Frauen in der Politik heute — Zwischen
Emanzipation und Backlash
veröffentlicht im AS.ISM_3 Reader 2008
Es hat sich einiges geändert, seitdem die Erste
Frauenbewegung in Deutschland für die politischen Rechte der
Frauen gekämpft hat. Heute sind zum Beispiel immer mehr Frauen
in politischen Führungspositionen: Von den 14 Bundesministerien
werden fünf von Frauen geführt. Ende der Achtziger gab
es 15 % Frauen im Parlament, heute sind es doppelt so viele. Hinzu
kommt, dass es seit 2005 eine Frau in der Position der Bundeskanzlerin
gibt. Diese Steigerung der Präsenz von Frauen in politischen
Positionen bringt das Feuilleton zu der Behauptung, dass in Deutschland
nun Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herrsche. Aufgeregt
fragt es: Ist die Gesellschaft emanzipiert? Es wird gar von den
neuen starken Frauen berichtet, den Alphamädchen, die angeblich
auf der Überholspur wären und die Männer bezüglich
Abiturabschlussquoten schon überholt haben. Trotz dieser und
anderer handfester Beweise bleibt vieles gleich, was gut am Feld
Politik aufgezeigt werden kann. Männer haben die „wichtigeren“
Posten auf Bundes- und Landesebene, wie zum Beispiel das Wirtschaftsministerium
oder das Innen- und Außenministerium. Frauen haben die traditionell
„unwichtigen“ Posten für soziale und familiäre
Bereiche, also ganz klassisch solche, welche die Themenfelder des
„Privaten“ abdecken. Aus einer kritischen Perspektive
muss viel mehr gefragt werden, ob mit der Partizipation auch eine
Emanzipation einhergeht, wie die Zweite Frauenbewegung erhoffte,
und ob Feminismus einen neuen Stellenwert bekommen hat. Im Folgenden
nehmen wir die Vorstellungen über Frauen und Weiblichkeit unter
die Lupe. Dabei konzentrieren wir uns auf einzelne Debatten, wie
die um Eva Herman, um Ursula von der Leyen und Gabriele Pauli. Zwar
schon etwas älter, aber dennoch relevant für dieses Thema,
ist die Aufmerksamkeit für Angela Merkel als Bundeskanzlerin.
Eva und Herrmann
In den letzten Jahren löste die ehemalige Tagesschausprecherin
Eva Herman mit ihrem Buch das „Eva-Prinzip. Für eine
neue Weiblichkeit“ in Deutschland eine hitzige Debatte über
Geschlechterverhältnisse aus. Darin fordert sie, dass die Frauen
zu ihrer natürlichen Rolle als Mutter zurückkehren sollten,
um die gesellschaftliche Ordnung wieder herzustellen. Dabei bedient
sie sich längst überholt geglaubter Vorstellungen von
Geschlechtern. Trotz feministischer Kämpfe und Theorien sowie
Gender Studies werden diese Bilder eins zu eins als Tatsachen verkauft.
So schreibt Herman: „Der Mann steht in der Schöpfung
als der aktive, kraftvolle, starke und beschützende Part, die
Frau dagegen als der empfindsamere, mitfühlende, reinere und
mütterliche Teil“.
Diese „natürliche Geschlechterordnung“, so behauptet
sie weiter, führe zu Harmonie und Frieden in den Familien,
die sie in der heutigen Gesellschaft als gestört ansieht. Nicht
die kapitalistischen Verhältnisse und die alleinige Verantwortung
für Haushalt und Kinder werden hier für die Doppelbelastung
der Frau verantwortlich gemacht, sondern Schuld sei der Feminismus,
der die Frauen dazu treibe, gegen ihre angebliche Natur zu handeln
und zu vermännlichen. Nach Herman setzt die Vermännlichung
dann ein, wenn Frauen arbeiten gehen und die Sphäre des Privaten
verlassen. Die gesellschaftliche Angst der „Vermännlichung
der Frauen“ und der „Verweiblichung der Männer“
ist groß. Der „kleine Unterschied“ darf doch nicht
aufgelöst werden, wird mit größter Selbstverständlichkeit
immer wieder runter gebetet. In ihrem nachfolgendem Buch „Das
Arche Noah Prinzip“ ruft Herman zur Rettung der angeblich
orientierungslosen Gesellschaft durch die Familie auf. Gesellschaftliche
Probleme wie hohe Scheidungsraten, verwahrloste Kinder, gewaltbereite
Jugendliche oder gar das Aussterben der armen Deutschen könnten
durch die Rettung der Familie behoben werden. Diese Rettung, wir
ahnen es bereits, ist ihrer Meinung nach nur dadurch zu erreichen,
dass Frauen und Männer ihre angeblich natur- und gottgewollten
Rollen einnehmen.
Selbstbestimmt und Fremdbetreut
Wenn über Frauen in der Öffentlichkeit diskutiert
wird, geht es oftmals um ihre Rolle als Mütter. So auch wieder
letztes Jahr: Die Kita-Debatte, welche Anfang 2007 von Ursula von
der Leyen, jetzige Familienministerin, ausgelöst wurde, diskutierte
die Anhebung von Krippenplätzen. Von der Leyen begründete
ihre Forderung damit, dass junge Frauen nicht die Möglichkeit
hätten, Jobangebote wahrzunehmen, weil sie keinen Krippenplatz
bekommen würden. Die Verantwortung für Kinder wurde in
der Diskussion den Müttern zugeschrieben, Väter kommen
in ihr nicht vor. Von der Leyen wurde unter anderem von Christa
Müller für ihre Positionen angegriffen, die, als Vertreterin
der Linkspartei, die Familie als Dreh- und Angelpunkt für Frauen
verteidigt. Christa Müller sprach sich gegen mehr Kitaplätze
aus, da Kinder in Kitas „fremdbetreut“ würden:
„Frauen haben die gesellschaftlich unverzichtbare Aufgabe
Kindererziehung zu übernehmen.“ Müller kritisiert
ebenfalls, dass durch die Unterordnung der Familie unter die Ökonomie
ein Werteverfall einhergehe. Die Werte, die Christa Müller
hier anspricht, reproduzieren konservative Frauen- und Männerbilder.
Die Frau hat demnach die Aufgabe, „das Private“ zu organisieren,
wohingegen der Mann für „das Öffentliche“
zuständig ist. Dass von der Leyen mit ihren Positionen kein
„modernes“ Frauenbild entwirft, wird klar, wenn die
Forderung nach mehr Krippenplätzen vollständig gelesen
wird: Es geht ihr darum, die Geburtenrate zu steigern; die Kitaplätze
sollen ein Anreiz für Frauen sein, trotz beruflicher Karrierebestrebungen
Kinder zu bekommen. Dem Mangel an deutschem Nachwuchs soll somit
entgegengewirkt, die deutsche Wirtschaft gestärkt werden. In
ihrer Argumentation ist die Nation der Bezugsrahmen, zu dem die
deutschen Frauen ihren Teil beitragen sollen.
Es ist immer wieder erstaunlich, dass es so großen Widerstand
für eine Selbstverständlichkeit gibt, die die Schaffung
einer Möglichkeit der Vereinbarung von Beruf und Familie für
Frauen sein sollte. Die gesellschaftliche Realität in Deutschland
ist eben so konservativ, wie die Frauenbilder, die sie verteidigt.
Wie viel Schönheit darf’s denn sein?
Weiblichkeit ist in seiner westeuropäischen Konzeption
mit der Vorstellung von Schönheit und Körperlichkeit eng
verbunden. Das heißt auch, dass Frauen häufig ihre gesellschaftliche
Position über ihre Schönheit gewinnen. Diese Reduzierung
der Frauen auf ihre Körper und das Schönheitsideal der
schwachen, hilfsbedürftigen Frau stehen im Konflikt mit den
Rollenerwartungen an Politikerinnen. Das Bild des Politikers scheint
gänzlich entkörpert, im Mittelpunkt stehen seine Taten
und nicht sein Äußeres. In der Politik sind Eigenschaften
wie Durchsetzungskraft, Rationalität und Verantwortungsbewusstsein,
die hauptsächlich männlich konnotiert sind, wichtiger.
Durch die zunehmende Medialisierung und vielleicht auch den Anspruch
der Frauen, hat sich dies etwas verschoben. Aber auf keinen Fall
werden Männer in der Politik wegen ihrer Hässlichkeit
kritisiert. Bei Frauen wird gerne auf das Äußere Bezug
genommen. Das zeigen Ausdrücke wie „die schöne Landrätin
Pauli“ oder „Sahra Wagenknecht ist das schöne Gesicht
der Linken“. Auch wenn Frauen nun seit 90 Jahren in Deutschland
das aktive und passive Wahlrecht haben, so bleiben Frauen immer
noch das „Andere“, die Ausnahme in der „Männersache“
Politik. Politikerinnen müssen sich also den patriarchalen
Regeln der Politik anpassen, um darin zu bestehen. Für Frauen
gilt es, eine gesellschaftlich anerkannte Rolle auszuloten, die
nicht zu weiblich ist, da dann die Politikerin nicht ernst genommen
wird, aber auch nicht zu männlich, da dann der Vorwurf der
Unweiblichkeit folgt. Ziel ist es, in ihrer Weiblichkeit ernst genommen
zu werden. Dieses Einpendeln kann man gut am Beispiel von Merkel
sehen. Früher wurde ihr immer der Vorwurf gemacht, sie wäre
zu unweiblich, als Physikerin, mit kurzen Haaren, ungeschminkt und
nachlässig gekleidet. Besonders ihre Frisur wurde kritisiert.
Lange hat die deutsche Öffentlichkeit gebettelt, dass sie sich
doch mal eine bessere Haarschnitt zulegen sollte und jetzt geht
sie zum Starfriseur und hat sich somit einer Schönheitsforderung
angepasst und auch einer Vorstellung von gepflegter Weiblichkeit.
Seit dieser Anpassung wird nicht mehr soviel über ihr Äußeres
gesprochen. Merkel hat zur Normalisierung der Rolle einer Politikerin
beigetragen.
Wem dieser Spagat zwischen Weiblichkeit und Politik nicht geglückt
ist, ist Gabriele Pauli. Sie hat mit einer sexualisierten Weiblichkeit
kokettiert, die in der Gesellschaft eigentlich sehr anerkannt ist,
jedoch in der Politik verpönt. Durch die Bilder in der Park
Avenue hat sie sich in der öffentlichen Wahrnehmung der Rolle
der „Prostituierten“ angenähert, die auf der gesellschaftlichen
Skala der Seriosität ganz unten steht. Die Aufnahmen in dem
Hochglanzmagazin, betitelt mit „St. Pauli“, zeigen Pauli
unter anderem in Latex-Handschuhen und einer Gesichtsmaske. Diese
Bilder haben in den politischen Parteien, besonders in der CSU,
eine Welle der Empörung ausgelöst. Ihr wurde Unseriösität
und indiskutables Verhalten vorgeworfen, wodurch sie keine Chance
auf ein höheres Amt haben würde.
Die sexualisierte Weiblichkeit, die in anderen Bereichen wie Film-
und Musikbusiness die Prominenz und Achtung vieler Frau steigert,
hat in der Politik mit zu Paulis Abstieg beigetragen. Für Frauen
gibt es in der Politik und Wirtschaft nicht so viele Rolemodels,
wie man als mächtige und erfolgreiche Frau auszusehen und sich
zu verhalten hat. Es gibt nicht nur Anzug und Smoking, sondern viele
Möglichkeiten ins Fettnäpfchen zu treten.
Zum Schluss
Die Reaktionen auf Politikerinnen bzw. ihre Forderungen
zeigen, dass die Bundespolitik keine Ausnahme in der Gesellschaft
bildet, sondern dass Frauen dort genauso sexistischen Rollenerwartungen
ausgesetzt sind. Eine Steigerung der Präsenz von Frauen in
der Politik bedeutet eben nicht, dass sich unemanzipatorische Frauenbilder
ändern. Angela Merkel als Bundeskanzlerin täuscht nur
darüber hinweg, wie schlecht Frauen in anderen Feldern gestellt
sind. Leider geht es in den Debatten mehr um Frauenrollen als um
Emanzipation. Erschreckend ist, wie hartnäckig sich die Vorstellungen
über die angebliche natürliche Differenz von Männern
und Frauen halten. Auch wenn Frauen in männlich konnotierte
Bereiche vordringen, wird ihnen doch nur der ihrer Weiblichkeit
entsprechende Platz eingeräumt, ohne dass sich an dem Geschlechterverhältnis
strukturell etwas ändert. An herkömmlichen Rollenbildern
wird festgehalten. Die Feststellung, dass „doch schon alles
erreicht“ sei und dass Frauen alle Möglichkeiten offen
ständen, individualisiert die Verantwortung für die Geschlechterhierarchien.
„Ihr seid doch selber Schuld, wenn ihr Kinder bekommt –
und das mit der Karriere nicht trotzdem hinkriegt“, führt
uns nicht zuletzt die Familienministerin vor. Von einem Backlash
kann insofern die Rede sein, als das wieder auf alte Rollenmodelle
zurückgegriffen wird. Die Emanzipation der Frau wird als gescheitert
erklärt und als Ausweg werden als erstes der Herd und die Kinder
ausgerufen. Bis auf subkulturelle Randerscheinungen kann man in
der Öffentlichkeit keine Indizien dafür finden, dass Gleichberechtigung
oder die Dekonstruktion der Geschlechterrollen angestrebt wird.
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