"Save the Resistance!"
bundesweite Demonstration in Leipzig
14.10.2000
Es ist nie falsch das Richtige zu tun [Al Bundy]
- Save the Resistance! - Gegen Überwachungsgesellschaft und
Sicherheitswahn
Der Diskurs der "Inneren Sicherheit" steht
seit einigen Jahren hoch im Kurs.
War früher der bolschewistische Ostblock oder umgekehrt der
imperialistische Klassenfeind das Schreckensszenario, was die innere
Sicherheit gefährdete, lebt heute der Diskurs der "Inneren
Sicherheit" von anderen Feinden. Der "Asylantenflut"
wurde schon 1993 mit der Änderung im Grundrecht effektiv begegnet,
was die "Angst" der deutschen Bevölkerung vor allen
Fremden aber nicht bremsen konnte, denn weitere rassistische Gesetzgebungen
folgten und der rassistisch motivierten Eigeninitiative einiger
Deutschen fielen weitere Menschen zum Opfer. Doch die Gefahr für
die innere Sicherheit lauert überall: "albanische Drogenmafia",
"rumänische Schmucklerbanden", "polnische Autoschieber",
"gewaltbereite Jugendliche", "Penner", "Schmierfinken",
"Autonome".
Neue Gesetze mußten her: Lauschangriff, schärfere Länderpolizeigesetze,
Ausweitung polizeilicher Befugnisse, allgemeines Kontrollrecht,
Vorbeugegewahrsam, Einschränkung des Demonstrationsrechtes,
Videoüberwachung öffentlicher Plätze, polizeiliche
Verfolgung von SchulschwänzerInnen, Gendatenbanken, Reiseeinschränkung
für Hooligans etc.
Doch uns ist aufgefallen, das der herkömmliche
Begriff Überwachungsstaat das Phänomen nicht erfaßt.
Es ist nicht allein der Staat, der Menschen normiert und überwacht,
der Menschen ausgrenzt und gegen sie vorgeht. Der Sicherheitswahn
durchzieht einen Großteil der Gesellschaft. Unser Hauptaugenmerk
soll sich daher gegen die Überwachungsgesellschaft richten.
Den Vorstellungen einer herrschaftsfreien Gesellschaft
stehen heutzutage nicht mehr offensichtlich absoluter Staat oder
die Bourgeoisie von vor 150 Jahren entgegen. Unterdrückungs-
und Herrschaftsverhältnisse reproduzieren sich quer durch die
Gesellschaft. In Familie, Schule, Uni, Fabrik, Militär etc.
Zu leiden haben in erster Linie die, die bestimmte Kriterien nicht
erfüllen können oder wollen, und nicht in die ihnen zugewiesenen
Rollen schlüpfen wollen. Männlich, weiß, heterosexuell,
arbeitsam, diszipliniert und gesund sind beste Kriterien, die eine
gute Ausgangslage garantieren.
Disziplinierungstechniken von gestern ergeben mit neuen von heute
ein komplexes Kontrollsystem, dem sich einzelne kaum noch entziehen
können. Das harte Regime des Lernens, Lebens und Arbeitens,
welches seine Vollendung im Arbeitstakt der Fließbänder
fand wird heute ersetzt oder ergänzt durch Methoden, die keine
sklavische Unterwürfigkeit erfordern und doch funktionieren,
besonders dann, wenn die Teilnehmenden mitmachen. Und bekanntlich
machen die meisten mit, da sie es aus ihrer Familie, Schule und
Uni nicht besser kennen. Teamwork, Sozialarbeit, Dresscode etc.
regeln heute zusätzlich Konformität und Leistungsbereitschaft
und suggerieren zugleich Gleichheit und Freiheit. Doch das war es
noch nicht, was Überwachungsgesellschaft ausmacht.
Ein großer Teil der Identität wird heutzutage aus Konsumfähigkeit
und -sicherheit gespeist. Nicht umsonst schreitet in den Bereichen
von Konsum und Eigentumssicherung die Überwachung ideologisch
und technisch am schnellsten fort. Die Armut stört. Niemand
will sie in den glänzenden Einkaufszentren sehen oder von ihr
bedroht werden. Nicht selber in Armut zu verfallen, fördert
wieder die eigene Anpassung an die Gemeinschaft, um ja dazu zu gehören.
Der Kapitalismus schafft unterschiedliche Besitzschichten. Das führt
zu Konflikten, denen repressiv vorgebeugt wird. Sicherheitspartnerschaften
zwischen Geschäften, Polizei und privaten Sicherheitsdiensten
gehören heute zu Innenstädten, wie das Schengener Abkommen
zu Europa gehört, um sich vor Menschen zu schützen, die
mit ihrer Armut in der Festung Europa nicht erwünscht sind.
Hier sei nur an das Schengener Informationssystem (SIS) erinnert,
daß zu 90 Prozent mit Daten von Personen gefüllt ist,
deren Einreise nicht erwünscht ist, und von sämtlichen
Behörden, Polizei und Soldaten ergänzt und benutzt wird.
Das moderne Marketing als Ausdruck der Identitäts- und Wertevermittlung
im ökonomischen System des Kapitalismus tut sein übriges,
um Werte zu pushen. Konsum und Besitz bestimmen die Stufe des sozialen
Seins, verkörpern Sicherheit und Zufriedenheit im Leben.
Aber nicht nur Kaufkraft und Besitz, auch eine Vielzahl traditioneller
Werte und Identitätsmuster verursachen den Wahn nach mehr Sicherheit.
In Sachsen beispielsweise wurden wieder Kopfnoten in der Schule
eingeführt. Ordnung, Disziplin, Mitarbeit und Fleiß,
auch deutsche Sekundärtugenden genannt. Dieser Wahn schafft
eine Identität, der diejenigen zum Opfer fallen, die aufgrund
ihrer Herkunft nicht dazu gehören dürfen oder diejenigen,
die diese Tugenden nicht erfüllen können und wollen. Die
Überwachungsgesellschaft spiegelt also ökonomische, institutionalisierte
und ideologisierte Herrschaftsverhältnisse wieder.
Linksradikale betrifft diese gesellschaftliche Realität ebenfalls.
Wir sind eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung dieser
Gesellschaft. Denn die Vorstellung einer herrschaftsfreien Gesellschaft,
stellt Kapitalismus, Patriarchat und Vaterland mit samt deren Institutionen
immer wieder grundsätzlich in Frage. Es geht am Ende nicht
darum, liberale Positionen, wie es die der individuellen Freiheit
ist, zu verteidigen, aber darum, die Spielräume für unsere
Handlungsfähigkeit nicht noch enger werden zu lassen.
Handlungsansätze sollen hier nicht tot geredet werden. Auch
wenn die Überwachungsgesellschaft vielschichtig ist, sind einige
Orte von Macht und Ordnung immer noch leicht lokalisierbar. Der
Staat, die Polizei und die Bürgerinitiative für mehr Ordnung
und Sicherheit sind als Zielflächen zunächst vorhanden.
Die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse müssen uns aber
dabei bewußt bleiben, um nicht nur einzelne Phänomene
zu bekämpfen. Es wird sich zeigen, daß die Politik von
Sicherheitshysterie und Überwachungswahn angreifbar ist.
Save The Resistance!
Gegen Kapitalismus - für eine herrschaftsfreie emanzipatorische
Gesellschaft!
Kooperation vom Bündnis
gegen Rechts Leipzig (BgR) und dem Antifaschistischen Frauenblock
Leipzig (AFBL) in Zusammenarbeit mit der Kampagne zur Rückgewinnung
öffentlicher Räume
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