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Wo es angeblich nur
zwei Seiten gibt ...
bleiben wir auf dem Boden der Realität!
Seit Wochen fallen unerbittlich Bomben auf die Bundesrepublik Jugoslawien.
Brandbomben, Splitterbomben und radioaktiv verstrahlte Geschosse
töten Tausende, zerstören die Lebensgrundlage von Millionen und
in Deutschland ist kaum eine Antikriegsbewegung in Sicht. Fassungslos
oder ratlos stehen viele vor dem Desaster auf dem Balkan.
Tatsächlich überkommen einen angesichts der Situation Ohnmachtsgefühle,
allerdings nicht der "innerlichen Zerrissenheit", wie es viele Grüne
formulieren, die damit ihren verlogenen Seelenmüll zum zentralen
Thema machen und von ihrer Zustimmung zu den massiven Bombardements
gegen die Zivilbevölkerung in Serbien und Kosovo ablenken. Ohnmacht
- weil es keine Seite gibt, auf die man sich stellen kann, macht
man sich den Dualismus der Kriegstreiber und auch vieler Kriegsgegner
zu eigen. Und damit sind wir bei einer der Fallen angelangt, die
dieser Krieg aufstellt: Sich für eine der vorgegebenen Seiten entscheiden
zu müssen. Für die NATO, also gegen die Segregations- und Vertreibungspolitik
der serbischen Machthaber oder für die serbische Regierung, also
gegen den brutalen und telegen präsentierten Angriffskrieg der NATO.
Doch diese Alternativen sind keine. Wir leben nicht mehr in einer
bipolaren Welt und die Mär von "meines Feindes Feind ist mein Freund"
hat ohnehin nie gestimmt.
Die Kriegspropaganda will uns weismachen, die UCK seien die Guten
und "die Serben" die Bösen. Teile der Antikriegsfraktion, von radikalen
Linken über Tschetniks bis hin zu Nazis, präsentieren uns dagegen
die serbische Regierung als Opfer boshafter UCK-Terroristen. An
Menschenverachtung nehmen sich beide dieser Schachbrettpositionen
nicht viel. Die UCK, das dürfte den meisten Linken klar sein (außer
einigen Trotzkisten, die sie immer noch als "Befreiungsbewegung"
feiern - wer befreit was von wem und für wen?), ist sicher keine
emanzipatorische Kraft: sie hat im Kosovo eine gewaltsame Segregationspoitik,
von Vertreibungen bis Massaker, gegen die serbische Bevölkerung
vollzogen und auch den über 80.000 im Kosovo lebenden Roma zu verstehen
gegeben, daß sie dort nichts verloren haben. Ein guter Teil ihrer
Finanzierung stammt aus dem europäischen Heroinhandel, sie erschießen
ihre kosovarischen politischen Gegner als "Vaterlandsverräter",
führen massive Zwangsrekrutierungen durch und ihre großalbanischen
Träume versprechen jahrzehntelang Kriege. Folgen wir nun dem Gut-Böse-Schema,
das sich große Teile der Linken der Einfachheit halber in Zeiten
der Bipolarität aneigneten, müßten "die Serben" die Guten sein.
Sind sie aber nicht. Der von Milosevic seit fast zwei Jahrzenten
propagierte, aggressive serbische Nationalismus trägt eine beträchtliche
Verantwortung an der Zerstörung Jugoslawiens. In Bosnien-Herzegovina
gingen die serbische Armee und die Paramilitärs nach ethnischen
Kriterien gegen die Zivilbevölkerung vor, es gab Vertreibungen,
Massaker, Massenvergewaltigungen, gezielte Raketen auf die Zivilbevölkerung
von Städten und Dörfern, die sich partout nicht "ethnifizieren"
lassen wollten (ebenso gingen die kroatischen Verbände vor) usw.
Die serbische Regierung hat im Kosovo ab Anfang der 80er Jahre schrittweise
eine Art Apartheidregime errichtet und der albanischstämmigen Bevölkerung
nach und nach die Bürgerrechte genommen. Und heute?
Auch das ist sicher, die von der NATO und UCK militärisch eskalierte
Situation hat zu einer Eskalation seitens der serbischen Einheiten
geführt. In den drei Monaten vor Beginn des NATO-Angriffskrieges
(1.1.-25.3.1999) gab es im Kosovo nach Angaben der OSZE-BeobachterInnen
124 Tote. 63 Prozent davon waren Kosovo-AlbanerInnen, die Anderen
SerbenInnen oder ethnisch nicht zugeordnet. Das zeugt zwar nicht
von einem friedlichen Zusammenleben, aber auch nicht von einem offenen
Krieg, wie er nach Abzug der Beobachter und Beginn der NATO-Bombardements
einsetzte. Aber jetzt herrscht ein Krieg gegen die kosovarische
Bevölkerung. Oder will irgend jemand behaupten, die albanischen
Flüchtlinge aus dem Kosovo seien freiwillig aus ihren Dörfern weggegangen,
um so der Milosevic-Regierung auf dem Parkett der internationalen
Propaganda eins auszuwischen? Und denken sich die Frauen, die von
Vergewaltigungen durch serbische Militärs und Paramilitärs berichten,
alles aus?
Sucht die Linke weiterhin eine der beiden kriegführenden Parteien
als Partner in diesem Krieg, wird sie keine Zukunft mehr haben.
Verdientermaßen, denn dann hat sie die Parameter der Zeit, die Paradigmenwechsel
der vergangenen 20 Jahre nicht verstanden: Sie wäre historisch überholt
und hätte dieser Welt nichts mehr zu bieten.
Sicher fliehen die Flüchtlinge nicht nur vor den Übergriffen der
offiziellen und inoffiziellen serbischen Repressionsorgane. Sie
fliehen auch vor den Bombardements, sie fliehen, weil sie von der
UCK dazu mit mehr oder weniger "Nachdruck" aufgefordert werden.
Sie fliehen, weil Krieg ist, weil es keine Nahrungsmittel mehr gibt,
weil sie im Kugel- und Granatenhagel des Krieges am Boden der serbischen
Einheiten gegen die UCK und weil sie unter dem Bombenhagel des NATO-Krieges
aus der Luft, stehen. Und alle brauchen diese Menschen auf der Flucht:
Die Milosevic-Propaganda, um den Krieg im Namen des "serbischen
Blutes" fortführen zu können, die NATO, um ihren Krieg als "humanitäre
Intervention" tarnen zu können und die UCK, um ein breites Rekrutierungsfeld
sowie die Bevölkerung in den Flüchtlingslagern unter Kontrolle zu
haben. Deswegen muß unsere Solidarität auch diesen Flüchtlingen
gelten, aber nicht gemäß der Logik, sie in Lager zu sperren, um
ihnen besser "helfen" zu können. Wir müssen für das Recht eintreten,
daß sie sich aussuchen können, dahin zu gehen, wohin sie wollen.
Das schließt eine uneingeschränkte Aufnahme aller Kriegsflüchtlinge
in den Ländern, in die sie wollen, ebenso ein, wie die Schaffung
von Bedingungen, die ihnen eine Rückkehr in ihre Herkunftsorte ermöglichen.
Hier kommen wir zu der zweiten großen Falle dieses Krieges: Die
Ethnifizierung der Probleme. Eine Lösung der Konflikte im Balkan
kann weder "serbisch" noch "albanisch" sein, denn das Problem liegt
nicht in den "Ethnien", sondern in den fehlenden demokratischen
Rechten (angeheizt wurde der nationalistische Run zusätzlich durch
den Druck aus dem Westen, die ökonomische Krise und die sozialen
Ungleichheiten, aber dazu ist bereits viel gesagt worden). Vor zehn
Jahren wäre das eine banale Feststellung gewesen. Niemand in der
Linken kam jemals auf die Idee, die Auseinandersetzungen in Südafrika
wie es die Rechte tat als "Rassenkrieg" zu bezeichnen. Das Problem
liegt nicht darin, daß die Kosovaren "anders" sind, sondern darin,
daß nicht alle dort lebenden Menschen über die gleichen Rechte verfügen.
Daher hat auch die Lostrennung Kroatiens von Jugoslawien keine "Probleme"
gelöst, sondern sie lediglich verlagert. Heute herrschen in dem
faschistoiden Regime Tudjmans weniger bürgerliche Freiheiten, um
mal auf einem niedrigen Level zu bleiben, als es in der ehemaligen
Bundesrepublik Jugoslawien der Fall war.
Die Verstärkung der verschiedenen aggressiven Nationalismen auf
dem Balkan mit den verheerenden Folgen der Kriege, Morde und Vertreibungen
gegen Angehörige vermeintlich "anderer Volksgruppen" hat diverse
Ursachen. Doch anstatt Ansätze zur Lösung der Problematik in der
Demokratisierung der Gesellschaften und Unterstützung nicht-nationalistischer
Kräfte zu suchen, schließen sich nach langem Schweigen auch viele
Linke der von den politischen Eliten des ehemaligen Jugoslawiens
und den NATO-Staaten betriebenen "Ethnifizierung" der Problematik
an. Wer sich auf das Spiel der ethnischen Grenzziehungen einläßt,
sei es nur indem für die serbische Regierung Partei ergriffen wird,
sollte erklären können, was im Kosovo beispielsweise mit den Roma,
slowenischen MuslimInnen, TürkInnen, JüdInnen usw. passieren soll.
Die (westliche) Linke sollte den Fehler nicht wiederholen, den
sie bereits einmal mit ihrer mangelnden Kritik am Realsozialismus
begangen hat, den viele nicht offen und häufig mit Magenschmerzen
in der Bipolarität irgendwie doch auf der richtigen Seite wähnten.
Es gilt auch zu begreifen, daß die Geschichte in eine neue Ära
getreten, da sich viele Elemente, die das 20. Jahrhundert prägten,
verändern. Es geht nicht mehr um einen "Imperialismus", der darauf
zielt, Territorien zu erobern, um Rohstoffe und Menschen auszubeuten
(das läuft heute anders ...), die UNO hat ihre erbärmliche Rolle
endgültig ausgespielt, die "Neue Weltordnung" der globalen und reibungslosen
Flüsse von Transport, Kommunikation, Produktion und Kapital wird
durchgebombt und wer nicht schnell genug pariert, bleibt auf der
Strecke. Der "begrenzte Einsatz" von Nuklearwaffen wird diskutiert.
Der Krieg wird mit "Menschenrechten" begründet und die, die ihn
befehligen sind jene, die '68 als Aktive miterlebt haben - die Sozialdemokratien
an der Macht. Die als "zivilgesellschaftlich" gepriesenen NGO's
werden in den Militärapparat integriert und marschieren mit der
NATO zum Einsatz, sind Teil der Kriegsplanung, logistisch, organisatorisch
und propagandistisch. Das sind nur einige der Punkte, die diskutiert
werden müssen, damit die Linke nicht in die Bedeutungslosigkeit
abrutscht, wenn Krieg wieder Normalität wird, wenn unser Alltag
wieder von Kriegen unter der Beteiligung der Länder, in denen wir
leben, begleitet wird.
Die Solidarität der progressiven KriegsgegnerInnen sollte allen
Flüchtlingen unabhängig ihrer "ethnischen Zuordnung" (denn es sind
nicht nur albanische Kosovaren) gelten, den serbischen, montenegrinischen
und kosovarischen Deserteuren aus der jugoslawischen Armee und UCK,
wie auch den Deserteuren aus den NATO-Armeen, den Menschen, deren
Lebensgrundlage durch die Bombardements zerstört wird, Friedensgruppen
wie "Frauen in Schwarz", serbischen oppositionellen Gewerkschaften
und Fabriken, in denen sie stark sind (wie z.B. die bombardierte
Autofabrik Zastava), unabhängigen Medien wie B92 (Belgrad), all
jenen eben, die sich der Logik der zwei Seiten verweigern, die nicht
in erster Linie Kosovo-AlbanerInnen oder SerbInnen, sondern Menschen
als soziale Wesen sind und auch ihr Handeln danach bestimmen. Jenen,
die dort das sind, was wir hier sind. Allen, die sich hier wie dort
dem Krieg verweigern und aus dem Krieg und der Propaganda desertieren,
um gemeinsam eine Alternative zum Wahnsinn zu schaffen.
Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten?
Redaktion Arranca!, Ende Mai 1999
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