Raus aus der Comfort Zone
Für eine feministische Position in antideutscher Gesellschaftskritik

Der antideutschen Kritik ist es unter anderem zu verdanken, dass in einem langwierigen Prozess bis dato zumeist selbstverständliche linke Standards nicht unreflektiert blieben. Diese Banalität ist weiter reichend, als sich auf den ersten Blick vermuten lässt. Waren sich Linksradikale in den Achtzigern noch sicher, dass das große Übel aus den USA käme, und wähnte man sich in den Neunzigern gegen die Neonazis immer auf der richtigen Seite, wurde es mit der die Linke zweifellos spaltenden Diskussion möglich, das eigene Tun und die erworbenen Theorieversatzstücke grundlegend infrage zu stellen. Nicht zufällig entspann sich die hitzigste – und differenzierendste – Auseinandersetzung mit der Ausrufung der zweiten Intifada. Antisemitismus auf die Agenda insbesondere einer Linken in Deutschland zu setzen, war nur möglich mit dem Aufgeben bisheriger Sicherheiten, die hie und da schon zu Dogmen geworden waren.
Eine Analyse der deutschen Gesellschaft, gerade nach 1989, führte zu neuen bzw. anderen Politikfeldern und -formen, wie der Solidarität mit Israel oder der Kritik an Multikulturalismus, und zu Schwerpunktverlagerungen, in deren Folge allerdings manche Themen, wie z. B. die Kritik an Sexismus und Rassismus, voreilig fallen gelassen wurden. Zum Teil wurde allem abgeschworen, was sich vermeintlich links anhört.
Die Auseinandersetzung mit Geschlechterhierarchien und feministischen Forderungen gehört ebenfalls zu diesen Themen. Wenn es eine Bezugnahme auf feministische und antisexistische Forderungen und Kritik gibt, fällt sie zumeist negativ aus. Die sehr polarisiert geführten Debatten um sexualisierte Gewalt und die Definition von sexuellen Grenzverletzungen und Vergewaltigungen haben zu solch eindeutigen Frontverläufen geführt, dass die Thematisierung von Sexismus und Gender als gesellschaftliche Strukturprinzipien recht befremdliche Abwehrreaktionen hervorrufen, die die Selbstverständlichkeit einer Auseinandersetzung verhindern.
Die Integration eines feministischen Anspruchs in emanzipatorische Gesellschaftskritik scheint in der antideutschen Linken nur dort zu erfolgen, wo es um eine Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischer Gewalt und patriarchalen Verhältnissen in islamischen Communities oder Ländern geht, hier wird sie sogar zum Dreh- und Angelpunkt der berechtigten Kritik am Islam.
Eine Verknüpfung von feministischen Forderungen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen oder kulturellen Bezugspunkten gemäß der häufig formulierten Prämisse »Emanzipation ist universal« erfolgt allerdings nicht. Dies hieße, feministische Forderungen auch dann als selbstverständliche ernst zu nehmen, wenn sie sich nicht auf ein worst case scenario gewalttätiger und offenkundiger Geschlechterhierarchien beziehen.
Geschlecht als Analysekategorie ist notwendiger Bestandteil von Gesellschaftskritik und die Kritik an dem sexistischen Normalzustand – auch in westlichen Gesellschaften – gehört auf die Tagesordnung emanzipatorischer Intervention.


Welcome to the Real World
Antideutsche emanzipatorische Politik nimmt sich das Recht heraus, einen neuen Blick auf die bürgerliche Gesellschaft zu entwickeln, der nicht alles verdammt und dennoch nicht den Fehler macht, sich von den Versprechungen blenden zu lassen.
Freiheit und Recht sind auch in der antideutschen Gesellschaftsanalyse und -kritik zentrale Begriffe, über beide wird ambivalent diskutiert. Zum einen bedarf es, als Voraussetzung linker Kritik und Politik, bestimmter Freiheiten, wie Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, und ihrer gesetzlichen Fixierung. Zum anderen ist seine Festschreibung noch lange keine Garantie für die Durchsetzung eines Rechts. Das bedeutet: Eine emanzipatorische Kritik beschäftigt sich mit den realen Zuständen, benennt Missstände und formuliert daraufhin ihre Analyse. Dies kann im Hinblick auf die Gesellschaft als Ganzes getan werden oder auf einzelne Teilbereiche. Gerade in Hinblick auf die Linke, als einem Teilbereich, wurde eine solche Analyse in antideutschen Texten häufig vorgenommen, Regressives wurde herausgearbeitet und zu Recht heftig kritisiert.
Was das Verhältnis von Frauen und Männern, den Sexismus und den Status quo der Gleichberechtigung angeht, existieren nicht nur Leerstellen, im Gegenteil: Hier wird allzu häufig das Ideal, die Festschreibung der Gleichheit von Frauen und Männern im Grundgesetz, gleichgesetzt mit den realen Verhältnissen in der deutschen Gesellschaft. Eine grundsätzliche Kritik an der Verfasstheit der bürgerlichen Gesellschaft findet hier nicht mehr statt; man hat kein ambivalentes Verhältnis zu bürgerlichen Rechten und Freiheiten, sondern ein affirmatives. Wo die bürgerliche Geschlechterordnung und die von der ersten Frauenbewegung erkämpfte Rechtssubjektivität von Frauen als das Maß der Dinge gesehen wird, scheint es folgerichtig nicht notwendig zu sein, sich auf die Problematik einer dichotomen Zweigeschlechtlichkeit und die damit einhergehenden Zuschreibungen zu besinnen. Übersehen wird dabei der gewaltförmige Konstruktions- und Normierungscharakter, der dieser zweigeschlechtlichen Ordnung zugrunde liegt. Was dazu führt, keinen Anlass für Kritik zu sehen oder sogar Kritikerinnen und Kritiker eines sexistischen Normalzustands lapidar abzuwehren mit dem Kommentar: »Was habt ihr denn? In Deutschland haben Frauen doch alle Rechte.« Eine Aussage, wie man sie in weiten Teilen der Gesellschaft hören kann, einschließlich der Linken.
Dieser vollkommen falschen Sicht auf deutsche Zustände kann auf mehreren Ebenen begegnet werden. Rein formal, vor der Gesetzgebung, sind gleiche Rechte für Frauen und Männer zwar durchgesetzt. Das führt aber ganz offensichtlich nicht dazu, dass Frauen real keine Diskriminierungen erleben. Wer lediglich auf der Ebene eines rechtlichen Subjektstatus argumentiert, verliert die tatsächlichen Auswirkungen der Grenzen zwischen den Geschlechtern aus den Augen.
Die Zahlen sprechen für sich: Obwohl ein Verbot der Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts seit 1949 im Grundgesetz und seit 1957 in der EU rechtlich festgeschrieben ist, beträgt das Lohngefälle zuungunsten von Frauen in Deutschland auch heute noch 22 Prozent. Bei Vollzeitbeschäftigten sind es sogar 27 Prozent, da die Entgeltdiskriminierung mit steigendem Gehalt zunimmt.
Ganz überwiegend werden Frauen Opfer von häuslicher Gewalt, in 90 bis 95 Prozent der Fälle sind Frauen die Betroffenen und Männer die Täter.
Die sogenannte Hausarbeit – Waschen, Putzen, Kochen – wird weiterhin in 75 bis 90 Prozent der Familien von den Frauen erledigt.
Die empirischen Belege sind nahezu endlos dafür, dass eine klare Geschlechterhierarchie existiert, die eben nicht individuell erklärbar ist. Zahlreiche Untersuchungen belegen sowohl eine strukturelle Diskriminierung von Frauen als auch ganz reale physische Gewalt von Männern gegen Frauen und geben einen Eindruck der sexistischen Realität des Alltags. Dennoch werden strukturelle Ungleichheiten als individuelle Probleme bagatellisiert, wenn etwa behauptet wird, der Weg zur Gleichberechtigung sei eigentlich frei. So als läge es lediglich in den Händen bzw. an der Entscheidung von Frauen, ob sie ihre Rechte wahrnehmen oder nicht. Diese Aussage geht an dem Problem vorbei, denn ganz unabhängig davon, ob sich eine einzelne Person in der ihr oder ihm zugeschriebenen Rolle wohlfühlt oder gegen diese rebelliert oder sie nicht zur Kenntnis nimmt, existiert eine offensichtliche strukturelle Geschlechterhierarchie, die für jedwede emanzipatorische Kritik nicht hinnehmbar ist. Auch der Verweis darauf, dass sich ja bereits viel im Hinblick auf das Geschlechterverhältnis getan habe oder dass es in anderen Ländern viel schlimmer sei, versucht, die Kritik am sexistischen Status quo abzuwehren. In der Konsequenz bedeutet diese Argumentation, man müsse sich mit sexistischen Sprüchen im Alltag oder einem niedrigeren Lohn für die gleiche Arbeit abfinden, weil es »früher« schlimmere Zeiten gab. Als seien Vergewaltigungen und andere sexualisierte Gewalt gegen Frauen hierzulande zu vernachlässigen, weil es in anderen Ländern Mord durch Steinigung gibt. Die z.B. unter islamistischen Regimes allgegenwärtige Gewalt gegen Frauen, die Aberkennung ihres Subjektstatus und die Missachtung ihrer körperlichen Integrität als Argumente gegen eine Kritik heranzuziehen, die sich mit der Situation in Deutschland beschäftigt, ist unangemessen. Im Vergleich kann es vermutlich immer ein schlechteres Leben geben, nur sagt das kaum etwas darüber aus, wie das Geschlechterverhältnis hier aussieht.
Eine Kritik an geschlechtlichen Zuschreibungen und der Hierarchisierung von Männern und Frauen kann nur universal sein. Geschlechtliche Zuschreibungen haben einen erheblichen Einfluss auf das Leben von Individuen. Sie strukturieren auch das Leben in so genannten westlichen Gesellschaften. Es ist banal, und doch ist es immer noch erforderlich, es zu wiederholen: Gender ist eine notwendige Analysekategorie zur Erfassung des deutschen Normalzustands. Emanzipatorische Politik, die Werte wie Freiheit und Individualismus ernst nimmt, gibt sich nicht zufrieden mit einem Status quo, der diese Werte nicht zu realisieren vermag.

Antisexismus gehört zum Feminismus

Die fehlende Diskussion über den Sinn und Unsinn antisexistischer Intervention und Kritik wird leider in einigen antideutschen Debatten ersetzt durch die vollständige Diffamierung solcher Kritik. Bei der Beurteilung antisexistischer Kritik wird mit der Gegenüberstellung bürgerliche versus islamische Geschlechterordnung ein recht enges Schema konstruiert. Mit der Referenz auf die Situation in islamischen Regimes gilt nur ein islamkritischer Feminismus als berechtigt.?
Ein gesellschaftlich angemessener Feminismus, so lässt sich aus diversen islamkritischen Texten herauslesen, sei ein Feminismus ums Ganze, dem es um die Durchsetzung der bürgerlichen Geschlechterordnung in islamischen Communities und der darauf folgenden Rechtssubjektivität der Frau ginge. Feminismus wird hier also als eine gesellschaftlich nachholende Entwicklung von rechtlicher Gleichstellung beschrieben, die die Herstellung einer bürgerlichen Geschlechterordnung, wie sie sich heute in westlichen Gesellschaften zeigt, zum Ziel hat. Statt Strukturen, Erscheinungsformen und Verwerfungen eben dieser Geschlechterordnung auf der Alltagsebene infrage zu stellen, wird eine antisexistische Kritik an Verhältnissen, die auf der Ungleichheit der Geschlechter beruht, abgewehrt und behauptet, hier äußere sich bloß ein regressives Festhalten an einem gemeinsamen Status von Frauen als Opfer. Mit einem Blick, der lediglich auf die eigene Erfahrungswelt gerichtet sei, würden, so eine antideutsche Argumentation, die gravierenderen Ungleichheitsverhältnisse in islamischen Communities ignoriert oder gar im Vergleich heruntergespielt, deshalb könne auch von Feminismus keine Rede sein.?
In der antideutschen Analyse der Geschlechterverhältnisse scheint eine Trennung der Begriffe Feminismus und Antisexismus mit der Neubesetzung des Feminismusbegriffs einherzugehen. Vorteilhaft an dieser eklektischen Konstruktion ist die Option der Aufteilung der Begrifflichkeiten auf jeweils unterschiedliche kulturelle Kontexte. Damit lässt sich möglicherweise eine dezidierte Kritik an der Geschlechterpolitik des Islam formulieren, für die Analyse der Wirkungsmacht der Kategorie Geschlecht ist sie jedoch extrem kontraproduktiv. Die Loslösung einer Analyse geschlechtlicher Strukturierungen vom bürgerlichen Konzept geschlechtlicher Gleichstellung hat wenig Sinn und führt im Falle antideutscher Diskurse leider nur zu einer Überhöhung des bürgerlichen Ideals. Hier wird zwar Gleichberechtigung angestrebt, diese beruht jedoch im Prinzip auf der Annahme einer grundsätzlichen Differenz zwischen den Geschlechtern und vermag diese nicht aufzulösen. Auch scheitert die Durchsetzung des Gleichheitsprinzips an patriarchalen Strukturen, in denen sowohl ein dichotomes Geschlechtermodell als auch eine damit verbundene Hierarchie weiterhin Bestand haben.
Nicht trotz, sondern wegen der sich hier äußernden Ambivalenzen – hinsichtlich der Bedingtheit von Gleichheit und Differenz, Ideal und Durchsetzung sowie der Autorität der bürgerlichen Rechte an sich – sei diese Geschlechterordnung der islamischen vorzuziehen. So weit, so gut. Die Diskussion darüber, was mit Ambivalenzen, den daraus folgenden Ungereimtheiten und Festschreibungen gemeint sein könnte, fällt dann trotz dieser programmatischen Aussage doch recht dürftig aus. Vielmehr wird die Aufrechterhaltung einer zweigeschlechtlichen Ordnung unter der Hand zum Garanten einer emanzipatorischen Gesellschaft stilisiert und den islamischen Communities gegenübergestellt.
Die feministische Diskussion um selbstbewusste Körperlichkeit und Sexualität soll hier als ein Beispiel dienen. Diese war und ist ständiger Bestandteil feministischer Debatten. Gegenwärtig wird diese Auseinandersetzung in der Diskussion um feministische und queere Pornografie geführt, sie fand sich auch in den vor Kurzem unter der Bezeichnung »Popfeminismus« im Disko-Teil der Jungle World erschienenen Beiträgen, in denen u. a. über den Körperbezug feministischer Politik und die Möglichkeit einer subversiven Körperpolitik diskutiert wurde.
Wird der Kritik an sexistischen und frauenverachtenden Darstellungen in der Werbung, im Porno etc. jedoch mit dem Hinweis entgegnet, man trete damit gegen das sexuelle Selbstbewusstsein von Frauen ein bzw. negiere ihren Subjektstatus, dann verdreht man die feministische Argumentation und beschönigt in nachfeministischer Manier den Status quo, in dem Frauen allzu oft genau nach Aussehen und Sexyness beurteilt werden. Auch wenn der Bikini der Burka vorzuziehen ist – und hier greifen wir die recht oft bemühte Gegenüberstellung zweier Kleidungsstücke auf, wenn es um die Kritik an der Verschleierung islamischer Frauen geht –, werden mit dieser Gegenüberstellung die Ambivalenzen sexueller Befreiung übersehen, die im Rahmen einer strukturell patriarchalen Gesellschaft zu bewerten sind und als eine negative Konsequenz eben auch Vorstellungen von Weiblichkeit und weiblicher Sexualität zementierten. Dies spricht nicht gegen das Tragen eines Bikinis, schon gar nicht gegen eine selbstbewusste Sexualität, aber wenn ein Bikini ungebrochen als Projektionsfläche sexueller Emanzipation fungieren soll, wird die feministische Argumentation recht fadenscheinig. ?
Mit demselben Argument ist aber auch einer kulturrelativistischen Sicht der Dinge zu widersprechen, wie sie beispielsweise Christina von Braun und Bettina Matthes in ihrem Buch »Verschleierte Wirklichkeit« formulieren. Indem hier die Verschleierung islamischer Frauen mit der Entblößung im Westen parallelisiert wird, werden die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der beiden Praktiken nicht wahrgenommen. Damit wird der gravierende Unterschied zwischen direkter und struktureller patriarchaler Herrschaft verkannt.
Es ist richtig, die rechtlich verbriefte Ungleichbehandlung von einigen islamischen Mädchen und Frauen als Ursache für die an ihnen verübte patriarchale Gewalt und deren Legitimation zu benennen. Genitalverstümmelungen, Zwangsheiraten und »Ehrenmorde« sollten nicht als Einzelfälle kritisiert werden, sondern im Zusammenhang mit einer ihnen zugrunde liegenden Vorstellung von gewaltsamer geschlechtlicher Normierung.
Dass diese Geschlechterverhältnisse, trotz ihrer Offensichtlichkeit, unter antisexistischen Linken recht mangelhaft thematisiert oder gar mit kulturrelativistischen Argumenten heruntergespielt werden, macht jedoch nicht klar, warum jenseits dieses Kulturrelativismus auch die Beschäftigung mit einem gesamtgesellschaftlichen sexistischen Status quo einer heftigen Kritik bzw. der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Ein Beispiel für die Verknüpfung einer berechtigten Kritik an Leerstellen von Feminismus mit dessen vollkommener Abwertung findet sich in dem Text »Feminismus aus tausendundeiner Nacht«, in dem es um den grassierenden Kulturrelativismus und die Islam-Apologie im Studiengang Gender Studies an der Berliner Humboldt-Universität geht. In dem ansonsten lesenswerten Artikel der Gruppe »Hedonistische Mitte – Brigade Mondän« heißt es in der Einleitung: »Bei Sinnen gebliebene Feministen« – und hier wird offenbar bewusst auf eine geschlechtsneutrale Formulierung verzichtet – »hätten heute vor allem die archaischen Patriarchate des islamischen Orients und die islamischen Parallel- und Gegengesellschaften im Westen ins kritische Visier zu nehmen und sich mit deren Opfern zu solidarisieren.« Stattdessen offenbare sich der Berliner Studiengang Gender Studies als ein »Tummelplatz von Studierenden aus der so genannten undogmatischen Linken«, die sich mit allen »feministischen, queeren und antirassistischen Belanglosigkeiten« auseinandersetzen und die »Ahnungs- und Begriffslosigkeit der dort produzierten Meinungen mit geistiger Offenheit verwechselt«. Damit wären ja dann schließlich alle Feindbilder eines korrekten antideutschen Feminismus in einem Studiengang ausgemacht, und zu allem Überfluss beschäftigen sich diese Leute dann auch noch hauptsächlich mit postmoderner Theoriebildung. Diese scheint als Ganze ohnehin keiner Diskussion mehr würdig und die rigorose Kritik daran muss im Einzelnen nicht einmal mehr begründet werden. Dass die Grundannahme der Konstruiertheit von Geschlecht gerade an der Humboldt-Universität nicht konsequent auf den islamischen Kontext angewandt, sondern mit dem Verweis, hier sei eine eurozentristische Dominanzkultur am Werke, abgewehrt wird, ist nicht nachvollziehbar, kann aber wohl kaum postmoderner feministischer Theoriebildung als ganzer angelastet werden. Die Tatsache, dass Gender- und Queertheorien maßgeblich für die Aufweichung identitätsfeministischer Vorstellungen verantwortlich sind und sich auch mit den Verwerfungen bürgerlicher Differenzkonstruktionen befassen, wird in antideutschen Argumentationen nicht zur Kenntnis genommen.

Rollback

Generell ist seit einiger Zeit in manchen antideutschen Texten ein Rollback in Hinblick auf Geschlechterverhältnisse zu bemerken. Klare Zuschreibungen von »männlich« und »weiblich« werden geradezu als Erfolg verbucht, als Ausdruck von Freiheit in westlichen Gesellschaften. Zum Beispiel werden in dem Text »Nieder mit der Schönheit« von Natascha Wilting aus der Bahamas Nr. 40 Schönheitswettbewerbe, genauer: Miss-Wahlen, verteidigt, ohne den Zwang zu verführerischer, makelloser Körperlichkeit von Frauen zu thematisieren, aber leider nicht, ohne antifeministische Klischees zu zitieren. So wird etwa »emanzipierten Frauen« ein »eigenes freudloses Dasein« unterstellt, und weiter heißt es: »Feministinnen, gekrönte und andere, so scheint es, bilden mit den Islamisten eine hässliche Allianz.«
Ein weiteres Beispiel für antiemanzipatorische Tendenzen ist die Behauptung, in linksradikalen Gruppen »müssten« Frauen aussehen wie Männer, ohne den jeweiligen Frauen zuzugestehen, sich zu geben, wie sie wollen. ?Diese beiden Verweise sind kennzeichnend für die antideutsche Debatte, einerseits wird die Unterdrückung von Frauen in islamischen Ländern kritisiert und gefordert, die Frauen sollen sich kleiden und geben können, wie sie wollen. Andererseits wird diese Forderung nicht mit der Rolle von Frauen in westlichen Gesellschaften rückgekoppelt. Emanzipatorisch wird die Kritik am Geschlechterverhältnis erst, wenn universal gefordert wird, dass sich Menschen – unabhängig von ihrem Geschlecht – Anforderungen an Weiblichkeit und Männlichkeit widersetzen oder diese erfüllen können, ohne individuelle oder gesellschaftliche Sanktionen befürchten zu müssen.
Schönheitswettbewerbe sind beinahe ein klassisches Beispiel dafür, welche Rolle Frauen innehaben sollen: Schön und genormt sollen sie sein, einen Subjektstatus erlangen sie über ihren Objektstatus. Darüber hinaus wird Frauen in westlichen Gesellschaften (in diesem Fall in der linken Szene) die Forderung nach differenzierter Präsentation und Repräsentation nicht zugestanden. Subjektive Entscheidungen für das Auftreten und das Aussehen werden in sexistischer Manier gedisst, und die Kritik an überholten Frauen- und Männerbildern auf Plakaten und Flyern wird lächerlich gemacht und abgetan. Die AG Antifa aus Halle geht in »Am Ende: Konformismus« beispielsweise so weit, das Überkleben einer »leicht bekleideten Frau« auf Plakaten mit einer Bekleidung mit der Burka gleichzusetzen und damit als ein Anzeichen für Lustfeindlichkeit und regressive Sexualmoral zu interpretieren. Antisexismus wird hier kurzschlussartig mit Antifeminismus gleichgesetzt und somit im größeren Kontext als antiemanzipatorische Strömung diffamiert. Abgesehen von dem Aufwand an Projektionsleistung, der betrieben wird, um in schwarzem Klebeband eine Burka zu erkennen, wird hier die sexualisierte Darstellung von Frauen als westliche Errungenschaft sexualisierter Subjektivität ihrer Verhüllung mit der Burka dichotom gegenübergestellt. Statt eine Auseinandersetzung darüber zu führen, inwiefern Frauenkörper in der Reklame klassische Geschlechterbilder reproduzieren, oder auch über den Unterschied zwischen sexistischer, gar frauenfeindlicher, Darstellung und lediglicher Abbildung entkleideter Männer und Frauen zu diskutieren, wird schlicht eine Polemik betrieben, in der nur selten Argumente zu finden sind.
Der Umgang mit feministischen Forderungen innerhalb antideutscher Diskussionen unterscheidet sich also kaum von gesamtgesellschaftlich verbreiteten antifeministischen Reaktionen: Kritik wird abgewehrt, als albern abgetan oder sogar als antiemanzipatorisch verunglimpft. Darüber hinaus werden Aspekte von Sexualität entweder in einen Freudschen Trieb- und Verdrängungsdiskurs geschoben, oder sie werden genutzt, um Feministinnen und Feministen Lustfeindlichkeit vorzuwerfen. So unterstellt Thomas Maul eine Konvergenz von Antisexismus und Islamismus hinsichtlich einer vermeintlichen Gleichzeitigkeit von sexueller Verklemmtheit und Sexfixierung. Besonders schwierig wird es, wenn über sexualisierte Gewalt geredet bzw. geschrieben wird. Klassische antifeministische Abwehrmechanismen und die Umkehrung von Tätern und Opfern finden sich dann wie selbstverständlich in antideutschen Verlautbarungen.
Die AG Antifa pathologisiert beispielsweise in ihrem oben genanntem Text Gruppen, die sich mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzen, und unterstellt, Linke müssten ihre Sexualität in Gruppen unterdrücken und würden deshalb »in einer Art Ersatzhandlung regelmäßig die Sau durchs Dorf« treiben. Die Gruppenzugehörigen hätten »die eigenen Wünsche, Triebe und Phantasien (…) abgespalten« und »an der Figur des tatsächlichen oder vermeintlichen Vergewaltigers (…) exorziert«. Der Vergewaltiger wird hier ganz offen zum Opfer sexuell unbefriedigter Linker stilisiert.
Antisexistischen Argumentationen wird auch andernorts entgegengehalten, Frauen reflexhaft einen überholten Opferstatus zuzusprechen und Männer allein als Täter zu sehen. Diese Identifikation resultiere aus einer mangelhaften Einsicht in gesellschaftlich produzierte Geschlechterverhältnisse, die sich unter anderem am Festhalten am Patriarchatsbegriff auch für westliche Gesellschaften zeige, denn dieser Begriff sähe Frauen per se in der Opferrolle. Eine Feststellung, der nicht gänzlich zu widersprechen ist, an die sich aber eine Diskussion über die analytische Schärfe des Patriarchatsbegriffs oder mögliche Alternativen der Analyse struktureller Geschlechterverhältnisse anschließen muss.
Mit der Auflösung personaler Herrschaftsverhältnisse muss das Moment der Vermittlung von Geschlechterverhältnissen im Zentrum der Analyse stehen. Auch wenn ein postmoderner analytischer Zugang wie das Konzept der »heteronormativen Matrix« die Vermittlung, also Fragen der Repräsentation und der Zuschreibungen, ins Visier nimmt, hat dies leider zur Folge, dass die in dekonstruktivistischer Absicht gestellten Fragen an der weiterhin existierenden Hierarchie vorbeigehen. Geschlecht ist leider eben nicht nur wähl- und performierbar, sondern die ihm zugrunde liegenden Vorstellungen transportieren weiterhin Elemente eines »strukturellen Patriarchats«. Eine solche differenziertere Sicht auf das bürgerliche Geschlechterverhältnis findet sich in antideutschen Texten selten. Stattdessen wird Feministinnen und Feministen verallgemeinernd vorgeworfen, Frauen lediglich als Opfer zu sehen, was zu einer Verschiebung der antisexistischen Kritik auf den Bereich der Sexualität führe, mit Vergewaltigungen als einem zentralen Kritikpunkt und Definitionsmachtdiskussionen als hilflose Umkehrung geschlechtlicher Herrschaftsverhältnisse. Diese hobbypsychologische Argumentation wird weder der Vergewaltigungsdiskussion gerecht noch der Realität antisexistischer Theorie und Praxis. Leider sind es gerade die Diskussionen um sexualisierte Gewalt, die einzig und allein zum Verhandlungsort hiesiger Sexismen werden, und das zumeist in Abwehr der Beschuldigungen.

Rein in die Critique-Zone

Der kapitalistische Normalzustand bedeutet immer auch den sexistischen Normalzustand, die Aufteilung in Produktions- und Reproduktionssphäre und die damit verbundene Hierarchisierung werden aufrechterhalten, indem alle, unabhängig von Geschlecht, die sexistische Ideologie des Kapitalismus durchsetzen. Das heißt nicht, dass es nicht entscheidende Veränderungen in den traditionellen Rollenzuschreibungen von Männern wie Frauen gäbe, aber es heißt, diese Veränderungen ändern kaum etwas an der gesellschaftlichen Verfasstheit, an dem gesellschaftlichen Prinzip der dualen – und antagonistischen – Aufteilung.
Wer nun argumentiert, in der Subjektwerdung und damit auch der vollständigen Anerkennung als Rechtssubjekt in der Gesellschaft werde das sexistische Prinzip aufgehoben, irrt. Nicht nur verkennt dieser Blick, dass der bürgerlichen Gesellschaft die Trennung in Mann und Frau immanent ist, sondern er lässt die Vergesellschaftung jedes und jeder Einzelnen außer Acht, indem sexistische Hierarchien gänzlich auf die Ebene individueller Freiheit verlagert werden.
Weder kann auf der individuellen Ebene die Geschlechterteilung durch Performanz, durch Kleidung, Gestik und Habitus, aufgehoben werden, noch kann sie mittels der Erweiterung von so genannter persönlicher Freiheit beendet werden. Vereinfacht heißt das: Weder ist es ein Akt der Befreiung, wenn Frauen kurze Haare, noch wenn sie kurze Röcke tragen. Das eine als feministische Revolte zu betrachten oder das andere als Ausleben sexueller Freiheit, entbehrt jeder Gesellschaftsanalyse. Wer so argumentiert, macht sich keinen Begriff mehr von strukturellen Mechanismen.
Geschlechterverhältnisse werden einerseits auf individueller Ebene, also zum Beispiel in der Interaktion zwischen einzelnen Menschen, oder auch, so simpel es klingt, in der Wahl der Kleidung alltäglich geschaffen. Andererseits wird die Produktion und Reproduktion von Männlichkeit und Weiblichkeit von gesellschaftlichen Strukturen beeinflusst und zum Teil vorgegeben. Freie Entscheidungen sind eben nur frei im Rahmen der gesellschaftlich vorgegebenen Alternativen. Und individuelle Diskriminierungen wirken ebenfalls wieder zurück auf die generellen antiemanzipatorischen Strukturen. Die Höhe von Gehältern hat, beispielsweise, nicht nur individuelle Auswirkungen, sondern formt, betrachtet man insgesamt die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, generelle Geschlechterbilder: Wer für gleiche Arbeit weniger verdient, ist im Kapitalismus buchstäblich weniger wert und wertschätzt sich möglicherweise selbst weniger. Eine im Lohn explizite Hierarchie wird verinnerlicht und stabilisiert diese auf weiteren individuellen Ebenen.
Sexistische Verhaltensweisen, Diskriminierungen und geschlechtliche Rollenzuschreibungen sind Ausdruck des strukturellen Patriarchats, führen aber auch zu dessen Festigung.
Eine vernünftige feministische Theorie und Gesellschaftsanalyse muss beide Arten der Formierung von Geschlechtern gleichermaßen im Auge haben, die individuelle wie die gesellschaftliche, und muss die aktive Rolle aller bei dieser Formierung einbeziehen. Weder können strukturelle Zwänge, wie sie sich in Frauen diskriminierenden Tarifverträgen oder objektivierenden Darstellungen von Körpern zeigen, allein herangezogen werden, um Frauen als lediglich passiv oder unterdrückt zu beschreiben, noch können allein die Wahrnehmung individueller Freiheiten und alltägliche persönliche Entscheidungen dazu verhelfen, Hierarchien zwischen den Geschlechtern gänzlich aufzulösen.
Es geht um einen Feminismus, der das Geschlecht als eine der Kategorien erkennt, die die Gesellschaft strukturieren, der die Verstrickung aller in das strukturelle Patriarchat kritisiert, mit dem Ziel, dieses zu überwinden. Und um einen Feminismus, der über die Zusammenhänge von Kapitalismus und Geschlechterverhältnis diskutiert.
Und es geht um eine antideutsche Position, die sich nicht mit dem Status quo der Geschlechterverhältnisse zufrieden gibt, auch nicht in westlichen Gesellschaften, und die Verantwortung für Handeln nicht nur individuell, sondern im Zusammenhang mit der Vergesellschaftung in der kapitalistischen Totalität diskutiert.
Emanzipatorische Gesellschaftskritik muss Geschlechterhierarchien beachten, sich zur Gewalt gegen Frauen äußern und eine Kritik formulieren an den Kategorisierungen Mann und Frau und den jeweiligen Zuschreibungen. Wo das nicht gemacht wird, bleibt ein blinder Fleck in der Gesellschaftsanalyse.

i) Hedonistische Mitte/Brigade Mondän, Feminismus aus tausendundeiner Nacht, in: »Bahamas« 54/2008, S. 61
ii) Thomas Maul, Die Macht der Mullahs, Freiburg 2007, S. 138 f. Maul konstatiert hier eine auf gesamtgesellschaftlicher Ebene vorhandene »phasenweise hysterische Übersensibilisierung«, die sich in unnötigen und reaktionären Modifizierungen des bundesdeutschen Sexualstrafrechts niedergeschlagen habe.
iii) Thomas Maul, S. 137
iv) Siehe »Jungle World« (12/2008 bis 20/2008)
v) Zur unterschiedlichen Verwendung dieser Gegenüberstellung: Christina v. Braun/Bettina Mathes, Verschleierte Wirklichkeit, Berlin 2007;
AG Antifa, Am Ende: Konformismus, »Cee Ieh« Nr. 144., http://www.conne-island.de/nf/144/22.html/3.9.2008;
mfg, Der ist doch sonst ganz nett?…?Teil I und II, http://www.conne-island.de/nf/155/17.html und http://www.conne-island.de/nf/156/17.html.
Die AG Antifa löst die Gegenüberstellung derart auf, dass Kritikerinnen und Kritiker von sexualisierten Frauendarstellungen Gemeinsamkeiten mit islamischer Geschlechterpolitik unterstellt werden; die mfg reflektiert die Gegenüberstellung in zwei getrennten Textteilen, ohne sie jedoch zu begründen.
vi) http://hedonistischemitte.blogsport.de/2008/02/18/
vii) So z.B. in: Am Ende des Konformismus, AG Antifa
viii) Thomas Maul, S. 140.
ix) Weitere Beispiele finden sich in »Die Macht der Mullahs«: Thomas Maul deutet darin die Definitionsmachtstrategie abwertend als antibürgerlich und absurd-subjektivistisch, S. 139.

 

Antifaschistischer Frauenblock Leipzig (AFBL), Herbst 2008
Kontakt: afbl@nadir.org

 

 

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