Alles Teil des Systems
Dieser Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete
Version eines Textes von 2001
Das Geschlechterverhältnis war und ist Transformationen
unterworfen, die Situation von Frauen hat sich verbessert und der
soziale Handlungsrahmen für Männer erweitert, aber immer
noch ist das Verhältnis ein hierarchisches. Schließlich
haben gesellschaftliche Veränderungen zwar zu einer formellen
Gleichbehandlung der Geschlechter z.B. bei den Zugangsmöglichkeiten
zu Bildung und Politik geführt und inzwischen besteht auch
für Frauen die Möglichkeit, in der Sphäre der gesellschaftlichen
Öffentlichkeit zu wirken, aber ökonomische, berufliche,
soziale und private Geschlechterzuweisungen existieren weiterhin.
Machtverhältnisse, die sich auf die Trennung
und Hierarchisierung der Geschlechter stützen, äußern
sich vielfältig in den verschiedensten Bereichen. Die Strukturen
bestehen auf verschiedenen Ebenen und sind kompliziert und komplex
und man macht es sich zu einfach, Männern die Herrschaftsausübung
und somit die Rolle der Unterdrücker und Frauen die Rolle der
Unterdrückten zuzuschreiben, denn an der Gestaltung und Aufrechterhaltung
sind beide Geschlechter beteiligt.
Die gegenwärtige Gesellschaft ist von Macht-
und Hierarchiestrukturen geprägt, die sich sowohl im Geschlechterverhältnis
wie in der ökonomischen Ordnung zeigen, wobei diese zwei Aspekte
miteinander verflochten sind. Die eindeutige Unterscheidung der
Geschlechter ist nicht nur eine Erscheinung des Kapitalismus, aber
sie wird in ihm brauchbar gemacht. Eines seiner herausragenden Merkmale
ist die Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre,
wobei traditionell Männern der öffentliche, produktive
und Frauen der private, reproduktive Bereich zugeordnet ist. Dabei
wird die Arbeit im Reproduktionsbereich nicht bezahlt, bzw. nur
über die Lohnarbeit des Mannes indirekt vergütet. Verschiebungen
in diesen traditionellen Geschlechterzuweisungen haben zwar stattgefunden,
jedoch waren sie nie radikal genug, um zu einer Bedrohung des Kapitalismus
zu führen oder die Auflösung der Geschlechter zu bewirken.
Gendermainstreaming ist inzwischen ein etabliertes Konzept und einzelne
Forderungen der diversen Frauenbewegungen wurden erfüllt, allerdings
stellt sich immer wieder heraus, dass das kapitalistische System
genug Flexibilität aufweist, um auf die Veränderungen
einzugehen ohne das Geschlechterverhältnis grundsätzlich
zum Wanken zu bringen. Ein weites Spektrum verschiedener Positionen
kann parallel in gesellschaftlichen Diskursen bestehen, und so ist
die Gleichzeitigkeit von kritischen Gender- und Queer-Theories und
konservativen antifeministischen Backlashpositionen möglich.
Prinzipiell stehen Frauen inzwischen alle Berufszweige
offen, aber sie sind immer noch die Hauptverantwortlichen für
den Reproduktionsbereich, bei der Karriereplanung hindert sie nach
wie vor die vielbeschworene Doppelbelastung. Bis heute wird innerhalb
dieser Gesellschaft in "typisch männliche" und "typisch
weibliche" Tätigkeiten unterschieden und wie fest diese
Einteilung auch in den Köpfen verankert ist, lässt sich
z.B. an Statistiken ablesen, die die Berufswünsche von jungen
Männern und Frauen abfragen. "Typisch weibliche Tätigkeiten"
sind eher dienstleistend oder sozial und stützen sich auf die
zugeschriebenen "weiblichen" Qualitäten wie Einfühlungsvermögen,
Fürsorge und Vermittlung. Durchsetzungsvermögen, Machtstreben
und dominantes Verhalten sind dagegen die "männlichen"
Qualitäten, die die Männer zu produktiven, führenden
und planenden Tätigkeiten befähigen und die Überzahl
der Männer in Führungspositionen erklären würden.
Einhergehend mit dieser Einteilung ist auch eine implizite Wertung,
die sich sowohl in der Bezahlung als auch in der Hierarchisierung
der Felder niederschlägt.
Da die Trennung der Gender-Rollen derart manifest
ist, kommt es zu Problemen, wenn Rollenklischees durchbrochen werden.
Mit dieser "Unordnung" umzugehen, gibt es verschiedene
Strategien, um passend zu machen, was laut Geschlechtervorstellungen
nicht passt. In dieser Gesellschaft wird von jedem Menschen gefordert,
eine eindeutige Gender-Identität mit einem festen Inventar
an Eigenschaften zu leben, und zwar die als Mann oder Frau, etwas
dazwischen gibt es nicht. Menschen, die sich nicht den geschlechtsspezifischen
Zuordnungen unterwerfen, sehen sich besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt,
ihnen wird oft die gesellschaftliche und private Anerkennung entzogen,
da sie von ihrer Umwelt als verstörend und verunsichernd wahrgenommen
werden. Dies kann weitreichende Folgen haben und der Druck führt
ja genau dazu, dass sich Menschen einpassen und sich so das System
perpetuiert. Wie sehen die Strategien, die die Trennung der Geschlechter
aufrechterhalten soll, also aus?
Frauen, die in "männliche Domänen"
und sei es nur der Führungsbereich vordringen, haben erst einmal
mit den Vorurteilen zu kämpfen, dass ihnen doch das "natürliche
Grundwissen" fehle oder sie qua Geschlecht unfähig zu
dieser Tätigkeit seien oder zumindest ihre Arbeit einer sehr
viel kritischeren Beurteilung ausgesetzt sehen. Sollte eine Frau
in einer nicht typisch weiblichen Position oder Tätigkeit erfolgreich
sein, wird ihr oftmals vorgeworfen, sie habe sich "männlicher"
Verhaltensweisen bedient und sei keine "echte" Frau mehr.
Ebenso findet sich aber auch die Argumentation, dass Frauen eben
besonders gut für leitende Posten geeignet seien, weil ihnen
bspw. eine höhere Kompetenz in Kommunikation zugesprochen wird.
Parallele Vorstellungen finden wir auch, wenn Männer in "weiblichen
Berufen" arbeiten. Ihnen wird gern ihre "Männlichkeit"
abgesprochen (z.B. Weichei-Waschlappen-Vorwurf), und sie werden
belächelt. Obwohl Arbeiten in einem gesellschaftlich geringer
bewerteten Beruf einen sozialen Abstieg/Machtverlust bedeutet, wird
aber in speziellen Bereichen ihre Tätigkeit von den Mitarbeiterinnen
als besonders positiv und lobenswert angesehen. Es werden ihnen
eher Fehler zugestanden, weil sie mit diesem Bereich "nicht
vertraut" seien und es gibt ebenso die Auffassung, dass Männer
auch in traditionell weiblichen Berufen qua ihres Geschlechts von
besonderer Eignung seien, z.B. in Kindergärten wird es für
zunehmend wichtig empfunden, dass den Kinder auch männliche
Betreuer als Rollenmodelle vorgeführt werden.
Ähnliche Mechanismen wirken im Freizeitbereich.
"Versagt" zum Beispiel ein Mann mal ganz platt: kann er
nicht Fußball spielen , so wird dies mit fehlendem Talent
oder individuellem Nichtkönnen begründet. "Versagen"
Frauen hingegen, so ist dies oft genug die Bestätigung für
das Versagen eines ganzen Geschlechts. Dies äußert sich
dann in Sätzen wie: "Hab ich es doch gewusst! Frauen können
so etwas nicht." oder: "Frauen sind für so etwas
einfach nicht geschaffen".
Individuelle oder sozialisationsbedingte Unterschiede
werden so übergangen, dass eine allgemein gültige Aussage
über Geschlechter möglich wird. Es gibt genug Beispiele,
die nicht den Stereotypen entsprechen, doch diese werden viel weniger
wahrgenommen als solche, die sie stützen, sie werden immer
wieder gesucht und pseudowissenschaftlich begründet, z.B. durch
Biologisierung der Geschlechter und ihre Erklärung durch evolutionäre
Sinnhaftigkeit. Männer hätten zum Beispiel ein besseres
räumliches Sehvermögen, weil sie in Urzeiten für
die Jagd zuständig waren und weite Entfernungen gut abschätzen
können mussten, während bei Frauen der Blick auf nahe,
kleine Dinge besser ausgebildet ist aufgrund ihrer damaligen Aufgabe,
Früchte und Beeren zu sammeln.
Sexistischer Normalzustand
Das Geschlechterverhältnis findet seinen Ausdruck
im sexistischen Alltag, der von strukturellen und individuellen
Bedrohungen und Einschränkungen geprägt ist. Diese umfassen
eine große Bandbreite, von sexistischen Sprüchen, ungewollten
Berührungen bis hin zu Vergewaltigungen. Schon die Möglichkeit
einer Vergewaltigung und damit verbundene Ängste begrenzen
Frauen in ihren Möglichkeiten.
Dieser Position steht die gesellschaftlich vorgeprägte
relative Machtposition von Männern gegenüber. Hier gilt
ebenso, wie bereits oben gesagt, dass es nicht um eine einseitige
Schuldzuweisung geht, sondern dass Männer wie Frauen diese
Verhältnisse reproduzieren. Wer dagegen angeht, ist beständig
von Aggressionen bedroht, da niemand sich gern sein einfaches Weltbild
wegnehmen lässt. Diese Verhältnisse aufzubrechen erfordert
permanente Reflexion und Auseinandersetzung, auch mit dem eigenen
Verhalten.
Geschlechtsspezifische Hierarchie- und Machtkonstellationen
wirken sich auch auf Sexualität und Körperempfinden aus.
Eine "natürliche" Sexualität existiert nicht,
Lustempfinden und Wünsche sind vergesellschaftet. Allgemein
wird jedoch ein anderes Bild vermittelt, Sexualität wird individualisiert,
als rein privat angesehen und zusätzlich mit Tabus belegt.
Im geschlechtshierarchischen System ist ein ungutes Körpergefühl
von Frauen angelegt, das diese jedoch ebenfalls als persönliches
Problem begreifen sollen. Diese Verwundbarkeit wird benutzt, um
das Machtgefüge aufrechtzuerhalten, ein Mittel und ein Ausdruck
davon ist sexualisierte Gewalt. Bei einer Vergewaltigung versucht
der Täter eben diese Macht zu zeigen und die Frau zu kontrollieren,
zu beherrschen und zu erniedrigen. Vergewaltigungen finden in einem
gesellschaftlichen Kontext statt, der auf Hierarchie und Gewalt
in den Geschlechterverhältnissen basiert, diesen Zustand auszunutzen
und zu reproduzieren ist aber eine Entscheidung und ein Vergewaltiger
ist für seine Taten verantwortlich zu machen.
Szene - nur Teil des Ganzen
Klar ist, dass die so genannte linke Szene nicht außerhalb
der Gesellschaft steht. Nur aufgrund ihrer emanzipatorischen Ansprüche
werden Linke nicht zu besseren Menschen. Auch innerhalb einer (sub-)kulturellen
Szene, deren Leute als weitestgehend politisiert bezeichnet werden,
fehlt oftmals das Bewusstsein für das Thema Sexismus. Ein antisexistisches
Selbstverständnis gehört zwar in linken Projekten inzwischen
beinahe zum Standard, wird jedoch kaum mit Inhalten gefüllt.
So kommt es nicht selten vor, dass bei Konzerten jeglicher Musikrichtungen
sexistische Ansagen oder Texte zu hören sind. Wird dies überhaupt
thematisiert, ist die Reaktion oft Unverständnis: die Band
sei doch gut, man dürfe das alles nicht zu ernst nehmen, schließlich
sei es ja nur ein Lied und alles nur eine Interpretationsfrage etc.
Ein irgendwie politischer Anspruch scheint sich im sozialen Bereich
häufig gar nicht fortzusetzen. Sexistische Sprüche am
Tresen, Rumgepose im Club oder Antatschen im Gedränge sind
auch in linken Läden an der Tagesordnung. Abgetan wird dieses
Verhalten beispielsweise damit, dass der Verantwortliche jedoch
ansonsten ein guter Antifaschist oder Antideutscher oder Kumpel
ist. Von Paarbeziehungen wollen wir gar nicht erst anfangen. Auch
in Gruppenstrukturen ist Sexismus ein niemals endendes Thema. Trotz
des vielen Geschriebenen und Gesagten sind kaum Fortschritte erzielt
worden. Im Gegensatz zu anderen Themen verlaufen Diskussionen über
Sexismus, so sie überhaupt geführt werden, oft sehr aufgeheizt
und kommen über strukturelle Standards (z.B. quotierte Redeliste,
paritätisch besetzte Podien) selten hinaus.
Außerdem scheint es, als müssten seit Jahren
immer wieder dieselben Diskussionen geführt werden, hier kann
zum Beispiel das ewig leidige Redeverhalten genannt werden.
Wenn es dann zu strukturellen Maßnahmen gekommen
sein sollte, stellen solche Veränderungen immer nur einen kleinen
Schritt auf dem Weg zur Durchsetzung nicht-sexistischer Standards
dar. Weder sexistische noch sozialisationsbedingte Verhaltensweisen
werden damit grundsätzlich in Frage gestellt oder aufgelöst.
Nach dem Plenum ist ein reflektierteres Verhalten nicht zu bemerken.
Allerdings werden von Frauen die geschaffenen Möglichkeiten
oft nicht ausgeschöpft, denn die Angst, zu versagen, das Unbehagen
vor der zu übernehmenden Verantwortung wird nicht abgebaut.
Diese Ängste können nur überwunden werden, wenn sie
aktiv angegangen werden und sich nicht auf einem Status Quo ausgeruht
wird.
Frauen in der linken Szene gehen ständig zugunsten
einer vermeintlich allgemeinen Politik Kompromisse in Bezug auf
die Thematisierung sexistischer Verhältnisse und Verhaltensweisen
ein. Oft genug verzichten sie auf diese Diskussionen, obwohl sie
ihnen wichtig sind, um mit der Arbeit innerhalb der Gruppe voranzukommen
oder weil sie negative Reaktionen befürchten. Es muss nicht
bis zum Dissing der Betreffenden kommen, ein bloßes Augenrollen
oder andere Anzeichen von Genervt-Sein reichen unter Umständen
aus, um Frauen die Motivation für die Diskussion zu nehmen.
Diese Anzeichen vermitteln Frauen, dass es kein Interesse an einer
Auseinandersetzung gibt. Das Thema Sexismus wird nicht nur belächelt,
sondern auch gerne übergangen oder immer wieder verschoben.
Sexismus und das hierarchische Geschlechterverhältnis
sind keine marginalen Probleme, dem sich nur Frauen widmen sollten
und die in der Gesamtheit der politischen Themenfelder eine neben-
oder untergeordnete Rolle spielt. Nicht nur, weil sexistische Sprüche
nerven und sexualisierte Gewalt Leid verursacht, sondern weil es
dabei um etwas geht, das alle betrifft. Frauen wie Männer,
Intersexuelle, Transsexuelle, erfahren Einschränkungen durch
die herrschenden Zu- und Abschreibungen, die einer freien Entwicklung
im Wege stehen und so ist die Einführung nicht-sexistischer
Standards zwar eine begrüßenswerte Maßnahme, aber
nicht das non-plus-ultra. Die Reflexion des eigenen Verhaltens und
weitergehende Auseinandersetzung mit Geschlecht/Gender als eine
grundlegende Kategorie, die das Leben strukturiert, kann und soll
sie nicht ersetzen.
Antifaschistischer Frauenblock Leipzig (AFBL)
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