Tatort Flughafen
Abschiebeflughafen Nr. 1 und ein (Einreise-) Internierungslager: kein anderer Airport symbolisiert das "innere Grenzregime" oder die "innere Schengenaußengrenze" deutlicher und brutaler als Frankfurt (der Bericht vom Internationalen Hearing).
Von diesem Begründungszusammenhang war die Entscheidung stark geprägt, das vierte kein mensch ist illegal-Camp in der Nähe Frankfurts zu platzieren. Zudem besteht eine jahrelange regionale Widerstandspraxis, der die mit dem Camp zu erwartende, temporäre Zuspitzung sehr willkommen war....
Die folgenden Seiten zeigen, daß der Flughafen im Camp 01 ein Aktions- wie auch Medienfocus war. Ein kurzer Gesamtüberblick vorweg:
- Noch in der Nacht vor Campbeginn zerschneiden "unbekannte Täter" an mehreren Stellen die Glasfaserkabel der Fa. Colt (Dokumentation). Es wird leider die einzige Aktion bleiben, in der ein Zusammenhang zur anstehenden Flughafenerweiterung gezogen wird. Zwar war in der Campzeitung unter dem Titel "zwischen Fracht und Flucht" ein Artikel erschienen, der die ökonomische Funktion des Flughafens und Migrationsmotive in einen Kontext rückte. Und während des Camps selbst gab es eine, allerdings schlecht besuchte Veranstaltung zur aktuellen Situation und den Protesten gegen den geplanten Ausbau. Doch zu konkreten praktischen Ansätzen kam es darüberhinaus nicht.
- Parallel zum Campaufbau versucht ein Aktivist als "Scheinasylant" direkt zu den Menschen ins Internierungslager zu gelangen: leider ohne unmittelbaren Erfolg, doch mit einigen beeindruckenden bis bestätigenden Erfahrungen, was die BGS-Routine anbelangt (Bericht)
- Was für den Sonntag, den 29.7., als kurze Begrüßungsdemo mit Lebenslautekonzert (Bericht) im Flughafenterminal geplant war, entwickelt sich angesichts der (Selbst) Blockade der Fraport zu einem den gesamten Flughafen betreffenden Protesthappening von etwa 1000 Leuten. Wie niemals zuvor in diesem Kontext berichten die Medien über die Aktionen und den Hintergrund, und das zu Beginn des Camps!
- Kleinere Fake- und Protestaktionen folgen in den nächsten Tagen, u.a. am Check in von Air Algérie, der Kollaboration bei Abschiebungen im Rahmen des deutsch-algerischen Rückübernahmeabkommens vorgeworfen wird.
- Am Dienstag, dem 31.7., stellt die Delegiertenversammlung des Camps der Fraport ein Ultimatum: entweder es gibt bis zum nächsten Tag (High Noon!) eine Zusage, daß die geplante Abschlußdemonstration am Samstag auch durch das Terminal ziehen kann, oder der Flughafen würde schon ab Donnerstag erneut zur Protestzone gemacht (siehe auch: Chronologie).
- Fraport lehnt ab und macht an drei weiteren Tagen den Flughafen für alle Gäste dicht. Nur wer ein Ticket vorweisen kann, erhält Zugang zu den Terminals. Neue kleine Demonstrationen vor dem Terminal folgen am Donnerstag und Freitag, die Anreise per S-Bahn wird zum Teil ausgesetzt, chaotische Situationen im sonst so perfekt ablaufenden Flughafenbetrieb.
- Am Freitag, den 3.8., war für das Hearing "Tod im Transit" eigentlich ein teurer Saal im Airport Conference Center gebucht worden, also direkt in der Höhle des Löwen. Fraport nahm jedoch die für sie unberechenbaren Proteste zum Anlaß einer kurzfristigen Kündigung. Das Hearing mußte deshalb in der Universität in Frankfurt stattfinden (Bericht).
- Am Samstag, dem 4.8., fand die Abschlußdemonstration statt. Der Flughafen wieder dicht, ein Riesenaufgebot der Polizei ist aufgefahren. Die Entscheidungen vom Delegier-tentreffen tags zuvor, nämlich zunächst zwei Stunden dezentral zu agieren, um sich dann vor dem Terminal zur gemeinsamen Kundgebung und Demo zu treffen, konnte im Camp, auch angesichts hektischer Treffen in verschiedensten Konstellationen, kaum mehr vermittelt werden.
Zwischen zwei und dreitausend Leute kamen dann am Terminal zusammen, zwei Durchbruchsversuche scheitern, die Demoorganisation ist überfordert, die Kommunikation klappt vielfach nicht, und angesichts des mit Natodraht umgebenen Kundgebungsplatzes vor Tor 3 (in der Nähe des Internierungslagers) gehen die Einschätzungen vor Ort weit auseinander: Falle oder nicht? Wie wichtig bleibt die Kundgebung, die die Betroffenen direkt erreichen soll?
Nach einigem hin und her übernehmen Flüchtlinge die erste Reihe in Richtung Tor 3, die Kundgebung (allerdings mit einer miserablen Anlage) findet doch noch statt.
Die Einschätzungen über diesen Abschlußtag gehen weit auseinander.
Einige Pro und Contra-Argumente zum Versuch, am 4.8. ins Terminal zu gelangen, sollen noch kurz angerissen werden:
"Hierarchisierung von Aktionsformen, eine übertriebene und letztlich negativ wirkende Konzentration von Kräften auf einen eher sinnlosen Durchbruchsversuch, warum überhaupt der Anspruch, die Protestaktionen der Vortage, "toppen" zu wollen???"
So in etwa äußerten sich einige KritikerInnen zu den Vorbereitungen und dem Ablauf des 4. August, insbesondere zu dem Versuch, ins Terminal durchbrechen (oder besser durchdrücken!) zu wollen.
Dagegen setzten Andere die lange vor dem Camp begonnenen Debatten um auch konfrontative Aktionsformen, die unerwartete Dynamik der Flughafenaktionen nach dem 29.7., die sehr wohl einen weiteren Schritt rechtfertigte, sowie ihr Interesse an gemeinsamer Erfahrungssuche (in dieser Richtung auch eine Aufarbeitung).
Immerhin konkretisierten sich damit einige Diskussionen um Aktionsformen, die ansonsten ja oftmals äußerst abstrakt geführt werden. Doch die Unterschiede, bisweilen aufgeladen mit zusätzlichen Kritikpunkten, konnten darin freilich nicht aufgelöst werden.
Wann lohnt sich welcher Einsatz und welches Risiko? Wann und wo sind "konfrontative Momente" überhaupt noch denk- und herstellbar? Wieviel Struktur ist Voraussetzung für solch ein gemeinsames Handeln? Kann ein Camp das leisten?
Fragen, die sich uns sicher auch in den kommenden Camps wieder stellen werden...
Nochmal zurück zum Flughafen, denn am Ende dieses Heftes finden sich noch zwei Darstellungen von Folgeaktionen.
- Bereits eine Woche nach dem Camp - die Fraport hatte zum Tag der Offenen Tür eingeladen - folgte eine neue unangekündigte Protestaktion im Flughafenterminal und in ungewöhnlicher Aufmachung: Clowns demonstrierten gegen Abschiebungen... (Bericht)
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- Am 8.12. folgten 3-400 Leute einer regionalen Mobilisierung, die Fraport einmal mehr zur Abriegelung zwang. Zwei Tage später, am 10.12., stürmten rund 30 AktivistInnen erst durch und dann "über" das berühmt-berüchtigte Tor 3. Slogan: "Wir steigen der Fraport aufs Dach"... (Bericht)
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