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Politisches Dokument - übersetzt aus dem Italienischen
Wozu soll ich dir schon raten?
- Der soziale Werktag
- Die neue Spezies
- Immaterial Workers of the World
- Das sozialdemokratische Europa und das Forum für ein allen
Bürgern zustehendes Einkommen (reddito di cittadinanza)
Einleitung
Die Merkmale der postfordistischen Gesellschaft sind mittlerweile
allen bekannt: Den Technokraten, Gewerkschaftlern, Soziologen, Forschungszentren,
Regierungskanzleien, Parlamentsausschüssen, Massenmedien und
Veltroni. Vermutlich wird es an den Universitäten bald Lehrstühle
geben, die den Stoff behandeln. Das kritische Denken, das vor zehn
oder fünfzehn Jahren die Eigenart des neuen Produktionsparadigmas
erkannt hat und sich dabei heftig mit einem ziemlichen Ausmaß
an Verblendung und Nostalgie herumzuschlagen hatte -, läuft
Gefahr, durch Spitzfindigkeiten, besserwisserische Repetitorien
und Fußnoten abgelenkt, auf der Stelle zu treten. Kurz, es
läuft Gefahr, eine zweitklassige Denkschule in die Welt zu
setzen, die mit all den Lastern und schlechten Gewohnheiten behaftet
ist, die in jeder Akademie zuhause sind jedoch ohne über
die zu einer solchen Einrichtung gehörende Macht zu verfügen.
Dazu kommen noch die einer marginalen Stellung eigenen Ressentiments
wie Engstirnigkeit und Groll, allerdings ohne die eigentlich dazu
gehörende rebellische Skrupellosigkeit. Ringsum hört man
häufig, "ich habs ja gesagt und damit meinen Seelenfrieden",
als ob eine mehr oder weniger anschauliche Beschreibung des neuen
sozialen Panoramas ausreichte, mit sich selbst im reinen zu sein.
Statt sich den "Seelenfrieden" zu bewahren, sollte man
ihn aufs Spiel setzen und schlimmstenfalls verlieren, indem man
von der Diagnose zur Prognose übergeht, vom Disput über
die Grundtendenzen unserer Zeit zur direkten politischen Aktion.
Das Entscheidende ist nicht länger die Entdeckung des neuen
Kontinents, sondern die Art und Weise wie er bewohnt wird. Der zur
unanfechtbaren Evidenz gewordene Postfordismus scheint selbst die
Möglichkeit eines radikalen Antagonismus zu negieren. Es heißt,
wer die veränderte Ordnung der Produktion zur Kenntnis genommen
hat, muß sich selbst ohne Wenn und Aber die Hinfälligkeit
jedes Gedankens an die Revolution eingestehen. Und dazu: Wer noch
von Revolution spricht, beweist nur, daß er sehnsüchtig
dem fordistischen Universum nachtrauert. Eine verrückte und
schändliche Behauptung, die auf dem Gebiet einer Unzahl von
zu machenden Erfahrungen praktisch widerlegt werden muß. Es
geht darum, zu beweisen, daß sich eine gefestigte Politik
subversiven Schlags mit der Epoche, in der das Wissen und die Kommunikation
zum Kern der sozialen Produktion geworden sind, in tiefer Übereinstimmung
befindet. Weit davon entfernt, dem Wunsch extremistischen Ungestüms
Rechnung zu tragen, erweisen sich, gerade und ausschließlich
im Postfordismus, die Abschaffung der Lohnarbeit und die fortschreitende
Erosion jenes "Monopols an politischer Entscheidung",
das den Namen des Staates trägt, als vernünftige Ziele.
Kurz: Postfordismus reimt sich in etwa auf die Aktualität der
Revolution wie im alten Refrain "Michelle" auf "ma
belle".
Dieser Text soll zu einem lebhaften, äußerst vielschichtigen
und -stimmigen Nachdenken über inhaltliche Forderungen, mögliche
Streitfragen, Kampfformen, Taktiken, Bündnisse und das Ausprobieren
organisatorischer Wege beitragen. Wer von ihm eine weitere theoretische
Anstrengung erwartet, sollte besser gleich aufhören, weiterzulesen.
Keineswegs, daß eine solche Anstrengung überflüssig
wäre: Im Gegenteil. Die Absicht des Dokuments ist jedoch eine
andere und vielleicht etwas ambitioniertere: Die Umrisse einer sich
auf der Höhe des Postfordismus befindenden praktischen Initiative
hier und jetzt, in Italien und in Europa, zu skizzieren. Es ist
Rangordnung des Diskurses, die umgedreht werden muß; nämlich
das Verhältnis zwischen dem, was im Hintergrund bleibt und
dem, was in den Vordergrund tritt. Zunächst: Wie den Kampf
der bei pony express oder bei den Reinigungsfirmen Arbeitenden
organisieren, wie den der Telefonisten der chatlines oder
den der Zeitarbeiter, wie den der "Jugendlichen, die auf unbestimmte
Zeit in Ausbildung" sind. Dann: Das eine oder andere Stück
einer überspitzten Analyse über die immaterielle Arbeit
oder die Vernutzung der Sprache im Verlauf eines konkreten, mit
Kämpfen verbundenen Wegstückes aufnehmen und wieder verwerten.
Gerade weil es ambitionierter als ein gewohnter theoretischer Beitrag
ist, stellt das Dokument eine gewisse Armut offen zur Schau; eine
Armseligkeit der Mittel, der Erfahrungen, der Gewißheiten.
Diese Zeilen kommen mitunter einem Gestammel gleich. Doch so muß
es sein. Gibt es wirklich jemand, der sich "reich" und
"erfahren" wähnt? Falls ja, wäre der zu bemitleiden.
Eine angemessene Diskussion kann nur mit denen stattfinden, die
anerkennen, daß es bislang keine, um prekäre, diskontinuierliche
immaterielle Arbeit geführte, beachtenswerte Auseinandersetzung
gegeben hat. Nur mit denen, die genau wissen, daß es am postfordistischen
Panorama noch an etwas, das sich mit den "CUB von Pirelli"
vergleichen ließe, mangelt. Vieles an den laufenden Experimenten
ist wertvoll und innovativ: Darunter kann sich jedoch keines rühmen,
beispielhaft zu sein.
Heute über große Politik zu sprechen, bedeutet, über
ein Loch in der Mauer zu reden: wie läßt sich die maximale
Auflösung lebendiger Arbeit in eine Kraft umkehren, die ihre
Ansprüche vertritt, wie läßt sich ein wirkungsvoller
Hebel ausgerechnet in einer Lage ansetzen, die sich bis dato als
handicap erwiesen hat Diese große Politik ist der ungebetene
Gast am Tisch des sozialdemokratischen Europa. Um die Lücke
zu füllen, müssen mit Mut und Fantasie viele verschiedene
Wege eingeschlagen, mit bevorzugtem Blick auf das Gesamte illegitime
und gewagte Verbindungen eingegangen werden. Alles natürlich
mit dem erklärten Ziel, die Lücke zu schließen.
Wenn die folgenden Anmerkungen eine apodiktische Form haben und
mitunter "Thesen" gleichkommen, dann nur wegen der Formulierung
von Einwänden und Verbesserungen. Kurz, um die eventuellen
Schwachpunkte (die notgedrungene "Armseligkeit", von der
die Rede war) deutlich zu machen.
- Der soziale Werktag
- Politik ist heute Verwaltung einer aus den Fugen geratenen sozialen
Zeit; die Erstellung einer neuen Zeittafel der ausgesetzte Preis
des politischen Kampfs.
- Die soziale Zeit ist aus den Fugen, seitdem nichts mehr die
Arbeit von der übrigen menschlichen Aktivität unterscheidet.
Die Arbeit hat daher seitdem aufgehört, eine besondere und
getrennte Praxis zu sein, für die eigene Maßstäbe
und Verfahren gelten, die von den die Zeit der Nichtarbeit regelnden
Maßstäben und Verfahren völlig verschieden wären.
- Arbeit und Nichtarbeit entfalten eine identische Produktivität,
die auf der Ausübung der allgemeinen menschlichen Begabungen
beruht: Sprache, Gedächtnis, gesellschaftliches Zusammenleben,
ethische und ästhetische Veranlagungen, Abstraktions- und
Lernvermögen. Von dem " was" man macht und "wie"
man es macht" her gesehen, gibt es keinen wesentlichen Unterschied
zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Es muß
heißen: Die Arbeitslosigkeit ist unbezahlte Arbeit, die
Arbeit ihrerseits entlohnte Arbeitslosigkeit. Aus gutem Grund
läßt sich behaupten, je mehr ohne Unterlass gearbeitet
wird, desto weniger arbeitet man. In ihrer Gesamtheit bescheinigen
solch paradoxe und sich widersprechende Formulierungen, daß
die soziale Zeit aus den Fugen geraten ist.
- Die alte Scheidung in Arbeit und Nichtarbeit löst sich
in der zwischen entlohntem und nicht entlohntem Leben auf. Die
Grenze zwischen beiden ist willkürlich, veränderlich
und unterliegt politischen Entscheidungen.
- Die produktive Kooperation, an der die Arbeitskraft beteiligt
ist, ist stets ausgedehnter und reichhaltiger als die im Arbeitsprozeß
eingesetzte. Sie umfaßt auch die Nichtarbeit. Die Arbeitskraft
verursacht die Wertbildung des Kapitals nur, weil sie zu keiner
Zeit ihre Eigenschaft als Nichtarbeit verliert. In den Augen des
Kapitalisten (und jedes nicht unbedarften Ökonomisten) ist
jede Leistung, die nicht die unentlohnte Lebenszeit mit einbezieht,
unproduktiv.
- Da die soziale Kooperation dem Arbeitsprozeß vorausgeht
und über ihn hinausreicht, ist die postfordistische Arbeit
immer auch Schattenarbeit. Unter diesem Begriff darf man nicht
nur eine "schwarze" Beschäftigung ohne Papiere
verstehen. Schattenarbeit ist vor allem die nicht entlohnte Lebenszeit,
beziehungsweise der Teil menschlicher Tätigkeit, der, obwohl
ganz mit der Arbeit verwandt, nicht als Produktivkraft kalkuliert
wird.
- Produktionszeit (Werktag) nennen wir die untrennbare Einheit
von entlohnter und nicht entlohnter Lebenszeit, Arbeit und Nichtarbeit,
sichtbarer und unsichtbarer sozialer Kooperation.
- Der Mehrwert heute entspringt einer die reine Arbeitstätigkeit
übersteigenden produktiven Tätigkeit. Die Erhöhung
des Mehrwerts wird heute erreicht, indem das Verhältnis von
bezahltem und nicht bezahltem Abschnitt der gesamten Produktionszeit
(nicht etwa nur des bezahlten und unbezahlten Teils der Arbeitszeit
allein) modifiziert wird. Neben dem Mehrwert der Einzelnen umfaßt
die nicht entlohnte Zeit der Produktion (der Werktag) ihre Kooperation
innerhalb und außerhalb der Arbeitszeit.
- Die dem Postfordismus gerechte politische Praxis muß den
Werktag (die Produktionszeit) in seiner gesamten Ausdehnung sichtbar
machen und ihn zum einzig legitimen Maßstab für die
Verteilung des Reichtums nehmen. Das zentrale Ziel ist selbstverständlich
das jedem Bürger zustehende Einkommen. Mit ihm wird die Bezahlung
der über die Arbeitszeit hinausgehenden Produktionszeit eingefordert.
Das garantierte Einkommen oder Bürgergeld (reddito di cittadinanza)
ist der Lohn für die soziale Kooperation, die dem Arbeitsprozess
vorausgeht und über ihn hinausreicht. Das jedem Bürger
zustehende Einkommen bedeutet nichts anderes als die Einführung
eine neuen Zeittafel.
10) Die Forderung nach dem Bürgergeld oder garantierten Einkommen
läuft jedoch Gefahr, zur beruhigenden Beschwörung oder
zu einem Fetisch zu verkommen. Statt der politischen Aktion frischen
Atem zu verleihen, kann sie die Lähmung sogar noch verstärken.
Wenn sie nicht in genaue Vorschläge zu Steuern und Föderalismus
gegliedert und besonders, wenn sie nicht von der Einrichtung einer
revolutionären Gewerkschaft der immateriellen, flexiblen, prekären
Arbeit unterstützt wird, gleicht die glühende Litanei
über das garantierte Einkommen oder das Bürgergeld den
Diskursen über eine "gerechtere Gesellschaft". Und
solche Diskurse bemänteln, wie man weiß, meist die Untätigkeit
oder die Gerissenheit beim "sich durchmogeln"..
B) Die neue Spezies
- Mit dem Begriff "Massenintellektualität" war
niemals beabsichtigt, eine bestimmte Anzahl besonderer Fertigkeiten
zu umschreiben, sondern die Eigenschaft der postfordistischen
Arbeit insgesamt. Dieses Schlagwort weist darauf hin, daß
die Arbeit wesentlich linguistisch (mental, kognitiv) geworden,
oder, was dasselbe ist, daß mit der Sprache gearbeitet wird.
- Es ist sehr einfach, dennoch verkehrt, zu sagen: Massenintellektualität
ist ein ökonomisch-soziologischer Begriff unter anderen,
der geradlinig den Platz derjenigen eingenommen hat, die im fordistischen
Bereich in Gebrauch waren. Ebenso leicht und verfehlt ist es jedoch,
zu sagen: Die Massenintellektualität überschreitet die
Ökonomie und Soziologie, da sie eher durch kulturelle Konstellationen,
ethische Veranlagungen und Lebenszusammenhänge definiert
ist. Die Angelegenheit ist viel komplizierter. Die Massenintellektualität
ist eine neue Spezies. Sie ist die Hauptachse der kapitalistischen
Akkumulation; sie hat daher eine außerordentliche ökonomische-soziologische
Bedeutung. Doch sie ist gerade deswegen (und ungeachtet dessen)
die Hauptachse der kapitalistischen Akkumulation, weil ihre hervorstechenden
Eigenschaften nur in ethisch-kulturellen Begriffen als differenzierter
Zusammenhang von Lebensweisen beschrieben werden können.
Kurz: Die Massenintellektualität steht genau deswegen im
Zentrum der postfordistischen Ökonomie, weil ihr Wesen überhaupt
nicht in den Begriffen der politischen Ökonomie zu fassen
ist. Und das ist das Paradoxe, dem mit dem begrifflichen Rüstzeug
der Organisationstheorie begegnet werden muß.
- Die Existenzform, in der sich die "neue Spezies" hauptsächlich
bewegt, ist das Reservoir (il bacino) der Massenintellektualität.
Das Reservoir ist ein raumzeitlicher Bereich, in dem die Sozialisierung
außerhalb der Arbeit stattfindet. Es ist der Zusammenhang,
in dem die Kooperation geformt wird, die dem Arbeitsprozeß
vorausgeht und über ihn hinausreicht . Konkret: Die soziale
Arbeitskraft schafft sich selbst in ihrer Mitte ein Ensemble unabhängiger
Beziehungen, die unabhängig davon Bestand haben, welche Art
der Beschäftigung die einzelnen gerade ausüben oder,
da es keine gibt, nicht ausüben: Beziehungen, die für
alle Arten von flexiblen und prekären Aufgaben eine einheitliche
Voraussetzung schaffen.
- Das Reservoir, in dem die linguistische Kooperation heranreift,
ist eine Welt, die nicht minder der Lohnarbeit als der selbständigen
Arbeit unterliegt. Die genauen juristischen Angaben für den
jeweiligen Typ der Beschäftigung sind nichts anderes als
eben juristische Spezifikationen. Die sich im Reservoir bildende
kommunikative und eingebundene (relationale) Arbeit ist somit
eventuell auch selbständig. Sie ist aber nicht kommunikativ
und relational, weil sie selbständig ist.
- Im Reservoir der Massenintellektualität ist es unmöglich,
das Arbeitsverhalten von der "Lebenswelt" abzuspalten.
So macht das Reservoir die überlieferten Eigenschaften der
Frauenarbeit zu einem universellen Vorbild.
- Wie eine geologische Schichtung offenbart das Reservoir in
seinem Inneren alle ausschlaggebenden Elemente der globalisierten
Ökonomie: Migrantenströme, Kommunikationsnetze, Brocken
abstrakten Wissens, Gliederungen staatlicher Administration. Das
Reservoir ist ein Mikrokosmos, der das Geflecht der vom Postfordismus
mobilisierten Produktivkräfte auf lokaler Stufenleiter veranschaulicht.
- Die Zersplitterung der Arbeiten verweist auf die Einheit des
Reservoirs und umgekehrt. Die politische Organisation ist entweder
eine des Reservoirs, oder sie ist keine.
- Das Reservoir der Massenintellektualität verlangt nach
der Zunahme einer Demokratie, die nicht repräsentativ ist
und nach der Bildung einer öffentlichen Sphäre, die
nicht staatlich ist. Ganz abgesehen von seiner Identifikation
als "öffentlich" oder "staatlich", verlangt
alles, was mit dem Austausch von Äquivalenten verbunden ist,
nach einer politischen Vertretung. Umgekehrt schließt alles,
was mit der produktiven Kooperation übereinstimmt, die Vertretung
aus und bildet in Bezug auf den Staat einen asymmetrischen öffentlichen
Raum. Weil also das Reservoir der Massenintellektualität
mit der sozialen Kooperation, die der reinen Arbeit vorausgeht
und über sie hinausreicht, zusammenfällt, wird man von
ihr sagen müssen: Demokratisch, aber nicht stellvertreterisch;
öffentlich, aber nicht staatlich.
- Die Organisationsformen, die zum Reservoir passen, sind der
Centro Sociale, die Kommune, der Sowjet.
- Für die Zunahme der nicht repräsentativen Demokratie
und die Bildung einer nicht staatlichen öffentlichen Sphäre
unabdingbare Voraussetzungen sind: Die maximale Entfaltung des
Föderalismus, die drastische Dezentralisierung der öffentlichen
Ausgaben, die Zerstückelung der administrativen Aufgaben
des Staates, die Vermehrung lokal gewählter Versammlungen.
- Einem radikalen Föderalismus sind so plumpe Einrichtungen
wie Provinzen und Regionen verhaßt. Das sind aufzulösende
imaginäre Körperschaften. Die dadurch eingesparten Ressourcen
können so auf wirksame Weise in lokalem, oder, wenn man so
will, "kommunalen (municipale)" Umfang konzentriert
werden. Unter der Bedingung, daß unter Munizipalität
nichts anderes verstanden wird als ein bestimmtes Gebiet, in dem
sich das Reservoir der Massenintellektualität als Gegenmacht
organisiert.
- Jeder Aspekt einer föderalistischen Neugliederung von
Macht und Kompetenzen kann und muß in rätedemokratischen
Geist gefördert werden: direkte Demokratie, lokale Selbstverwaltung,
Widerruf der Mandate, aktives wie passives kommunales Wahlrecht
der Immigranten etc.
- Ferner muß der Föderalismus die institutionelle
Einleitung zu einer Art NEP darstellen (ja, genau, die von Lenin
nach der Niederlage der Revolutionen im Westen vorgeschlagene
NEP: Eine Neue Wirtschaftspolitik, darauf orientiert, den Übergang
zu bewerkstelligen). Die föderalistische NEP besteht darin,
Formen der "Selbst - Unternehmerisierung" (oder "politischer
Unternehmen") im Reservoir der Massenintellektualität
Platz zu schaffen. Eine postfordistische NEP, ein Übergang,
der lokal verankert ist, ein verdaulicher Föderalismus eben.
- Die Beteiligung an Kommunal und Bezirksratswahlen etc. mit
eigenen Listen oder auf den Listen von anderen ist ein angebrachter
und notwendiger Schritt. So wie sich eine Verbindung mit einer
solchen Karikatur charismatisch-bonapartistischer Politik wie
sie heutzutage die Figur des Bürgermeisters in Italien darstellt,
als angebracht und notwendig erweisen mag. Selbstverständlich
sind die Beteiligung an Lokalwahlen und ein eventueller Dialog
mit der "Partei der Bürgermeister" weder ein Wert
an sich, noch eine kopernikanische Wende: Ihre Nützlichkeit
bemißt sich schrittweise an der Zunahme der Körperschaften
einer nicht repräsentativen Demokratie (Räte und NEP).
Wie bereits Donnie Brasco sagte: Wozu soll ich dir schon raten?
C) Immaterial Workers of the World
- Es ist nicht klug, Angst vor Worten zu haben. Zum Beispiel vor
dem Wort Gewerkschaft. Der Haß und die Verachtung, die sich
im Lauf der Zeit die Händler der Arbeitskraft verdient haben,
dürfen nicht vom springenden Punkt, nämlich von der
territorialen Organisation der dringlichsten Forderungen des Reservoirs
der postfordistischen Arbeit ablenken. Des Reservoirs als solchem,
wohlgemerkt. Das heißt, noch bevor es sich in Lohnarbeit,
selbständige, dienstleistende, intellektuelle, exekutive
Arbeit usf. differenziert. Die Entfaltung eines revolutionären
Syndikalismus im Schoß des Postfordismus ist die Hauptaufgabe
der großen Politik, und sie wird es für lange Zeit
bleiben. Alles übrige zählt natürlich auch, doch
es ist eben nur der Rest...das, was übrig bleibt.
- Beginnen wir mit einer Tatsache, die so offensichtlich und banal
ist, daß sie bereits der Aufmerksamkeit und dem Blick entgangen
ist. Die postfordistische Arbeit verfügt in Italien nicht
über die geringste Organisation zur Selbstverteidigung, zum
Widerstand, zum Führen kollektiver Verhandlungen. In dieser
Hinsicht kann die Lage mit derjenigen zu Beginn der industriellen
Revolution verglichen werden. Die Abwesenheit irgendeines elementaren
Schutzes betrifft, als Ergebnis der systematischen "Auslagerung",
in besonderer Weise die kleinen Fertigungsbetriebe; sie gilt für
die neuen Dienstleistungen vom Typ pony express, für
die Telefonisten der chat-lines genauso wie für die
regelmäßigen Dienstleistungen intellektueller Berufe
(RAI-Mitarbeiter, Übersetzer etc.). Und sie betrifft selbstverständlich
die Immigranten.
- Ein Großteil der einheimischen abhängigen Arbeit
hat heute manche typische Merkmale mit den Bedingungen, denen
Migranten unterworfen sind, gemein. Und umgekehrt: Die Migranten
veranschaulichen in sehr auffälliger Weise die Lage, in der
sich ein Großteil der abhängigen Arbeit befindet. Im
persönlichen Dienstleistungssektor, auf dem Bau, als Saisonarbeiter
in der Landwirtschaft eingesetzt, spielen die Migranten außerdem
eine strategische Rolle in den am weitesten fortgeschrittenen
Industriebezirken, im Nordosten, im Piemont, in den Marken. Am
äußersten und dennoch stützenden Rand der produktiven
Kooperation sind die Migranten in höchstem Maß aber
denselben Bedingungen der Klandestinität und der persönlichen
Unterjochung ausgesetzt, die auch das italienischsprachige Prekariat
kennzeichnen. Man braucht bloß an die jungen Textilarbeiterinnen
im Val Bormida denken, die man zwingt, ein Kündigungsschreiben
zu unterschreiben, das dann der Boß verwendet, sobald eine
von ihnen schwanger ist. Die zwei wichtigsten Punkte, auf die
sich die gewerkschaftliche Tätigkeit auszurichten hat, sind
die "Arbeiter auf Zeit" (also diejenigen, die mehrmals
die Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit in die eine oder in
die andere Richtung überschreiten) und die aus Ländern
außerhalb der EU kommenden Immigranten (extracomunitari).
- Modelle für den revolutionären Syndikalismus sind,
unumgänglich, die amerikanischen Industrial Workers of the
World (IWW), die spanische CNT-FAI der Jahre vor dem Bürgerkrieg,
die italienischen Camere del Lavoro der Jahrhundertwende. Gründlich
zu studierende Modelle, um daraus ein neues Modell zu entwerfen,
das dem Reservoir der Massenintellektualität angemessen ist.
Die Organisationen des katholischen Volontariats bieten zum Teil
nützliche Anregungen, um eine Gewerkschaftsform auf die Beine
zu stellen, die in der Lage ist, die Zusammenhänge zwischen
Produktion und Reproduktion, Arbeit und Nichtarbeit, Kultur und
materiellen Interessen zu erfassen.
- Die Centri Sociali sind die potentiellen Camere del Lavoro im
Archipel der flexiblen, diskontinuierlichen Schattenaktivitäten.
Eine postfordistische "Camera del Lavoro" versammelt
unterschiedliche und sich ergänzende Aufgaben: Zentrum zur
permanenten Aufnahme der illegalen Einwanderung, autonomes und
alternatives Arbeitsamt der Massenintellektualität, Datenbank
und Archiv für Informationen und Erfahrungen, Rote Rechtshilfe
zu arbeitsrechtlichen Fragen, Fonds zur Gegenseitigen Hilfe.
- In den großen Städten muß sich die Gewerkschaft
in der Universität einnisten. Sie muß in jeder Fakultät
eine Sektion oder einen "Schalter" eröffnen, um
die Bedingungen der Studenten-Arbeiter oder der Arbeiterstudenten
zu erfassen und zu untersuchen. Diese hybriden Figuren sind offenbar
für jeden, der das Reservoir der immateriellen Arbeit organisieren
will, ein Wegweiser durch dessen Labyrinth.
- Die radikale Gewerkschaft der neuen IWW beabsichtigt, eine Allianz
zu schaffen. Das Reservoir postfordistischer Arbeit teilt sich
in zwei Ströme, in den der "Mittelschicht" und
in den der "neuen Armut". Mittelschicht: Sektoren selbständiger
Arbeit in der zweiten Generation, der zentrale/stabile Kern (in
leitender Rolle) der Kooperativen oder Kleinstfirmen des "tertiären
Sektors", die "Symbolforscher", von denen der ehemalige
amerikanische Arbeitsminister Robert Reich spricht, bestimmte
koordinierende leitende Angestellte der erneuerten Fabrik (Fiatwerke
in Melfi), Freiberufler, die auf die Mittel der Kulturindustrie
und der Kommunikation zurückgreifen können. Neue Armut:
Immigranten, subalterne Schichten des "tertiären Sektors",
Prekäre ohne schützendes Netz, Schwarzarbeit etc. Diese
Aufspaltung zu ignorieren, wäre töricht. Wer sich eine
der beiden Polaritäten zum Nachteil der anderen aussuchte,
dem erginge es wie mit den Lügen: es wäre eine Wahl
der kurzen Beine. Anstatt im Wechselbad die Entbehrungen der einen
den Dramen der anderen gegenüber zu stellen, muß bei
der konkreten Ausarbeitung des Forderungskatalogs der Punkt der
Übereinstimmung und wechselseitigen Verstärkung von
"Mittelschicht" und "neuer Armut" bestimmt
werden. Man sollte jedoch wissen, daß eine spontane Zusammenfügung
nicht von den materiellen Bedingungen absehen kann. Was unmittelbar
dienlich wäre, ist eine politische Übereinkunft (verbunden
mit wohl unvermeidlichen Rissen im Lager der "Mittelschicht").
Oder eben eine vorteilhafte Allianz.
- Die Gewerkschaft sollte sich verpflichten, ein "Rechtsstatut"
der postfordistischen Arbeit zu erarbeiten, das die "Flexibilität"
nicht mit der "Rigidität" kontert, sondern mit
Anregungen, aus ihr einen Punkt der Stärke zu machen, beziehungsweise
die geeignete materielle Basis zur Bildung von Einrichtungen für
die Gegenmacht der lebendigen Arbeit. Das "Rechtsstatut"
erfordert eine lange Vorbereitungszeit in Gestalt einer Untersuchung,
oder, was aber dasselbe ist, der Wortergreifung durch die Masse.
- Die Gewerkschaft tritt für die Abschaffung jeder Art von
copyright, Autorenschaft, Einschränkung des Zugangs
zu Wissen und Informationen ein. Die auf dem Wissen und der Kommunikation
basierende Produktivkraft ist grundlegend allgemein, geteilt und
öffentlich. Wenn viele übereinstimmend aus ihr schöpfen,
mindert das nicht ihren Wert ihre Wirksamkeit wird dadurch im
Gegenteil gefördert und vervielfältigt. Die Abschaffung
des copyright ist eine unabdingbare Voraussetzung für
eine direkte, nicht repräsentative Demokratie und für
eine öffentlichen Sphäre, die endlich einmal nicht staatlich
ist.
- Die Gewerkschaft vermutet in Schule und Universität die
Chance eines "dritten Sektors": Bestimmt nicht privat,
beziehungsweise betriebswirtschaftlich, doch genauso wenig staatlich-bürokratisch,
am Schwindel vom legalen Wert eines Studientitels oder Zeugnis
festhaltend. Bildhaft skizziert: Wenn man dazu aufgerufen wird,
die Wahl zwischen einem Betriebswirt und einem Beamten als Direktor
zu treffen, kann man nur die Abschaffung des Direktorenamts tout
court verlangen.
- Bezugspunkte der gewerkschaftlichen Aktion sind die "Klassenkämpfe
in Frankreich" im letzten Jahrzehnt: Von den Coordinations
der Krankenschwestern (1987) über den erfolgreichen Kampf
gegen den Einstandslohn (1994) und dem Streik im Beförderungswesen,
der die Pariser Region lahmgelegt hat und die Solidarität
der Kunden erhalten hat, zum von den chomeurs ausgelösten
Streit um das garantierte Einkommen (1997). Für sich genommen
ist jede einzelne Episode bloß interessant, doch in ihrer
gesamten Abfolge und inneren Verkettung gesehen, bilden die nämlichen
Konflikte ein veritables Laboratorium für einen möglichen
Antagonismus im postfordistischen Bereich. Die schwerwiegende
Beschränkung der italienischen Cobas (bedenkt man den großen
Gewerkschaftsstreit der Lehrer im Jahr 1987) lag daran, daß
sie auf den Betrieb bezogen agierten und nicht territorial ausgedehnt.
Und letztendlich hauptsächlich an ihrer Unfähigkeit,
über die Sektoren mit stabiler und gesicherter Beschäftigung
im Öffentlichen Dienst und in den Großbetrieben hinauszugehen
und in das Geflecht des flexiblen, mobilen und prekären Proletariats
einzudringen.
- In Italien über revolutionären Syndikalismus zu diskutieren,
bedeutet auch, das Problem der Rifondazione Comunista anzuschneiden.
Oder besser gesagt, das Schicksal dieser Organisation nach der
Spaltung und dem Ausscheiden der mehrheitlichen Regierungsfraktion.
Rifondazione steht tatsächlich an einem Scheideweg: Entweder
sie erhebt die Parteiform zum Fetisch oder sie findet sich damit
ab, die Krise mit Experimentiergeist und Erfindungsreichtum durchzustehen.
Entweder sie empfindet den nahezu außerparlamentarischen
Zustand, auf den sie reduziert wurde, als Beeinträchtigung
und leidet darunter, oder sie nimmt ihn als Gelegenheit wahr,
wieder den sozialen Konflikt zu beleben. Zusammengefaßt:
Entweder mythische Ritualpflege der Identität oder eigenes
Einbringen (zumindest zu einem Teil) in eine zeitgemäße
gewerkschaftliche Aktion. Ein Drittes gibt es nicht. Jede andere
Möglichkeit ist dazu bestimmt, zum Bruch mit dem sozialen
Antagonismus zu führen, den Rifondazione vorgibt, in den
Institutionen repräsentieren zu wollen. Der abgeklärte
Theoretiker wird nicht zögern, die mythisch-ritualen Option
bei der Rifondazione für weitaus realistischer zu halten.
Und wahr ist, daß die Wahrscheinlichkeit entschieden für
ihn spricht. Wer jedoch gegenüber praktischer Politik nicht
indifferent bleibt, gibt sich nicht mit einer enttäuschenden
Vorhersage zufrieden. Der hat andere Probleme. Der ignoriert nicht
den gewichtigen Einfluß, den ein Engagement der Aktivisten
von Rifondazione beim Aufbau eines organisatorischen Netzes unter
den bereits sprichwörtlich gewordenen Beschäftigten
des pony express oder den Textilarbeiterinnen im Bormidatal
haben kann. Der geht nach der Methode trial and error vor.
- Das sozialdemokratische Europa und das Forum für ein
allen Bürgern zustehendes Einkommen (Bürgergeld)
- Lassen wir uns nicht täuschen. Es ist ein Irrtum, anzunehmen,
eine "sozialdemokratische Frage" sei noch vorhanden,
beziehungsweise es gäbe noch ein umfassendes Gesellschaftsprojekt
gegen den Liberalismus, eine unnachgiebige Verteidigung des Wohlfahrtsstaats,
einen reformistischen Versuch, den "Staat im Sinne der Arbeiter
zu verwenden". Nichts von alledem. Die sich heute in Europa
an der Regierung befindenden Sozialdemokratien gleichen alle,
wenn auch in unterschiedlichem Umfang, ausnahmslos der Demokratischen
Partei in den USA. Es sind politische Kräfte, die zur Abwechslung
und nicht als Alternative gewählt werden. Als eine Abwechslung
im Rahmen einer im voraus festgelegten und starren Wirtschaftspolitik.
- Dies führt allerdings dazu, daß die heutigen Sozialdemokratien
keine politisch kompakten, mit einer felsenfesten Identität
versehenen Gebilde mehr sind, die sich in der Vergangenheit das
Höllenpaar "Arbeit & Staat" auf ihre Banner
gestickt haben. In den Sozialdemokratien können, wie übrigens
innerhalb der Demokratischen Partei, heterogene Verwerfungen,
unterschiedliche generationsbedingte oder kulturelle Ablagerungen,
miteinander streitende Lobbies ausgemacht werden. Die einzig ernsthafte
Analyse der Sozialdemokratien (ernsthaft deswegen, weil auf eine
praktische Aufnahme von Gesprächen über einzelne Fragen
abzielend) ist eine strömungsübergreifende (transversale).
- Bei den Sozialdemokraten und bei den Grünen kann man heute
eine europaweite Neigung beobachten, Experimente zum Bürgergeld,
wenn auch in partiellem, beschränktem Umfang, zu fördern.
Eine Tendenz, die das Scheitern jedes anderen Vorschlags zur Eindämmung
und Verwaltung der strukturellen Massenarbeitslosigkeit nun auch
in technischer und wirtschaftlich gerechneter Hinsicht eingesteht.
Die Aufnahme des Dialogs mit dieser Tendenz (die in Italien vielleicht
mit jenem Teil der 77er Generation übereinstimmt, der aus
Haß auf den Berlinguerismus und den Historischen Kompromiß
das Entstehen des PDS mit Symphatie betrachtet hat) ist selbstverständlich
fundamental wichtig.
- Die große Politik, die den revolutionären Syndikalismus
der postfordistischen IWW zur Grundlage hat, ist mit dem Bürgergeld
(reddito di cittadinanza) nicht schon am Ziel angelangt, sondern
erst am Anfang. Was wirklich zählt, sind die Kämpfe,
die Formen der Gegenmacht, die Unternehmerisierung (imprenditorialità)
der immateriellen Arbeit, die auf der Basis einer noch so zögerlichen
Abgabe von Geld an die Beschäftigungslosen entstehen können.
Dieser Anfang muß jedoch auf jedem Schritt von einem übergreifenden
(transversalen) politisch-kulturellen Kampf begleitet sein, der
innerhalb und außerhalb der Europäischen Demokratischen
Partei (sprich: der nicht länger sozialdemokratischen Sozialdemokraten
und der Grünen) in Gang gesetzt werden muß.
- Die eigene Handlungsfähigkeit geschmeidig und unvoreingenommen
auszuspielen, beinhaltet jedoch die gleichzeitig stattfindende
Schaffung eines eigenen "Ortes", einer im höchsten
Maß agilen Struktur, mit der die politische Aktion koordiniert,
vertieft und verstärkt wird. Ein Forum für die nicht
repräsentative Demokratie und das Bürgergeld sind an
der Tagesordnung. Um die Wahrheit zu sagen, das sind sie schon
längst. Zur Förderung des Transversalismus und bestimmt
nicht zu seiner Behinderung. Um ein Stück nicht staatlicher
Öffentlichkeit, die somit keine Parodie ist, vorwegzunehmen.
Um ein Ensemble von Analysen, Meinungen und Vorschlägen,
die zwar radikal aber keineswegs extremistisch sind, deutlich
werden zu lassen, die in die Frage münden: can you imagine
the revolution?
Immaterial Workers of the World
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