„Ihr seid nicht vergessen“


Gedenken und Erinnern in Deutschland. In der Ausstellung „Ihr seid nicht vergessen.“ wird die vergessene Geschichte des Mädchen-Konzentrationslagers und der dort inhaftierten Mädchen und Frauen dargestellt. Der AFBL zeigt die Ausstellung vom 01. bis 18. Oktober 2003 im Brühl 74, sie wird jeweils Dienstag, Mittwoch und Samstag von15:00-20:00 Uhr geöffnet haben.
Das KZ Uckermark wurde offiziell euphemistisch als „Jugendschutzlager“ bezeichnet, in ihm wurden zunächst Mädchen inhaftiert, die von Fürsorgebehörden als asozial, kriminell oder verwahrlost kategorisiert und somit als Gefahr für die deutsche Volksgemeinschaft gesehen wurden. Um die Ausstellung in einen sinnvollen Kontext zu setzen erweiterten wir die Auseinandersetzung um die angrenzenden Themen: Erinnerungspolitik, faschistische Fürsorge- und Sozialpolitik und ihre Kontinuitäten in der BRD und DDR, die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus und die Geschichte Leipzigs während des NS.
Die Sozialpolitik sah in den "Jugendschutzlagern’ „die ,kostengünstige’ und ,sichere Verwahrung’ unter Ausnutzung der Arbeitskraft“ . Im Nationalsozialismus bedeutete das Folter und willkürliche Vernichtung für die inhaftierten Mädchen. Der Grundgedanke der damaligen Jugendpolitik war, eine homogene Volksgemeinschaft zu schaffen, in der vermeintlich kriminelle oder asoziale Jugendliche in Fürsorgeeinrichtungen isoliert werden. Dieser setzte sich in Teilen in der Sozialpolitik der BRD, z.B. dem Bewahrungsgesetz, und der DDR, in Form der Jugendwerkshöfe, fort. Im Hinblick auf die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus geht es uns um das propagierte Frauenbild, die konkrete Beteiligung am Nationalsozialismus und den Umgang mit den Täterinnen nach ´45 in der Gesellschaft und in der (Frauen-) Forschung. In Leipzig hatte die HASAG, einer der größten Rüstungsbetriebe im NS, ihren Hauptsitz. Neben Siemens und IG Farben war die HASAG der Konzern mit der höchsten Anzahl an ZwangsarbeiterInnen. Ab 1942/43 wurden in den Unternehmen oder in unmittelbarer Nähe KZ-Außenlager errichtet. Das HASAG-Lager in Leipzig war eines von insgesamt 27 Außenkommandos für Frauen des KZ-Buchenwald.
Im Rahmen der Ausstellung werden wir im Conne Island Newsflyer (cee ieh 102 und 103) und auf www.left-action.de zu den Themen KZ-Uckermark, Sozialpolitik, HASAG in Leipzig und Rolle der Frauen im NS Texte veröffentlichen.

Funktionalisierungen von Gedenken
Es ist notwendig, die Geschichte der Opfer des NS-Genozids zu erzählen und in Erinnerung zu halten. Erinnern soll hier nicht heißen, abgeschlossene Geschichte zu betrachten, sondern soll die Kontinuitäten der NS-Ideologie aufzeigen, und der Erinnerungsdiskurs in Deutschland muss dabei einbezogen werden. Andernfalls lässt sich eine solche Ausstellung leicht als eine ,PR für Deutschland’ instrumentalisieren, wie die neue ,Wehrmachtsausstellung’, die zeigen soll, wie sehr Deutschland gewillt ist, sich mit den historischen Fakten auseinander zu setzen. Nach ihrer Überarbeitung eignet sie sich besonders gut zur Schuldtilgung, weil nun nicht mehr die Kollektivschuld der Wehrmacht im Mittelpunkt steht, sondern die Verantwortung für Verbrechen individualisiert betrachtet wird, speziell wegen des zugefügten Teiles ,Handlungsspielräume’, in dem vermeintlich faire Wehrmachtssoldaten porträtiert werden. Zentral für diese andere Interpretation des Vernichtungskriegs ist eine „Entideologisierung der Geschichte“. Voraussetzung für die Individualisierung der Schuld ist eine Historisierung des Holocausts, das heißt geschichtliche Ereignisse „neutral“ aus ihrer Zeit heraus zu betrachten und eine Distanz zum untersuchten Gegenstand herzustellen. Erst diese Distanz und damit einhergehend eine Relativierung und somit Verharmlosung der Schuld der Deutschen ermöglichen die Forderung eines Schlussstrichs unter die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Seit dem Historikerstreit Mitte der 80er Jahre gilt in der konservativen Geschichtsschreibung der kategorische Imperativ: Wer von nationalsozialistischen/deutschen Verbrechen reden will, darf von den ,bolschewistischen Gräueltaten’ nicht schweigen. Dieser Relativierung durch Aufrechnung wurde spätestens seit der Machtübernahme der 68er eine andere Form der Bagatellisierung deutscher Schuld hinzugefügt. Mit der Verantwortung, die sich aus der Geschichte ergibt, wird die deutsche Beteiligung an internationalen Kriegseinsätzen gerechtfertigt . Das Vokabular in der politischen und öffentlichen Debatte impliziert eine Analogie zur Shoah, im Kosovo wurde von serbischen KZs gesprochen, wahlweise werden Saddam Hussein, Osama bin Laden und Bush Ähnlichkeiten mit Hitler zugeschrieben. Einerseits soll der deutsche Faschismus als abgeschlossen gelten und die „Moralkeule Auschwitz“ im Keller bleiben, andererseits dient er als Rechtfertigung für erneutes deutsches Großmachtsstreben. Beide Richtungen stellen durch leichtfertige Vergleiche die Singularität der Shoah in Frage und klammern den antisemitischen Vernichtungswahn des völkischen Kollektivs und die kalte Vernichtungsbürokratie aus. In Abgrenzung zur Schlussstrichdebatte, Historisierung und Rechtfertigungen politischer Entscheidungen mit Auschwitz setzt ein radikaler linker Ansatz die deutschen Verbrechen und die ideologischen Kontinuitäten ins Zentrum der Auseinandersetzung und gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus.

Erinnern auf gut deutsch
„Repräsentationen von Geschichte stehen in einem Land, von dessen Wunsch nach Verdrängung man weiß, gleichsam immer schon unter Verdacht.“ In Deutschland wird versucht, jede Form von Gedenken für ein nationales Selbstbewusstsein zu vereinnahmen. Das gilt nicht nur für jene, die einen Schlussstrich ziehen wollen, sondern ebenfalls für die, die deutsche Verbrechen anerkennen. Beide Gruppen agieren aus einem nationalen Interesse heraus, das darin besteht, Deutschland zukunftsorientiert mit seiner eigenen Geschichte zu versöhnen. Durchgesetzt hat sich ein verallgemeinerndes Gedenken, in dem Unterschiede zwischen TäterInnen und Opfern eingeebnet werden. Inzwischen zählen sich eigentlich alle zu den Opfern. Eine Identifikation wird möglich, wenn das TäterInnenkollektiv ausgeblendet wird und die deutsche Bevölkerung sich als unschuldig und unwissend oder unterdrückt und machtlos stilisieren kann. Nachdem Auschwitz grundsätzlich anerkannt ist, wird gerade in letzter Zeit das Leiden der Deutschen in und nach dem Krieg verstärkt thematisiert. Während früher nur Stimmen aus dem rechten Lager eine Anerkennung des Unrechts gegen „Vertriebene“ forderten, ist sie heute gesellschaftlicher Konsens geworden. Dank Grass, Spiegel und Guido Knopp können jetzt bedenkenlos dramatische Fluchtgeschichten über die unrechtmäßige Vertreibung erzählt werden. Außerdem werden die „Entbehrungen und Schmerzen“ ausgerechnet der Deutschen während des Krieges diskutiert; Stalingrad ist lediglich Anlass die bewegendsten Feldpostbriefe vorzulesen und in Dresden versammelt sich der Mob, um die Opfer und Ruinen des Alliiertenangriffs zu betrauern. Die Betonung des Schreckens nivelliert den Unterschied zwischen TäterInnen und Opfern und macht die Schuldfrage überflüssig. So soll auch bei dem Berliner Mahnmal eine innere Unsicherheit entstehen, die es allen BesucherInnen ermöglicht, die Leiden der Inhaftierten nachzuempfinden und sich mit ihnen zu identifizieren.
Es scheint vollbracht, was alle VertreterInnen der Debatte erfüllt sehen wollten: die Schaffung einer nationalen Identität und einer selbstbewussten Nation. Ihre Positionen treffen sich in dem Widerspruch „nationale Identität auf einem Verbrechen aufbauen zu wollen, das jeden weiteren deutschen Nationalismus diskreditieren muss.“
Diejenigen, die meinen, den Holocaust nicht zu relativieren, aber dennoch positive Schlüsse ziehen, argumentieren zynischer als jene, die den Holocaust von vornherein verharmlosen. So meinte Habermas im Zuge des Historikerstreits, dass sich „in der Kulturnation der Deutschen erst nach - und durch - Auschwitz“ universalistische Verfassungsprinzipien hätten bilden können. Er glaubte eine „Chance, die die Katastrophe auch bedeuten könnte“, zu erkennen und versuchte durch zweifelhafte Konstruktionen wie der „postkonventionellen Identität“, eine deutsche nationale Identität zu schaffen, die darin bestehen soll, dass es eben keine gebe; er stellte den Pluralismus als Lösung dar.
Weiterhin wird die Auffassung vertreten, dass der 2.Weltkrieg erst die europäische Staatengemeinschaft ermöglichte. Diese These ist beispielsweise ein zentrales Element des Gründungsmythos‘ der EU. Im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Europäischen Verfassung wurde der 9. Mai als EU-weiter Europatag festgeschrieben. An diesem Datum wurde 1950 in Paris die Schuman Erklärung abgegeben, die die Pläne zur Montanunion vorstellt und als Beginn eines gemeinschaftlichen Europas angesehen wird. Zufällig ist dieses Datum sicherlich nicht gewählt. Auf den offiziellen EU Seiten heißt es zum Europatag und der Entstehung der EU: „In Europa leben seit Jahrhunderten Völker zusammen, die sich ihrer gemeinsamen Herkunft und ihrer kulturellen Verwandtschaft bewusst sind. Über Jahrhunderte haben sie sich als Nachbarn ergänzt und zusammengehörig gefühlt. Aber ohne feste Regeln und überstaatliche Einrichtungen konnte dieses Bewusstsein allein die Katastrophen nicht verhindern. Noch heute sind bestimmte Länder, die nicht zur Europäischen Union gehören, vor schrecklichen Tragödien nicht sicher.“ Eindeutig wird hier versucht eine gemeinsame europäische Leidensgeschichte/ Opfergeschichte zu schreiben, der Nationalsozialismus als Katastrophe kodiert, die über die kulturellen Völker hereingebrochen ist. Diese neuere Entwicklung im gesellschaftlichen Diskurs über den Zweiten Weltkrieg, die Europäisierung des Leidens, trägt weiter dazu bei den Unterschied zwischen Opfern und deutschen TäterInnen in den Hintergrund zu schieben.
Den Deutschen kommt dieser Feiertag gerade recht, lenkt er doch vom 8. Mai als Tag des Sieges über Deutschland ab oder ermöglicht eine Verbindung des 2. Weltkriegs mit der Entstehung der EU.
Auch die DDR interpretierte in die Vernichtung von über 6 Millionen Menschen etwas Positives. Sie wähnte sich auf der guten Seite und sah sich in der Tradition der antifaschistischen KämpferInnen. Diese ermöglichten mit Hilfe der Sowjetunion erst einen deutschen sozialistischen Staat. Zum Beispiel lautete das “Gelöbnis der deutschen Jugend“ anlässlich des 10. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Ravensbrück: „Der Strom Eures Blutes floss jedoch nicht vergebens. Er vereinigte sich mit dem Blut der ruhmreichen Helden der Sowjetarmee, die unser Volk und die Völker Europas vom Joch des Hitlerfaschismus befreiten. Die Völker der Sowjetunion stehen heute neben uns als unsere besten, teuersten Freunde. Neben uns steht auch Ihr, Ihr tapferen Mütter, mahnend und stärkend.“
Diese Rhetorik weist zusätzlich auf die stereotypen Geschlechterbilder des Gedenkens hin, die Frauen werden auf eine soziale Rolle reduziert, sie sind lediglich erziehende Mütter, aber keine Heldinnen. Reproduziert werden die Klischees der aktiven Männer und der passiven, erleidenden, Frauen, denen eine metaphorische oder symbolische Rolle zugedacht wird.
Die Metapher der Mutter und des Gebärens wird häufig herangezogen, so zum Beispiel schreibt Brecht in seinem Werk „Der Aufstieg des Arturo Uri“ über den Faschismus:„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Während hier die Mutter das Böse gebärt, befriedigen die Bilder des Mütterlichen ansonsten zumeist das Bedürfnis nach „nationaler Unschuld“. Die nächste Generation steht für einen schuldfreien Neuanfang, der Wunsch nach einem „unbefleckten“ Nationalismus wird in den Mutter/Kind Darstellungen deutlich . Der Mutterkult des Gedenkens gipfelte in der Wahl der Käthe Kollwitz-Plastik „Mutter mit ihrem toten Sohn“ als Mittelpunkt der zentralen deutschen Gedenkstätte, der Neuen Wache in Berlin. „Das dargestellte mütterliche Leiden liefert ein Identifikationsangebot, das es den BetrachterInnen erleichtert, sich als trauernde Mitopfer wahrzunehmen.“
Jenseits der symbolischen Ebene werden die verfolgten und ermordeten Frauen kaum in das Gedenken einbezogen. Die Heldinnen des westdeutschen Diskurses sind die Trümmerfrauen, und für die Nationenkonstruktion der DDR sind die Widerstandskämpferinnen relevant. Doch auch sie werden als wehrlose Opfer repräsentiert, Widerstandskämpfer hingegen als Helden. So lauten Widmungen auf Kränzen anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung der Lager in Buchenwald und Sachsenhausen: „Den Opfern der Hitlerbarbarei, den Helden des antifaschistischen Widerstandes zum ewigen Gedenken.“ „Den Heldensöhnen des Sowjetvolkes, den aufrechten antifaschistischen Kämpfern, den Opfern der Hitler-Tyrannei zum Gedenken.“ In Ravensbrück wurde jedoch mit dem Spruch: „Den mutigen Frauen des antifaschistischen Widerstandes, den wehrlosen Opfern der faschistischen Bestie zum ewigen Gedenken.“ an die Befreiung erinnert. Während bei den Männern das Rationale und Intentionale im Mittelpunkt steht, tragen der Zusatz „wehrlos“ und der dämonisierende Begriff „Bestie“ zu einer emotionalisierenden Verstärkung des Opferstatus der Frauen bei.
In der DDR und der BRD kamen Frauen unterschiedliche Funktionen innerhalb des Gedenkdiskurses zu, die vermittelten Frauenbilder waren jedoch mit der jeweils folgenden Ideologie übereinstimmend.

Eine Ausstellung und mehr
Unser Anliegen ist es, mit der Ausstellung an die Mädchen und Frauen aus dem KZ Uckermark zu erinnern. Die Ausstellung zeigt einen Ausschnitt des nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungswahns. Um möglichen Verkürzungen und Vereinfachungen, die sich aus der Form einer Ausstellung ergeben, entgegen zu wirken bieten wir Informations- und Diskussionsveranstaltungen zu den Themen: Erinnerungspolitik, Frauen als Täterinnen im Nationalsozialismus und die Frauenforschung, Sozial- und Fürsorgepolitik und der HASAG in Leipzig an. Diese sollen zusammen mit den veröffentlichten Texten den linksradikalen Kontext, in dem wir die Ausstellung zeigen, verdeutlichen.

Literaturliste

Brecht, Bertolt: Der Aufstieg des Arturo Uri. in: Ders: Werke. Bd. 7, Berlin/ FfM 1991, S. 8-115.
cehka: Abgearbeitet. in: Diskus, 2.02, S. 9-15.
Eschebach, Insa/ Jacobeit, Sigrid/ Wenk, Silke (Hg.): Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. FfM 2002.
Eschebach, Insa: Heilige Stätte - imaginierte Gemeinschaften. Geschlechtsspezifische Dramaturgien im Gedenken. in: Dies: a.a.O., S.117-133.
Klarenbach, Viola/ Höfinghoff, Sandra: „Wir durften ja nicht sprechen. Sobald man Kontakt suchte mit irgendjemandem, hagelte es Strafen“. Das ehemalige Konzentrationslager für Mädchen und junge Frauen und spätere Vernichtungslager Uckermark. Berlin 1998
Kunstreich, Tjark: Ein bisschen Krieg, in: Jungle World, 49/2000 (29.11.2000).
Lenz, Claudia/ Schmidt, Jens/ von Wrochem, Oliver: Erinnerungskulturen im Dialog. Europäische Perspektiven auf die NS-Vergangenheit. Münster 2002.
Morgenthau-Plenum: Dialog der Generationen. in: Jungle World, 11/2001 (07.03.2001).
Rhein Zeitung: Mehrheit für Holocaust Gedenkstätte. (Ausgabe vom 25.6.1999).
Wenk, Silke/ Eschebach, Insa: Soziales Gedächtnis und Geschlechterdifferenz. Eine Einführung. in: Dies: a.a.O., S.13-35.
Wippermann, Wolfgang: Räume ohne Rechte. in: Jungle World, 50/2001 (05.12.2001).

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