...den gesamten Umfang der Idee
Anmerkungen zum Papier »Gegen
die Hierarchisierung des Elends - Ueberlegungen zu Prekarisierung,
Existenzgeld und Arbeitszeitverkuerzung« (Kursive
Zitate in spitzen Klammern sind aus diesem Papier.)
1. Klassenbewußtsein
In Zeiten, in denen sich die Restlinke als oberster Sittenwächter
- durchweg bürgerlicher - Moral aufspielt, "systemkritische"
Theorie entweder zum hundertfünfzigsten Male humanistische
Ideale radikalisiert oder sich in andere philosophischen Gefilde
verlustiert, in Zeiten, wo Klassenkampf als Ablenkung von sexistischer
und rassistischer Underdrückung denunziert wird, fällt
das Papier »Gegen die Hierarchisierung des Elends...«
der "Gruppe Blauer Montag" angenehm aus dem Rahmen: Es
verrät etwas, das der Linken scheinbar völlig abhanden
gekommen ist, nämlich Klassenbewußtsein. Es geht
ihnen um die eigenen existenziellen Probleme. Sie haben begriffen,
daß ihre eigenen Probleme aus ihrer Klassenlage als Proleten,
und nicht etwa z.B. aus der "verfehlten Politik der Kohl-Regierung"
resultieren. Die Autorinnen des "Blauen Montag" wälzen
also nicht, wie in der Linken üblich, die Probleme, wie eine
bessere, gerechtere, menschlichere, fortschrittlichere etc. Welt
errungen werden könnte. Ihr Papier dient der Analyse der Klassenverhältnisse,
des Standes des Klassenkampfs, und zwar weil die Autorinnen eine
Überwindung der kapitalistischen Ausbeutung als ihr Interesse
als Lohnabhängige begriffen haben. Das spricht für sie,
selbst wenn ihre Analyse, für meinen Geschmack, einige Unzulänglichkeiten
hat.
2. Klassenlage
Als Minister Blüm warnende Töne von wegen der "Entstehung
einer neuen Klassengesellschaft" zum besten gab, redete er
natürlich von der "Spaltung in Arbeitsplatzbesitzer und
Arbeitslose". "Solidarität mit den Arbeitslosen,
Rentnern etc." hatten jene angeblich "privilegierten",
"beschäftigten" Proleten zu leisten, und zwar durch
höhere Abgaben an den Staat.
Dieses Märchen, wonach die Spaltung der Gesellschaft mitten
durch das Proletariat laufen würde, hat auch bei den Linken,
die sich dem Ideal der Gleichheit verpflichtet fühlen, jede
Menge Anhänger gefunden.
Nicht wenige, oft professorale, "Marxisten" behaupten
allen Ernstes, daß Sozialhilfeempfänger gar nicht zum
Proletariat gehören. Danach ist es nicht Lohnabhängigkeit,
also die Erpressung zur Maloche für die Vermehrung fremden
Privateigentums, die das gemeinsame Los der Arbeiterklasse ausmacht.
Stattdessen soll es das Ableisten von Arbeit sein, das einen Menschen
zum Angehörigen der Arbeiterklasse "adelt". Dieser
Ideologie entspricht das Bild vom anspruchslosen, fleißigen
proletarischen Edelmenschen im Blaumann mit großen Pranken
und Schutzhelm. Diese untertänige Witzfigur will bekanntlich
nichts anderes erreichen, als ein gewerkschaftlich und staatlich
gesichertes Arbeitsleben. Und das bekommt diese Figur, glaubt man
den gängigen Sozialstaats-Ideologien, in der "sozialen
Marktwirtschaft" auch.
Als Gegenstück zum wackeren Arbeitsmann existiert in genau
dieser Ideologie eine ganz andere Kaste von Leuten: Pöbel,
mit fragwürdiger Arbeitsmoral. Frauen, denen es doch eigentlich
um Küche und Kinderkriegen gehen müßte. Studies,
die eigentlich nur "nebenbei" arbeiten. Wirtschaftsflüchtlinge,
die ja nur wegen der D-Mark hier sind. Ausländer im Ausland,
denen bekanntlich der deutsche Fleiß fehlt usw.. Daß
diese Leute irgendwie zu recht nicht in den "Genuß"
eines gewerkschaftlich-staatlich "gesicherten Beschäftigungsverhältnisses"
kommen, und deswegen höchstens auf sozialstaatliche Mildtätigkeit
hoffen dürfen, fanden Sozialstaats-Ideologen schon immer O.K..
Nach dieser Ideologie gibt es den Sozialstaat ja nicht als staatliche
Verwaltung der im Kapitalismus unweigerlich erzeugten Armut, sondern
als lobenswerte staatliche Fürsorge für Menschen, denen
ein "normales" Leben einfach nicht gelingen will.
Es war also immer eine staatstragende Ideologie, die zwischen Arbeitern
im "Normalarbeitsverhältnis" und Sozialfällen,
die sich mit mieser Arbeit durchschlagen müssen, den entscheidenden
Klassen-Unterschied konstruiert hat. Diese Ideologie paßt
sich zur Zeit veränderten Gegebenheiten an. Dabei entsteht
Diskussionsbedarf.
Die Tatsache, daß das Kapital inzwischen auch in Deutschland
so viele Proleten überflüssig gemacht hat, daß jede
Menge ehemals vom Kapital gebrauchte Leute zu Sozialfällen
wurden, die sich notgedrungen nach miesesten Jobs umsehen, hat in
Gewerkschaftskreisen eine »Prekarisierungsdiskussion«
entfacht, die pfiffig unterscheidet zwischen einerseits guten, gewerkschaftlich
mitbestimmten »Normalarbeitsverhältnissen«
und andererseits schlechten »prekären Beschäftigungsverhältnissen«.
Das Papier der "Gruppe Blauer Montag" kritisiert diese
Sichweise zu recht:
»Es macht keinen Sinn, Prekarisierung oder Prekaritaet
als Begriff anzuwenden, um eine bestimmte Gruppe, Schicht oder
gar Fraktion der Lohnabhaengigen definieren zu koennen. Es gibt
keinen "positiven" Begriff von Prekarisierung, er macht
nur Sinn im Verhaeltnis zum sogenannten Normalarbeitsverhaeltnis.«
Und:
»Es gibt im Kapitalismus prinzipiell keine garantierten
Beschaeftigungsverhaeltnisse. Das einzige, was wirklich garantiert
bleibt, solange das Kapital durch Klassenherrschaft existiert,
ist die Lohn abhaengigkeit«, und »die Grundform
dieser Lohnabhaengigkeit ist prekaer«.
Angesichts dieser erfreulich richtigen Klarstellungen ist es fast
nebensächlich, daß die Autorinnen bei der Analyse dessen,
das »wir Normalarbeitsverhaeltnis nennen«, etwas
daneben liegen. Sie wissen, daß es keine »Norm kapitalistischer
Reproduktion im allgemeinen Sinne« ist, denn:
»historisch galt diese Norm weltweit (!) ja nie«.
Statt sich die einmalige weltpolitische Konstellation genauer anzusehen,
die unter ausdrücklicher Billigung der konkurrierenden kapitalistischen
Staaten in einigen Frontstaaten zum Realsozialismus Sozialstaats-Modelle
erlaubte, beschränken sie sich auf die Aussage, daß auch
diese staatlich modifizierten Varianten kapitalistischer Ausbeutung
»erkämpft« werden mußten.
Es wäre ein »historisches Verhaeltnis , geronnen
in dem, was neuerdings "fordistischer Klassenkompromiss"
genannt wird« gewesen, »ging vielmehr aus Klassenkaempfen
hervor«, beruhte »auf einem permanenten Klassenkonflikt«
und enthielt im »einen Deal mit wechselseitigen "Garantien"«
etc. gescheitert wäre dieser Deal ausgerecnet an den »Blockaden,
Stoerungen im Produktionsprozess - teils durch offene Revolten
in den Fabriken, teils durch stille Renitenz«, den proletarischen
»Widerstaendigkeiten gegen die Bedingungen der Produktion«,
woraufhin die inzwischen erfolgreichen »Angriffe der
herrschenden Klassen, mit denen ein neues Ausbeutungsmodell mit
hoeheren Ausbeutungsraten durchgesetzt werden sollte«
diesem deal ein Ende machten.
Das ist schief. Die Arbeitskämpfe waren damals in der BRD
so gering bemessen, daß sie überhaupt kein "Regulationsmodell"
in Gefahr brachten. Der DGB hatte seine Basis fast durchgehend im
Griff.
Was sich geändert hat, ist die internationale Lage. Der damals
gemeinsame Beschluß der kapitalistischen Siegermacht, Deutschland
(und übrigens auch Japan) zu "Bollwerken gegen den Sozialismus"
zu machen, versah diese Länder mit so viel Kredit, daß
dort die Arbeitskräfte schnell knapp wurden. Wo für die
Wirtschaft lebensnotwendige Grundstoffe knapp werden, entschließen
sich kapitalistische Staaten gerne zur Außerkraftsetzung der
Logik von Angebot und Nachfrage. In Deutschland entschied man sich
zu einer, mit antikommunistischen Gewerkschaftbonzen ausgehandelten,
staatlichen Arbeitsmarktbewirtschaftung.
Diese einmalige historische Voraussetzung für das ehemalige
deutsche "Sozialstaatsmodell" hätten die Autorinnen
klarstellen sollen, damit ein für allemal klar ist, daß
die fade Utopie vom "sozialstaatlich gebändigten Kapitalismus"
noch unrealistischer geworden ist, als die erstrebenswerte
Revolutionierung der Produktionsverhältnisse, von der die Arbeiterklasse
wirklich etwas hätte.
Ein unvoreingenommener Blick auf die keineswegs abnehmende staatliche
Regulationstätigkeit verträgt sich längst nicht
mehr mit der Ideologie vom angeblichen proletarischen Nutzen durch
staatliche Regulierung des Kapitalverhältnisses.
Deutsches Kapital bedient sich längst am gesamteuropäischen
Arbeitsmarkt. Von Arbeitskräfteknappheit kann keine Rede mehr
sein. Nach dem Abgang des Realsozialismus hat die, vorher nur eingeschränkte,
Konkurrenz der großen kapitalistischen Nationen wieder voll
eingesetzt. Finanzielle Konzessionen an aufmüpfige Tade Unions
(in England spielten sie wirklich eine Rolle!) waren wegen der "roten
Gefahr" einst nötig. Solche Konzessionen wären jetzt
schädliche Kosten, die die Konkurrenzfähigkeit jener Staaten
gefährden würden, die manche Linke so gerne zu Sozialstaaten
ummodeln wollen.
Die staatliche Regulierung des Arbeitsmarktes ist wie eh und je
für niedrige Löhne zuständig. Die Nettolohnhöhe
entscheidet der Staat durch Lohn- und andere Steuern. "Familiengerechte"
Steuersätze sorgen dafür, daß auch kinderlose "Doppelverdiener"
keine übermäßigen Vorteile haben. Der ständig
sinkende Standard in der Gesundheitsversorgung wird ebenfalls nicht
den Verhandlungsergebnissen zwischen Kapital und Arbeit überlassen.
Die staatliche Regulierung des Arbeitsmarktes sorgt ferner mit jämmerlich
niedrigen Sozialleistungen für unglaublich billige "illegale
Dazuverdiener", die zudem einen Großteil ihrer Zeit mit
der Jobsuche oder "berufsqualifizierenden Maßnahmen"
verbringen sollen. Noch billiger ist der Sektor der durch staatlichen
Beschluß "illegalen Ausländer"...
Diese Regulierungen haben den Ehrentitel "Sozialstaat".
Dieser soll, das hat der neue Bundeskanzler mehrfach betont, seine
Existenzberechtigung erneut unter Beweis stellen. Und zwar, nach
Willen der neuen Regierung, dadurch, daß er dem deutschen
Kapital einen internationalen Konkurrenzvorteil verschafft, der
mit einer ungeregelten Benutzung der Ware Arbeitskraft nicht erreichbar
wäre.
3. Klassenkampf
Zurück zu den analytisch wertvollen Passagen des Papiers.
Wie gesagt, die Autorinnen lehnen es ab, »den Prekarisierungsbegriff
zur Analyse von unterscheidbaren sozialen Gruppen anzuwenden«.
Vielmehr handelt es sich bei dem Prozeß, der immer mehr Lohnabhängige
in hire and fire-Jobs zwingt, »nicht (nur)«
um »die Schaffung von Sonderverhaeltnissen neben einem
unberuehrten Normalarbeitsverhaeltnis, sondern gehoert zu jenen
Prozessen, die zusammengenommen historisch neu definieren, was als
Norm fuer Arbeitsverhaeltnisse zu gelten hat.« Es handelt
sich also um ein Moment des Klassenkampfes (von oben), »um
ein Kampfverhaeltnis, das in jedem Fall den gesamten Zusammenhang
der lohnabhaengigen Klasse, das gesamte Klassenverhaeltnis betrifft«.
Sie befürworten daher auch keine vom beschäftigten Proletariat
getrennte "Arbeitslosenbewegung" und wissen um den trostlosen
Stand des Klassenbewußtseins in diesem Land, dessen Änderung
m. E. vordringliche Aufgabe der radikalen Linken zu sein hätte:
»Es gibt eine fatale Schere im Massenbewusstsein: auf
der einen Seite die Tendenz zur entwuerdigenden Haltung "Nehme
jede Arbeit an"; auf der anderen Seite das Bewusstsein einer
konservativen Besitzstandswahrung - bei Beschaeftigten, die das
Recht auf kollektivvertraglichen Schutz zum Privileg umwandeln.
Ein Recht kann zum Privileg verwandelt werden, wenn seine Allgemeingueltigkeit
in Frage gestellt wird (Wir erinnern hier nur an die heftigen
Widerstaende gegen Illegale statt gegen Illegalisierung). Verstaerkt
werden diese Fronten im Massenbewusstsein durch eine Hierarchisierung
des Elends, worin leider Linke die groessten Meister {!!}
sind. Argumentationsmuster wie "Euch geht's ja noch gut,
ihr profitiert vom Elend der Armen und Entrechteten" reproduzieren
bei den fest Beschaeftigten nur das Bewusstsein vom Glueck und
Privileg: "Warum soll ich noch kaempfen, wenn es anderen
doch noch viel schlechter geht?"«
4. Klassenfeinde
Es gibt eine Sorte von Sozialisten, die am Kapitalismus ständig
seine mangelnde staatliche Regulierung kritisieren. "Deregulierung"
nennen diese Leute die zunehmende Verschlechterung der prolatarischen
Lebensverhältnisse, die hierzulande als konzertierte Aktion
von Regierung und Kapitalisten betrieben wird. Die Autorinnen vom
"Blauen Montag" bezweifeln zu recht, »ob eine
totale Deregulierung wirklich im Interesse der herrschenden Klasse
liegt«. Denn, so argumentieren sie: »Ein voelliges
Tabula rasa in der Tarifpolitik und den arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen
bedeutet ja zugleich einen erheblichen Kontrollverlust ueber die
Arbeitskraft.« Statt der an die Wand gemalte Deregulierung
vermuten als Strategie der Kapitalseite eine »Re-Regulierung«,
einen neuen »Pakt fuer eine stoerungsfreie Produktion«
zwischen Gewerkschaften und Kapital.
Bezüglich der Gewerkschaften wagt man beim "Blauen Montag"
allerdings vorsichtigen Optimismus.
So charakterisieren die Autorinnen die Politik der Gewerkschaften
als: »der Prekarisierung widerstehen, um die Kontrollmoeglichkeiten
im Betrieb zu behalten«, um sich »in den Betrieben
gegen die Bedrohung von aussen zu verbarrikadieren«, mit
dem Resultat daß dieser »Widerstand zur Bestandssicherung
der Stammbelegschaften mehr und mehr ins Leere« ging.
Dabei hätten die Gewerkschaften die Erfahrung gemacht, daß
die »Staumauern zwischen Rand- und Stammbelegschaften zwar
noch nicht eingebrochen, aber bereits kraeftig unterspuelt worden
sind.« Aus der Erfahrung, daß der »Bereich,
der tarifpolitisch nicht abgedeckt wird, immer groesser wird«
und ihre Tarifpolitik den für den proletarischen Lebensstandard
verheerenden »Druck auf die Sozialleistungen«
ohnehin nicht kompensieren kann, hätten sie »nach
der Logik gewerkschaftlicher Politik« den Schluß
gezogen, die »nur durch eine arbeitsmarkt- und sozialpolitische
Gesetzgebung gefuellt werden«.
Diesen Weg halten die Autorinnen vom "Blauen Montag"
für nicht gangbar. Denn: »was koennen die parlamentarischen
Sozialpolitiker schon im Gesetzeswerk bewegen, wenn es keine ausserparlamentarische
soziale Mobilisierung, also Kaempfe gibt?« Und selbst
wenn das funktionieren würde, und »sich die herrschende
Klasse auf dem heutigen Stand auf eine Neuregulierung einlassen«
würde, halten die Autorinnen zu recht nichts davon. Es wäre
nach ihrer Ansicht nur die »Festschreibung aller bisherigen
Angriffe des Kapitals und Niederlagen des marginal gebliebenen sozialen
Widerstandes«.
Dieses Urteil ist zu optimistisch. Der deutsche Gewerkschaftsapparat
ist keineswegs in einer Sackgasse.
Zum einen ist es ja gar nicht so, daß man von Seiten des
DGB dem Phänomen der »Prekarisierung« jemals
machtlos gegenüber gestanden hätte. Als Konkurrenzvorteil
wollten die Betriebe Leih- und andere Billigst-Arbeiterinnen nicht
missen. Also hat man den Ansinnen der Betriebe nachgegeben - selbstverständlich
zur "Sicherung der Arbeitsplätze" der Stammbelegschaft.
Zweitens stünde der DGB gegenüber dem Sozialkahlschlag
gar nicht so machtlos gegenüber, wenn er es nur wollte. Wenn
in Zukunft Zahnersatz ein Privileg ist, dann doch nur deswegen,
weil die vom DGB sozialpartnerschaftlich mitbestimmten Niedriglöhne
den Kauf dritter Zähne zum finanziellen Debakel werden lassen.
Ein vom DGB organisierter Massenstreik zur deutlichen Steigerung
der Nettolöhne würde auch die Sozialkassen kräftig
füllen.
Nur, wie gesagt, das wollen die national verantwortlich denkenden
Funktionäre der DGB-Gewerkschaften nicht. Weil es ihnen um
den Konkurrenzerfolg der "deutschen Arbeitgeber" geht,
delegieren sie die Interessen ihrer Mandanten in die Hände
der Institution, die dafür zuständig ist. Eben deswegen
beschwören sie ständig die angebliche Machtlosigkeit des
organisierten Teils der Arbeiterklasse. (Eine Argumentation, die
bislang bei der Basis geglaubt wird.)
Überflüssig werden diese Herrschaften dadurch keineswegs.
Wenn 90% der Beschäftigten außerhalb jedes Tarifverhältnisses
ihre Arbeitskraft verkaufen müßten, der DGB würde
genau die 10% der High-Tec und sicherheitsrelevanten Proleten organisieren,
die dem Kapital die schmerzlichsten Schläge zufügen könnten.
Eben so haben sich die Gewerkschaften in Asien und Amerika bewährt:
als institutionalisierte Spaltung der Arbeiterklasse. Wegen
dieses fehlenden Blicks über den nationalen Tellerrand ist
dem "Blauen Montag" seine Prognose noch zu optimistisch
geraten.
5. Kampfperspektiven
Die "Gruppe Blauer Montag" benennt zwei Vorschläge,
wie der Klassenkampf von proletarischer Seite zu führen wäre.
Sie sind in »Forderungen nach Existenzgeld und Arbeitszeitverkuerzung«
formuliert. Beide sollen »in jeweils unterschiedlicher
Form die Weigerung transportieren, das eigene Leben bedingungslos
den Anforderungen "der Arbeit" zu unterwerfen«.
Diese Weigerung als wesentlicher Schwerpunkt zukünftiger Kämpfe
dürfte so manchem Linken zu wenig sein. Immerhin ist die Linke
dem Proletariat seit Jahrzehnten damit auf die Nerven gegangen,
daß die Arbeiterklasse die historische Mission habe, so hehre
Menscheitsideale wie Gleichheit und gesellschaftlichen Fortschritt
zu erkämpfen.
Tatsächlich ist »Kampf gegen die(se) Arbeit«
(Zwischenüberschrift des Papiers) die einzig materialistische
und erfolgversprechende Zielstellung, da sie das Ausbeutungsverhältnis
unmittelbar in Frage stellt. Es ist gut, daß der "Blaue
Montag" diese Zielstellung so prägnant formuliert.
Kein Geplärre von wegen "Entfremdete Arbeit"! Keine
Forderung nach "Arbeit! Arbeit! Arbeit!" Im Gegenteil.
Auch daß Arbeit ein "Grundbedürfnis" ausgerechnet
"des" Menschen, sei, weswegen man den vielen "Arbeitslosen"
das nationale "Recht auf Arbeit" nicht länger verwehren
dürfe, fällt den Autorinnen des Blauen Montags nicht ein.
Kein "Arbeit gerecht verteilen!", mit dem die neue Führungsmannschaft
des deutschen Staates sich gerade anschickt, den Arbeitsmarkt "auf
Trab" zu bringen!
Die Verfasserinnen des Papiers halten von derartigem nichts. Insofern
ist das Papier durchaus eine brauchbare Grundlage für die Leute,
die die sozialdemokratische Machtübernahme nicht zum Anlaß
für rosige Träume nehmen wollen.
Nun stellt sich die Frage, inwieweit der »Kampf gegen
die(se) Arbeit« sich in den Forderungen nach Existenzgeld
und Arbeitszeitverkürzung unter einen Hut bringen läßt.
Immerhin haben beide Forderungen einen Vorteil: sie wurden aus einer
zwar recht mickerigen, aber immerhin einst vorhandenen "Bewegung",
nämlich »der gewerkschaftsunabhaengigen Erwerbslosenbewegung«
aufgegriffen.
Interessanterweise haben die Autorinnen selber festgestellt, daß
diese Forderungen »losgeloest von der urspruenglich in
ihnen enthaltenen Kritik an der (Lohn-)Arbeit« vertreten
werden. Nun soll die radikale Kritik an der Lohnarbeit diese beiden
Forderungen als »inhaltliche Klammer« zusammenbringen?
Wie das? Beide Forderungen sind so recht dazu geeignet, rechten
Sozialdemokraten das Gefühl zu vermitteln, da würden ihre
ureigensten Ideale vertreten.
Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung hat eine Karriere
als ideologische Begleitmusik für die gewerkschaftlich mitbestimmte
Zerschlagung des Normalarbeitstages - "Flexibilisierung"
- hinter sich. Von Inhalt und Intensität der Arbeit war bei
dieser Forderung schon abgesehen, als der DGB in den 80er-Jahren
seine 35 mit der gelben Sonne auf Flugblätter druckte, die
er in Einkaufszonen verteilen ließ. Es wurde schon damals
dem Kapital überlassen, den Effekt der Arbeitszeitverkürzung
nach der längst bekannten Methode zu seinen Gunsten auszunutzen:
»Sobald die Verkürzung des Arbeitstags, welche
zunächst die subjektive Bedingung der Kondensation der Arbeit
schafft, nämlich die Fähigkeit des Arbeiters, mehr Kraft
in gegebner Zeit flüssig zu machen, zwangsgesetzlich wird,
wird die Maschine in der Hand des Kapitals zum objektiven und
systematisch angewandten Mittel, mehr Arbeit in derselben Zeit
zu erpressen.« (MEW 23, S. 434).
Schließlich kann die Arbeitszeitverkürzung sogar aus
einem Interesse des Kapitals entspringen:
»Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß
die Tendenz des Kapitals, sobald ihm Verlängrung des Arbeitstags
ein für allemal durch das Gesetz abgeschnitten ist, sich
durch systematische Steigrung des Intensitätsgrads der Arbeit
gütlich zu tun und jede Verbeßrung der Maschinerie
in ein Mittel zu größrer Aussaugung der Arbeitskraft
zu verkehren, bald wieder zu einem Wendepunkt treiben muß,
wo abermalige Abnahme der Arbeitsstunden unvermeidlich wird.«
(MEW 23, S. 440).
Den Ertrag der Arbeit läßt die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung
schon ganz außer acht: ohne deutliche Anhebung der Stundenlöhne
sind nicht wenige Proleten gezwungen, "nach Feierabend"
Zusatzjobs anzunehmen, wie das Beispiel USA hinlänglich beweist.
Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung, hat zwar den Kapitalisten,
wie jede andere Forderung übrigens auch, nie gepaßt.
Andererseits verzichtet diese Forderung auf jede Einmischung in
Inhalt und Ertrag der Arbeit und ist bestenfalls geeignet, die alte
gewerkschaftliche Begleitmusik für Lohnsenkung und Arbeitsverdichtung
neu anzustimmen.
Wer sich dafür einsetzt, daß für das Kapital und
seinen Staat kein Finger mehr gerührt wird, stimmt eine andere
Parole an.
Ähnlich verhält es sich mit der anderen Forderung der
Autorinnen nach einem Existenzgeld.
Diskutabel ist diese Forderung von Seiten des Staates ohnehin nur,
wenn die generelle Arbeitspflicht weiter besteht und er durch Einsparung
von Verwaltungskosten (also Entlassungen in den zuständigen
Ämtern), unterm Strich Geld spart. Dementsprechend niedrig
kann dieses pauschale Almosen nur sein. In einem Wirtschaftssystem,
das von der Vermehrung privaten Eigentums abhängt, geht eben
nichts anderes.
Fazit: Die Autorinnen vom "Blauen Montag" haben
treffend formuliert, was fällig wäre. Allerdings halten
sie die alten sozialdemokratischen Forderungen immer noch für
halbwegs geeignete Vehikel von Klassenbewußtsein, das die
Lohnarbeit generell in Frage stellt (und anderes taugt nichts).
Damit gelingt ihnen höchtens dem alten sozialdemokratischen
Mist etwas revolutionären Anstrich zu verleihen.
Es stimmt schon, wenn die Autorinnen festhalten:
»Natuerlich muessen aus der Idee die konkreten Vorschlaege
und Forderungen entwickelt werden, um die dann gekaempft werden
soll.«
Um »den gesamten Umfang der Idee« der Abschaffung
der Lohnarbeit, »den gesamten Anspruch auf Aneignung gesellschaftlichen
Reichtums« nicht ständig zu verwässern, braucht
die fällige revolutionäre Bewegung unbedingt eindeutigere
Äußerungen ihres Standpunktes. Insbesondere gegen eine
Regierung, die mit sozialdemokratischer Arbeitsideologie die alte
Politik weiterführen wird.
Andreas Schmidt, Gruppe Kritik und Diskussion, Hamburg
PS.:
Für die Experten, die fordern, es solle mal mit unkonventionellen
Mitteln dafür gesorgt werden, daß "ein Ruck durch
unser Land" geht, und die ständig "jugendnahe"
und "neue Agitationsformen" fordern:
Der Bundestagswahlkampf wurde von einer Partei dafür genutzt,
»den gesamten Anspruch auf Aneignung gesellschaftlichen
Reichtums« durchaus öffentlichkeitswirksam zu formulieren.
Dazu wurden u. a. folgende Parolen verwendet: »Für das
Recht auf Arbeitslosigkeit bei vollem Lohnausgleich!« »Jedem
Menschen muß ein Leben nach seinen Bedürfnissen ermöglicht
werden!« »Für die Einführung der Jugendrente,
Abschaffung der Altersrente!« »Hemmungslose Bereicherung,
nicht nur für eine Hand voll Parasiten, sondern für ALLE!«
Die selbe Partei, die der »vom Leistungsterror verseuchten
Erwerbsgesellschaft« den Kampf angesagt hat, formulierte als
»die einzige Anwort aus jede schleimige Bettelei um Arbeitsplätze:
NIE WIEDER ARBEIT!« Und ihre Haupt-Wahlkampfparole dürfte
diejenige sein, an die sich das Wahlvolk noch am längsten erinnern
wird: »ARBEIT IST SCHEISSE!«
(Weiteres, z.B. eine komplette Ableitung der Lohnarbeit aus der
Warenproduktion bei http://www.appd.de/
nachzulesen.
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