkerungssegmenten.
In der zweiten Märzwoche 1991 initiierte die »Serbische Erneuerungsbewegung« eine Demonstration in Belgrad gegen die Medienpolitik des Regimes, die sich zur größten Demonstration in Jugoslawien seit 1968 entwickeln sollte. Die »Serbische Erneuerungsbewegung« verlor aber rasch die Kontrolle über die Demo, und v.a. die deklassierten Jugendlichen verwandelten sie in eine Kampfdemonstration gegen das Regime. Bei der Zerschlagung durch die paramilitärischen Polizeieinheiten wurden mindestens zwei Menschen getötet. Daraufhin kam es zu Barrikadenkämpfen und Plünderungen in der Belgrader Altstadt. Die JNA fuhr mit Panzern auf, und die Miliz ging gegen die rioters vor und zerschlug die Unruhen. Zwei Tage dauerte der »nicht erklärte Ausnahmezustand«, und als das Militär endlich abzog, strömten die Menschen erneut auf die Straßen. Abermals wurde die Miliz eingesetzt.
Der Aufstand war damit zwar zunächst zerschlagen, verdeutlichte aber die Unfähigkeit des Regimes, die sozialen Spannungen nichtmilitärisch zu kontrollieren. Wie bedrohlich das Regime die Situation einschätzte, wird daran deutlich, daß die Führungsspitze die Verhängung des Ausnahmezustands in ganz Serbien diskutierte und der Generalstabschef der JNA gar für eine »militärische Lösung« plädierte. Das Regime aber ging einen anderen Weg.
Zum einen war es eine quasi militärische Lösung: Direkt nach dem Aufstand wurde eine kolportierte Aufstandsdrohung im Kosovo dazu benutzt, die jugendlichen Reservisten der JNA in den Kosovo zu mobilisieren. Dieser Mechanismus sollte auch weiterhin Bestandteil des repressiven Umgangs mit dem männlichen Teil der sozialen und politischen Opposition bleiben und nahm im Krieg die Form der drohenden physischen Vernichtung an, indem vorzugsweise Kriegsgegner, Aktivisten der ArbeiterInnenkämpfe und Angehörige von nationalen Minderheiten zu besonders gefährlichen Kampfeinsätzen an die Front geschickt wurden.
Die andere Seite war die Funktionalisierung der politischen Opposition durch das Regime. Die Verhaftung Draskovics während des 91er Aufstands erwieß sich dabei als besonders glücklich. Zum Märtyrer stilisiert, wurde er von den Medien zum wichtigsten Führer der Opposition und der »Unzufriedenen« aufgebaut. Während Tausende für seine Freilassung demonstrierten, verhandelte das Regime aber schon mit der Opposition, um diese an der Macht zu beteiligen. Der »Preis«, den die Opposition für diese Beteiligung zu zahlen hatte, bestand in einer »Politik der nationalen Versöhnung«, in der der Opposition die Aufgabe zukam, über eine Hegemonisierung der sozialen Bewegung dieser die Stoßkraft gegen das Regime zu nehmen und gleichzeitig Serbien international durch den Anschein der Liberalisierung des politischen Lebens aufzuwerten. Die Inszenierung des politischen Symbolismus der Opposition zeigte sich v.a. in der Hegemonisierung der verschiedenen Teile der Antikriegsbewegung und hatte ausschließlich ihre Einbindung in die Macht zum Ziel, die über ihre Kompetenz als Kontrollinstanz der sozialen Bewegung erreicht werden sollte. Diese »Zähmung« der Sozialbewegung verlief über die Initiierung einer ganzen Reihe riesiger Antikriegsdemonstrationen, bei denen am Ende selbst der amerikanische Botschafter mitlief und ihnen damit eine erstaunliche internationale Reputation verschaffte. Die Zersetzungskraft, die ihr Symbolismus im Inneren der Sozialbewegung entwickelte, zeigte sich aber spätestens am Jahrestag des 91er Aufstandes, an dem zwar eine Petition zum Rücktritt des Regimes von fast 600.000 Menschen unterschrieben wurde, die Demonstrationen aber klein blieben und fast nur noch StudentenInnen umfaßten.
Im Mai 1992 gründete sich die DEPOS als parteienübergreifendes Bündnis der sogenannten demokratischen Bewegung. Diese Bündelung der oppositionellen Kräfte scheint rückblickend ein entscheidender Pluspunkt auf Seiten des Regimes zu sein. Im Vertrauen auf ihre gewachsene Stärke versuchte die DEPOS einen stärkeren Konfrontationskurs mit dem Regime einzuschlagen und begann eine Demonstration zu organisieren, die ein Ausdruck dieser Stärke sein sollte. Milosevic hob daraufhin Cosic, einen alten Nationalisten, Mitverfasser des »Memorandums« und jetzigen DEPOS-Führer, ins Amt des Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien. Nach dieser Integration in das Zentrum der Macht sagte die DEPOS die geplante Demonstration wieder ab, die daraufhin aber autonom weiterorganisiert wurde und die DEPOS zwang, die Organisation der Demo wieder an sich zu reißen. An der Demo nahmen schließlich 100.000 Menschen teil, und es folgten weitere Demos in ähnlicher Größenordnung, die allesamt den Rücktritt des Regimes verlangten. Am 8.7. werden schließlich in Belgrad wieder Barrikaden gebaut. Der Integrationskurs der DEPOS, der in der öffentlichen Verkündung Cosics gipfelte, nunmehr eine »Politik der nationalen Kompromisse« zu machen, hatten aber die Fronten gegen das Regime schon zu stark eruiert. Die Barrikaden wurden von den DemonstrantInnen wieder abgebaut, und das Militär brauchte nicht einzugreifen. Unmittelbar danach wurde unter Cosic ein neues Versammlungsgesetz beschlossen, das alle Ansammlungen von mehr als drei Menschen unter Strafe stellte.
Mit Panic, einem Kriegsgewinnler aus der Chemiebranche, stellten die sogenannten »gemäßigten« Nationalisten nun den Ministerpräsidenten, während die Milosevic-Fraktion, im Hintergrund die eigentlichen Fäden spinnend, sich in der Öffentlichkeit nicht mehr die Hände schmutzig machen mußte.
Die DEPOS verlor in diesem Prozeß immer mehr an öffentlichem Ansehen, und als ab Mitte 92 die ultranationalistische Radikale Partei den Konfrontationskurs zur DEPOS verschärfte, war die Unterstützung der DEPOS nur noch spärlich und ihre Demos blieben unbedeutend. Anläßlich des Rücktritts Panics kam es im Januar zwar nochmals zu starken Auseinandersetzungen auf der Straße, die DEPOS aber war überflüssig geworden und das Regime unterdrückte den Aufruhr innerhalb eines Tages, ohne daß sich die Opposition davon wieder erholen konnte.
Gerade die Bündelung der oppositionellen Kräfte, die sich in der DEPOS ausdrückte, und ihre Hereinnahme in die Regierungsverantwortung, war der entscheidende Vorteil, den das Regime bei der Zerschlagung der DEPOS hatte. Die Breite der DEPOS ermöglichte ihnen, in weite Bereiche der Opposition gegen das Regime vorzudringen und diese zu hegemonisieren und schließlich zu kontrollieren. Die Übernahme der Regierungsverantwortung aber führte dazu, daß sie den oppositionellen Schleier abnehmen und als offensichtlicher Teil des Regimes ihre Unglaubwürdigkeit selbst sichtbar machen mußten. Damit verlängerten sie aber ihre Depression in eine Depression der Sozialbewegung, nachdem sie diese vorher zerschlagen hatten.
Dies kontrastiert nun die kriegsmäßige Mobilisierung des männlichen Teils der Opposition, der entweder an der vordersten Front der Vernichtung ausgesetzt ist oder sich dem Militärdienst durch Flucht entzieht. Das gigantische Ausmaß der Desertationen in Serbien verdeutlicht auch den Aderlaß, den die Sozialbewegung verkraften mußte und der ihre Zähmung wahrscheinlich erst ermöglichte.

Ethnisierung im Krieg
Die Bedeutung und Breite der Ethnisierung im Medium des Kriegs wird im Beitrag über den Krieg als Transformationsprozeß gesondert beschrieben. Hier soll nur zusätzlich darauf hingewiesen werden, daß die serbische Okkupationspolitik gezielt mithilfe ethnischer Säuberungen Raum schafft um Umsiedlungen aus dem »Engeren Serbien« und die Ansiedlung der serbischen Kriegsflüchtlinge v.a. aus den »ethnisch gesäuberten« kroatischen und muslimischen Gebieten zu ermöglichen. Fast ausschließlich agrare Regionen sind das Ziel dieser Politik, und das Beispiel des Kosovo zeigt, daß mit den Umsiedlungen gleichzeitig eine Rationalisierung der Landwirtschaft in Richtung des Ausbaus der Agroindustrialisierung erreicht werden soll, wie überhaupt das fast vollständige Desinteresse der serbischen Eroberungspolitik an den industrialisierten Städten und Regionen wohl kaum »ethnisch« begründet werden kann, sondern darauf hinweist, daß möglicherweise gerade die Agroindustrialisierung der eroberten und ethnisch bereinigten Gebiete die Lösung des Migrationsdrucks sowie den Abbau der städtischen »Überbevölkerung« in einer neuen ethnisch homogenisierten und repatriarchalisierten Gesellschaftsordnung bewerkstelligen soll.

Perspektiven
Das Konzert dieser Maßnahmen konnte die soziale Konfliktualität zwar begrenzen, nicht aber zähmen, und die Angst des Regimes vor erneuten sozialen Eruptionen äußerte sich beispielsweise in der Einschränkung des öffentlichen Personenverkehrs in Belgrad mit dem Ziel, mögliche Massenansammlungen zu erschweren.
Der Krieg wirkte auch in Serbien als gigantisches Deregulierungsprojekt. Die Militarisierung der Gesellschaft und der kriegsökonomische Umbau zertrümmerten die Überlebensbastionen und -ressourcen der Bevölkerung, die sie sich selbst im Krisenangriff der 80er nicht hatten nehmen lassen, im Zeitraffer.
Nahezu 500.000 Kriegsflüchtlinge aus den umkämpften und ethnisch gesäuberten Gebieten leben mittlerweile zusätzlich zur eingesessenen Bevölkerung in Serbien, und es scheint sich zumindest in den Städten eine neue Konfliktlinie um die mehr und mehr begrenzten Überlebensressourcen abzuzeichnen zwischen der eingesessenen Bevölkerung, den Kriegsflüchtlingen und den immer noch v.a. nach Belgrad strömenden MigrantInnen aus den ländlichen Regionen des »Engeren Serbien«.
Das Regime versucht durch Umsiedlungen in die serbisch okkupierten und ethnisch gesäuberten Gebiete einen Teil dieser städtischen »Überbevölkerung« abzuschmelzen, und es ist zu erwarten, daß sich dies noch weiter steigern solle um den Druck, der besonders auf Belgrad durch die gewaltige »Überbevölkerung« liegt, die einem funktionalen und produktiven Umbau der Städte im Wege steht, durch eine Reagrarisierung einer großen Anzahl der jetzigen städtischen Bevölkerung zu mindern. Daß damit gleichzeitig eine Ausbreitung der agroindustriellen Basis betrieben wird, ergibt sich aus den Erfahrungen der bisherigen Umsiedlungen.
Dies wäre zumindest die Logik der Okkupationen, der ethnischen Säuberungen sowie ein Schluß, der sich aus den Konstellationen des blockierten Transformationsprozesses in Serbien ergeben könnte.
Ob es allerdings die Logik der Umzusiedelnden sein wird, ist zu bezweifeln. Sie sind schließlich nicht ohne Grund in die Städte gezogen und werden voraussichtlich auch nicht freiwillig zurück aufs Land gehen. Aber womöglich wird das Modell der brasilianischen Triage-Stationen auch bald in Europa zu finden sein: Als Kontrollstellen der Landflucht in Serbien.
Der agroindustrielle Ausbau Serbiens und der eroberten Gebiete würde aber perspektivisch auch eine neue Kampffront zu den immer noch sehr traditionell agrarischen Dorfzusammenhängen besonders im »Engeren Serbien« eröffnen.
Als stabilisierend im Prozeß der immer rapideren Entwertung der Überlebensressourcen erweist sich einzig die Embargopolitik gegen Serbien, die eine äußerst wichtige Unterstützung des Regimes darstellt. Durch sie erscheint die erhoffte aber ausbleibende materielle Verbesserung der Subjekte als durch einen Angriff von Außen verschuldet. Damit wird die serbische Gesellschaft auf ein Neues als Opfergemeinschaft zusammengeschmiedet und dies allein scheint dem Regime noch die nötige Luft zum Atmen zu verschaffen.

III. Bosnien-Herzegowina
Ähnlich wie im Kosovo und in Serbien entspringen Ethnisierung und Nationalismus auch in Bosnien-Herzegowina direkt dem Krisen- und Kriegsverlauf und sind mit ihm stetig verbunden. Anders aber als in Serbien, wo die ethnische Homogenität im internen Krisenverlauf durch externe Faktoren und interne Prozesse in ein großserbisches, nationales Entwicklungsprojekt transformiert wird, und anders als im Kosovo, wo die Zwangsethnisierung die Konstitution einer neuen Pariaschicht und ihre produktive Vertreibung, im Sinne eben dieses serbischen Entwicklungsprojekts, ideologisch und materiell begleitet, beide Ethnisierungsprozesse also ihre Modernität im Rückgriff auf geradezu klassische »nationale« bzw. »ethnische« Differenzen und durch die Vitalisierung nationaler Mythen ideologisch absichern, gibt es diesen Prozeß der sinnkonstituierenden Rückbezüglichkeit als konstitutives Element der Ethnisierung in Bosnien-Herzegowina so gut wie gar nicht. Stattdessen verläuft die Ethnisierung hier direkt entlang den gewalttätigen, räuberischen Suchlinien im Findungsprozeß des serbischen und kroatischen Okkupationsprozesses, der eng an den Bedarf des jeweiligen Entwicklungsmodells angekoppelt ist. Auch historisch rückblickend gibt es keine kontinuierliche Linie der ethnisch-nationalistischen Separierung und Aufspaltung oder eine Kontinuität des Zusammenhangs von Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina mit den jeweiligen Republiken bzw. Hauptsiedlungsgebieten. Einzig im NS gab es dies, als stark außengeleiteten, gewalttätigen und im Medium von Krieg und Befreiungskrieg prozessierenden, aber stark gebrochenen Differenzierungsprozeß. Die kulturelle und religiöse Unterschiedlichkeit erhob sich selten zu einer politischen Differenz, und im Zuge der Nachkriegsindustrialisierung Bosnien-Herzegowinas werden diese Unterschiede noch weiter nivelliert.



Rapide Verstädterung
Die Nachkriegsindustrialisierung Bosnien-Herzegowinas zentrierte sich fast ausscchließlich auf das zentralbosnische Becken um Sarajewo und Zenica, das einzige Gebiet Bosnien-Herzegowinas, in dem schon vor dem Krieg eine bescheidene Industrialisierung stattgefunden hatte. Entsprechend den riesigen Roh- und Energiestoffvorkommen entwickelte sich hier eine Schwerindustrie und eine darauf bezogene Sekundärindustrie, die das zentralbosnische Becken zu einer massiv konzentrierten Industrieregion mit starker Anziehungskraft auf die ländlichen Regionen machte.
1945 lebten noch ca. 80% der Bevölkerung von der Landwirtschaft, vor Ausbruch des Krieges waren es nur noch ca. 20%. Der Anteil der Stadtbevölkerung von ca. 40% der Gesamtbevölkerung verdeutlicht auch die enorme Ausstrahlung, die gerade die Industrialisierung des zentralbosnischen Beckens auf die umliegenden Regionen ausübte. Die Bevölkerungsdichte hat sich im Bereich des zentralbosnischen Beckens seit 1945 mehr als verdoppelt, und neben zahlreichen neugegründeten industriellen Retortenstädten explodierte in den industrialisierten alten Städten das Bevölkerungswachstum v.a. durch Zuwanderung. So hatte Sarajewo 1945 kaum 100.000 EinwohnerInnen, Ende 80 dagegen mit Randgemeinden fast 700.000; Zenica 1945 gerade 10.000 und Ende 80 fast 80.000 EinwohnerInnen. Das enorme Wachstum der Industriestädte führte dazu, daß sich die städtebauliche Physiognomie vollends veränderte. Mit Ausnahme von Sarajewo gab es keine Industriestadt im zentralbosnischen Becken, die noch mehr als Rudimente traditioneller Stadtarchitektur besaß. Der Anteil der Bevölkerung, der in den verslumten Außenrandsiedlungen der Städte wohnte, war hier noch größer als in Serbien.
Diese vollkommene Neubegründung der Städte war aber gerade hier nur der sichtbarste Ausdruck der soziokulturellen und sozioökonomischen Neubegründung von Gesellschaftlichkeit im Modernisierungsprozeß, deren wohl wichtigster Ausdruck der zunehmende Funktionsverlust der traditionellen Familienbeziehungen durch die Ausweitung der gesellschaftlichen Hausarbeit und die Veränderung der Rolle der Frau durch deren Integration in den industriellen Sektor, war. Die fehlende ethnische Differenzierung war hier die Regel und bei einem Großteil der StadtbewohnerInnen entwickelte sich eine Identität als »Stadtmensch«, die nicht mehr serbisch, kroatisch oder muslimisch, sondern für jugoslawische Verhältnisse kosmopolitisch war.

Industrialisierung
Ein weiterer wichtiger Punkt, der die nichtkriegerische Umwandlung sozialer Erwartungen in nationalistische Bewegungen im industrialisierten städtischen Bereich des zentralbosnischen Beckens verhinderte, scheint dem Umstand geschuldet zu sein, daß es hier, im Gegensatz zum Rest des ehemaligen Jugoslawien, nicht zu einer vollständigen Durchsetzung der Arbeiterselbstverwaltung kam, sondern daß sich gerade in den größten und modernsten Betrieben eine typisch kapitalistische Betriebshierachie durchgesetzt hatte.
Noch stärker als in Serbien entvölkerte die durch den Industrialisierungsprozeß ausgelöste »Revolution der Erwartungen« in Bosnien-Herzegowina den ländlichen Raum, der geprägt war von subsistenzwirtschaftlicher arbeitsintensiver Agrarwirtschaft im traditionell organisierten Großfamilienzusammenhang. Anders aber als in Serbien war die Industrialisierung hier massiv konzentriert auf einen zusammenhängenden Raum, und mit der Veränderung des siedlungsgeographischen Charakters des Raums verändern sich auch die sozioökonomischen Determinanten der Konstitution und Reproduktion von Gesellschaftlichkeit. Die totale Dominanz des industriellen Sektors, die sich im Migrationsprozeß verstärkende Abnabelung von den agrarischen Herkunftszusammenhängen, fügten sich zusammen zu einer Konstitution der Städte als Zentren von Massenarbeit, in denen die ethnischen Differenzen immer weitgehender nivelliert wurden. Die eigentliche Problematik der Städte war somit nicht die ethnische Differenzierung, sondern die massive Zuwanderung, für die weder ausreichend Einkommensmöglichkeiten noch genügend Wohnraum vorhanden war, die Auflösung der traditionellen ethnischen, religiösen und nationalen Bande und die Konstitution einer klassischen MassenarbeiterInnengesellschaftlichkeit der Städte.

Der Krieg gegen die Städte
Die Städte waren nun auch zu Beginn des Krieges die Orte, an denen sich sowohl der Widerstand gegen den Krieg manifestierte, als auch die Orte, in denen die Ethnisierung der Gesellschaft vorerst nicht gelingen sollte. Sämtliche Bestimmungsmerkmale des Gelingens der Ethnisierungstrategie im ehemaligen Jugoslawien waren hier nicht oder nur rudimentär ausgebildet: weder war die Arbeiterselbstverwaltung breit durchgesetzt und konnte somit auch nicht in ein nationalistisches Projekt übersetzt werden, noch gab es die Dominanz einer sich ethnisch definierenden Bevölkerungsgruppe. Die räumliche Konzentration der Ethnien war im Prozeß der rapiden Verstädterung weitgehend verschwunden, und eine Vielzahl sogenannter Mischehen machte die freiwillige Ethnisierung zur Absurdität. Genau dieser Zusammenhang bildet nun aber auch den Erklärungshintergrund, warum jede Stadt in Bosnien-Herzegowina einer Belagerungs- und Aushungerungspolitik ausgesetzt war oder noch ist: sie werden regelrecht ethnisch zurechtgeschossen. Und wichtig ist es zu wissen, daß die Belagerung einzelner Stadtteile zwar ethnisierend als Belagerung bspw. muslimischer Stadtteile bezeichnet wird, die Menschen, die dort wohnen, sich aber häufig nicht ethnisch definieren, und wenn doch, daraus keine Differenz ableiten und den Widerstand gegen die Belagerung sowie den Überlebenskampf dementsprechend gemeinsam organisieren.
Durch den Krieg gegen die Städte wird aber nun die Frage des Überlebens direkt an die Zugehörigkeit zu einer sich ethnisch definierenden Gruppe gekoppelt, und die Städte werden in ihrer bisherigen sozialen und sozialräumlichen Konstitution vollständig aufgelöst und neu zusammengesetzt. Ein Ziel dabei ist der Abbau der sogenannten städtischen Überbevölkerung. Hauptsächliche Opfer dieser kriegsmäßigen bevölkerungspolitischen Neuordnung sind die Muslime, die ca.40% der Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas ausmachen und nun innerhalb der ethnischen Neuordnung zur Überbevölkerung deklariert werden, durch die ethnischen Säuberungen aus ihren Wohnorten vertrieben, in Hungermärschen einem Ausleseprozeß unterworfen und durch das Land gehetzt werden, um schließlich in den belagerten muslimischen Städten und Gebieten, für die die Bezeichnung territoriale »Konzentrationslager« zutreffender ist als Schutzzonen, zu enden. Die Belagerung dieser Städte erfüllt nun nicht mehr den Zweck, die Bevölkerung zu mobilisieren, sondern sie gerade an der Mobilität zu hindern, um in faktischer Korrespondenz mit den spärlichen internationalen Hilfslieferungen den Ausleseprozeß weiter zu verlängern. Die Perspektive liegt dabei relativ eindeutig in der Zurichtung zur Weltmarktarbeitskraft in zu freien Produktionszonen transformierten und militärisch abgesicherten territorialen Arbeitslagern, die zudem , in Anlehnung an die Erfahrungen in Irak-Kurdistan, zum Versuchsfeld der sozialpolitischen Kompetenz von NGO`s werden.

Durchsetzung des Nationalismus
Der eigentliche soziale Ursprungsort der Ethnisierungspolitik in Bosnien-Herzegowina ist das Land. Mit Ausnahme der Beckenregionen, die sehr fruchtbar sind und im Laufe des Modernisierungsprozesses, ebenso wie die Industriestädte, Auffangbecken des Zustroms aus den übrigen agrarischen Regionen waren, ist das Land meist nicht sehr fruchtbar und wird in der Regel noch in traditioneller Weise bewirtschaftet. Vorherrschende Form ist der kleinbäuerliche Mehrgenerationenfamilienbetrieb mit starker subsistenzwirtschaftlicher Ausrichtung. Gerade im Umkreis der Industriestädte war die Landwirtschaft, bedingt durch die vorwiegend außerlandwirtschaftliche Tätigkeit der Männer, fast ausschließlich die Domäne von Frauen.
Die niedrigen staatlichen Abnahmepreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse führten hier wie überall in Jugoslawien zu einem ständigen Wertetransfer von der Landwirtschaft in den modernen städtischen Sektor. Erschwerend kam hinzu, daß trotz des immensen Abstroms in die Industrieregionen, der einen Verlust gerade der aktivsten und produktivsten Teile der Bauernökonomie darstellte, immer noch eine starke »Übersetzung« der Landwirtschaft vorhanden war.
Im Zusammenhang mit den Autonomiebestrebungen der Serben in Kroatien und der Durchsetzung der Ethnisierung als bevölkerungspolitischer Neuordnungsstrategie im gesamten restlichen Jugoslawien transformierte sich zuallererst in der bosnischen Krajina, einem der Hauptsiedlungsgebieten der SerbInnen in Bosnien, und von da ausgehend im ganzen Land, dieser Prozeß in eine ethnisch definierte Frontstellung sowohl des Landes zur Stadt als auch zu den anderen Ethnien.
Daß dieser Prozeß in seinem Wesenskern auf einer gewalttätigen Repatriarchialisierung beruht, wird an den Massenvergewaltigungen deutlich, die von den Männern aller Kriegsparteien begangen werden und die nicht auf die Vergewaltigungslager begrenzt sind, sondern einen unbegrenzten gesellschaftlichen Normalzustand darstellen.
In Bosnien-Herzegowina wird nicht nur die Macht der Frauen im Agrarsektor und die gesellschaftliche Stellung und Macht der Frauen insgesamt gewaltsam zertrümmert, sondern die Zerstörung der Frauenmacht vollzieht sich direkt durch physische und psychische Vernichtung der Frauen.

Die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas
Die bevölkerungs- und geopolitische Zielsetzung des Krieges in Bosnien-Herzegowina ergibt sich nun genau aus der Auflösung der doppelten Blockade, einerseits der der Städte und andererseits der des Landes. Und zwar im Sinne der bevölkerungspolitischen Zertrümmerung der alten unproduktiven Gesellschaft und der Initiierung einer produktiven Gesellschaftlichkeit, da die Geschichte gezeigt hat, daß die Verfügungmacht der Regimes über Rohstoffe und Maschinen allein nicht ausreicht. Wichtigste Instrumente dieser Politik sind die ethnischen Säuberungen bzw. die Ethnisierung der Gesellschaft im Medium des Kriegs und die geopolitische Neuaufteilung des Raums als Resultat der Okkupationspolitik.
Das Hauptinteresse des serbischen Regimes ist, wie im vorigen Kapitel beschrieben, v.a. auf agrarische Regionen konzentriert, um den Raum zu haben, die eigene Gesellschaft durch Umsiedlungen produktiv neu zusammenzusetzen. Das gleiche gilt, im beschränkteren Maße, auch für Kroatien, wobei hier noch das Interesse der Verfügungsgewalt an der herzegowinischen Hochkarstregion hinzukommt, die mit ihren ausgebauten künstlichen Bewässerungssystemen lebensnotwendig für die Energiewirtschaft an der dalmatinischen Küste ist, die immerhin 30% des kroatischen Energiebedarfs produziert.
Für die Muslime bleibt, wenn überhaupt, im wesentlichen nur das zentralbosnische Becken übrig. Diese Region ist zwar stark industrialisiert und reich an Bodenschätzen, die Dominanz der Schwerindustrie und des Bergbaus konfrontiert sie aber in ihrer produktiven Struktur mit fast allen anderen Regionen Ost- und Südosteuropas, die im Zerfallsprozeß gerade hier gezwungen sind, ihre Produkte zu Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt zu verschleudern.
Es liegt nahe zu vermuten, daß sich das serbische Regime nicht noch mehr kaum zu deregulierende Schrottindustrie aufhalsen wollte als es eh schon hat und den Wertetransfer aus Bosnien eher über Nahrungsmittellieferungen organisieren wird. Denn egal wie groß die Region sein wird, in ihr werden bis zu 40% der verbleibenden Einwohnerschaft Bosnien-Herzegowinas leben müssen, und das ohne eine auch nur annähernd ausreichende eigene Agrarproduktion.
Desweiteren besitzt Serbien das absolute Monopol an Transportwege um die möglichen muslimischen Regionen, sdaß dort nicht einmal eine Stecknadel herauskommt ohne serbisches Gebiet passieren zu müssen.

IV. Schluß
Das weite Ausholen, um den Prozeß der Ethnisierung im ehemaligen Jugoslawien zu veranschaulichen, sollte das Ausmaß der sozialen Blockaden des Deregulierungsprozesses verdeutlichen, die zu einer Sozialität besonders des Südens geführt hatte, die in allen Bereichen und in ihrer ungeheuren Breite und Tiefe nicht auf nichtkriegerischen Wege zu zerlegen war. Auch wenn sich in Jugoslawien, bedingt durch die internationale Situation, eine besondere Situation entwickelte, so ist diese doch in ihrem Kern paradigmatisch für den gesamten ehemaligen sozialistischen Raum und es ist daher anzunehmen, daß Jugoslawien nur das Laboratorium der Relevanz der sozialen Zerstörungskraft künftiger Deregulierungskriege ist.
Die eigentliche Dynamik dieses gewalttätigen Zerlegungsprozesses, und dies geht in den moralinsauren metropolitanen Diskursen um Intervention und Nichtintervention völlig unter und verdeutlicht deren Bestimmung als politischer Betroffenheitsinszenierung, die im wesentlichen auf den metropolitanen Sozialprozeß selbst gerichtet ist, ist aber keineswegs aus den verschiedenen Konstellationen des Sozialprozesses im ehemaligen Jugoslawien allein zu entschlüsseln, sondern nur in deren Konfrontation mit den Imperativen der Neuordnung des europäischen Großraums. Egal ob in den industriellen Regionen und Übergangsregionen Sloweniens und Kroatiens oder in den prospektierten agro- und rohstoffproduzierenden südlichen serbisch kontrollierten Regionen und in den zu erwartenden Weltmarktproduktionsinseln in den muslimischen Gebieten, überall sind die Konflikte nur zu entschlüsseln aus der Funktionalität und der Konfrontation mit dem Großraum. Und auch die verschiedenen Kommandoformen der Subzentren, ob »faschistisch«, »nationalistisch« oder »demokratisch«, sind nur begreifbar aus der Konfrontation mit den globalen Determinanten des Großraums, die den Weg autozentristischer Experimente endgültig abgeschafft haben und mit einem System der selektiven Verwertung der Regionen die Handlungskompetenzen der Regimes im Sinne der Durchsetzung der Wertraubbedingungen fixieren.
Die Ethnisierung des Sozialprozesses ist dabei keineswegs, das war der Sinn der Ausführungen, aus dem »Inneren« des Sozialprozesses selbst entsprungen, sondern wesentlich ein sozialpolitisches Rationalisierungs- und Herrschaftsprojekt, was sich im übrigen schon ergibt aus der Globalität und der Relevanz von Ethnisierungstendenzen in den unterschiedlichsten Sozialräumen, und vermittelt sich nur in einem äußerst gewalttätigen Prozeß, in dem die ethnischen Säuberungen und der Krieg nur die Spitze darstellen.
In der krisenhaften Zuspitzung und Verengung der Handlungs- und Überlebensperspektive der Subjekte eröffnet die Ethnisierung Perspektiven des Überlebens, und damit kommt der Prozeß überhaupt erst in Gang. Die Verbindung von Herrschaftsinteresse und subjektiven Erwartungen transformiert die sozialen Aspirationen direkt in Aspirationen auf Teilhabe an Herrschaft, und dies bildet die Basis des ethnischen Korporatismus, der sich nun stark auf die Eigenbewegung der Subjekte stützt, um den blockierten Sozialprozeß zu zertrümmern.
Wieweit sich dieser Prozeß aber nichtkriegerisch verlängern läßt ist momentan noch nicht abzusehen. Die blockierte Deregulierung in Slowenien und Kroatien und besonders die Situation in Serbien, wie sie hier beschrieben ist, zeigt aber, daß dies durchaus schon an Grenzen gestossen ist, und es ist durchaus möglich, daß daher der Krieg als Dauerzustand diesen Prozeß auf lange Sicht immer wieder neu und in den diversesten Variationen inszeniert. Der rapide und massive Umbau der serbischen Polizei zu einer paramilitärischen Aufstandsbekämpfungsarmee deutet darauf hin, daß zumindest im Süden der Krieg als permanente Perpetuierung einer »ethnischen« Neuordnung in den unterschiedlichsten Varianten des Transformationsprozesses erwartet und geplant ist. Die »Ethnie« erweist sich damit als modernster politischer Kontrollbegriff der sozialpolitischen Neuordnung und Herrschaftssicherung im Prozeß der Konstruktion des europäischen Wirtschaftsraums.

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