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Ende der Lohnarbeit?

Zwischen Existenzgeld, Grundsicherung, Kombilohn und Bürgergeld

Es gibt Debatten, deren Thema um so brisanter wird, je länger sie andauern. Das Thema ”Existenzgeld”, das an Diskussionen um die ”Zukunft der Arbeit” und das ”Ende der Arbeitsgesellschaft” aus den späten 70ern und frühen 80ern anknüpft, ist ein solches. Arbeitslosenstatistiken, die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und die verstärkte Wiederkehr von Zwangsarbeit verdeutlichen die fortschreitende Krise einer Vollbeschäftigungsgesellschaft, der das sogenannte Normalarbeitsverhältnis längst abhanden gekommen ist. Dennoch halten fast alle etablierten politischen Akteure mit unhaltbaren Versprechungen an der Illusion fest, durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze ließe sich das "goldene Zeitalter" des Kapitalismus wieder herstellen. Mehr noch: gerade mit diesem Ziel werden weitere Einschnitte ins Sozialsystem gerechtfertigt. Das Bild einer noch produktiveren Leistungsgesellschaft mit noch mehr Wettbewerb(sfähigkeit) wird also gezeichnet, die die bereits bestehenden Hierarchien und Spaltungen in der Gesellschaft verfestigt und weiter vertieft.

Ausgehend von diesem Szenario möchten wir die Frage diskutieren, wie die geschilderte gesellschaftliche Sackgasse überwunden werden kann und welches politische Projekt dafür geeignet erscheint. Im Mittelpunkt steht dabei die tendenzielle Überwindung der Lohnarbeitsgesellschaft. Deren zentrale Achse bilden nicht nur hierarchisch organisierte Arbeitsverhältnisse, sondern auch die Sozialsysteme sind wesentlich arbeitszentriert. Ganz offensichtlich funktioniert der auf Lohnarbeit beruhende Mechanismus der Verteilung von Beschäftigung und Einkommen nicht mehr, was eine politische Lösung auf die Tagesordnung setzt. Darauf verweist die auf den ersten Blick irritierende Ähnlichkeit zwischen Existenzgeld, Grundsicherung, Kombilohn, Bürgergeld u.ä., die allerdings aus den unterschiedlichsten politischen Richtungen und mit unterschiedlichsten Zielen formuliert werden.

Eine erste Orientierung in der teilweise wirren Debatte, deren Bandbreite zwischen unbedingtem Existenzgeld, Reform der Sozialhilfe, Subvention von Lohnarbeit und Legitimation von Zwangsarbeit pendelt, bietet der Vergleich von Anspruchsvoraussetzungen und Verteilungskriterien. Entscheidend dabei ist, wie eine Entkopplung von Beschäftigung und Einkommen vorangetrieben werden kann, ohne dabei die Erwerbsarbeit schlicht auszuweiten, die vielmehr deren Volumen reduziert. Damit gerät denn auch die Verteilung, die Organisation und der Inhalt nicht nur von Lohnarbeit, sondern von Arbeit überhaupt in den Blick.

Gerade weil das politische Projekt einer Entkopplung von Beschäftigung und Einkommen an die Grundlagen der herrschenden Gesellschaftsordnung reicht, eröffnet es notwendigerweise eine Vielzahl politischer Themen: von Auswirkungen auf den Sozialstaat über Migration, internationale Arbeitsteilung und Geschlechterverhältnisse bis hin zu den gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Dieser politisierende Effekt der Öffnung richtet sich gerade auch gegen Bestrebungen, Arbeit erneut zu dem privilegierten Ausgangspunkt für Politik überhaupt - von links bis rechts - zu machen. Das hebt auch unser Ziel hervor, die gesellschaftliche Ordnung der Arbeitsverhältnisse selbst zu verändern. Wir treten für eine andere Gesellschaft ein, die ein selbstbestimmteres Leben ermöglicht und die mit dem derzeitigen Modus der Vergesellschaftung bricht. Dafür und für eine dringend erforderliche Re-Formierung der Linken, die die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt mit all ihren Facetten in den Blick nimmt und in sich genügend Spielräume für interne Differenzen läßt, sind die Chancen besser als vermutet.

Wir schlagen vor, auf dem Forum in drei Schritten zu verfahren. Zunächst halten wir es für nötig, sich in einer Art Rückblick über die Entstehung der gegenwärtigen Verhältnisse zu verständigen und uns dabei der Bedeutung der Linken sowie deren Projekte zu nähern. Der zweite Teil soll zu einer Orientierung zwischen den unterschiedlichsten Modellen von Grundsicherung, den mit diesen jeweils verbundenen Interessen(gruppen) und den beteiligten Akteuren verhelfen. Im dritten Teil schließlich möchten wir das enge Feld des Arbeitsthemas erweitern und seine Auswirkungen auf andere politische Felder diskutieren. Möglicherweise gelingt es uns so, einen Leitfaden zwischen Realisierungsproblemen einerseits und utopischen Ansprüchen andererseits zu entwickeln. Dieser könnte erste Ansätze für ein noch zu formulierendes linkes Projekt von gesellschaftskritischen Praktiken bieten, das diejenigen Akteure einbindet, die an einer auf Emanzipation gerichteten Transformation orientiert sind.

exit, Frankfurt am Main, 15. Dezember 1998

 
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