In den Medien präsentieren sich die imperialistischen Krisenlenker
als neutrale Friedensstifter, die angesichts des »irrationalen«
nationalistischen innerjugoslawischen Krieges bemüht sind, die
Kontrahenten »zur Vernunft« und zu »friedlichen
Lösungen« zu bewegen. Nahezu perfekt wird dem Publikum eine
Position der Neutralität und bedauerlichen Hilflosigkeit gegenüber
den Konfliktparteien suggeriert.
Bei genauerem Hinsehen jedoch stellt sich heraus, daß im Gegenteil
imperialistische Interventionen auf ökonomisch-sozialpolitischer,
diplomatischer und militärischer Ebene die Eskalation des sozialen
Kriegs gegen die Bevölkerung Jugoslawiens zu einem mit
militärischen Gewaltmitteln geführten entscheidend forciert
haben.
Durch nationalistische Überformung bzw. Ethnisierung von im Kern
sozialen (nicht einfach ökonomischen) Konfrontationen - Ex-Jugoslawien
ist diesbezüglich kein Sonderfall - und einem manipulativen Diskurs um
auch in Teilen der Linken positiv besetzte Begriffe wie Demokratie,
Selbstbestimmungs- und Menschenrechte gelingt es den jeweiligen nationalen
Machteliten in Koordination mit Institutionen einer sich konstituierenden
»Weltinnenpolitik«, eine »neue
Unübersichtlichkeit« zu produzieren, die eindeutige
Positionsbestimmungen für solidarisch-unterstützende Parteinahmen
verhindert. Resultat: lähmende Ratlosigkeit.
Nicht zuletzt um der rassistischen Formierung einer auch von einigen
Linken entdeckten »Interessengemeinschaft des zivilisierten
Europas« etwas entgegenzusetzen, ist es notwendig, die sich in
Kategorien von Verwertung, Rentabilität und
»Überflußbevölkerung« bewegenden
imperialistischen Praktiken aus den medienproduzierten
Unübersichtlichkeiten zu entschlüsseln.
Zwar gab es nicht den langfristig ausgeheckten imperialistischen Plan
zur Zerschlagung und Neuzusammensetzung der jugoslawischen Gesellschaft,
aber hinter der sich so hilflos gebenden Verhandlungsdiplomatie verbirgt
sich eine knallharte Methodik von Moderation und Steuerung eines Krieges zur
gewaltsamen Durchsetzung neuer, weniger widerständiger Sozialstrukturen
und zur Reorganisation stabiler nationalstaatlicher Machtgefüge.
Dabei kristallisierte sich faktisch eine gewisse Arbeitsteilung
heraus:
- die BRD-Politik forcierte eine an die NS-Großraumkonzeption der
gestaffelten und zonierten Verwertungsräume anknüpfende
»Neuordnung Europas« die selektive Angliederung derjenigen
jugoslawischen Regionen an die EG, welche die »entwickeltesten«
Voraussetzungen für ein kapitalistisch zu strukturierendes
Akkumulationsregime vorweisen; ihre massive Unterstützung der
slowenischen und v.a. kroatischen Führung für deren Absetzbewegung
von den »subventionsbedürftigen » südlichen Regionen
in einer ethnisch-nationalistisch enorm aufgeladenen Konstellation
kalkulierte eiskalt mit dem Neuordnungskrieg und trieb ihn mit den
Anerkennungsoffensiven voran;
- USA und EG-Mehrheit sorgen mit Verhandlungen und
»Jugoslawien-Konferenzen« dafür, daß der Krieg sich
auf einem »low-intensity«-Niveau bewegt und regional begrenzt
bleibt; deren zurückhaltenderes Vorgehen in Sachen Zerschlagung und
Neuordnung Jugoslawiens, z.B. das serbische Regime nicht zu isolieren,
lassen auf konkurrierende längerfristig angelegte und den gesamten
Balkanraum einbeziehende Ordnungsvorstellungen schließen (FN 1,), die
sich offenbar auch gegen die »Blitzkriegs«-strategie des
BRD-Kapitals richtete, einen möglichst exlusiven Zugriff auf die
voraussichtlich profitträchtigsten peripheren Regionen Osteuropas vorab
sich zu sichern.
- die Einbeziehung der UNO legitimiert eine interventionistische
Internationalisierung des Krieges und funktioniert als Vermittlungsinstanz
imperialistischer Steuerung und Dosierung des Kriegs in seinem Verlauf.
Einige Elemente dieser Moderation sind: Die US/EG-Anerkennungspolitik
gegenüber Bosnien-Hercegowina, die den Startschuß lieferte zum
Beginn dieses Neuordnungskrieges gegen eine im Teilungsplan sich als
»überflüssig« erweisende Bevölkerung. Der Einsatz
von UNO-Truppen, mit denen militärische Einheiten der nationalistischen
Parteien für Kämpfe anderswo freigesetzt und derweil die zuvor
»ethnisch gesäuberten« Gebiete abgesichert werden. Die
Sanktionspolitik, die insbesondere die Bevölkerung in
»Restjugoslawien« ihrer Existenzgrundlagen beraubt und
oppositionelle Bewegungsformen politisch und materiell schwächt, aber
keinen Einfluß auf die Führbarkeit des Krieges ausübt. Die
diversen »Friedens«pläne und -verhandlungen sanktionieren
eine ethnisierende Bevölkerungspolitik mit gezielten Vertreibungen,
Vergewaltigungen und Massakern - so wie sie schon vor Kriegsbeginn grob
vereinbart worden war - und deren Protagonisten.
Immer deutlicher zeichnet sich ab: der Krieg sollte so lange
weitergeführt werden, bis ein Zustand ausgekämpft und ausgehandelt
ist, der eine stabile«Neuordnung« der jugoslawischen
Gesellschaft und des Balkanraumes verspricht. Und: viele Anzeichen lassen
befürchten, daß die Kriege in Jugoslawien als Laboratorium
für weitere imperialistisch moderierte »Neuordnungskriege«
in Osteuropa fungieren. (1a)
Von der Erosion zur Explosion ...
Seit der Kulmination der sog. Schuldenkrise Anfang der 80er Jahre - und
die jugoslawische war eine der verschuldetesten Ökonomien - bestimmten
die von supranationalen Finanzorganisationen formulierten Maßnahmen
und Auflagen zur Steigerung der gesellschaftlichen Rentabilität
zunehmend die innerjugoslawischen gesellschaftlichen
Auseinandersetzungen.
Ähnlich wie in den anderen ehemals sozialistischen Ländern
Osteuropas hatte sich in Jugoslawiens herrschender politischen Klasse seit
Mitte der 80er Jahre die Position durchgesetzt, allein eine noch
stärkere Integration in den imperialistischen Weltmarkt, ein
grundsätzlicher Systemumbau und engere Anbindung an den EG-Raum
könne die »gesellschaftliche Blockade« - gemeint war die
Akkumulationsblockade - aufbrechen. Insofern bestand sowohl zwischen
imperialisitischen Interessen und den Vorhaben der verschiedenen
jugoslawischen Eliten kein Dissenz - es ging nur darum, wie die
»Reformen« gegen die sozialen Widerständigkeiten
durchgesetzt werden könnten.(1b)
Konkurrierende Vorstellungen über das Vorgehen, die sich in einer
bis 1991 zuspitzenden »Ost-West«-Konfrontation ausdrückten
- also serbisches und montenegrinisches Regime contra slowenisches und
kroatisches (die Führungen der anderen Republiken verhielten sich
widersprüchlich) - beruhten im Kern auf den Unterschieden in der
sozialen Zusammensetzung der jeweiligen Bevölkerungen und auf den
daraus resultierenden Widerständen, die gegen radikale Marktreformen
entwickelt bzw. befürchtet wurden.(2)
So beruhte die Popularität eines Milosevic in Serbien im
wesentlichen auf seinem - zumindest verbalen - Festhalten an sozialistischen
Existenzgarantien und auf seinen Attacken gegen die Verarmungspolitik der
Belgrader Bundesregierung, die er mit nationalistischen
Argumentationsmustern zu verbinden suchte, um die auch gegen die serbische
Bürokratie aufgestaute Wut wahlweise gegen AlbanerInnen, Slowenien, die
jugoslawische Bundesregierung oder westliche Regierungen zu lenken. Und
tatsächlich blockierte das serbische Regime in den Bundesorganen immer
stärker radikalere Maßnahmen in Richtung Marktwirtschaft, um
stattdessen einen Kurs zu propagieren, der der
»Selbstverwaltung« mehr Zeit zur Umstellung lassen solle; also
statt »polnischem Schockprogramm« eher sozialistische Glasnost-
und Perestroika-Marktwirtschaft, eine in der Schärfe des sozialen
Angriffs abgemildertete Variante. Parallel dazu forderte das serbische
Regime, ebenfalls im Gegensatz zu slowenisch-kroatischen Bestrebungen, eine
Ausweitung der zentralstaatlichen Kompetenzen, über deren Majorisierung
die serbische Führung dann versuchen würde, ihr
Reorganisationsmodell für ganz Jugoslawien durchzusetzen (wozu u.a. die
Aufhebung der Autonomie des Kosovos und der Vojvodinas diente).
Dagegen verstärkte sich in Slowenien und Kroatien, nicht nur in
herrschenden Kreisen, die zunehmend nationalistisch-chauvinistisch
gefärbte Tendenz, sich von den »armen bzw. blockierenden
Republiken« zu lösen, um dann eine Programmatik von Deregulation
und Weltmarktzurichtung umsetzen zu können.
Aus Sicht imperialistischer Interessen bestand während des ganzen
Krisenverlaufs der 80er Jahre bis `90/`91 das Dilemma, daß durch die
zentrifugale Dynamik der Ausweitung von Kompetenzen auf Republiksebene es
eine zentrale Institution mit realer Machtbasis immer weniger gab, noch eine
gesamtjugoslawische »Reformbewegung« aus dem Widerstand sich
herausbildete, die aufgrund ihres geselschaftlichen Einflußterrains in
der Lage gewesen wäre, den sozialen Unmut in neue produktivere
Vergesellschaftungsformen zu überführen (wie z.B. in Polen die
Solidarnosc). Eine militärische »Lösung« à la
Polen `81 wurde wohl des öfteren diskutiert (z.B. Anfang `88, taz
5.1.88), aber aufgrund der unsicheren Basis der Jugoslawischen Volksarmee
(JNA) wohl nie ernsthaft erwogen. Erst nachdem es wenigstens z.T. gelungen
war, die zugespitzte soziale Auseinandersetzung um
Produktivitätssteigerung und Höhe der gesellschaftlichen
Reproduktionskosten ethnisch-nationalistisch zu überformen, konnten die
herrschenden politischen Klassen diese Auseinandersetzung in eine mit
militärischen Mitteln geführte eskalieren. Aus diesem Dilemma
heraus versuchte das internationale Kapital, die Belgrader Zentralregierung
zu stärken, die programmatisch für Durchsetzung einer IWF-Politik
bei Erhaltung des jugoslawischen Staates stand, was bis Mitte '91 sich mit
imperialistischen Vorstellungen deckte. Allerdings war die Zentralregierung
ohne reale Machtbasis, allein die JNA und die Bundespolizei waren ihr formal
unterstellt.
Auf dem Hintergrund des Zerfalls des realsozialistischen Machtblocks
Ende der 80er Jahre brauchte auf frühere westliche Befürchtungen,
mit einer zu harten Gangart z.B. bei den IWF-Auflagen das jugoslawische
Regime aus der Neutralität in die Arme der SU zu treiben, keine
Rücksichten mehr genommen zu werden. Mit der Ernennung des
früheren Kombinatsdirektors und sich offen zur Marktwirtschaft
bekennenden Markovic im Frühjahr `89 zum Ministerpräsidenten wird
der verschärfte imperialistische Druck auch innenpolitisch
nachvollzogen. In den Jahren zuvor waren wiederholt Umschuldungsabkommen und
Neukredite vereinbart, die damit verbundenen Auflagen zu
»Strukturanpassungen« allerdings nicht eingehalten, sondern
lediglich mit sog. »orthodoxen« staatsinterventionistischen
Maßnahmen wie z.B. Lohn- und Preisstopps oder absprachewidrigem
Drucken von Neugeld umgangen worden.
Dagegen propagierte Markovic in seiner Antrittsrede - in enger Anlehnung
an IWF/EG-Forderungen - einen zusammenhängenden jugoslawischen Markt,
damit sich »Waren, Kapital und Arbeit frei bewegen können«,
die Deregulierung von Gesetzen, welche »die Rolle des Marktes und
wirtschaftlicher Einheiten unterdrücken«, Zulassung von
Privateigentum, mehr Joint Ventures statt Kreditaufnamen für
Neuinvestitionen. (NZZ 18.3.89)
Während des Jahres `89 läßt die neue Regierung die
Inflation gezielt auf über 1000% steigen - eine massive Entwertung von
Sparguthaben und Einkommen (weil die Inflationsanpassungen immer
hinterherhinken). Gleichzeitig werden kapitalistische Organisations- und
Regulationsformen eingeführt wie z.B. die Gründung von
Aktiengesellschaften. Allerdings gibt es weiterhin Streiks und
Demonstrationen. Die serbische Führung fordert mehrmals ein
Anti-Inflations- bzw. »Schockprogramm«, »um die Verarmung
der Massen zu stoppen« (NZZ 13.8.89); sie muß die im
Republikenvergleich höchsten Lohnzuschläge zugestehen (NZZ
28.5.89). Im Laufe des Jahres stellt sich heraus, daß die
Reallöhne bundesweit im Schnitt doch wieder unabhängig von der
Produktivität gestiegen sind (NZZ 22.6.89), und daß statt der
erhofften Privatisierung »gesellschaftlichen Eigentums« nur
kleine sog. »Nebenerwerbsbetriebe« gegründet werden und
eine unkontrollierte »Schattenwirtschaft« entsteht (NZZ
13.8.89). Die Wirtschaftreformen werden verschoben (FR 10.10.89), IWF und
Pariser Club weigern sich, über neue Umschuldungen zu verhandeln (NZZ
13.8.89).
Es stellt sich heraus, daß einzelne Deregulierungselemente wie
z.B. die »Freigabe« vorher staatlich festgelegter Preise,
Importe und Devisenzuteilungen für Großbetriebe von den
»Kombinaten« bloß ausgenutzt werden, um ihre
Schließung weiter hinauszuschieben, obwohl sie nach kapitalistischen
Rentabilitätskriterien längst Konkurs hätten anmelden
müssen. Dieser »Vakuumzustand zwischen zwei
Wirtschaftssystemen« (NZZ 11.10.89) könne solange nicht
aufgebrochen werden, wie das Konkurrenzprinzip nicht völlig akzeptiert
sei. Ohne Zerschlagung des »vergesellschafteten Sektors«, der
noch immer über 90% des BSP erwirtschafte, und der
»Selbstverwaltung«, die wirksame Entlassungen verhindere, sei es
unmöglich, daß strukturelle Reformen tatsächlich
greifen, so der IWF (HB 16.10.89). Solche Positionen wurden seit Mitte der
80er Jahre immer wieder formuliert, doch nun rücken sie ins Zentrum der
Krisendiskussion und werden auch vom ZK der KP Jugoslawiens übernommen,
wobei nur der relativ isolierte Milosevic »querschlägt«
(taz 19.10.89). Allerdings war auch sein als Alternative zum Belgrader
Austerity-Kurs gedachter, an die nationalistische Mobilisierung
anknüpfender Sanierungs-Coup, eine Volksanleihe zur »
Wiedergeburt Serbiens«, ein »eklatanter Mißerfolg«
(NZZ 17.11.89), weil sie nicht gekauft wurde.
Gegen Ende des Jahres werden die Forderung des IWF, endlich ein
»realistisches Konzept« vorzulegen, immer dringlicher. Zur
gleichen Zeit eskaliert der Konflikt zwischen slowenischer und serbischer
Republikführung, die zum Boykott slowenischer Waren aufruft (taz
1.12.89); die kroatische Führung stellt sich auf die Seite der
slowenischen ( taz 2.12.89).
Während Anfang Dezember in Belgrad neue Verhandlungen mit dem IWF
beginnen (NZZ 9.12.89), stellt das serbische Regime den Reformkurs insgesamt
infrage (NZZ 10.12.89).
Noch setzen die imperialistischen Agenturen auf die Belgrader
Bundesregierung und ihre Durchsetzungskraft, obwohl schon offen diskutiert
wird, ob überhaupt zwei verschiedene Wirtschaftssysteme - also
konkurrierende Deregulierungsvorstellungen - in einem Staat
(»Föderation«) existieren können.
Im Dezember `89 tritt ein mit dem IWF abgestimmtes »rigoroses
Stabilisierungsprogramm« inkraft: bis Mitte `90 werden Löhne und
(nicht alle) Preise eingefroren, der Dinar im Verhältnis 1:7 an die DM
gekoppelt (NZZ 20.12.89). Dieses »Konvertibilitätspaket«
gilt als Sachs-Programm - jener Jeffrey Sachs, der schon in Bolivien und
Polen die brutalen Verarmungsprogramme entworfen hatte, war nun von der
Markovic-Regierung als Berater engagiert worden und sollte als Promotor
Jugoslawiens weltweit werben (NZZ 21.1.90). Die serbische
Republikführung, die durch die dadurch ausgelöste
Verarmungsdynamik am stärksten unter Druck geraten wäre, lehnte
das Programm ab - die kroatischen, slowenischen und bosnischen
Führungen unterstützen den Plan (FR 21.12.89).
So gilt schon Ende Februar das Programm als gefährdet, denn es
fehlt der Bundesregierung, die sich inzwischen von der KPJ losgesagt hatte
und deren Direktiven von nun an ignorieren will (FR 23.1.90/*FN 3), die
Macht, die vom IWF geforderten Maßnahmen, wie Stillegung
»unrentabler« Betriebe, in den Republiken durchzusetzen. Ein
Schlaglicht auf die verwertungsmäßig völlig blockierte
Situation wirft auch die Meldung, ausländische Kredite zur Entwicklung
der Privatwirtschaft (u.a. von EG und Weltbank) würden bei den
jugoslawischen Banken angehäuft, weil es keine »sinnvollen
Projekte« gebe, in denen zu investieren lohne (NZZ 28.2.90).
Das Jahr 1990 ist gekennzeichnet durch weitere Zuspitzung der
vorhandenen Widersprüche: die herrschende politische Klasse der beiden
Westrepubliken treiben ihre Unabhängigkeit weiter voran (*FN 4),
unterstützen aber das Markovic-Regime in der Umsetzung der
IWF-Austeritypolitik; das serbische Regime stellt sich an die Spitze der
Reformgegner, agitiert gegen Lohnraub und Verarmung (NZZ 9.9.90) und fordert
nach wie vor eine »Föderation« mit starker Zentralregierung
(Spiegel 9.7.90); die Bundesregierung ruft zu »Einheit und
Geschlossenheit« auf, will mehr Macht zur Durchsetzung einer
kapitalistisch ausgerichteten Marktwirtschaft und wird dabei von EG und USA
unterstützt.
Bis zum Ende des Jahres spitzt sich die Spaltung Jugoslawiens in zwei
Lager, »ein westlich-bürgerliches und ein
östlich-sozialistisches« (NZZ 25.12.90) weiter zu; dabei geht es
im Kern um die eskalierte Auseinandersetzung der den Verlust ihrer Macht und
Privilegien fürchtenden herrschenden politischen Klassen um die
effektivere Variante zur Steigerung der Produktivität und Akkumulation.
Inzwischen hat der IWF die Auszahlung von vereinbarten Abschlagszahlungen
gestoppt (NZZ 25.10.90), und noch immer verschulden sich die Betriebe
weiter, um Konkursen auszuweichen (NZZ 25.10.90). Im Januar '91 durchkreuzt
das serbische Regime bewußt die vereinbarten IWF-Auflagen, indem es
die Notenpresse anschmeißt und damit auf Kosten höherer
Inflationsraten staatliche Defizite ausgleicht. März/April `91
eskaliert die Krise »von der Erosion zur Explosion« (NZZ
10.3.91). IWF und Pariser Club verlangen ultimativ, die Bundesregierung
solle endlich einen Mechanismus zur Durchsetzung der brutalen
Reformmaßnahmen vorweisen, wozu Markovic nicht in der Lage ist (NZZ
6.3.91). Kurz zuvor hatte die serbische Regierung sogar eine Rückkehr
zu realsozialistischen Wirtschaftspraktiken gefordert (NZZ 8.2.91). Die
sozialpolitische Situation ist dramatisch: 1662 Betriebe mit 725.000
ArbeiterInnen stehen vor dem Konkurs, weiteren 6.000 mit über 2 Mio.
ArbeiterInnen droht das gleiche Schicksal; hunderttausenden, v.a. in Serbien
und Kroatien, wurden seit Monaten die Löhne nicht ausgezahlt; in allen
Republiken gibt es Streiks, Mitte März in Belgrad eine
Massendemonstration gegen die serbische Regierung; die Gesamtstaatskassen
sind leer und die Teilrepubliken zahlen nicht mehr ein (NZZ 6.3.91). Das
Staatspräsidium, höchstes Entscheidungsgremium auf Bundesebene,
funktioniert nicht mehr, erst auf Druck der EG kommt es zu einem Treffen der
Republikchefs (NZZ 19.3.91). Die jugoslawische Regierung braucht unbedingt
Kredite von den internationalen Kapitalmärkten, sonst ist die
Außenliquidität gefährdet (NZZ 29.3.91). Jeffrey Sachs
wechselt von Belgrad nach Ljubljana, weil er die Einführung einer
Marktwirtschaft für ganz Jugoslawien abgeschrieben hat, sie aber
für Slowenien und Kroatien für möglich hält (NZZ
24.4.91). Wegen der unklaren politischen Lage storniert der IWF die Anfang
`91 vereinbarten Kredite (SZ 1.6.91). Die serbische Führung versucht,
Regierungschef Markovic zu stürzen, scheitert aber (HB 1.6.91).
... zum Krieg
Die Darstellung der Entwicklung bis Mitte '91 sollte deutlich machen,
was gemeint ist, wenn aus imperialistischer Blickrichtung von
»gesellschaftlicher Blockade« die Rede ist. Die Blockade war
eine doppelte: die soziale Widerständigkeit verhindert alle Angriffe
zur Anhebung der gesellschaftlichen Produktivität, und die herrschende
politische Klasse ist aus den verschiedensten o.g. Gründen nicht in der
Lage, sich auf koordinierte soziale Angrifflinien zu einigen. So zielten die
EG/US Einflußnahmen in der Phase 90/91 zunächst noch auf eine
Neuordnung der staatlichen Machtorganisierung, um die geplanten
kapitalistischen Reformen überhaupt »effektiv« durchsetzen
zu können.
Bis Juli '91, also bis zum Beginn der ersten militärischen
Auseinandersetzungen in Slowenien, unterstützen USA und EG wie zuvor
das Konzept der Zentralregierung in Belgrad und drängten die
verschiedenen Republikführungen mit Kreditversprechungen bzw. der
Ankündigung forcierter EG-Assoziierungsverhandlungen, sich auf dieses
Konzept zu einigen und »nationalistische Alleingänge« zu
unterlassen, womit sowohl die kroatischen und slowenischen
Unabhängigkeitsbestrebungen wie die nationalistisch-sozialistische
Politik der serbischen Führung gemeint waren. Letztere wurde v.a von
den USA immer wieder als besonderer Störfaktor kritisiert (u.a. NZZ
22.6.91).(5)
Dieser Kurs begründet sich aus dem Interesse der internationalen
Gläubiger an einer geregelten Schuldenrückzahlung und aus der
Befürchtung, eine Revision der Grenzen Jugoslawiens könnte weitere
unkalkulierbare Entwicklungen in anderen Teilen Osteuropas und besonders in
der Ex-Sowjetunion nach sich ziehen. Wohl wurde über
Neuordnungsszenarien diskutiert, aber noch war nicht abzusehen, wie ein
solcher Neuordnungsprozeß in kontrollierten Bahnen zu vollziehen
wäre (5a).
Bestärkt durch die offizielle Haltung von EG und US-Regierungen,
wobei letztere sogar ihr Einverständnis zu einer begrenzten
militärischen Aktion signalisiert hatte (FN 5b), reagierte die
Markovic-Regierung mit der Entsendung von JNA- und Polizeieinheiten auf die
slowenische Unabhängigkeitserklärung vom 26.5.91, um die
Sezessionsbestrebungen zu beenden. Die Aktion sollte nicht den Charakter
einer regelrechten militärischen Auseinandersetzung bekommen, weitete
sich aber zu einer solchen aus, nachdem slowenische Territorialeinheiten das
Feuer auf die praktisch unbewaffneten JNA-Soldaten eröffnet hatten. Im
darauf folgenden sieben Tage währenden Waffengang unter Einsatz
schwerer Waffen (mit Jagdflugzeugen und Panzern) erwies sich die JNA als zu
desorganisiert, dem slowenischen Alleingang kurzfristig ein Ende zu setzen;
die »Jugoslawische Volksarmee« - schließlich eine der
größten Armeen Europas, traditionell ein nicht nur
militärisch gewichtiger Faktor der jugoslawischen Gesellschaft und
neben der Bundespolizei einzig verbliebene Machtstütze der Belgrader
Zentralregierung - hatte »versagt«, »ihr Mythos als
Garantie der Einheit Jugoslawiens ist in seinen Grundfesten
erschüttert« (NZZ 9.7.91). (6)
EG/USA schwenkten in Anbetracht der unerwartet eklatanten Schwäche
der bundesstaatlichen Institutionen, auf die sie bisher gesetzt hatten,
sofort um: sie verlangten die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen,
und mit dem unter EG-Leitung zustandegekommenen »Abkommen von
Brioni« ist das alte Zentralstaatskonzept
(»Föderation«) vom Tisch, und die Abtrennung Sloweniens
schon fast besiegelt (7).
Durch die Konfrontation in Slowenien überdeckt, eskalierten in der
Zwischenzeit weitere Entwicklungen. Wie das neue slowenische Regime hatte
sich auch das kroatische schon seit längerer Zeit aus Beständen
der JNA und auf den internationalen Märkten mit Waffen eingedeckt und
mit dem Aufbau einer eigener Armee (»kroatische Nationalgarde«)
begonnen - dafür kam der 4 Mia.$-Kredit (Zinssatz: o,7%!) des Vatikans
an die kroatische Regierung sicher nicht ungelegen (taz 11.2.91). Seit
März d.J. war es wiederholt zu bewaffneten Auseinandersetzungen
zwischen kroatischen und serbischen Polizeieinheiten gekommen. Schon Mitte
Juli `91 (!) werden erstmals Gespräche zwischen dem kroatischen
Regierungschef Tudjman und Milosevic über eine Aufteilung
Bosnien-Hercegowinas bekannt. (8)
Obwohl diese Entwicklungen allgemein bekannt waren, übte keine
westliche Regierung nennenswerten Druck auf die Republikführungen aus,
die sich anbahnende militärische Eskalation zu stoppen.
Das Scheitern der JNA in Slowenien verdeutlichte auf eindrucksvolle
Weise die Schwäche der bisherigen jugoslawischen
Regulationsmechanismen, die auch nicht imstande sein würden, die
sozialen Konfliktualitäten, die sich ja gerade auch im JNA-Desaster
ausgedrückt hatten, zu beherrschen - auch ein zentral gesteuerter
Putsch durch die JNA »zur Rettung der Nation« schied nun
endgültig als Möglichkeit aus.
Von nun an plädierten USA und EG-Mehrheit für eine
»Konföderation« in Analogie zum EG-Modell, während die
BRD-Regierung schon jetzt die Formel vom »Minderheitenschutz und dem
Selbstbestimmungsrecht der Völker« in die internationale Debatte
einbringt. (NZZ 30.6.91)(9)
»Neuordnung Europas« und die Jugoslawien-Politik des
BRD-Regimes
Ab dem Moment der Niederlage der letzten gesamtjugoslawischen
Institutionen zielte die BRD-Regierung auf die Zerschlagung des
jugoslawischen Staates und setzte die Loslösung der slowenischen und
kroatischen Republik sowie deren projektierte EG-Anbindung gegen andere
imperialistische Konzepte offensiv durch. Bei diesem Vorgehen konnte sie
sich auf einen Konsens mit der Mehrheit der staatstragenden Opposition
stützen.(FN 10) Schon vorher hatte das BRD-Außenministerium
insbesondere die kroatische Regierung auf inoffiziellen Wegen dazu ermutigt,
die Föderation zu verlassen und die Unabhängigkeit zu
erklären (vgl. konkret 6/93). Letztlich gelang es der BRD-Führung
Ende '91, andere EG-Regierungen mit politischen Tauschgeschäften im
Zusammenhang mit den Maastrichter Verträgen auf BRD-Linie zu bringen.
(11)
Die BRD-Politik der forcierten Installierung eines slowenischen und
kroatischen Staates eskalierte die einzelnen bewaffneten
Auseinandersetzungen in den überwiegend von der sog.«serbischen
Minderheit« bewohnten Gebieten in Kroatien zu einem
»low-intensity«-Krieg mit Bevölkerungvertreibungen und
»ethnischen Säuberungen«. Mit der mehrfach ausgesprochenen
Anerkennungsdrohung erhielt die kroatischen Führung den nötigen
Rückhalt - auch gegen die Opposition in Kroatien -, den Krieg
weiterzuführen und seinerseits zu eskalieren.(12), was wiederum dazu
benutzt wurde, die Unabhängigkeit als einzige
»Konfliktlösung« zu propagieren. Die Formulierung des
damaligen BRD-Außenministers Genscher, mit jedem Schuß
rücke die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens näher, bringt das
zynische Kalkül treffend auf den Punkt.
Das »Recht auf Selbstbestimmung«, das in der
öffentlichen Debatte immer wieder als Legitimationskonstrukt
bemüht wurde, und das damit (meist völkisch begründete)
Nationalstaatskonzept implizieren eine Logik, die unweigerlich zu einer
Auseinandersetzung um Zugehörigkeit, aber auch Ausschluß von
Teilen der Gesellschaft und zu konkurrierenden Ansprüchen auf
Ressourcen führen muß - entlang willkürlich definierter
ethnischer, nationalistischer, religiöser ... Kriterien, die jegliche
sozialen Widersprüche in den Hintergrund drängen sollen. Und
tatsächlich gelang es in Kroatien, in der Vorkriegszeit ein Schwerpunkt
der Streik- und Protestbewegung gegen die Austeritypolitik, mit dem Krieg
einen weitgehenden nationalen Konsens herzustellen, so daß soziale
Forderungen hintangestellt wurden ( vgl. Süd-Ost-Dialog 3/92).
Inzwischen ist in fast allen Betrieben durch Verstaatlichung als
Zwischenschritt zur zukünftigen Privatisierung die
»Arbeiterselbstverwaltung«, ein Ausdruck der jugoslawischen
Akkumulationsblockade, ausgehebelt.
Mit der massiven Protegierung des Tudjman-Regimes und seiner nicht ohne
Grund als »klerikal-faschistisch« bezeichneten politischen
Sozialordnungskonzepte (13) kalkulierte die BRD-Politik eine
Verschärfung der nationalistisch-ethnisch formierten Konfrontation auch
in Bosnien-Herzgowina ein - selbst der damalige EG-Vermittler Carrington
wies Ende '91 darauf hin, daß »mit der Anerkennung Kroatiens die
Zündschnur des Krieges nach Bosnien gelegt werde«. (Zeit
11.12.92) Auch gab es von der BRD-Regierung zu den seit März '91
regelmäßig stattfindenden serbo-kroatischen Verhandlungen
über die Aufteilung Bosnien-Hercegowinas nie ein Wort der Kritik an
»ihrem Schützling«.
Parallel zur Erosion der sozialistischen Regimes und der sich nun
vollziehenden »Öffnung der Räume« für den
inwertsetzenden kapitalistischen Zugriff auf Osteuropa verlagerte sich die
strategische Ausrichtung des BRD-Imperialismus dahin, nicht mehr bloß
tonangebender Faktor innerhalb der EG, sondern auch »führend in
der Neuordnung Osteuropas« zu werden.
Beginnend mit der »Ostpolitik« der SPD Anfang der 70er Jahre
hatten sich BRD-Konzerne den mit Abstand größten Anteil an den
Geschäften mit den sozialistischen Regimes gesichert. Seit Mitte der
80er Jahre ging es nun um den Ausbau politökonomischer
Abhängigkeiten zur Organisation des Werttransfers aus der
neuzuerschließenden Peripherie in die Zentren der Akkumulation. Um
diesen Prozess zu gewährleisten, mußte das BRD-Regime - in
geringerem Umfang auch im Rahmen von EG-Programmen - mit einem gigantischen
»deficit spending« (staatliche Verschuldung für
Neuinvestitionen etc.) und mit Privatbankkrediten Projekte zur Deregulierung
und Neuzusammensetzung der osteuropäischen Ökonomien und für
Elemente begrenzter sozialer Abfederung (z.B. in der Ex-DDR) finanzieren;
allein die GUS-Regierungen wurden bis Anfang '92 mit ca. 72 Mia.DM
kreditiert. Parallel wurde die Anbindung über EG-Handels- und
Kooperationsverträge sowie Assoziierungsabkommen vorangetrieben.(FN 14)
Das starke Engagement in Osteuropa setzt das BRD-Kapital unter Druck, alle
Möglichkeiten der Beschleunigung des Transformationsprozesses zu
sondieren und ggf. forcierend einzugreifen (z.B. der Versuch einer freien
Produktionszone Kaliningrad, die Anerkennungsoffensive im Baltikum, die
Separatverhandlungen mit dem Ukrainischen Regime, das Projekt Deutsche
Wolgarepublik). Denn bis jetzt ist nicht erkennbar, daß es zu
umfangreicheren BRD-Investitionen, außer z.T. in der Tschechischen
Rpublik, gekommen wäre. Im Gegenteil wird über das langsame Tempo
des »Reformprozesses« in Osteuropa lamentiert.
Ex-Jugoslawien hatte für das BRD-Kapital die Funktion eines
Standorts »passiver Lohnveredelung«, d.h. Weiterverarbeitung in
der »low-tech«-Produktion zu Niedriglöhnen, z.B. im Stahl-,
Elektrogeräte- und Textilbereich. »Fast ein Drittel der im
deutschen Auftrag im Ausland gefertigten Bekleidung - also Waren im Werte
von 2,2 Mia. DM kam 1990 aus dem Balkanstaat.« (Wirtschaftswoche
9.8.91) 1988 gab es über 300 umfangreichere Joint-Venture-Abkommen mit
BRD-Firmen (Razumovsky, 1991). Die jugoslawischen Gesamtexporte in die BRD
betrugen 1990 7,3 Mia. DM, die Importe 8,3 DM. Der größeren
Weltmarkteinbindung der Ökonomien Kroatiens und Sloweniens entsprechend
war/ist auch die Bedeutung diser Region für das BRD-Kapital. Auch
besteht der größte Anteil der jugoslawischen Auslandsverschuldung
aus Krediten von BRD-Staat und -Banken.
Das Osteuropa-Projekt ist dem BRD-Kapital von solcher Wichtigkeit,
daß im Sommer '93 darüber wesentliche Elemente der Maastrichter
EG-Verträge gekippt wurden: trotz der hohen Staatsverschuldung, v.a.
wegen der Ostkreditierung, hielt die Bundesbank die Zinsen für die DM
hoch, um die internationalen Kapitalströme weiter zur Finanzierung
neuer Investitionen in die BRD zu lenken; das Europäische
Währungssystem (EWS), Vorstufe zum »Herzstück« der
Einigungsverträge, der geplanten Währungsunion mit
Einheitswährung, wurde zum Platzen gebracht, die »starke
DM« aber wird Leitwährung bleiben, mit allen damit verbundenen
finanzpolitischen Vorteilen gegenüber anderen westeuropäischen
Ökonomien (ähnlich wie beim US-Dollar).
Wahrscheinlich war dies der erste Schritt zu einem schon seit geraumer
Zeit diskutierten »Europa der zwei Geschwindigkeiten«: eine
Gruppe von Staaten, die ihre Finanz- und Sozialpolitik schrittweise
angleichen und evtl. eine »Kern-EWS« bilden (FN 15); abgekoppelt
würden die südeuropäischen Staaten, deren Regime nicht in der
Lage sind, dem sozialen Druck gegen Einkommenssenkungen und
Produktivitätssteigerungen standzuhalten. »Im Klartext: Die
Reicheren im Norden werden nicht haften für eine zu expansive
Finanzpolitik und eine überzogene Lohnpolitik im Süden der EG.
(...) De facto heißt das: auf mittlere Sicht keine Chance für
Griechenland, Italien und Portugal, (...) und große Schwierigkeiten
für Spanien und Belgien«, so der IHK-Vorsitzende H.P. Stihl. Zur
Zukunft Osteuropas in seinem Szenario: »Polen, Ungarn und die
frühere Tschechoslowakei sind der Gemeinschaft `assoziiert', also
handelspolitisch eingebunden. Länder wie Estland, Lettland, Littauen
und Slowenien werden folgen. (...) (Sie) sind auch als Produktionsstandorte
interessant: sie liegen nah an der EG, die Türen in die EG sind dank
der Assoziierungsabkommen weitgehend offen, die Arbeitnehmerschaft ist
qualifizierungsfähig, Steuern und Löhne sind niedrig.«
Für Europa insgesamt« (...) muß ein Nebeneinander
unterschiedlicher Integrationstiefen - nach dem Muster `konzentrischer
Kreise' - der Fortentwicklung der Gemeinschaft keineswegs abträglich
sein.« (16)
Im Zentrum die BRD: »Unsere Zukunft als Industrieland ist der
eines Systemkopfs, aber nicht die eines Herstellers von Profilstahl und
Hemdennähers«, so Roland Berger, führender
Unternehmensberater. Auf die Frage, welches Land er für eine
lohnintensive Fertigung empfehlen wüde: »Für mich kommt
derzeit die Tschechoslowakei in Frage, bei klaren politischen
Verhältnissen auch Ungarn, Polen und das Baltikum. Die Löhne dort
werden nicht so schnell steigen wie in den westlichen
Niedriglohnländern Spanien, Portugal und Irland.« (17)
Was hier nur grob skizziert werden kann, zeichnet sich als Projekt des
BRD-Imperialismus der 90er Jahre ab. Ex-Außenminister
Genscher:«Jetzt geht es darum, eine neue Ordnung für ganz Europa
zu schaffen.« (WamS 16.10.91) Diese »neue Ordnung«
erinnert nicht von ungefähr an die seit den 20er Jahren entwickelten
Planungen vom »Großraum«, die der NS mit seinen
Eroberungs- und Vernichtungsfeldzügen umzusetzen trachtete. (18)
»Eine Reihe der klassischen Regulationsmechanismen im
Großraum tauchen wieder auf: regionale Leitwährungen, gestaffelte
Verwertungsintensität und gestaffelte Masseneinkommen (...) ; im
Unterschied zu den 30er Jahren gibt es keinen New Deal, sondern eine
Deregulation des Sozialstandards, so daß die regionalen Standorte
dezentral um die soziale Rentabilität konkurrieren.« (Thesen zu
EG '92, Redaktion Materialien Mai 1992)
Und ähnlich der NS-Strategie werden in Staaten, die keine homogene
Gesllschaftsstruktur aufweisen, sondern regionale Arbeitsteilungen
entwickelt haben, die Regionen herausgelöst und enger angebunden, die
bestimmte Verwertungskriterien erfüllen: die baltischen Staaten aus der
Ex-SU, Slowenien und Kroatien aus Ex-Jugoslawien.
Und die nächsten Schritte zur Organisierung des Werttransfers aus
Slowenien folgten schon: sog. Kooperationsabkommen zur
»Exporterleichterung« in die EG (NZZ 7.4.93) und
EG-Umstrukturierungs-Förderprogramme (FR 12.8.92), eine engere
EG-Assoziierung ist bereits angekündigt.
Vor diesem Hintergrund der Europa-Neuordnungspläne erklärt
sich der »Alleingang« der BRD-Diplomatie innerhalb der EG in
Bezug auf die Zerschlagung des jugoslawischen Staates: die Gunst der Stunde
nutzend, forcierte das BRD-Regime die Lostrennung der beiden Nordrepubliken,
um in diesem Teil Osteuropas (endlich) den kapitalistischen
Umstrukturierungsprozess seiner sozialen Blockierungen zu entledigen - dabei
wurde gezielt an die ethnisch-nationalistische Konfrontationsdynamik
angeknüpft und diese zum Krieg gesteigert.
Erste Kriegsgewinne deuten sich an: unter der Überschrift
»Siemens kauft Kroatien« wird in der Zeitschrift
Süd-Ost-Dialog (12/92) berichtet, Siemens plane den Ankauf von
kroatischen Staatsobligationen (=staatliche Schuldscheine) im Wert von 3
Mia.$ (!). Diese Obligationen kann der BRD-Konzern in großem Stil
gegen profitable kroatische Anlagen eintauschen. Schon hat Siemens sein Auge
auf den Energiesektor geworfen. Der kroatische Siemensdirektor im Interview:
»Der Wert der Energie beträgt 45% des kroatischen
Bruttosozialprodukts. Die Energie ist das Vis Vitalis Kroatiens. Hier wird
sich Siemens sicher maximal engagieren.«
Imperialistische Moderation des Vernichtungs- und
Vertreibungskrieges in Bosnien
Es fällt auf, daß im Unterschied zur Auseinandersetzung um
die Zukunft des jugoslawischen Staates es in Bezug auf Bosnien-Hercegowina
keine grundsätzlich differierenden imperialistischen Vorstellungen gab.
Offenbar herrschte eine gewisse Übereinstimmung, nach der einmal
erfolgten Durchsetzung der Ethnisierung des Sozialen im Krieg die
»pluriethnische« bosnische Gesellschaft für ein
Neuordnungsszenario im Balkanraum zu opfern, von dem perspektivisch stabile
Verwertungsbedingungen zu erwarten sein würden. Dieses Szenario scheint
keineswegs ein statisches zu sein, sondern aus bevölkerungs- und
ordnungspolitischen Vorstellungen und den für uns so wenig sichtbaren
Formen von Widerstand in der Verlaufsform des Krieges sich
herauszubilden.
Der Krieg als Zerstörungs- und Neuordnungsinstrument allerdings
sollte in modifizierten Bahnen verlaufen: die regionale Begrenzung und
Steuerbarkeit mußte gewährleistet bleiben - die Befürchtung,
ein Krieg in Ex-Jugoslawien könne sich unkontrolliert weiter
ausbreiten, war zuvor ein Argument u.a. der US-Administration gegen die
BRD-Eskalationspolitik gewesen. Zu diesem Zweck durfte ein gewisses Niveau
an militärischen Mitteln nicht überschritten werden (wie z.B.
Flächenbombardements der Luftwaffe oder größere
Panzereinsätze). Maßgeblicher für den
»low-intensity«-Charakter des Krieges ist jedoch, daß es
sich nur sekundär um eine militärische Konfrontation
konkurrierender Mächte handelt, sondern viel mehr um Terrorisierung,
Vertreibung und Ermordung bestimmter Gruppen der Gesellschaft. (dazu Kapitel
V) »Die sog. »ethnische Säuberung« ist nicht Folge,
sondern Ziel deses Krieges.« (19)
Im folgenden einige der wesentlichen Elemente imperialistischer
Steuerung des Krieges in Bosnien:
-Anerkennungspolitik gegen Bosnien
Nach den Wahlen in Bosnien-Hercegowina im November 1990, die die drei,
nach ethnischen Kriterien gegründeten Parteien gewonnen hatten (19a),
bildeten diese eine Koalition. Ein Viertel der Stimmen war auf Gruppen
entfallen, die jedes ethnische Etikett verweigerten, und 20% der
WählerInnen hatten sich enthalten. In der Folgezeit setzte eine
Aufteilung aller von dieser Koalition eroberten Ämter und Positionen im
Staatsapparat je nach ethnischen Mehrheiten in den jeweiligen Ortschaften
bzw. Städten ein. »Dieses auf dem Kriterium der Ethnizität
fußende Konzept bereitete der Zerstückelung des Landes und dem
darauf folgenden Krieg den Weg.« (Dizdarevic , 20) Unter dem
Einfluß des »serbo-kroatischen« Krieges setzten die
nationalistischen Bewegungen ihre Formierung im Laufe des Jahres '91 weiter
fort: Bildung von vier »autonomen serbischen Gebieten« gegen den
Willen derjenigen, die sich nicht darunter subsummieren lassen wollten; v.a.
hier Aufstellung paramilitärischer Formationen - laut der
oppositionellen Belgrader Zeitung Vreme sind schon 250.000 Personen legal
oder illegal mit Waffen ausgerüstet worden; Einmarsch von Einheiten der
JNA (Jugoslawische Volksarmee), die zum großen Teil in mehrheitlich
von »SerbInnen« bewohnten Ortschaften stationiert werden. (NZZ
3.10.91) Als Reaktion auf diese Tendenzen war aber auch eine breite Bewegung
gegen Krieg und Nationalismus entstanden. »Zahlreiche Meinungsumfragen
haben im Laufe der Jahre '90 und '91 eine deutliche Feinseligkeit
gegenüber den neuen Machteliten zum Vorschein gebracht. Nach einer
landesweiten Umfrage vom Mai 1990 waren 71% der Befragten gegenüber den
'Institutionen und Parteien, die nach nationalen Kriterien gegründet
wurden'ablehnend eingestellt.« (Dizdarevic, ebd.) Gegen Jahresende '91
kommt es zu ersten Konfrontationen verschiedener Milizen. In dieser Zeit
»wurde das Projekt der 'Kantonisierung'vorgestellt, und es folgt eine
wahre »Kartomanie«, wobei sich jeder bemühte, eine
'gute'ethnische Unterteilung vorzuschlagen. Zum großen Entsetzen der
Oppositionsparteien, der Friedensbewegung und der Bürger,
Berufsverbände und Nichtregierungsorganisationen wurde dieser Gedanke
von der Europäischen Gemeinschaft auf der Lissaboner Konferenz im
Februar '92 aufgegriffen.« (Dizdarevic) Schon hatten sog. Experten
errechnet, daß rund 2 Millionen Menschen umgesiedelt werden
müßten, wenn »nur halbwegs national homogene
Regionen« geschaffen würden. (taz 27.2.92)
Die nationalistisch aufgeladene Situation wird durch die
EG-«Friedens«politik von zwei Seiten her verschärft: das
(faschistische) bevölkerungspolitische Prinzip der nationalistischen
Parteien, Siedlungsgebiete nach einer konstruierten ethnischen Zuordnung
aufzuteilen, wird übernommen und zur Grundlage weiterer
»Lösungen« und Verhandlungen gemacht - parallel wird die
bosnische Regierung dazu gedrängt, die Anerkennung als Nationalstaat
für Bosnien-Hercegowina anzustreben. Diese beiden von der EG-Diplomatie
verfolgten (sich widersprechenden) Linien lieferte den Protagonisten
militärischer Aufteilungspläne die Legitimation fürs
Zuschlagen.
»Die Regierung Bosniens flehte denn auch darum, ihre Republik
zunächst noch nicht völkerrechtlich aufzuwerten. Es half ihr
nichts. Die EG verlangte ein Referendum über die
Unabhängigkeit.« (Zeit 11.12.92) Es wird am 29.2./1.3.92 mit
einem Ergebnis im Sinne der EG durchgeführt.( 21)
Obwohl die bosnische Regierung wegen der drohenden Konflikte
verabredete, die Ausrufung der Unabhängigkeit aufzuschieben, ruft sie
Präsident Izetbegovic am 3.3.92 dennoch aus. Der Alleingang
Izetbegovics ist wohl damit zu erklären, daß er von dem damaligen
US-Außenminister Baker zu diesem Schritt ermuntert worden war und
dafür bestimmte Zusagen erhalten hat, die allerdings vom nachfolgenden
US-Außenminister Eagleburger (Angehöriger der sog.
»Belgrad-Connection« in Washington) nicht eingehalten wurden.
(taz 21.6.93)
»Der Konflikt zwischen den beiden Bosnien, von denen sich das eine
auf die zivile, multiethnische und laizistische Gesellschaft berief, das
andere auf den Nationalismus, erreichte im März und Anfang April seinen
Höhepunkt. Am 2. und 3.März (dem Tag der
Unabhängigkeitserklärung) errichtete die Serbische Demokratische
Partei (SDS). Barrikaden in Sarajewo, worin ihr bald ihre beiden `Partner'
in der Koalition folgten. Tausenden von Demonstranten aller
Nationalitäten gelang es, waffenlos die Straßen der Hauptstadt
wieder freizuräumen. Im Laufe der folgenden Tage gingen zehntausend der
Bürger in der ganzen Republik und vor dem Parlament auf die
Straße, um ihre Verbundenheit mit der Integrität des Landes
auszudrücken. Dieser letzte Ausdruck massiver Feindseligkeit
gegenüber der Dreiparteien-Koalition, der Unterstützung des
laizistischen Gedankens und einer friedlichen Lösung wurde von
vereinzelten Schützen' der SDP aufgelöst und von der
internationalen Gemeinschaft ignoriert: der Krieg konnte beginnen.«
(Dizdarevic) Am gleichen Tag schlagen Milizen der Parteien auch in anderen
Regionen zu.
Im März '92 finden weitere Verhandlungen über die Aufteilung
unter EG-Vermittlung statt, bei denen sich die Führungen der drei
Parteien nicht einigen. Durch die Debatte über
»Kantonsgrenzen« forciert, weiten sich die militärischen
Aktionen aus. Am ersten Aprilwochenende kommt es in mehreren Städten
und Regionen zu Kämpfen mit mehreren hundert Toten zwischen den
rivalisierenden Gruppen (FR 7.4.92). Heckenschützen schießen in
eine antimilitaristische Großdemonstration in Sarajewo. »Die
Eskalation der Gewalt wird allgemein in Zusammenhang gebracht mit der
möglichen Anerkennung Bosnien-Hercegowinas durch die Staaten der EG,
deren Außenminister ausgerechnet am 6.April, dem Jahrestag des
Angriffs Hitlers auf Jugoslawien im Jahre 1941, diese Frage
erörtern.« (NZZ 7.4.92) Am 7.4.92 wird Bosnien-Hercegowina von EG
- die BRD-Regierung hatte sich wieder besonders profiliert (FR 7.4.92) - und
den USA als selbständiger Staat anerkannt. Die Auflösung
Jugoslawiens war endgültig besiegelt. (NZZ 9.4.92) Kurz darauf gehen
jugoslawisch/serbische Artillerie-Einheiten ungestört von
internationalen Protesten in den Bergen um Sarajewo in Stellung. (FR
21.7.93)
Etwa zeitgleich, Anfang April '92, werden die ersten UNPROFOR-Soldaten
in den drei »serbisch-kroatischen« Konfliktgebieten stationiert.
Die dadurch freiwerdenden Truppenverbände der JNA und kroatische
Verbände werden sukzessive nach Bosnien verlegt und unterstützen
die dort kämpfenden Milizen.
Endgültig wird zur Gewissheit, daß die kroatischen und
serbischen Machthaber nicht den Schutz nationaler Minderheiten bezwecken,
wie sie behaupten, sondern einen »Eroberungsfeldzug« zur
»Aufteilung und Einverleibung« Bosniens führen,
worüber sie sich in seit März '91 stattfindenden
»geheimen« Treffen abzustimmen versuchten (Borba, in Spiegel
20.4.92). Allerdings war man sich lange nicht über die Details einig
geworden, um die es z.T. bis heute weitere militärische
Auseinandersetzungen gibt. (u.a. ak 3.6.92)
Inzwischen sind etwa 1,3 Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht
worden - das BRD-Regime will mit einer verschärften Visumspflicht
verhindern, daß bosnische Flüchtlinge in die BRD kommen. (WAZ
21.5.92)
UNO-Einsatz und Embargopolitik
In der öffentlichen Debatte um kriegsbeendende Interventionen
wurden regelmäßig Boykottmaßnahmen gefordert. Seit Juli '91
gibt es ein Waffenembargo gegen alle jugoslawischen Republiken. Dies ist
insofern irrelevant, weil insbesondere in serbischen und bosnischen Republik
genügend Vorräte an Waffen und Munition vorhanden sind - hier
befanden sich 60% bzw. 40% der Rüstungsproduktion, des
größten Industriesektors Ex-Jugoslawiens. (22)
»Bisher hat die EG bloß die Vergünstigungen aus
Handelsabkommen mit dem alten Jugoslawien gestrichen.« (NZZ 17.5.92)
Ein umfassendes Handelsembargo, anfangs gegen alle Republiken, später
nur gegen »Restjugoslawien«(BRJ) am 31.5.92 von der UNO
verhängt, wird von einzelnen Nachbarstaaten »durchbrochen«.
Es wird aber v.a. dadurch konterkariert, daß das von den Sanktionen
nicht betroffene Bosnien schon bald zu 50% von serbischen Militär und
Milizen kontrolliert wird. Dieser Importweg über die besetzten Gebiete
liegt somit in deren Hand. In Anbetracht der zunehmend schlechter werdenden
Versorgungslage und den rasant steigenden Preisen in Serbien werden sie
diese Umstände sicher nutzen, ihre Kriegskassen aufzufüllen. Diese
Form des von imperialistischen Gremien verordneten Embargos scheint den
kriegführenden Parteien wohl wenig zu schaden, sondern z.T. sogar zu
nutzen.Getroffen wird v.a. die Bevölkerung Serbiens, die in ihren
Existenzgrundlagen angegriffen wird. Auch werden oppositionelle Bewegungen
eher geschwächt, denn das Regime kann Ausnahmezustände und
Notmaßnahmen mit dem Hinweis auf das Embargo begründen,
außerdem fehlen ihnen dadurch Materialien, die zur politischen Arbeit
nötig sind, der Regierung aber nach wie zur Verfügung stehen.
(s.Süd-Ost-Dialog, 8/92)
Weitergehende Sanktionen werden später noch auf UNO-Ebene erwogen,
aber nicht beschlossen. (NZZ 18.4.93) (23)
Die Stationierung von UNO-Truppen verlief in zwei Etappen.
Gemäß dem Anfang '92 ausgehandelten »Friedensplan«
für den »serbo-kroatischen« Krieg mit dem allerdings nicht
alle Verteilungskonkurrenzen geklärt wurden, etablierte die UNO im
April 14.000 Soldaten in sog. Schutzzonen. Doch die vorgesehene
Entmilitarisierung und Entwaffnung »illegaler« Einheiten findet
kaum statt; die Praxis der »ethnischen Säuberungen« wird in
den »Schutzzonen« unter den Augen der UNPROFOR fortgeführt,
wie die UNO-Truppen heißen, weiterhin fortgeführt; von geflohenen
Familien verlassene Häuser werden geplündert; UNO-Soldaten bessern
ihr Gehalt durch Waffen- und Munitionsverkäufe an Milizen auf; in einer
internen Bilanz sieht die UNPROFOR den »Friedensplan« und das
Konzept der »Schutzzonen« als gescheitert an. Dennoch wird ihr
Mandat verlängert. (Zeit 16.4.93)
Im Mai '93 werden 1.500 , im November nochmal 5.500 UNO-Soldaten nach
Bosnien entsandt. Ihr Auftrag besteht darin, den Flughafen von Sarajewo und
die Auslieferung »humanitärer Hilfsgüter« abzusichern.
Doch ob die Hilfslieferungen ankommen, hängt vom Willen der die
Straßen kontrollierenden Milizen ab. (Zeit 16.4.93) Anfang Juni werden
im Rahmen des »Bosnien-Plans« von EG und USA acht bosnische
Städte zu UN-Schutzzonen erklärt, die von der UNPROFOR gesichert
werden sollen.
Das von der UNO verhängte Flugverbot über Bosnien (vom
9.10.92) ist praktisch gegenstandslos, weil die belagerten Städte und
Ortschaften zur Vertreibung der BewohnerInnen v.a. mit Bodenwaffen
beschossen werden.
Um die Kampfhandlungen ganz zu beenden, so haben Friedensforscher
errechnet, müßten 100.000 »Blauhelme« eingesetzt
werden. (taz 11.5.93) Daß das nicht passiert, liegt nicht etwa an
mangelnden Mitteln der »Weltorganisation« (24). Sondern der
Zweck des UNO-Beteiligung besteht allein in der Legitimierung der
interventionistischen Moderation zur regionalen Eingrenzung und dosierten
Weiterführung der Kampfhandlungen, in der Kontrolle und Steuerung des
»unkrontrollierten« low-intensity- und Bandenkriegs.
Die Verhandlungspolitik
Nach dem sog. Vance-Owen-Plan, am 4.1.93 erstmals vorgestellt, soll
Bosnien in zehn Provinzen aufgeteilt werden. »Diese Teilung entspricht
sicherlich eher der Wirklichkeit und der regionalen Tradition
Bosnien-Hercegowinas, doch ist die vom Plan vorgesehene brutale
Zerstückelung `ein Kompromiß zwischen einer rein ethnischen
Teilung und einer Anerkennung territorialer Gewinne`«, die durch
Vertreibungen und Massaker erzielt wurden. Der Plan sieht außerdem
eine ständige Beteiligung und damit Kontrolle von EG- und
UNO-Vertretern bei allen zukünftigen Schritten staatlicher
Konstituierung und u.a. wichtiger Verkehrswege (!) vor. »Doch ist der
größte Schwachpunkt des Plans, daß er das politische Leben
auf zentraler wie auf regionaler Ebene auf die ethnischen Kräfte
verengt. (...) Nur die drei Parteien werden das Recht haben, ihre Vertreter
(...) in der Zentralregierung zu bestimmen« (alle Zitate Dizdarevic).
Von den zehn Provinzen werden je drei den drei nationalistischen Parteien
zugesprochen, Sarajewo wird gesondert aufgeteilt. Nachdem der Plan
veröffentlicht wird, setzen sofort verstärkte »ethnische
Säuberungen« ein, um die im Plan vorgeschlagenen Provinzgrenzen
zu verschieben (Zeit 25.6.93). So haben z.B. kroatische Milizen begonnen,
»Moslems« aus den ihnen zugedachten Provinzen zu vertreiben. (FR
21.7.93)
Bei unzähligen Verhandlungsrunden um den Plan kommt eine Einigung
nicht zustande, die militärischen Einheiten nutzen den jeweiligen
Zeitgewinn für weitere Vertreibungs- und Eroberungsaktionen.
Schließlich wird der Vance-Owen-Plan als gescheitert verworfen und
Ende Mai '93 ein neuer US/EG-Plan präsentiert: die bisherigen
Annexionen werden offiziell anerkannt, und die Gebiete, in denen
»islamische« bzw. sich einer ethnischen Einordnung verweigernde
Menschen leben sollen, werden auf Ghetto-Zonen in zwei räumlich
getrennten Regionen Zentral- und Nordbosniens reduziert: »Schutzzonen
als Reservate für Bosniens Muslime« (NZZ 25.5.93). Ein solcher
zweigeteilter Staat wäre vollständig von ausländischer Hilfe
abhängig. (Zeit 25.6.93)
»Den einheitlichen bosnischen Staat selbst haben die
EG-Anerkennungspolitik und, auf ihr fußend, der Vance-Owen-Plan aber
zur Fiktion gemacht, ehe das umfassende Erobern, Morden, Vergewaltigen und
`Säubern'noch begann. Sie haben das Prinzip der territorialen
Aufteilung auf ethnischer Basis als Grundlage allen Handelns und
Unterlassens akzeptiert« (FR 2.5.93) - allerdings nicht nur
akzeptiert, sondern ganz offensichtlich so gewollt.
Von nun an wird von seiten der US-und EG-Unterhändler massiver
Druck auf den Vertreter der moslemischen Partei, Izetbegovic, ausgeübt,
den Plan zu unterschreiben. (FN 25)
Unterdessen gehen die Kämpfe weiter, denn auch jetzt ist es wieder
so, daß »für die drei Kriegsparteien die zentrale Frage
ist, wer wie viele Teile von Bosnien-Hercegowina abbekommt. Und darüber
wird im Prinzip nach dem aktuellen Frontverlauf entschieden. Folgerichtig
versuchen alle Parteien, sich auf dem Schlachtfeld noch Verhandlungsmasse zu
erobern.« (SZ 2.8.93)
Schluß
Bis jetzt, Anfang August '93, deutet alles darauf hin, daß die mit
dem Krieg in Ex-Jugoslawien verbundenen Zielsetzungen sich realisieren.
Nicht obwohl, sondern weil dieser Krieg so internationalisiert worden ist,
wie wohl kaum ein anderer: UNO-Sanktionen, EG-Verhandlungen,
Jugoslawien-Konferenzen, Interventionsdrohungen ... täuschten eine
Vielzahl von Aktivitäten vor, dem Krieg ein Ende zu bereiten, und
verlängerten ihn doch nur. Zu viele Interessen verbanden sich mit
seiner Fortführung, und: auf der Seite der Machthabenden konnte es bei
diesem »Krieg gegen die Bevölkerung« keine Verlierer geben
- die isolierte muslimischen Partei ausgenommen. Hinter der
bosnisch/muslimischen bzw. sich einer Ethnisierung verweigernden
Bevölkerung stand keine Regional- oder Weltmacht - so konnte sie mit
einem Krieg überzogen werden, der auf die Eliminierung einer nach
kapitalistischen Verwertungskriterien definierten
»Über(fluß)bevölkerung« zielt.
Die Internationalisierung schaffte die Legitimation für diesen
Rationalisierungskrieg, in dem die Zonierungs- und Verwertungsinteressen des
Imperialismus selbst umgesetzt werden. Sie stärkte zudem die
autoritären Regimes in Kroatien und Serbien (FN 5b), die wahrscheinlich
nichts so sehr fürcht(et)en, wie einen Stillstand der
militärischen Konfrontation, und die jetzt als ebenbürtige
Regionalmächte den Ausgangspunkt für eine (durchaus mit dem Mittel
des Kriegs geführte) Neuordnung des Balkanraums fungieren werden.
Auf dem Hintergrund nationalistischer Formierung und kriegsbedingten
Ausnahmezustandes konnten einige der sozialen und institutionellen
Implikationen, die die »gesellschaftliche Blockade« Jugoslawiens
ausgemacht hatten, ausgehebelt werden. Zu unterschätzen aber ist nicht
die sozialpsychologische Dimension eines solchen Krieges mit seinen
massenhaft begangenen und z.T. unvorstellbaren Grausamkeiten: die
Zerstörung eines kollektiven Verständnisses von
Gesellschaftlichkeit, in der es u.a. als Aufgabe der staatlichen
Institutionen angesehen wird, für eine gesicherte Existenz aller zu
sorgen. Mit der plötzlich hereinbrechenden und totalen Zerrüttung
von Alltagswelten und Bezugssystemen sollen als selbstverständlich
geltende soziale Rechte und Ansprüche auch im Bewußtsein in eine
entfernt liegende Vergangenheit gebannt werden.
Mittlerweile wird für alle ex-sozialistischen Gesellschaften
klagend konstatiert, daß die psychosozialen Voraussetzungen der
Subjekte für eine Wendung des Deregulationsprozesses in eine neue,
kapitalistisch transformierte Produktivität nur äußerst
ungenügend vorhanden seien; denn allein die Umwidmung ehemals
staatlicher Verfügungsgewalt über Produktionsmittel in eine
private, die formale Einführung des Konkurrenzprinzips etc. reicht
nicht. Um neue Formen gesellschaftlicher Rationalität nicht nur
äußerlich durchzusetzen, müssen soziale Einstellungen und
Wertvorstellungen ebenso »umstrukturiert« werden. Die
»Produktivität des Krieges« entlang
ethnisch-nationalistisch konstruierter Konfrontationslinien, wie in
Jugoslawien vor unseren Augen planmäßig von den herrschenden
politischen Klassen in Kooperation mit imperialistischen
Vermittlungsagenturen und einem Großteil der Männer vollzogen,
wird insofern zu einer Rationalisierungsvariante auch für andere
Regionen Osteuropas.
Umsomehr sind wir gezwungen, jenseits der manipulierten
Medienrealität die tatsächlichen antagonistischen Prozesse
herauszufinden, um uns nicht ob der »Unübersichtlichkeiten«
resignierend abzuwenden. Eine auch antiimperialistisch sich begreifende
Politik müßte am Widerstand der Frauen, Flüchtlinge,
Deserteure anknüpfen und sich um Verbindungen zu widerständigen
Organisierungsformen bemühen, aber auch den sich neu formierenden
BRD-Imperialismus jenseits eines »Nie wieder
Deutschlands«-Mythos' zum Gegenstand der analytischen wie praktischen
Auseinandersetzung machen.
1: So gibt es zur US-Balkan-Politik die verschiedensten Spekulationen:
das US-Regime strebe einen starken Einfluß in der Großregion an,
die dem ehemligen Osmanischen Reich einschließlich der südlichen
Balkanländer entspricht - im Mittelpunkt die Türkei als
aufstrebende Regionalmacht und als Brückenkopf zur Schwarzmeerregion
(...). (WOZ 4.9.92) Bei Stärkung Serbiens durch die US-Diplomatie ginge
es darum, den Einfluß der BRD in Südost-Europa einzudämmem
(taz 4.1.93). Insbesondere aus französischen Regierungskreisen wurden
die BRD-Vorstöße als neue Großmachtambitionen scharf
kritisiert.
1a: »Im Kontext sich entwickelnder regionaler Interessen kann der
Krieg auf dem Balkan zu einem entscheidenden politischen Instrumentarium
werden. Ein Hinweis darauf kam kürzlich von Lawrence Eagleburger, dem
amtierenden US-Außenminister, einem Diplomaten, der mehr als viele
andere vom früheren Jugoslawien versteht. Er erwartet, daß
begrenzte Kriege in der einen oder anderen Form langfristig den Charakter
der Politik auf dem Balkan prägen.« WOZ,4.9.92; Siehe dazu auch
»Folgeszenarien der jugoslawischen Auflösungskriege« in:
Blätter f. dt.u. internat.Politik 8/93, S.982 ff.
1b: Trotz »sozialistischer Propaganda«, wegen derer z.B. die
Zeitschrift konkret Sympathien für das serbische Regime entwickelte
ging es auch dem serbischen Regime um die »Hauptaufgabe der
Beseitigung ideologischer Zweifel« (NZZ 28.4.87), auch
»Milosevic ist Befürworter durchgreifender marktwirtschaftlicher
Reformen« (WiWo 28.10.88); eine serbische Kommission arbeitete
Vorschläge zur Umsetzung von Marktwirtschaft und Demokratie im Rahmen
einer Föderation aus (NZZ 24.8.89).
2: Auf serbischem Gebiet lebt anteilsmäßig nach dem Kosovo
die meiste Landbevölkerung, gefolgt von der Vojvodina. Hier sind auch
60% des militärisch-industriellen Komplexes angesiedelt. Entsprechend
der innerjugoslawischen Arbeitsteilung werden in den
»östlichen« Republiken eher industrielle und agrarische
Grund- und Rohstoffe produziert, während in Slowenien und z.T. Kroatien
sich die Schwerkpunkte der für den EG- und Weltmarkt
weiterverarbeitenden Industrien befinden. Von der Sozialstruktur her gibt es
also in den »östlichen« Republiken eine größere
unmittelbare Abhängigkeit vom Staatsapparat: Regulierung der
Ankaufpreise für Agrarprodukte, Aufträge für Waffensysteme
und Bezahlung von Pensionen, subventionierter Erhalt von
Schlüsselindustrien aus nationalem und nicht ökonomischen
Interesse. Dieses Phänomen finden wir auch in Bulgarien, Rumänien,
der Slowakei und Albanien wieder - auch hier wurden von vergleichsweise
bäuerlich geprägten Gesellschaften mehrheitlich ehemalige
kommunistische Parteien gewählt. Die Renationalisierung stellt den
problemlosen Übergang kollektivistischer Ideologien dar: vom
Klasseninteresse zum nationalen Interesse usw., deren Grundlage die
nationalstaatlich organisierte Wirtschaft ausmacht.
3: Anfang Februar `90 steigen die slowenischen Kommunisten aus der KPJ
aus (NZZ 8.2.90), gleichzeitig wird die nationalistische Bewegung
für Unabhängigkeit in Slowenien und Kroatien immer stärker
(taz 6.2.90).
4: bei den Wahlen in Kroatien und Slowenien gewinnen nationalistisch
ausgerichtete Parteien, im März `90 beschließt das slow.
Parlament Unabhängigkeit in ökonomischen und finanziellen Fragen
(taz 10.3.90), am 2.7.90 erklärt es seine staatliche
Souveränität (NZZ 5.7.90).
5: Anfang Juni`91 stellt die EG-Kommission einen Kredit über
ca. 1 Mia.$ und ein Assoziierungsabkommen in Aussicht; allerdings nur,
wenn sich die Republikführungen »auf den Fortbestand Jugoslawiens
einigen« und die »Demokratisierung« sprich:
kapitalistische Transformation weiter vorantreiben (taz 1.6.91).
US-Außenminister Baker kommt am 21.6.91 nach Jugoslawien. Er besteht
ebenfalls auf Einheit und lockt mit einem 50 Mio.$-Kredit, dessen
»Gewährung« weitere Kreditzustimmungen der US-Regierung
z.B.im IWF zur Folge hätten. Außerdem werde die US-Regierung
Kroatien und Slowenien auf keinen Fall anerkennen (HB 22.6.91). Baker soll
sogar signalisiert haben, eine begrenzte militärische Intervention zu
akzeptieren.
5a: So kursierten in imperialistischen Kreisen schon längere Zeit
Überlegungen wie diese: Integrität UND »Reformen«
ließen sich in Jugoslawien nicht gleichzeitig
»fördern«, denn »eine Umorientierung Richtung
Marktwirtschaft« sei v.a. in Serbien nicht in Sicht »und auch
von der dortigen Opposition in ihrer derzeitigen Verfassung« nicht zu
erwarten - eine »Wirtschaftsunion unterschiedlicher Systeme«
könne aber keine »Lösung« sein; Kroatien und Slowenien
dagegen planten schon, zusammen mit Bosnien-Herzegowina und Mazedonien einen
sog. Clearing-Raum zu bilden, »um die bestehenden Handelsbeziehungen
zu festigen«; auf diese »Vierergruppe« entfielen denn auch
ca. 60% der Auslandsschulden, und nur Slowenien und Kroatien seien als
»zahlungsfähige Schuldner« anzusehen, die auch die
»Altlasten Mazedoniens und Bosniens« decken könnten und
bereit dazu seien. »Diese Gruppe zusammenzuhalten wäre ein
lohnenswerteres Ziel als das Streben nach einem von oben `geeinten'
jugoslawischen Wirtschaftsraum einschließlich der kommunistisch
regierten Landesteile (Serbien und Montenegro).« (alle Zitate NZZ
31.5.91)
5b: vgl. Predag Simic: Bürgerkrieg in Jugoslawien: Vom lokalen
Konflikt zur europischen Krise , in: Südosteuropa Mitteilungen Nr.
1/93
6: Die Bundesregierung hatte 2000 Soldaten ohne Schießbefehl und
scharfe Munition sowie unbewaffnete Polizisten in Bewegung gesetzt, um die
slowenischen Grenzübergänge wieder in Bundesgewalt zu bringen. Die
slowenischen Territorialstreitkräfte leisten jedoch überraschend
heftigen bewaffneten Widerstand, was zur offenen Intervention der JNA
führt, die jetzt Panzer und Luftwaffe einsetzt. Doch »die Aktion
war schlecht geplant, die Kommunikation klappte nicht, 780 Soldaten
desertierten, 1700 wurden gefangengenommen, davon 179 Offiziere« (NZZ
3.7.91).
7: In dem unter EG-Leitung zustandegekommenen »Abkommen von
Brioni« vom 7./8.7.91 wird die staatliche Souveränität
der slowenischen Republik faktisch bestätigt, wenn auch nicht ihre
Sezession; »ein Sieg für Slowenien« (taz-Kommentar
9.7.91).
8: »Enthüllung« des kroatischen
Präsidentenberaters Nobilo Mitte Juli '91 in der Londoner
»Times«. Der kroatische Oppositionspolitiker Cicak berichtet in
einem Spiegel-Interview, daß die ersten Absprachen schon im März
stattgefunden haben und daß dabei die Absetzung Markovics und die
Teilung Bosniens besprochen worden sei. Auf die Frage, wie konkret die
Vereinbarungen waren :«Es existierte eine detaillierte Karte
darüber.Gleichzeitig wurde eine Geheimkommission formiert. Den Kroaten
wurde gleich beim ersten Treffen mitgeteilt, daß Serbien im Besitz
eines NATO-Papiers sei, in welchem die Vertreibung der Moslems als
wünschenswert angesehen werde, man also keine internationalen
Hindernisse zu erwarten habe.« (Spiegel 28.6.93)
9: Ähnlich wie in der ehemaligen SU, wo sich ein westlicher
Suchprozess zwischen Zentralität, Konföderation und
Unabhängigkeit bewegte und wo das Notstandsregime vom August '91
anfänglich als »südkoreanische Entwicklungsvariante«
akzeptiert wurde. Erst die Schwäche des Regimes ließ die
europäische politische Klasse umschwenken.
10: Im Oktober '91 drängen die SPD-Politiker Voigt und Gansel nach
einem Aufenthalt in Ex-Jugoslawien zur raschen Anerkennung Sloweniens und
Kroatiens und setzen diese Haltung schließlich auch in der
SPD-Fraktion durch. Voigt und Gansel gehören mit Gernot Erler und
Günther Verheugen auch zu den SPD-Politikern, die im Sommer und Herbst
'91 regelmäßig mit Außenminister Genscher die
Jugoslawienpolitik erörtern. Am 14.11.91 fordert der Bundestag in einer
Resolution mit großer Mehrheit und den Stimmen großer Teile von
SPD und Bündnis 90/Grüne die Bundesregierung zur Anerkennung
Kroatiens und Sloweniens auf.
FN 11: Die britische Regierung soll als »Gegenleistung« die
Zustimmung für ihren Austritt aus der in den Verträgen
vorgesehenen »Sozialcharta« und die vier »armen«
Staaten Spanien, Portugal, Griechenland und Irland Finanzierungen für
den EG-internen Ausgleichsfonds erhalten haben. (taz 6.4.93)
Von Juli '91 bis zur Anerkennung durch die BRD Ende Dezember '91
wiederholte die Bundesregierung ständig ihre Forderungen, wenngleich
sie immer auch beteuerte, sich an ein gemeinsames Vorgehen im
EG-Zusammenhang zu halten. Gleichzeitig gab es mehrfach offizielle Kontakte
zur slowenischen und kroatischen Führung, bei denen ihnen
Unterstützung zugesagt wurde. Über den BND wurden
Waffenlieferungen zum Aufbau der Territorialeinheiten zu Armeeverbänden
organisiert. (vgl. »Frieden«, Heft 9-10, 1991)
12: So warf z.B. die niederländische Regierung Mitte September '91
der kroatische Führung vor, »die Gewalt zu eskalieren«; die
deutsche Diplomatie sei mit ihrer Anerkennungsdrohung für die neuen
Gewaltausbrüche verantwortlich (FR 16.9.91). Mitte November '91
konstatierte der kroatische Botschafter in Bonn, ohne die Hilfe der BRD
»hätten wir bis jetzt gar nicht standhalten können«
(FR 18.11.91). Im November '91 gewährte die Bonner Regierung Kroatien
einen Kredit über 10 Mio. DM, wobei die symbolische Bedeutung zu diesem
Zeitpunkt wichtiger war als die Höhe des Betrags. (FR 26.11.91) Am
16.11.91 stellt ein NZZ-Kommentator fest, die BRD-Regierung
»konterkariere die EG-Friedensgespräche« durch ihre
Anerkennungsvorstöße. Auf dem EG-Gipfel Anfang November '91
kündigt Kohl an, den slowenischen und kroatischen
Ministerpräsidenten nach Bonn einzuladen, um über zusätzliche
Hilfsmaßnahmen zu sprechen; Genscher plädiert noch mal für
Anerkennung; unmittelbar nach dem Gipfel werden wieder heftige Kämpfe
in Jugoslawien geführt. (NZZ 10.11.91) Mit den beiden
Ministerpräsidenten wird in Bonn Anfang Dezember '91 das Prozedere des
Anerkennungsverfahrens geklärt und, die BRD-Regierung kündigt ihre
Unterstützung für zukünftige EG-Assoziierungsverhandlungen
an. Eine deutsch-slowenische Wirtschaftskommision wird geplant. (NZZ
5.12.91) Außerdem sollen beide Republiken von den von der EG
beschlossenen Sanktionen gegen Jugoslawien ausgenommen werden. (NZZ
77.12.91) Obwohl die von BRD-Staatsrechtlern ausgearbeitete Verfassung
Kroatiens nicht die von der EG festgelegten Anerkennungskriterien in Frage
der Minderheitenrechte erfüllt, werden Kroatien und Slowenien am
19.12.91 von der BRD (es folgt der Vatikan) anerkannt.
13: Ein symbolischer Ausdruck dafür ist die geplante
Einführung einer neuen Währungseinheit in Kroatien: der
»Kuna«. Dieser hatte bereits unter der faschistischen Regierung
1941-45 gegolten. (WAZ 12.8.93) S. dazu auch das neueingeführte
reaktionär-sexistische Familienprogramm (s. Kap.4)
14:So am 16.12.91 mit Polen, Ungarn und der CFSR - der BRD-Anteil an den
EG-Importen und- Exporten mit diesen Ökonomien beträgt 50% bzw.
60%.
15: Vgl. dazu: Jürgen von Hagen: Verwirklichung der
Europäischen Währungsunion, in: Politik und Zeitgeschichte,
9.7.93
16: Hans Peter Stihl, »Chance Europa Die europäische Einigung
aus der Sicht der deutschen Wirtschaft« in Politik und Zeitgeschichte
1.1.93
17: Interview mit Roland Berger im Spiegel 18/92
18: Vgl. Autonomie Nr.14, S.217 ff, Berlin '87 und »Die
Intervention der BRD in den jugoslawischen Bürgerkrieg«,
GNN-Verlag 1992
19a: Serbische Demokratische Allianz (SDS) mit Vorsitzendem Karadciz und
Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) mit Vorsitzendem Boban - beide
arbeiten eng mit den Regierungsparteien in Serbien bzw. Kroatien zusammen
und werden von ihnen unterstützt. Aber auch die nationalistische
»muslimische« Vereinigung für demokratische Aktion (SDA),
die ebenso wie die anderen Parteien für einen eigenen (muslimischen)
Staat eintrat (taz 23.11.90), und ihr Vorsitzender Izetbegovic haben auch
als Regierungspartei nicht aufgehört, als muslimische Partei zu agieren
und in Verhandlungen nur die Interessen ihrer Anhängerschaft zu
vertreten. »Hätte Izetbegovic wirklich Bosnien, wie er vorgab,
als Staat aller seiner BewohnerInnen erhalten wollen, hätte er sich
für eine andere Regierungskoalition mit nicht-nationalistischen
politischen Parteien stark machen müssen.« (WOZ 2.4.93)
19: T.Mazowiecki, Beauftragter der UNO, in seinem Bericht über die
Lage der Menschenrechte in Ex-Jugoslawien. Dieser Bericht wurde lange Zeit
nicht in vollem Umfang veröffentlicht. (Zeit 11.12.92)
20: Svebor Dizdarevic:«In der Geiselhaft der Milizen - Eine
bosnische Kritik des Vance-Owen-Plans« in: Blätter für
deutsche und internationale Politik, 5/93 S.553 ff
21: Die Wahlbeteiligung lag bei 63%, die »serbische«
Bevölkerung boykottierte die Abstimmung ; 99,4% der abgegeben Stimmen
sind für Unabhängigkeit.
22: »Der Krieg in Bosnien-Hercegowina ist relativ autark
führbar. Zum einen befanden sich hier etwa 40% der
rüstungsindustriellen Kapazitäten Jugoslawiens. Trotz
Beschädigung oder Zerstörung von Rüstungsproduktionsanlagen
können sich die Kriegsparteien aus eigenen Fabriken 'bedienen'. Hinzu
kommt, daß die Kriegsführung relativ wenig treibstoffintensiv
ist. Der Kampf wird überwiegend mit leichten, infanteristischen Waffen
geführt. Außer der schweren Artillerie, die überwiegend von
den Serben in Bosnien eingesetzt wird, beobachten wir eine relative
Abwesenheit von militärischem Großgerät
(Kampfpanzer).« aus: Kommentierte Chronik des Jugoslawien-Konflikts,
Forschungsinstitut für Friedenspolitik e.V. (vgl. Anhang)
23: Der Anfang '93 als EG-Ratspräsident amtierende
Ministerpräsident Dänemarks zählt in einem Spiegel-Interview
auf, welche zwingenderen Embargomöglichkeiten angewandt werden
könnten: Ausschluß aus allen internationalen Organisationen,
Abbruch der diplomatischen Beziehungen, völliges Handelsembargo,
Unterbrechung aller Kommunikationswege,Telefon, Telefax, Straßen, die
Kosten für die Nachbarstaaten müßten »alle«
übernehmen. Laut Pressebeichten wurde mit Rücksicht auf die
Interessen der russischen Führung in ihrer innenpolitischen
Auseiandersetzung mit Reformgegnern auf weitergehende Sanktionen gegen die
BRJ verzichtet.
24: Auch an der banalen Tatsache, daß die UNO trotz ihres
angeblichen Bedeutungszuwachses als »neutralere« weltweite
»Krisenbewältigungsinstitution« ständig in
Finanznöten ist und z.B. die US-Regierung ihren Zahlungsverpflichtungen
nicht nachkommt, zeigt sich ihre Funktion als relativ machtloses
Durchsetzungsinstrument imperialistischer Interessen (Sie hat
»kürzlich damit gedroht, sie müsse Bankrott anmelden, weil
ihr allein die USA 480 Mio.$, die armen Drittländer weitere 500 Mio.$
Schulden. (Spiegel 2.12.91))
25: Die spektakuläre Androhung der Nato Anfang August, u.U.
serbische Stellungen zu bombardieren, bezog sich allein auf die Blockierung
von Hilfslieferungen, nicht aber auf Belagerungen und Vertreibungen.
Außerdem sollte Izetbegovic, der aus Protest gegen den
»Schutzzonenplan« den Verhandlungen ferngeblieben war, wieder an
den Tisch gezwungen werden, denn sonst kämen militärische
Interventionen zugunsten seiner Partei überhaupt nicht in Betracht.
(FAZ 11.8.93)