Konferenz
Für Existenzgeld und eine radikale Arbeitszeitverkürzung.
Zur Kritik der Lohnarbeitsgesellschaft
18. März 21. März 1999, Berlin, organisiert von
FelS
Dieser Text ist ein Diskussionspapier, daß die Ideen der
Gruppe Fels für eine europäische Konferenz zu "Existenzgeld
und dem (möglichen) Ende der Lohnarbeitsgesellschaft"
vorstellen soll. Geplant ist diese Konferenz für den 18. -
21.3.99. Da wir ein solch umfangreiches Projekt nicht alleine machen
können - und auch nicht wollen - erhoffen wir uns Anworten
von anderen Gruppen. Dieses Papier selber ist als offene Diskussionsgrundlage
gedacht. Bei uns Diskussion über dieses Papier traten auch
viele Widersprüche zutage, aber mit einer Veröffentlichung
zum jetzigen Zeitpunkt wollen wir den Diskussionsprozeß nachvollziehbarer
machen.
Ausgangspunkt für die Idee zu dieser Konferenz war die Kritik
an Maastricht und der Währungsunion. Ist es aber zur Zeit eine
zentrale Frage, sich zur Währungsunion zu verhalten? Einerseits
agiert das Kapital immer mehr transnational, die meisten sozialen
Kämpfe schaffen es aber nur schwer, den nationalen Rahmen zu
überschreiten. Gerade angesichts der Währungsunion und
der Schaffung eines "Europas des Kapitals" steht der Aufbau
einer europäischen linken auf der Tagesordnung.
Das Ende des keynesianistischen Klassenkompromisses , welches das
letzte halbe Jahrhundert bestimmt haben, zeigt sich auch im Ende
des vermassten Lohnarbeiters des Fordismus. Auf der einen Seite
findet eine Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und eine
"Reproletarisierung" großer Teile der Menschen statt,
gleichzeitig erschwert eine zunehmende Segmentierung und Zersplitterung
der Lebensverhältnisse die Verbindung der vielen lokalen sowie
gruppenspezifischen Kämpfe. Die Forderung nach Existenzgeld,
also einem menschenwürdigen Leben und einer radikalen Umverteilung
der Arbeit kann unserer Meinung nach eine Losung sein, die es ermöglicht,
diese Aufspaltung zu überwinden und ein Europa des Klassenkampfes
gegen das Europa von Maastricht zu stellen.
Ziel dieser Konferenz ist es nicht nur, die Forderung nach einem
Existenzgeld zu diskutieren. Gerade die deutsche Linke hat sich
größtenteils von sozialen Kämpfen und einer materialistischen
Analyse verabschiedet. Dem nationalen, rassistischen Konsens muß
wieder eine antikapitalistische-emanzipatorische Utopie entgegenzustellen
werden. Mit dieser Konferenz wollen wir wieder einen Klassenbezug
verankern und einen - ersten - Ansatz zu einem europäischen
Organsisierungsprozeß bieten.
Die Kritik an Maastricht
Die Rahmenbedingungen linker Politik werden sich in den nächsten
Jahren nachhaltig verändern. Da ist zum einen der globale Trend
nach einem halben Jahrhundert keynesianistischer Interventionspolitik
zu deregulierten Märkten zurückzukehren - was üblicherweise
mit "Neoliberalismus" umschrieben wird.
Zum anderen findet in Europa ein Vereinheitlichungsprozeß
statt, der mit dem EURO zementiert wird. Ziel dieses währungspolitischen
Einschnitts ist nicht nur, die "Vereinigten Staaten von Europa"
ökonomisch vorwegzunehmen, sondern vor allem die Spielräume
nationalstaatlicher Sozial- und Wirtschaftspolitik noch weiter zurechtzustutzen.
Mit dem EURO wird das deutsche Modell einer autonomen Notenbank
mit restriktiver Geldpolitik europäisiert, das heißt
es wird mit der europäischen Zentralbank eine Art marktliberaler
Überregierung installiert, auf die keine direkte politische
Kontrolle mehr ausgeübt wird.
Monetaristische Wirtschaftspolitik wird europaweit festgeschrieben.
Die Konvergenzkriterien (Beschränkung von Inflation und Staatsverschuldung)
haben dabei vor allem die Funktion, Sachzwänge zu erzeugen,
mit denen die traditionelle, keynesianistische Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
unmöglich gemacht wird, denn mit der Einengung von Inflations-
und Verschuldungsspielräumen gibt es für die EU-Regierungen
keine Alternativen zu Privatisierung und "Sparpaketen".
Oder etwas genauer ausgedrückt: die Konvergenzkriterien sind
gleichermaßen Vehikel, um die Umverteilung von unten nach
oben politisch zu legitimieren ("wir müssen kürzen,
sonst schaffen wir die Euro-Bedingungen nicht"), als auch Instrumente,
um eine monetaristische Wirtschaftspolitik unabhängig von Wahlergebnissen
zu erzwingen (linkskeynesianistische Regierungen hätten nur
die Alternative aus dem Euro herauszufallen oder aber nachzuziehen).
Der Abschied vom keynesianistischen Interventionsstaat, wie sie
mit den Konvergenzkriterien in bestechend knapper Form vorgeschrieben
wird, ist also eine pervertierte Form politischer Vereinigung. Die
Entscheidungsmacht wird den gesellschaftlichen Institutionen abgenommen,
die außerpolitische Notenbank (und nicht legtimationsabhängige
Regierungen) bestimmen die Wirtschaftspolitik. Im Prinzip ist das
natürlich nichts Neues. Im Kapitalismus sind gesellschaftliche
Verhältnisse stets "versachlicht", d.h. sie werden
hinter dem Rücken der Akteure als Sachzwang fetischisiert.
Aber dennoch war der Keynesianismus in mancher Hinsicht so etwas
wie ein institutionalisierter Klassenkompromiß unter Führung
des Kapitals, bei dem durchgesetzt war, daß die Politik in
die Ökonomie intervenieren muß. Von dieser (erkämpften)
Erkenntnis wird jetzt abgerückt.
Wenn die französische kommunistische Partei, die italienische
Rifondazione Communista oder manche linkssozialdemokratische Gruppen
Maastricht ablehnen, hat dies vor allem damit zu tun. Es geht gegen
die Festschreibung einer liberalen Wirtschaftspolitik und um die
Verteidigung der im Keynesianismus durchgesetzten Erkenntnis, daß
der Markt von der Gesellschaft (d.h. im Konkreten dem spätkeynesianistischen
Staat als Repräsentanten des institutionalisierten Klassenkompromisses)
nicht nur normiert (wie es die Liberalen fordern), sondern daß
aktiv staatlich in ihn eingegriffen werden muß.
Auch wenn das vom marxistischen und linksradikalen Standpunkt nicht
weit genug geht, weil die Regulation kapitalistischer Märkte
durch den Staat am zugrundeliegenden Verhältnis nichts ändert,
steht hinter der reformlinken Kritik eine wichtige Einsicht, die
in Deutschland scheinbar allen abhanden gekommen ist: Der Kampf
um Befreiung ist ganz wesentlich ein Kampf um die Unterordnung der
Ökonomie unter die Politik, ein Kampf um die Gestaltung von
Arbeit und Wirtschaft nach gesellschaftlichen Bedürfnissen.
Wenn man die europäische Vereinigung angreift, sollte man
also zum Kern Marx'scher Theorie zurück: Die Sachzwänge
des Marktes als gesellschaftliche Machtverhältnisse entlarven.
Gegen die EU und den Euro?
Natürlich gibt es gegen das EU-Projekt noch eine ganze Reihe
weiterer, bekannter Argumente: Die EU bedeutet eben keine Abschaffung,
sondern nur eine Verlagerung von Grenzen - nicht- weiße ArbeiterInnen
werden so weit geduldet werden, wie dies dem Kapital Billiglöhne
garantiert (marokkanische Landarbeiter auf spanischen Agrarplantagen,
tunesische Malocher in norditalienischen Klitschen, türkische
Putzfrauen in französischen Büros, ukrainische Bauarbeiter
in Deutschland), die anderen werden mit einer gigantischen Repressionsmaschinerie
außen vor gehalten. Gleichzeitig wird die flächendeckende
Kontrolle im Inneren verschärft - schon jetzt kommt es in regelmäßigen
Abständen zu Autobahnfahndungen und Großrazzien, die
im Prinzip die Grenzkontrollen ins Landesinnere verlagern. Und schließlich
ist auch der bürokratische Charakter der EU nicht zu unterschätzen.
Wenn man bisher schon kaum Begeisterung für die parlamentarische
Demokratie im Kapitalismus aufbringen konnte, wird dies in der EU
noch viel weniger der Fall sein. Das europäische Parlament
ist nicht mal ein Kasperltheater, es ist gar nichts.
Trotz dieser Argumente halten wir es allerdings für falsch,
pauschal gegen die EU zu argumentieren. Eine solche Position ist
leicht mit den chauvinistischen Konzepten der Rechtspopulisten ("Unsere
DM schützen") oder den wohlfartsstaatlichen Abwehrgefechten
der Linkssozialdemokratie zu verwechseln. Weder die europäische
Nation des 19. und 20.Jahrhunderts noch der keynesianistische Sozialstaat
sind es wert verteidigt zu werden. Die "Globalisierung aufhalten
zu wollen", wie dies aus Kreisen der deutschen PDS zu hören
war, ist lächerlich bis erbärmlich. Als ob der keynesianistische
Staat eine Errungenschaft der Linken und nicht vor allem eine Integrationsmaßnahme
des Kapitals gewesen wäre.
Zudem ist eine simple Anti-EU-Haltung aber auch einfach zum Mißerfolg
verdammt. Rückwärtsgerichtete Kämpfe von links sind
stets zum Scheitern verurteilt. Und in diesem Fall ganz besonders:
Die Globalisierung ist ein objektiver Trend, der im Moment auch
die politischen Institutionen überrollt. Juristische Regelungen
(z.B. hinsichtlich Kapitalmärkte, Internet etc.) hinken im
Augenblick etwa ein Jahrzehnt hinter der technologischen Wirklichkeit
hinterher. Wie sollten wir es da schaffen, die technologische Dynamik
zu stoppen? Wer will schon mit einer Fahrradbremse einen 40-Tonner
zum Stehen bringen?
In Anbetracht dieses Dilemmas, daß weder europäischer
Geschichtsoptimismus - wie ihn etwa Jürgen Elsässer vertritt
- noch keynesianistische Nostalgie irgendetwas mit der Realität
zu tun haben, ist der einzig vernünftige Weg die Flucht nach
vorne, wie sie viele Basisgruppen in der EU längst angetreten
haben. Statt uns in der Maastricht-Diskussion auf die eine oder
andere von zwei gleichermaßen idiotischen Positionen zu schlagen,
sollten wir lieber zwei zentrale Momente des EU-Projekt thematisieren:
1) Die rassistische Abschottung der EU und die autoritäre und
repressive Politik nach innen; sowie 2) die kapitalfreundliche Politik,
wie sie mit dem EURO festgeschrieben wird.
Über den ersten Punkt wird in der radikalen Linken schon lange,
schon seit Mitte der 80er Jahre gesprochen, über den zweiten
leider bisher kaum.
Die monetaristische Ausformung des EURO und damit der EU sind (wie
oben dargestellt) das eigentliche Problem der neuen Währung.
Zwar geht die EU deutlich weiter als die nordamerikanische NAFTA,
die als reines Freihandelsabkommen die Mobilität des Kapitals
erweitert, ohne die der Arbeitskraft zuzulassen, aber auch in der
EU sind sozialpolitische Regelungen bisher völlig außen
vor geblieben. Es gibt keine EU-weiten Mindestlöhne, Tarifverträge
oder gar eine Arbeitsmarktpolitik Brüssels. Damit werden die
zwiespältigen Errungenschaften aus einem Jahrhundert Arbeiterbewegung
weggewischt. Das legale Sozialdumping (die außertariflichen
Arbeitsverhältnisse mit Malochern aus Irland und Portugal sind
nicht illegal) wird dadurch durchgesetzt.
Das alles ist kein Zufall: Den EU-Regierungen ist es problemlos
gelungen, ihre Polizeigesetze zu vereinheitlichen und die Repressionsapparate
zu integrieren. Wenn das gleiche in der Sozialgesetzgebung nicht
stattgefunden hat, dann deswegen weil der keynesianistische "Wohlfahrtsstaat"
gezielt zerschlagen werden soll.
Für gemeinsame Sozialstandards kämpfen?
Auf der Hand liegt es schon lange: Gegen ein transnational agierendes
Kapital muß auch das Proletariat transnational agieren (mit
"Proletariat" meinen wir nicht jenen traditionellen und
immer schon falschen Begriff von "Arbeiterklasse", sondern
jene fragmentierte Masse aller derjenigen, die von Löhnen leben
müssen bzw. davon nicht leben können, weil sie gar nicht
in die kapitalistische Lohnarbeit hineinkommen, also Hausfrauen,
Erwerbslose, Flüchtlinge. Das Proletariat ist also nicht männlich
und weiß, sondern mehrheitlich "farbig" oder weiblich).
Natürlich beschränkt sich dieser Anspruch nicht auf die
Europa. Gesellschaft ist nur global zu verstehen, aber da die EU
ein existierender politischer Rahmen ist, müssen wir auch hier
ansetzen.
Die Gewerkschaften als zerfallende Apparate (siehe Revelli) werden
diese Transnationalisierung sicher nicht leisten. Es ist kein Zufall,
daß ihre Führungsriegen fleißig bei der chauvinistischen
Standort Deutschland-Debatte mitstricken. Viel besorgniserregender
ist, daß es auch in der außerparlamentarischen Linken
(die sich ja gern selbst als undogmatisch und internationalistisch
bezeichnet) solche Auseinandersetzungen kaum gibt. Anstatt eines
transnationalen Antikapitalismus feiert man sich immer selbst in
den unpolitischen und konsequenzlosen "Ach-wir-sind-ja-so-internationalistisch"
Happenings wie den Chiapas-Kongressen.
Es sind hauptsächlich linke Betriebsleute und geschaßte
Trotzkisten gewesen, die im Sommer 1997 den europäischen Marsch
gegen Erwerbslosigkeit und Marginalisierung nach Amsterdam organisierten.
Und damit den gemeinsamen Kampf um Sozialstandards ins Gespräch
brachten.
Unserer Ansicht nach müßte man genau dort ansetzen,
ohne allerdings die keynesianistischen Prämissen zu akzeptieren.
Für den untergehenden Wohlfahrtsstaat sindu 1) die nationalstaatliche
Eingrenzung, 2) die sozialbürokratische Kontrolle der Unterschichten
und 3) die Ankoppelung der Einkommen an die Produktivitätsentwicklung
kennzeichnend gewesen. Alles drei lehnen wir ab. Uns geht es nicht
um die reformtechnologische Verwaltung der Arbeit (das ist das Problem
der Regierungen), sondern um unser Recht auf ein anständiges
Leben.
Her mit dem schönen Leben 1500 DM für alle!
Keine Forderung beinhaltet diese Absicht unserer Meinung so treffend
wie die Forderung nach Existenzgeld:
- Revolutionäre Diskurse, die steril bleiben, weil sie niemanden
mobilisieren, sind objektiv betrachtet überhaupt nicht radikal.
Dann doch lieber Lenin: Mit "Land, Frieden, Brot" eine
Gesellschaft in Bewegung bringen. Den Vorwurf "Existenzgeld
ist reformistisch" kann man abhaken. Natürlich ist die
Existenzgeld-Forderung reformistisch, aber man kann anhand von
ihr die Legitimität des herrschenden Verteilungs- und Arbeitsmodells
angreifen und damit eine nicht-kapitalistische Alternative wieder
vorstellbar machen. (Wer Radikalität mit selbstgewählter
gesellschaftlicher Isolation verwechselt, hat sich in der Veranstaltung
geirrt: Die Evangelisten treffen sich nebenan...)
- Die Forderung nach Existenzgeld wird der Klassenstruktur des
Postfordismus gerecht. K.H.Roth hat das neue Proletariat vor 2
Jahren sehr poetisch als "Archipel" kleiner, segmentierter
Gruppen bezeichnet, die zum Teil außerhalb der Erwerbsarbeit
stehen oder prekär malochen, zum anderen als "Selbständige"
arbeiten oder immer noch über Tarifverträge verfügen.
Eine Forderung, die das Existenzrecht aller formuliert, kann zu
einer Brücke zwischen den ArchipelbewohnerInnen werden.
Eine Garantie gibt es dafür natürlich nicht. Aber wir
wissen, daß neue proletarische Bewegungen kaum noch am (prekären
und flexibilisierten) Arbeitsplatz entstehen werden. Sie können
sich eigentlich nur noch in konkreten politischen Kämpfen
konstituieren, wo Solidarität im gemeinsamen Projekt (und
nicht wie früher am Arbeitsplatz) erfahren wird.
- Wir müssen den Zerfall des Keynesianismus nutzen, um zu
einer radikalen Version von Kommunismus zu kommen. Für alle
gesellschaftlichen Modelle bisher (marktliberale, keynesianistische
und staatssozialistische) war der Zwang zur Lohnarbeit charakteristisch.
Akkordmodelle, Arbeitsmythos und fordistische Fabriken gab es
nicht nur in den USA und Westeuropa, sondern auch in der Sowjetunion.
Inzwischen jedoch ist aufgrund der technologischen Entwicklung
immer weniger Arbeit nötig, um die gleiche oder sogar eine
größere Menge an Reichtümern herzustellen. Immer
weniger Leute werden für die Produktion von Gütern und
Dienstleistungen gebraucht. Die wachsende Zahl von Arbeitslosen
wird in Jobs gedrückt, wo zu Hungerlöhnen gearbeitet wird
(in Norditalien sind 5-6 DM Stundenlohn keine Seltenheit mehr),
weil sich sonst ihre Anstellung überhaupt nicht mehr rechnen
würde. Die Profiteure sind eine kleiner werdende Zahl von KapitalbesitzerInnen,
leitende Angestellte und sonstige Großverdiener. Und die sozialen
Widersprüche werden sich noch massiv verschärfen.
D.h. an der Debatte um neue gesellschaftliche Verteilungsmodelle
kommt sowieso niemand mehr vorbei. Natürlich kann man den Trend
zu südamerikanischen Verhältnissen (die reichsten 20%
verdienen 20-30 Mal so viel wie die ärmsten 20%) als gottgegeben
betrachten. Man kann aber heute noch deutlicher als bisher feststellen,
daß es nicht die Arbeit des Einzelnen ist, die Reichtum erschafft,
sondern das angehäufte technische und kulturelle Wissen der
Menschheit.
Wer soll die Früchte hiervon beanspruchen? 25% Festangestellte
und Kapitalbesitzer oder eine Gesellschaft als Ganze? Die Frage
führt fast zwangsläufig zu nicht-kapitalistischen Konzepten.
Das Ende des Keynesianismus/ Fordismus bietet also eine Grundlage
für eine allgemeine Debatte um Arbeitszeitverkürzung,
Umverteilung der Arbeit und Abschaffung der Lohnarbeit insgesamt.
Und die Existenzgeld-Forderung ist eine politische Umsetzung dieser
Erkenntnis: Wir haben alle einen Anspruch auf die gesellschaftlichen
Reichtümer bzw. auf die Gestaltung der Ökonomie als Ganzem.
Zur Konferenz
Wir stellen uns ein Treffen vor allem mit ReferentInnen aus der
EU vor. Wir wollen keine Fachtagung zu Grundsicherungsmodellen,
denn wir sind keine "Regierung in spe", die sich über
die Realisierbarkeit von Reformen den Kopf zerbrechen muß.
Wir sind Teil einer embrionären außerparlamentarischen
Bewegung, die die antagonistischen Verhältnisse in Kapitalismus
und Patriarchat zum Ausdruck bringt. Unsere Forderungen vermitteln
Ansprüche, sie sind keine Gesetzesprojekte.
Wir wollen ein Treffen mit Gruppen, die innerhalb der EU leben
und arbeiten, das heißt ausdrücklich eben auch jenen
Teil von EinwandererInnen, die wie blinde Flecke behandelt und rassistisch
angegriffen werden.
Außerdem wollen wir keine pseudo-basisdemokratische Befindlichkeitsdebatte,
sondern eine Auseinandersetzung um Vorträge und Thesenpapiere,
das heißt wir wollen gut vorbereitete und relativ effizient
geleitete Arbeitsgruppen, zu denen wir prominentere TheoretikerInnen
wie Revelli, Roth, Hirsch, Gorz, Mahnkopf etc. einladen wollen.
Die Größe der Konferenz müssen wir im Verlauf festlegen,
wenn wir mehr über Interesse und Finanzmöglichkeiten wissen.
Einige Ideen für mögliche Foren:
Das mögliche Ende der Arbeitsgesellschaft:
Es zeichnet sich deutlich ab, daß es nie wieder Vollbeschäftigung
geben wird. Wenn man schon in der Vergangenheit fragen konnte, was
an der Forderung nach Lohnarbeit links sein soll, dann kann man
sie heute getrost ganz vergessen. Statt dessen müssen unmittelbare
Kämpfe im Zusammenhang mit der Umverteilung von Arbeit und
Einkommen geführt werden.
Frage: In welche Richtung wird sich der Kapitalismus weiterentwickeln?
Welche Chancen ergeben sich daraus?
Unbezahlte Arbeit: der blinde Fleck im Marxismus:
Auch marxistische Theoretiker haben lange nur Lohnarbeit als Arbeit
erkannt. Die zahlreichen Formen unbezahlter Arbeit, vor allem der
in den Familien geleisteten Reproduktionsarbeit, spielten keine
Rolle. Wie ist das Verhältnis reproduktiver und produktiver
Arbeit zu bewerten? Welche Bedeutung hat die Nicht-Lohnarbeit für
den Erhalt patriarchaler Strukturen?
Wir wollen nicht zurück zum Wohlfahrtsstaat:
Die Wirklichkeit der Sozialbürokratien
Ein Forum zur Kritik des Keynesianismus: Inwiefern waren Sozialhilfe
und -ämter notwendige Institutionen zur Armutskontrollle und
-verwaltung?
Vorstellung und Kritik unterschiedlicher Grundsicherungsmodelle:
In allen Parteien werden Existenzgeldmodelle diskutiert. Worauf
zielen diese verschiedenen Modelle ab und würde sich die Situation
bei einem Existenzgeld auf niedrigem Niveau nicht sogar noch verschlechtern?
Die Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen:
Wie werden hier im Augenblick Zahlungen verweigert und ist die
Forderung nach Existenzgeld aus der Sicht von MigrantInnengruppen
überhaupt zu begrüßen - schließlich bleibt
die Zahlung auf die EU oder einzelne Mitgliedsstaaten beschränkt?
Was bedeutet die Verteidigung der sozialen Standards für die
Unterklassen im Süden und Osten?
Europäische Diskussion über Forderungen in den jeweiligen
Ländern:
In anderen Ländern der EU spielt das Existenzgeld in der Diskussion
kaum eine Rolle. Welche anderen Forderungen gibt es und wieso ist
beispielsweise in Frankreich vor allem der Mindestlohn in der Debatte?
Was würde das Existenzgeld für Osteuropa bedeuten?
Das Ende der Gewerkschaften:
Der italienische Postfordismus-Theoretiker Revelli behauptet, daß
sich die Gewerkschaften auflösen. Warum ist das so und wo kann
Klassenwiderstand dann organisiert werden?
FelS Sozial-AG
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