Gegen Deutschland
Über das Verhältnis zur nationalen
Besonderheit sowie zur bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen
als Massgaben einer linken antideutschen Praxis
Politische Gruppen müssen zwangsläufig ein Verhältnis
zu dem Staat und der Gesellschaft entwickeln, in denen sie ihre
Positionen veröffentlichen und agieren. Implizit geschieht
dies ständig, in der Ablehnung bestimmter politischer Entscheidungen,
durch Verweise auf antiemanzipatorische Ideologien in der Bevölkerung
oder Unmutsäußerungen wie "kill the nation".
Nun mag dies zunächst wie ein Allgemeinplatz klingen, da doch
linke Politik, wenn sie kritisiert oder alternative Gesellschaftsformen
proklamiert, aktuelle Zustände als Ausgangspunkt hat. Jedoch
ist das Verhältnis zur Nation nicht mit einem einfachen "abschalten"
oder "von der Karte streichen" geklärt. Die Verhältnisse,
die die Grundlage jeglichen Handelns bilden, sind mit Staat und
Nation nur unzureichend beschrieben: Vergesellschaftung, Geschichte
und nicht zu letzt kapitalistische Totalität sind ebenfalls
Kennzeichen dieser Verhältnisse. Gerade für Linke in Deutschland
müssen spezifische Grundlagen und Vorraussetzungen Teil der
eigenen Argumentation gegen das Bestehende darstellen. In der Auseinandersetzung
zwischen antideutschen und anderen linken Gruppen ist die Positionierung
gegenüber dem Staat, in dem man lebt, und die Bezugnahme auf
dessen Geschichte und Vergesellschaftung der Unterschied ums Ganze.
Kann man sich noch auf ein "Nie wieder Deutschland" einigen,
sieht es beim Verhältnis zu bürgerlichen Idealen, an denen
sich auch die BRD im Grundgesetz orientiert, oder bei der Beantwortung
der Frage, warum es gerade in Deutschland zum Holocaust kam, ganz
anders aus. Die Basis, auf der wir im Folgenden argumentieren, ist
die Anerkennung von Auschwitz als Zivilisationsbruch, das unbeschreibbare
Grauen des Nationalsozialismus, das keinen positiven Bezug auf Deutschland
oder "deutsch" zulässt. Und dass somit das Wissen
um den NS einzig eine antideutsche Positionierung erlaubt. "Antideutsch"
nimmt eine genuine Ablehnung der deutschen Vergesellschaftung zur
Grundlage politischen Agierens. Auf dieser Basis legen wir im Folgenden
dar, warum entgegen mancher linker Argumentation der Rahmen Deutschland
nicht verlassen werden kann und deutsche Zustände vielfältig
Einfluss haben oder sogar bestimmend für jede Politik hier
sind.
Der Boden der Tatsachen
Entgegen völkischer Annahmen sind Nationalstaaten
keine "natürlich" gewachsenen Gebilde, die sich über
Territorium, gemeinsame Kultur und Sprache legitimieren. Sie sind
vielmehr ideologische Konstrukte, die im bestehenden System als
spezifische Organisationsformen dienen, um den politisch-juristischen
Rahmen für kapitalistische Produktionsverhältnisse zu
bilden. Im Zuge antikapitalistischer Politik sind Nationalstaaten
durchaus zu kritisieren. Allerdings sollte nicht der Fehler begangen
werden, lediglich auf dieses allgemeingültige Element zu abstrahieren
und daraus begründet, die Abschaffung aller Nationalstaaten
zu fordern, ohne die Spezifik einzelner Staaten zu berücksichtigen.
Deutlichstes Beispiel ist hier Israel: ein eigener Staat garantiert
Jüdinnen und Juden "eine sichere Heimstatt", die
ihnen die Möglichkeit bietet, gegen Übergriffe auf ihre
Unversehrtheit vorzugehen.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Nation in Deutschland muss
sich in erster Linie der eigenen Nation zuwenden. Dies gilt einerseits
vor dem Hintergrund des im NS begangenen Zivilisationsbruches, wobei
das Augenmerk antideutscher Politik auf Kontinuitäten im Zusammenhang
mit der deutschen Geschichte zu richten ist und andererseits auf
die Kritik an aktuellen deutschen Zuständen.
Die in Deutschland gefällten politischen, ökonomischen,
sozialen oder kulturellen Entscheidungen betreffen uns nicht nur
auf abstrakter Ebene. An neudeutschem Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus
und Rassismus von Neonazis oder NachbarInnen ist in Deutschland
nicht vorbei zu kommen. Zudem bestimmt die soziale Realität
des Staates, in dem man lebt, jegliches Handeln: Der Abbau des Sozialstaates
und der gleichzeitige Reproduktionszwang sowie prekäre Arbeitsverhältnisse
sind alltagsbestimmend und können nicht einfach ausgeblendet
werden. Schon allein strukturell betrachtet stellt Deutschland den
Rahmen für jegliches politisches Handeln dar. Ganz simpel aus
der Lebensrealität heraus, mit der man sich auseinandersetzen
muss. Diese bestimmt nicht nur das eigene Leben und somit politisches
Agieren, sondern die öffentlichen Diskurse in Deutschland haben
auch direkten Einfluss auf die eigene Politik. Zum einen, weil der
Diskurs Themen vorgibt, die es zu kritisieren gilt, zum anderen
weil auch linksradikale Politik nicht außerhalb dieses Diskurses
zu denken ist. Jede Kritik, so sie öffentlich geäußert
wird, ist Teil eines Diskurses und muss diesen mitbeachten. Daraus
folgt, dass sich manche Äußerungen einfach verbieten,
weil sie den Falschen zuspielen oder weil sie missverstanden werden
müssen. Wenn zum Beispiel Proteste gegen die Hartz-IV-Reformen
von der Masse getragen werden, ist es nicht möglich sich an
diesen zu beteiligen, weil die eigene Position dann im "Gebt
mir Arbeit"- Taumel untergeht.
Wer kritische Politik in Deutschland betreibt, muss diese in erster
Linie innerhalb des nationalen Rahmens verorten. Dass sich dabei
vor dem Hintergrund der spezifisch deutschen Geschichte, die in
die Shoa führte, ein positiver Heimatbezug und jegliche Affirmation
von selbst verbietet, sollte Grundprinzip antifaschistischer Politik
sein.
Deutschland ist und bleibt das Land, dessen Bevölkerung "Volksfremde"
ermordete und begeistert Krieg um die Weltherrschaft führte.
Noch heute findet kaum eine adäquate Auseinandersetzung mit
der eigenen Schuld im NS statt. Dies zeigt nicht nur die Debatte
über die Wehrmachtsausstellung oder die derzeitige Forderung
von Beamten des Auswärtigen Amtes nach einem würdigen
Andenken für ehemalige NSDAP-Mitglieder in ihren Reihen. Ein
offizielles Gedenken an die Opfer des NS steht keineswegs im Widerspruch
zur individuellen wie kollektiven Schuldabwehr - solange man sich
nun ebenfalls zum Opfer unter vielen stilisieren kann, das erst
unter der Nazidiktatur zu leiden hatte und dann auch noch alliierten
Bombern ausgesetzt war oder vertrieben wurde. Diese Relativierung
macht es einfacher, auch deutsche Verbrechen einzugestehen und ermöglicht
es, vorgeben zu können, aus der Geschichte gelernt zu haben.
Mit diesem Geschichtsrevisionismus wird gleichzeitig ein Stück
Normalität eingefordert - so kann nun auch Deutschland auf
der Seite der Alliierten den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Invasion
in der Normandie beiwohnen und den 8. Mai als Tag der Befreiung
zelebrieren.
Auch sind Rassismus und Antisemitismus mit Kriegsende nicht aus
dem deutschen Alltag verschwunden. Dies zeigen nicht nur staatliche
Debatten über das Zuwanderungsgesetz oder Auffanglager an den
Grenzen zur EU. So sind MigrantInnen tagtäglich Schikanen und
Anfeindungen ausgesetzt und die bisweilen tödliche Praxis der
Abschiebungen wird nach wie vor vollzogen. Ebenso sind Übergriffe
gegenüber Jüdinnen und Juden keine Seltenheit und haben
in den letzten Jahren (nicht nur in Deutschland) kontinuierlich
zugenommen. Hinzu kommt, dass dem erstarkenden Antisemitismus auch
von öffentlicher Seite nicht die Aufmerksamkeit entgegengebracht
wird, die angemessen wäre. Vielmehr trägt die einseitige
mediale Berichterstattung über den Nahostkonflikt sowie die
deutsche bzw. europäische Politik in dieser Region zur anti-israelischen
Haltung der Öffentlichkeit bei. Laut einer im Herbst 2003 von
der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie stellt Israel für
65 Prozent der Deutschen eine Gefahr für den Weltfrieden dar
und fordere durch seine Politik den Terrorismus geradezu heraus.
So passt es gut ins antisemitische Klischee, der jüdischen
Bevölkerung die Schuld an den Angriffen auf ihr Leben selbst
zuzuschreiben. Dem deutschen Selbstbewusstsein ist es dabei nur
allzu dienlich, wenn Politiker wie Möllemann oder Hohmann endlich
auch das aussprechen, was man vermeintlich nicht laut aussprechen
darf.
Sowenig wie der Antisemitismus ist die Sehnsucht der Mehrheit der
Bevölkerung nach einem starken Staat, der nationale Interessen
adäquat umzusetzen weiß, verschwunden. Die Einschränkung
von bürgerlichen Rechten und Freiheiten wird zugunsten des
nationalen Wohlergehens gern in Kauf genommen.
Bürgerliche Gesellschaft verteidigen?
Politik in Deutschland sieht sich einem demokratisch
verfassten Staat gegenüber. Kritik am Staat zielt oft lediglich
auf dessen Verbesserung ab. Dies demonstrieren verschiedene reformistische
Bewegungen, wie z.B. die Frauenbewegung oder antirassistische Gruppen,
die auf Grundlage des Gleichheitssatzes (Art. 2) des Grundgesetzes
Verbesserungen der realen Lebensverhältnisse fordern. Die Ergebnisse
dieser Bestrebungen sind zwar teilweise zu befürworten, sie
genügen allerdings nicht dem Anspruch radikaler Gesellschaftskritik,
die sich auf die Abschaffung der kapitalistischen Verhältnisse
richten muss. Wie deutsche BürgerInnen wissen können,
heißt Antikapitalismus allerdings nicht unbedingt eine emanzipatorische
Entwicklung zu befördern. Im antideutschen Diskurs wird Emanzipation
immer wieder mit einem positiven Bezug auf die bürgerliche
Gesellschaft und Vernunft in Zusammenhang gebracht. Zentral ist
hier die Positionierung für die demokratische Rechtsordnung
gegenüber totalitären Regimen.
Die bürgerliche Gesellschaft in einem demokratisch verfassten
Staat ist Voraussetzung für ihre positive Aufhebung (eine bessere
Gesellschaft), sie kann aber auch Voraussetzung ihrer negativen
Aufhebung sein, wie der Nationalsozialismus zeigte. Er führte
eine Strategie vor, wie mit den Widersprüchen innerhalb des
kapitalistischen Systems umzugehen sei. Es handelte sich hierbei
um den Versuch, die Krise nicht durch die Abschaffung des Kapitalismus,
sondern durch die Vernichtung der abstrakten Seite des Kapitals,
die auf Juden und Jüdinnen projiziert wurde, zu bewältigen.
Zugleich formierte sich die Volksgemeinschaft, deren Mitglieder
sich mit "ehrlicher Arbeit" in den Dienst des Gemeinwohls
stellen. Die Kritik an und in Deutschland muss diese spezifisch
deutsche Form der Vergesellschaftung mit einbeziehen, das bedeutet,
Kontinuitäten aufzuzeigen und regressiven Tendenzen entgegenzutreten.
Dabei ist der Bezug auf eine bürgerliche Vernunft durchaus
hilfreich, die sich für die eigenen Interessen einsetzt und
sich nicht für ein Zwangskollektiv rekrutieren lässt.
Voraussetzung dafür ist die Wahrnehmung der eigenen Person
als Individuum, das sich dem Zugriff des Staates zu widersetzen
sucht. Auf diese Voraussetzung für eine Emanzipation und für
die positive Überwindung des Kapitalismus beziehen sich in
der Regel Positionen, die für eine Verteidigung der bürgerlichen
Gesellschaft bzw. ihrer Ideale argumentieren. Die Öffentlichkeit,
in der antideutsche Politik ein Forum hat, ist jedoch sehr klein,
deshalb bleibt ein Verteidigen der bürgerlichen Vernunft nur
bedingt wirkungsmächtig.
Die positive Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft ist momentan
nicht abzusehen. In Deutschland ist sie nicht einmal denkbar. Besonders
deutlich wird dies beim Zwang zur Verwertung der eigenen Arbeitskraft.
In gesellschaftlichen Debatten um Arbeit und "Arbeitslosigkeit"
wird der Sinn von Arbeit an sich nicht hinterfragt, und ein Leben
ohne Lohnarbeit ist für die gemeinen Deutschen nicht vorstellbar.
Diese Debatten verdeutlichen, wie in der bürgerlichen Gesellschaft
Unterdrückungsverhältnisse naturalisiert und damit eine
naturwüchsige Notwendigkeit in sie hineinprojiziert wird. Herrschaft
wird so legitimiert und als alternativlos angesehen.
Ein eingeschränkt positiver Bezug auf Demokratie und bürgerliche
Vernunft ist somit in Abgrenzung zu totalitärer Form von Vergesellschaftung
notwendig. Jedoch ist ein uneingeschränkt positiver Bezug das
Aufgeben der Hoffnung auf etwas Besseres.
Antideutsche Etikette
Die spezifisch deutsche Krisenlösung und der
ihr immanente eliminatorische Antisemitismus, werden nicht grundlos
als die Barbarei gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft
bezeichnet.
Solange die gesellschaftlichen Bedingungen gegeben sind, besteht
auch die Möglichkeit der Wiederholung ähnlicher Formen
der Krisenlösung und dies eben nicht nur in Deutschland. Problematisch
ist jedoch, dass in antideutschen Kreisen die Auseinandersetzung
über die Gefahr faschistischer, nationalsozialistischer und
antisemitischer Strömungen häufig mit der gleichmachenden
Benennung der Gegebenheiten als spezifisch "deutsch" verbunden
ist. Bei dieser Argumentation wird alles Negative unter dem Begriff
"deutsch" subsumiert, anstatt antiemanzipatorische Tendenzen
genau zu bezeichnen. Die Benennung von Kontinuitäten und Parallelen
zum Nationalsozialismus mit den Begriffen "deutsch" oder
"deutsche Ideologie" ist aber zu weit gegriffen, da sich
diese Begriffe auf eine bestimmte räumliche und zeitliche Konstellation
gesellschaftlicher Verhältnisse beziehen. Von "deutsch"
kann nicht losgelöst von dieser Konstellation gesprochen werden.
Bei der Übertragung der theoretischen Begriffskonstruktion
auf räumlich/zeitlich losgelöste Phänomene besteht
die Möglichkeit der Projektion von faktisch nicht Vorhandenem.
Einher geht dies mit der Gefahr der Relativierung von deutscher
Geschichte. Wenn also bestimmte Komponenten der deutschen Krisenlösung
sich finden und Parallelen vorhanden sind, ist die differenzierte
Ausformulierung dessen, was sich dort manifestiert, in den Vordergrund
zu rücken. Es werden sonst, wenn z.B. islamistische Ideologie
als deutsche Ideologie bezeichnet wird, einige Elemente der deutschen
Vergesellschaftung auf den Islamismus projiziert, die sich nicht
(oder nicht in vollendeter Form) finden lassen und es werden andere
Faktoren außen vor gelassen, die der Begriff nicht greift,
auch wenn Parallelen und Kontinuitäten auszumachen sind. Beispielsweise
wird eliminatorischer Antisemitismus, ein zentrales Element der
deutschen Vergesellschaftung, von islamistischen Terrororganisationen
proklamiert. Bei diesen fehlt jedoch u.a. die staatliche Ausformung.
Die Gefahr der verflachten Darstellung und unzureichenden Analyse
besteht, wenn Begrifflichkeiten nicht hinreichend differenziert
verwendet werden. Wenn also eliminatorischer Antisemitismus gemeint
ist, sollte er auch genau so benannt werden. Den Begriff deutsch
so weit zu fassen, dass er ohne räumliche Bindung funktionieren
soll, sich also auf Zustände außerhalb des deutschen
Territoriums bezieht, ist nicht nur kritikwürdig. Darüber
hinaus ist eine Vermittlung der neuen Interpretation von "deutsch"
wohl kaum möglich und derartige Begriffskonstruktionen erschweren
unnötig das Verständnis antideutscher Positionen.
Es geht um Inhalte
Antideutsche Politik ist dabei selbstverständlich
nicht territorial gebunden. Obwohl die deutsche Gesellschaft, die
politische und soziale Realität der Rahmen jeglicher Kritik
und Politik in Deutschland ist und diese die Möglichkeiten
vorgibt, bleibt emanzipatorische Politik nicht auf diesen Rahmen
beschränkt. Die Kritik, schon mit dem Namen "antideutsch"
werde auf die Verbundenheit mit Deutschland verwiesen, hält
keiner Prüfung stand. Vielmehr wird die explizite Verneinung
einer Existenzberechtigung der deutschen Nation mit der Selbstbezeichnung
kenntlich gemacht.
Politikfelder, also Themen, die von Interesse für herrschaftskritische
Politik sind, ergeben sich reichlich. Es gilt die wieder aufkeimende
Patriotismusdebatte, MontagsdemonstrantInnen, die "Arbeit zuerst
für Deutsche" fordern, oder Friedensbewegte, die ihre
antiamerikanischen bzw. antisemitischen Ressentiments offen zur
Schau tragen, zu kritisieren. Ebenso gehört die deutsche Großmachtpolitik
und die damit verbundene Proklamation des "Endes der Nachkriegszeit"
zu den Gegenständen unserer Kritik. Das Augenmerk antideutscher
Politik richtet sich so nicht nur auf innerdeutsche Entwicklungen,
sondern ebenso auf das außenpolitische Agieren einer Regierung,
die "wegen Auschwitz" Kriege führt, den Ausbau der
deutschen Vormachtstellung in der EU forciert und auf einen festen
Sitz im UN-Sicherheitsrat spekuliert. Oder sich gegen die USA als
die vermeintlich kulturell überlegene, friedfertigere und menschlichere
Alternative in Stellung bringt. Zudem reicht die Auseinandersetzung
mit Antisemitismus selbstverständlich über die deutsche
Gesellschaft hinaus. Gerade der momentan gefährlichste, der
islamistische, welcher vielfache Parallelen zum NS besitzt, ist
Gegenstand antideutscher Politik.
Angesichts des oben beschriebenen Verhältnisses zu Deutschland
und der deutschen Vergesellschaftung stellt sich die Frage, an wen
sich emanzipatorische Politik richtet und mit wem Bündnisse
eingegangen werden können. Diese Frage ist nicht (mehr) leicht
zu beantworten. War man früher geneigt, "die radikale
Linke" zu antworten, ist seit einiger Zeit in antideutschen
Gruppen die Frage entbrannt, ob sich ihre Praxis überhaupt
noch unter dem Label "links" subsumieren lässt. Verständlicherweise
möchte man doch nicht Teil eines bessern Deutschlands im Antinazikampf
oder eines antiamerikanischen und antisemitischen Mobs auf irgendwelchen
Gipfeln und Sozialforen sein. "Links" ist ein weiter und
schwammiger Begriff, den sich jede und jeder aneignen kann. Entstanden
aus der Sitzverteilung im französischen Nationalkonvent, welche
die Republikaner von den Monarchisten unterschied, ist dieser eindimensionale
Begriff doch relativ unbrauchbar, um das weite und mehrdimensionale
politische Feld zu ordnen. Nichts desto trotz halten sich die Kategorien
Rechts und Links bis heute und jedeR meint sich auf dieser Dimension
einordnen zu können: Antideutsche, Antiimps, 68er, NoGlobals,
Alternative, etc. Deshalb muss noch mal betont werden, dass es nicht
"die" Linke gibt, sondern sie ein fragmentiertes und stark
ausdifferenziertes Feld darstellt, indem sich viele Positionen auch
diametral entgegenstehen. Innerhalb der einzelnen Teile existieren
ebenfalls erhebliche Unterschiede, mitnichten kann von "den"
Antideutschen oder "den" 68ern gesprochen werden.
So lässt sich zusammenfassen, dass das Etikett "links"
zwar eingängig, die Aussagekraft jedoch sehr gering ist und
sehr schnell in einem identitären Sumpf endet, wo Inhalte keine
Rolle mehr spielen. Was dazu führt, dass AntisemitInnen öffentlich
unkritisiert agieren können, so lange links, SexistInnen solange
antideutsch an der Jacke steht. Deshalb darf sich eine emanzipatorische
Politik nicht an Labels, sondern muss sich an Inhalten orientieren.
Gerade beim Thema Antisemitismus und Antiamerikanismus treffen sich
mitunter antideutsche Positionen mit denen Liberaler und Konservativer,
so dass in bestimmten Fällen auch eine begrenzte Zusammenarbeit
möglich und nützlich ist. Das bedeutet aber nicht, dass
konservativ oder neokonservative hip oder cool werden müssen
und Die Welt oder Bush unkritisiert zu unseren "besten Freunden"
werden. Nur weil es vermeintlich gerade "in" ist und Teile
der Linken schockt. Die Abgrenzung von der Linken darf nicht zum
reinen Selbstzweck gerinnen, welcher nur der Aufwertung der eigenen
Gruppe dient. Gegen die eigene Marginalität hilft es auch nicht,
sich in der Politszene hervorzutun, indem polemisiert statt kritisiert
wird. Es bedarf vielmehr einer kritischen inhaltlichen Auseinandersetzung,
d.h. einer Gesellschaftskritik, die sich nicht auf eine Abarbeitung
an der Rechten sowie Linken beschränkt.
Wenn man die Bündnispolitik nach Inhalten ausrichtet, so ist
es dennoch wahrscheinlicher, dass man bei linksradikalen Gruppen
landet, werden hier doch noch am ehesten die Prämissen emanzipatorischer
Politik zu finden sein. Dies sind die Kritik am Kapitalismus, die
Ablehnung jeglicher Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnisse,
wobei die Kritik an den Verhältnissen nicht in einer verkürzten
Kapitalismuskritik, d.h. Antisemitismus, Antiamerikanismus enden
darf. Ein weiteres Ziel emanzipatorischer Politik ist die Auflösung
bürgerlicher Kategorien wie Rasse, Geschlecht und Nation, d.h.
Stabilität und Sicherheit suggerierende Konzepte von Kollektiven,
die für Nazi-Ideologien wichtig sind. Damit richten wir uns
gegen rechte Bedürfnisse nach Ordnung und Sicherheit, wo Abweichungen
von der Norm als Bedrohung empfunden werden. Die aus diesen Überlegungen
erwachsene Kritik an den deutschen Verhältnissen wendet sich
generell an alle. Rezipiert wird diese Kritik jedoch hauptsächlich
in dem Teil der radikalen Linken, der für eine emanzipatorische
Politik steht. In diesem Umfeld werden antideutsche, herrschaftskritische
Positionen erst wahrgenommen oder übernommen, wie z.B. die
Verweise auf den wiedererstarkenden deutschen Nationalismus und
Geschichtsrevisionismus sowie auf die Beständigkeit von Antisemitismus
in Politik und Gesellschaft Deutschlands, Resteuropas und den islamischen
Ländern.
Unsere Funktion bleibt die der Kritikerin, da sich doch momentan
keine Möglichkeit der Realisierung einer besseren Gesellschaft
zeigt. Nicht nur die einzige "erfolgreiche" deutsche Bewegung
von unten, der Nationalsozialismus, verdeutlichte, wie gefährlich
Massenbewegungen sind, sondern auch die Friedensbewegung, die '89er
und die Hartz-IV-Proteste sind Ausdruck der deutschen Gesinnung.
Für die Assoziation freier Individuen ist die Überwindung
des Kapitalismus eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung.
Patriarchale, xenophobe, antisemitische Verhältnisse kann es
auch danach noch geben, besonders wenn diese Ressentiments der Motor
für die Revolution sind. Gegen diese Ressentiments gilt es
deshalb sich schon heute zu wehren, aber nicht als Teil eines besseren,
modernisierten Deutschlands, sondern als GegnerInnen dieses Landes
und des menschenverachtenden kapitalistischen Systems.
== Antifaschistischer Frauenblock Leipzig
(AFBL) ==
[Phase 2:16/2005 ]
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