Frauen in der DDR: Gleiche Rechte – doppelte
Pflichten?
Wie gleichgestellt oder sogar emanzipiert Frauen in
der DDR waren, ist nicht einfach zu beantworten. Es scheint, jedes
Argument provoziert ein „ja, aber andererseits“ woraufhin
ein „und dennoch“ folgen kann. Mit der Diskussion der
offiziellen Frauenpolitik, von Geschlechterbildern und von Frauengruppen
in der DDR machen wir ein Spannungsfeld auf, in dem wir eine Antwort
auf die Frage suchen(1).
Wenn über Gleichstellung in der DDR gesprochen wird, ist das
Hauptargument die hohe – und selbstverständliche –
Berufstätigkeit von Frauen. Tatsächlich war die geforderte
Norm die der lohnarbeitenden Mutter, zum einen weil es einen beständigen
Mangel an Arbeitskräften gab (insbesondere nach der Ausreisewelle
bis zum Anfang der 60er Jahre), zum anderen aber auch, weil dies
dem sozialistischen Ideal entsprach. Die Frauenfrage wurde als Teil
der Klassenfrage angesehen, was ihr ein gewisses Maß an Wichtigkeit
zusprach, die Diskussion des Geschlechterverhältnisses aber
auch verkomplizierte, denn Kritik an der Situation von Frauen wurde
als direkter Angriff auf das sozialistische System gewertet.
Die Fokussierung auf die Erwerbssituation bei der Gleichstellung
erklärt sich aus dem sozialistischen Selbstverständnis,
eine gleichberechtigte Erwerbssituation von Frauen sollte quasi
automatisch zu einer Befreiung von Frauen in allen anderen Bereichen
führen.
In dem DDR-Standardwerk Die Frau in der Deutschen Demokratischen
Republik heißt es: „Erst die schöpferische, gesellschaftlich
nützliche Arbeit in einer von Ausbeutung freien Gesellschaft,
die damit einhergehende soziale und ökonomische Unabhängigkeit,
die Verbindung einer sinnvollen beruflichen Tätigkeit mit der
Mutterschaft geben der Frau die Möglichkeit, 'dem Mann als
wahrhaft Freie und Gleiche' gegenüberzutreten, zur 'Herrin
ihrer Geschicke' zu werden, wie August Bebel es vorausgesehen hatte.“
Ein klassischer Gedanke sozialistischer Theorie, den auch Clara
Zetkin (zusammen mit August Bebel die theoretische Referenz für
die DDR-Frauenpolitik) vertrat (2). Diese Idee hält sich bis
heute in Teilen linken Denkens – man denke nur an Diskussionen,
in denen patriarchale Verhältnisse als Nebenwiderspruch deklariert
werden, die nach einer linken Revolution (hier: der Abschaffung
des Hauptwiderspruchs Lohnarbeit – Kapital) von alleine aufhören
würden zu existieren.
Ab sofort gleichgestellt
Da habe ich gerade durchs Fernsehen vernommen,
welche Eigenschaften für uns Frauen typisch sein sollen, das
haben westliche Wissenschaftler entdeckt: Passivität, Abhängigkeit,
Konformismus, Nervosität, Narzißmus, Gehorsam. Ich bin
also ein Mann, dem nur das Stückchen Schwanz fehlt. Oder ich
lebe in einer anderen Welt, in der man sich schon andere Charaktereigenschaften
zulegen darf.
Rosi S., 34, Sekretärin, verheiratet, ein Kind (3)
Die Arbeitssituation von Frauen und gesellschaftliche
Ideologie stehen, auch in der DDR, in einem direkten Zusammenhang.
Deshalb kann man das Geschlechterverhältnis weder ohne die
Staatsdoktrin diskutieren, noch lässt es sich ohne Weiteres
mit dem in westlichen Gesellschaften vergleichen. Und dennoch.
Wesentliche Forderungen der westlichen Frauenbewegungen in den 70er
Jahren waren in der DDR auf juristischer Ebene zu weiten Teilen
bereits in den 60ern erfüllt.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit war verfassungsmäßig
seit 1949 garantiert, das bedeutete aber nicht, dass Frauen real
den gleichen Lohn erhielten. Auch in der DDR waren klassische Frauenberufe
sowohl bei Frauen beliebt als auch schlecht bezahlt. Über unterschiedliche
Einkommen wurde in der DDR öffentlich nicht diskutiert, aber
das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern lag Ende der
80er Jahre bei etwa 16 %, in stark männlich dominierten Bereichen
wie dem Maschinenbau bei 21 % (4). Es gab also in der DDR entgegen
den offiziellen Verlautbarungen ein Lohngefälle, jedoch sind
die heutigen durchschnittlichen Einkommensunterschiede zwischen
Frauen und Männern größer, als sie es zum Ende der
DDR waren (5).
Nicht nur gleicher Lohn für gleiche Arbeit wurde in der Verfassung
festgeschrieben, sondern zusätzlich hieß es bereits seit
1949 neben dem klassischen Gleichberechtigungsartikel: „Alle
Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frauen
entgegenstehen, sind aufgehoben" (6). Die Gleichberechtigung
im Sinne einer juristische Gleichbehandlung von Frauen und Männer
war somit beschlossene Sache und keine Ideal- oder Zielvorstellung.
Nach klassischer DDR-Manier existierte ab sofort nicht mehr, was
es nicht geben sollte. Was genau unter Gleichberechtigung zu verstehen
sei, ist hier allerdings nicht definiert worden.
Neben diesen klassischen feministischen Forderungen, Gleichberechtigung
und gleicher Lohn, waren auch andere in der DDR weitgehend erfüllt,
beispielsweise wurde gerechter Zugang der Geschlechter zu Arbeit
und Bildung ermöglicht (7).
Auffallend ist die Staatsposition zu Verhütung und Abbruch
von Schwangerschaften. Trotz des ständigen Mangels an Arbeitskräften
und dem Streben nach der Familiennorm mit zwei bis drei Kindern
war die Pille ab 1965 verfügbar. Im gleichen Jahr wurde die
Erleichterung des Schwangerschaftsabbruchs beschlossen. 1972 wurde
dieser mit dem „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“
(8) für die ersten drei Schwangerschaftsmonate vollständig
legalisiert und die Pille für alle versicherten Frauen ab 16
Jahren frei gegeben. Beides war in der DDR kostenlos. Diese liberale
Regelung war unter anderem eine Reaktion auf die westliche Frauenbewegung,
einen ähnlichen Skandal wie die „Wir haben abgetrieben“
Kampagne von 1971 wollte die DDR-Führung unbedingt verhindern.
Zugleich konnte, im Jargon des Kalten Krieges, die historische Überlegenheit
des Sozialismus demonstriert werden.
Die weitgehende Gleichberechtigung führte allerdings nicht
zu einer gesellschaftlichen Gleichstellung von Frauen und Männern
(von einer Aufhebung von Geschlechtern an sich gar nicht zu reden).
Patriarchale, heteronormative Strukturen (9) und ein tendenzielles
Ungleichgewicht zu Ungunsten von Frauen lässt sich auch in
der DDR in allen Lebensbereichen konstatieren. Klassische Rollenvorstellungen
und –muster werden zwar angekratzt aber weder aufgehoben noch
grundsätzlich in Frage gestellt.
Recht auf Arbeit...
Ich habe viele Ideen, vielleicht ein Kernkraftwerk,
das ist was Neues und hat Zukunft. In einer Kleinstadt kann man
sich nicht so entfalten. Da muß man schon ein Mann sein, um
was vom Leben zu haben.
Susanne T., 16, Schülerin
Wie bereits beschrieben war der Emanzipationsbegriff
in der DDR stark bzw. ausschließlich an die Einbindung von
Frauen in die Arbeitswelt gekoppelt. Es entstanden Förderprogramme
für die berufliche Weiterbildung und Qualifikation von Frauen,
der Zugang zu typischen „Männerberufen“ wurde unterstützt
und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte durch sozialpolitische
Maßnahmen gewährleistet werden. In diesem Sinne konnte
Erich Honecker 1971 mit gutem Gewissen verkünden, die Frauenfrage
sei gelöst. Über 90 % aller Frauen hatten entweder einen
eigenen Beruf oder waren in der Ausbildung und hatten ein eigenes
Einkommen.
Die Fördermaßnahmen galten indes fast nur in den Bereichen
von Ausbildung und Produktion. In leitenden Positionen blieben Frauen
weiterhin unterrepräsentiert, bezeichnenderweise gab es auch
im Politbüro der SED nie eine Frau. Die Lohnarbeit mit Haus-,
Familien- und Erziehungsarbeit zu verbinden, blieb ebenfalls weiterhin
Aufgabe der Frauen. Nach der Arbeit im Betrieb folgte nun zu Hause
die „2. Schicht“, die im Durchschnitt 38,4 Wochenstunden
betrug (10). Staatlicherseits wurde versucht, die Frauen in diesem
Bereich zu entlasten. Große Teile des Reproduktionsbereiches
wurden kollektiviert und subventioniert, es wurde in Kinderkrippen-
und Kindergartenplätze investiert, ein stark subventionierter
Dienstleistungssektor entwickelte sich, und eine Reihe anderer sozialpolitischer
Vergünstigungen für Mütter (Mütterberatung,
Mütterjahr, Haushaltstage) wurden umgesetzt.
Der „Befreiung vom Joch der Hausarbeit“ (11) lagen in
der DDR ambivalente Motive zugrunde. Neben dem tatsächlichen
Gleichberechtigungsgedanken gab es eine schlichte bevölkerungspolitische
Notwendigkeit, zum anderen behielt sich der Staat so auch einen
Einfluss auf die Sozialisation der Menschen von frühester Kindheit
an vor. Und alle sozialpolitischen Maßnahmen gingen weiterhin
von traditionellen Geschlechterbildern aus, es gab keinerlei Bestrebungen,
Männer in Frauenberufe zu integrieren oder sie den Familienpflichten
näher zu bringen (12).
...ist Pflicht zur Arbeit.
Was heißt Überlegenheit? Ich führe
ja nicht gerade ein feines Leben durch meine sogenannte Überlegenheit.
Ich bade doch alles alleine aus, Elternbeirat, Gewerkschaft, betreue
die Alten im Haus, erledige die Wege zu den Ämtern. Es ist
nicht die Arbeit, die einen schafft, es ist die Verantwortung ,
die man alleine tragen muß.
Rosi S., 34, Sekretärin, verheiratet, ein Kind
Frauen wie Männer konnten und mussten in der
DDR einer Lohnarbeit nachgehen. Sowohl moralische (dein täglicher
Beitrag zum Sozialismus), ökonomische (die Höhe der Löhne
ließ das „einE-ErnährerIn-Familienmodell“
kaum zu), als auch rechtliche Bedingungen verpflichteten jedeN EinzelneN
zur Vollzeitarbeit. In der Verfassung heißt es: „Das
Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit“,
Arbeitslosigkeit gab es nicht, wer nicht arbeiten wollte, galt als
„asozial“ und war subtilen oder unverhohlenen Repressionen
ausgesetzt. So wurde jeder Bürgerin ein Arbeitsplatz gleichermaßen
garantiert und aufgezwungen.
Dennoch war die berufliche Arbeit ein wichtiger Bestandteil der
Selbstdefinition und des Selbstbewusstseins von Frauen in der DDR.
Arbeiten zu gehen bedeutete Gemeinschaft in Kollektiven, soziale
Integration und Anerkennung durch Arbeitsleistung und relative ökonomische
Unabhängigkeit. Und damit änderte sich auch das Rollenverständnis
bis zu einem gewissen Grad.
Aber eben nur bis zu einem gewissen Grad, die staatliche und gesellschaftliche
Norm war immer noch „Heiraten und Kinderkriegen“, auch
wenn Scheidungen unkompliziert waren und alleinstehende Mütter
staatliche Unterhaltszahlungen erhielten. Für Ehepaare gab
es umfangreiche Unterstützungen, z.B. bekamen sie leichter
eine Wohnung und ihnen stand ein Ehekredit zu, der „abgekindert“
werden konnte.
Ein unabhängiges Leben ohne Mann war für Frauen in der
DDR nicht vorgesehen. Und dennoch möglich.
Frauengruppen in der DDR
Ich möchte es ja auch nicht so wie gewisse
Frauenrechtlerinnen machen, die wie die Wilden schießen, weil
man es ihnen erlaubt hat; die über ihre Männer schimpfen,
weil sie ihnen den Abwasch nicht abnehmen oder die Scheißwindeln
von den Kindern. Sie rennen Amok, die kommen nie zu einer Verständigung
mit ihrem Mann.
Rosi S., 34, Sekretärin, verheiratet, ein Kind
Die Gleichberechtigung wurde in der DDR alleinig durch
die Regierung umgesetzt, eine gesellschaftliche Auseinandersetzung
über den tatsächlichen Stand der Emanzipation wurde als
Kritik am System gewertet und deshalb nicht geduldet. Die DDR-Diktatur
erlaubte keine nichtstaatlichen Frauengruppen und westliche feministische
Literatur war nur schwer zugänglich. Nicht einmal eine kritische
Diskussion über Erziehungsmethoden und Inhalte ließ die
Regierung zu. Ab Mitte der 60er gab es zwar vereinzelt soziologische
Frauenforschung, jedoch wurden die kritischen Ergebnisse nicht veröffentlicht
(13). Somit konnte es keine gesellschaftlichen Auseinandersetzungen
über die geschlechtlichen Zuschreibungen und Rollen geben.
Alleine die evangelische Kirche bot einen halböffentlichen
Raum, in dem sich Gruppen treffen konnten und gesellschaftskritisches
Denken offen und unzensiert möglich war. Hier begannen sich
seit Ende der 70er Jahre oppositionelle Gruppen zu gründen,
darunter befanden sich auch Frauengruppen, die anfänglich hauptsächlich
die Rolle der Frau in der Kirche kritisierten. Feministische Theologie
wurde ein Schwerpunktthema der DDR-Frauengruppen. Ab Anfang der
80er Jahre bildeten sich immer mehr nichtkonfessionelle Frauengruppen,
welche die Kirche lediglich als oppositionellen Raum nutzten. Unter
ihnen waren die Gruppen „Frauen für den Frieden“,
die sich in mehreren ostdeutschen Städten mit Friedensthemen
beschäftigten. Als 1985 das neue Wehrdienstgesetz beschlossen
war, welches die Einbeziehung von Frauen in den aktiven Wehrdienst
im Verteidigungsfall vorsah, gab es erstmals öffentlichen Protest
von den „Frauen für den Frieden“ Berlin, der durch
Verhaftungen unterbunden wurde.
Mit den Friedensfrauen entstanden weitere Gruppen in vielen ostdeutschen
Städten, die – auch durch die neue westdeutsche Frauenbewegung
inspiriert – die staatliche Frauenpolitik kritisch hinterfragten.
Mitglieder dieser feministischen und lesbischen Gruppen setzten
sich aktiv mit der Rolle der Frau in der DDR-Gesellschaft und dem
dort vertretenen Gleichberechtigungsverständnis auseinander.
Sie kritisierten die Doppelbelastung, ungleiche Bezahlung und insgesamt
die androzentrische Gesellschaft. Weitere Themen waren Erziehung,
Menschenrechte und Gewalt gegen Frauen. Lesbische Frauen kritisierten
die Diskriminierung von Homosexuellen und schlossen sich zu Gruppen
zusammen (14).
Die Aktionsformen der Frauengruppen waren durch das politische System
stark eingeschränkt, so blieben ihnen beispielweise nur die
Möglichkeit von Eingaben- und Unterschriftenaktionen und Gottesdiensten
(15). Möglichkeiten der Vernetzung bot der Rahmen der Kirche
durch Kirchentage, Frauentreffen und kleine selbst veröffentlichte
Zeitschriften („Lila Band“, „Das Netz“ (ab
1988) und „frau anders“ (ab 1989)).
Die Mitgliedschaft in den oppositionellen Frauengruppen bedeutete
immer ein Ausgesetztsein von Repressionen. In jeder Gruppe war mindestens
ein inoffizielles Mitglied der Stasi. Die Auswirkungen gingen von
Ermahnungen durch den Vorgesetzten, über die Verwehrung von
Ausbildungs- und Studienplätzen bis zu Verhaftungen (16).
Insgesamt kann man sagen, dass diese kleinen, privaten Gruppen nur
eine geringe Wirkung auf die Bevölkerung entfalteten. Zahlen
zu den in Frauengruppen engagierten Frauen sind schwer zu schätzen.
Es sollen in den 80er Jahren insgesamt 100 Frauengruppen entstanden
sein. Anwesende bei überregionalen Frauentreffen waren 1984
60, 1989 waren es schon 300 Frauen (17).
In der Öffentlichkeit war es am ehesten noch KünstlerInnen
und MusikerInnen möglich, eine Kritik an Rollenzuweisungen
zu formulieren. Doch auch hier wurden Darstellungen zensiert, die
nicht dem sozialistischen Frauenbild entsprachen, Spielfilme mit
progressiven Frauenrollen wurden verboten oder konnten gar nicht
erst realisiert werden (18), es wurden Berufsverbote erteilt und
oft blieb den AkteurInnen nur der Spielraum der Untergrund-Kultur.
So entstand 1984 in Erfurt die (dezidiert feministische) Künstlerinnengruppe
Exterra XX (19). Die Künstlerinnen experimentierten mit Performance,
Tanz, Musik, und Super-8-Film und entwickelten daraus eine künstlerische
Praxis, die als Gegenentwurf zur Staatskunstdoktrin des sozialistischen
Realismus stand (20).
Die wohl wesentlichste Rolle in der Vermittlung feministischer Inhalte
kam den SchriftstellerInnen zu (21). Sie thematisieren in ihren
Texten sowohl praktische Probleme von Frauen im alltäglichen
Leben als auch theoretische Fragen zu Geschlechterdifferenz und
Rollenbildern. Um ihre Texte durch die Zensur zu bekommen, konnten
die AutorInnen ihre Anliegen oft nur in verhüllter oder indirekter
Form verarbeiten. Daraus entwickelte sich zwischen AutorInnen und
LeserInnen ein komplexes und eigenwilliges Codier- und Decodierverfahren
der Texte.
Erst in der Wendezeit entstand die Möglichkeit sich zu organisieren
und die Frauengruppen gründeten Frauenbibliotheken, -kulturzentren
und Frauenhäuser. Die Zahl der Gruppen nahm 1989 stark zu.
Im Dezember 1989 gründeten neue und alte Frauengruppen, Wissenschaftlerinnen
und auch SED Frauen die Partei: „Unabhängige Frauenverband“
(UFV), deren Ziel die Interessenvertretung von Frauen am „Zentralen
Runden Tisch“ (22) war. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich dieses
Ziel erfüllt und sogar eine Ministerin wurde in die Modrow-Regierung
gesandt. Bei den ersten freien Volkskammerwahlen der DDR trat der
UFV gemeinsam mit den GRÜNEN an, erhielt aber kein Mandat (23)
.
ENDE NEU?
Aber ich weiß nicht, was das ist, eine
emanzipierte Frau. (...) Vielleicht ist das Emanzipation, daß
Dinge, die früher zu Katastrophen geführt haben, heute
kein Problem mehr sind. Daß eine Frau sagen kann: Wenn du
nicht mitmachst, dann mach ich es alleine. Obwohl das nicht einfach
ist.
Erika D., 41, Dramaturgie- Assistentin, geschieden, zwei Kinder
Wie ist das Geschlechterverhältnis in der
DDR aus feministischer Sicht also einzuordnen? Von Emanzipation,
einer Befreiung aus Abhängigkeiten und von Hierarchien, lässt
sich schwer sprechen innerhalb eines gesellschaftlichen Systems,
das Kritik bestraft und unterdrückt, in dem Rechte ge- und
verwehrt werden, mit Zwang verbunden sind, und nur von Angepassten
in Anspruch genommen werden können.
Und dennoch. Es lassen sich Aussagen über die Gleichstellung
von Frauen und Männern treffen. Die fünfziger Jahre in
der DDR bedeuteten für Frauen nicht die »drei K«
wie im Westen, sondern den Sozialismus in wirtschaftlich relevanten
Zweigen (z.B. Bau, Elektroindustrie, Maschinenbau) aufzubauen. Ja,
aber. Gesellschaftliche Teilhabe definierte sich über Teilnahme
am Arbeitsmarkt – das garantierte Frauen wie Männern
zwar Lohnarbeit, aber dem Staat Zugriff und Regulation. Frauen wurden
lediglich als lohnarbeitende Mütter gedacht, die kinderlose,
alleinstehende Frau kam in der staatlichen Ideologie nicht oder
kaum vor. Das führte zu einer Politik, die alternative Lebensmodelle
nicht vorsah, aber tatsächlich Kinder und Arbeit miteinander
vereinbaren ließ. Andererseits wurde die Verantwortung von
Frauen für reproduktive Arbeiten nicht in Frage gestellt. Hausarbeit,
die nicht kollektiviert war, war Aufgabe der (Ehe-)Frau. Geschlechtliche
Zuschreibungen und ungleiche Gehaltsverhältnisse existierten
auch in der DDR. Ähnlich wie im Westen hatten Frauen ein subjektives
Gleichheitsverständnis, das einer objektiven Analyse kaum standhält.
Und dennoch. Das weit verbreitete Gleichheitsverständnis wirkte
sich auch auf die Beziehungen zwischen Männern und Frauen aus.
Das hohe Ansehen der Lohnarbeit im Sozialismus führte zu einer
»Werterfahrung« von Frauen, einem Selbstbewusstsein,
das über den Arbeitsplatz hinausreichte. Und dennoch kaum dazuführte,
dass Frauen mehr Rechte in anderen gesellschaftlichen Bereichen
forderten. Man kann also von einer arbeitsorientierten, staatlich
erwünschten Emanzipation sprechen ohne explizite Kritik des
Patriarchats (24). Das sozialistische Ideal der gemeinsam kämpfenden
Geschlechter existierte alleinig an der Arbeitsfront. Trotz einiger
im frauenpolitischen Sinne fortschrittlicher Ansätze, die die
rückschrittlichen jedoch nicht vergessen machen, kann man in
der DDR von einem sozialistischen Patriarchat sprechen.
Mit dem Ende der DDR brach dann das sozialistische Adjektiv weg.
1.) Wir werden im Folgenden beinahe
ausschließlich von der Situation von Frauen in der DDR sprechen,
dabei bleiben andere repressive Elemente des Staates und der Gesellschaft
zum Teil unbeleuchtet.
2.) Nun wurde die DDR sicherlich weder Bebel, noch Zetkin gerecht,
aber in den Diskussionen um die Frauenfrage sind beide wichtige
Bezugspunkte gewesen.
3.) Alle Zitate aus: Wander, Maxie: “Guten Morgen, du Schöne”
Frauen in der DDR: Protokolle. Darmstadt & Neuwied 1978.
4.) Stephan, Helga/Wiedemann, Eberhard: Lohnstruktur und Lohndifferenzierung
in der DDR. In: IAB Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
4/1990, 556f. (http://doku.iab.de/mittab/1990/1990_4_MittAB_Stephan_Wiedemann.pdf)
5.) Aktuell bei etwa 22 %. Im Vergleichszeitraum lag der durchschnittliche
Abstand der Verdienste in der Bundesrepublik bei 30 %, war also
etwa doppelt so hoch. Gender Datenreport des BMFSFJ: http://www.bmfsfj.de/Publikationen/genderreport/3-Erwerbseinkommen-von-frauen-und-maennern/3-3-entwicklung-und-verteilung-der-erwerbseinkommen-in-deutschland,seite=2.html.
6.) Art. 7.2. DDR Verfassung.
7.) Deutlich wird der quantitative Erfolg dieser Bestrebungen beispielsweise
anhand der Studierendenzahlen: Ähnlich wie in der BRD waren
in der DDR Mitte der 60er Jahre nur ein Viertel der Studierenden
Frauen. Bereits bis Mitte der 70er hatte sich ihr Anteil auf 48
% erhöht. Während der 80er blieb er konstant bei 50 %,
in der BRD lag er in den 80ern bei etwa 38 %. BMBF: Frauen im Studium.
Langzeitstudie 1983 – 2004.Bonn, Berlin 2005. http://www.bmbf.de/pub/frauen_im_studium_1983-2004.pdf.
Eine kritische Einordnung der Situation von Studentinnen: Mertens,
Lothar: Studentinnen in der DDR. Erst gefördert – dann
vom Staat vernachlässigt. In: Hochschule Ost 1996, H.3, S.
102–113.
8.) Bei der Abstimmung in der Volkskammer gab es erstmalig Gegenstimmen
bei der Verabschiedung eines Gesetzes.
9.) Zur Erklärung der beiden Begriffe siehe auch unser Text:
Im Verhältnis. Eine Begriffsdiskussion zu heteronormativer
Matrix und Patriarchat. In: Phase2.32, S.12–15.
10.) Schröter, Ursula/Ullrich, Renate: Patriarchat im Sozialismus?
Nachträgliche Entdeckungen in Forschungsergebnissen aus der
DDR. Berlin 2004, S. 77.
11.) Lenin, W.I.: Werke. Bd 32, S. 309.
12.) 1988 meinten 81 % der Männer und 90 % der Frauen dass
für das Zubereiten der Mahlzeiten die Frauen zuständig
sind. Die Wohnung putzen ist stets oder überwiegend Sache der
Frauen, sagten 78 % der Männer und 84 % der Frauen. (Schröter,
Ursula/Ullrich, Renate: Patriarchat im Sozialismus? Nachträgliche
Entdeckungen in Forschungsergebnissen aus der DDR. Berlin 2004.)
13.) Im Jahr 1964 beschloss der Ministerrat der DDR, ein –
interdisziplinär angelegtes – wissenschaftliches Gremium
zur Analyse der Lage der Frauen in der DDR zu gründen.
14.) Kenawi, Samirah: Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre. Eine
Dokumentation. Berlin 1995.
15.) Miethe, Ingrid: Frauenbewegung in Ostdeutschland - Angekommen
in gesamtdeutschen Verhältnissen? In:
Beiträge zur feministischen Theorie & Praxis, Nr.54, Berlin
2000.
16.) Kenawi, Samirah: Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre. Eine
Dokumentation. Berlin 1995.
17.) Kenawi, Samirah: Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre. Eine
Dokumentation. Berlin 1995.
18.) z.B. „Karla“, Regie: Herrmann Zschoche; „Das
Kaninchen bin ich“, Regie: Kurt Maetzig, beide von 1965.
19.) Gründerinnen: Monika Andres, Monique Förster, Gabriele
Göbel, Ina Heyner, Verena Kyselka, Ingrid Plöttner, Gabriele
Stötzer, Harriet Wollert.
20.) Ausstellung "und jetzt", 26.11. bis 20.12 2009 im
Künstlerhaus Bethanien, Arbeiten von Künstlerinnen der
autonomen Kunstszene in der DDR.
21.) z.B. Irmtraud Morgner, Brigitte Reimann, Monika Maron, Maxie
Wander, Hedda Zinner, Christa Wolf, Sarah Kirsch, Helga Schubert,
Helga Königsdorf, Elke Erb.
22.) Dabei handelte es sich um ein zwischen Dezember 1989 und März
1990 tagendes Gremium von Regierungs- und OppositionsvertreterInnen,
die beratend auf die derzeitige Modrow-Regierung Einfluss nahm und
u.a. an der Vorbereitung einer neuen Verfassung und der ersten freien
Wahlen beteiligt war. Er wollte explizit keine parlamentarischen
Funktionen übernehmen, sondern verstand sich als Bestandteil
der öffentlichen Kontrolle.
23.) Hampele Ulrich, Anne: Der Unabhängige Frauenverband. Ein
frauenpolitisches Experiment im deutschen Vereinigungsprozess. Berlin
2000.
24.) Schenk, Christina; Schindler, Christiane: Frauenbewegung in
Ostdeutschland - Innenansichten, in: Meleck-Lewy, Eva; Penrose,
Virginia: Gefährtinnen der Macht. Politische Partizipation
von Frauen im vereinigten Deutschland. Eine Zwischenbilanz. Berlin,
1995.
AFBL Antifaschistischer Frauenblock
Leipzig, Oktober 2009
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