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Bundespolizei raeumt Mexikos wichtigste Universität
und nimmt ueber 600 Personen fest - Studenten streikten fast zehn
Monate
Von Gerold Schmidt
(poonal/ npl Mexiko-Stadt, 6. Februar 2000).- Der laengste Hochschulstreik
in der mexikanischen Geschichte ist zu Ende. Auf Anordnung von
Praesident Ernesto Zedillo raeumte die Bundespolizei am fruehen
Sonntagmorgen in einer Ueberraschungsaktion die Autonome Nationaluniversitaet
Mexikos (UNAM). Die ueber 2.000 Polizisten durchkaemmten systematisch
das Universitaetsgelaende und verhafteten mehr als 600 Personen.
Zu Widerstand von Seiten der Studenten, die die UNAM seit dem
19. April des Vorjahres aus Protest gegen Reformplaene besetzt
hielten, kam es nicht. Die Studenten hatten zuvor auf einer die
Nacht ueberdauernden Vollversammlung des Obersten Streikrates
beschlossen, den Uni-Rektor erneut zum Dialog draengen, nachdem
Gespraeche am vergangenen Freitag ergebnislos verlaufen waren.
Noch im Verlaufe des Sonntags forderten mehrere tausend Menschen
auf einer Demonstration die sofortige Freilassung aller Studenten.
Wenige Stunden nach dem Coup uebernahm Praesident Zedillo in
einer landesweit uebertragenen Fernseh- und Rundfunkansprache
die Verantwortung fuer die Polizeiaktion. Er habe den Bundesstaatsanwalt
aufgefordert, der von einer Richterin vor einigen Monaten verfuegten
Rueckgabe der Einrichtungen an die UNAM sowie der Verhaftung der
mutmasslich Verantwortlichen fuer die Besetzung Geltung zu verschaffen.
Ausloeser fuer seine Entscheidung, so der Praesident, seien die
gewalttaetigen Zusammenstoesse zwischen Streikenden und Streikgegnern
in einer Uni-Einrichtung am 1. Februar gewesen. Bereits an diesem
Tag hatte die Bundespolizei eingegriffen und etwa 250 Studenten
festgenommen. Im Nachhinein sieht es fuer viele Kritiker so aus,
als haetten Hochschulverwaltung und Regierung in den vergangenen
Wochen zielstrebig auf die Raeumung hingearbeitet, nachdem sie
die streikenden Studenten nicht auf anderem Wege in die Knie zwingen
konnten.
Die Studenten begannen ihre Aktion vor fast zehn Monaten aus
Protest gegen eine beschlossene Vervielfachung der Studiengebuehren
und schaerfere Zulassungsbeschraenkungen fuer die UNAM. Dahinter
stand ebenso die Befuerchtung, die Regierung werde im Rahmen ihrer
neoliberalen Wirtschaftspolitik auch vor der oeffentlichen Hochschule
nicht halt machen und den Bildungssektor ueber kurz oder lang
vollstaendig privatisieren. Bald weiteten sich die Forderungen
auf mehr Demokratie und Mitbestimmung im Hochschulwesen sowie
einen Kongress aus, der die UNAM auf neue Grundlagen stellen sollte.
Die Ruecknahme der Gebuehrenerhoehungen und der Ruecktritt von
Rektor Barnes reichten nicht mehr, den Streik zu beenden, obwohl
in der Oeffentlichkeit der Druck auf die Studenten wuchs. Von
aussen in "Ultras" und "Moderate" eingeteilt, sprach sich stets
eine Mehrheit der Hochschueler auf den marathonlangen und oft
tumultartigen Streiksitzungen fuer die Fortfuehrung des Protestes
aus.
Der vom Praesidenten durchgesetzte neue Rektor Juan Ramon de
la Fuente ging im Januar in die Offensive. Mit viel Aufwand organisierte
er ein "Plebiszit" unter den fast 300.000 UNAM-Studenten ueber
den Streik. Erwartungsgemaess fand er eine Mehrheit, die sich
fuer das Ende der Protestaktion aussprach. Doch der Oberste Streikrat
organisierte ein eigenes Referendum, in dem er seinerseits viel
Unterstuetzung fuer seinen Forderungskatalog bekam und viele streikmuede
gewordene Studenten neu mobilisierte. Wahrscheinlich faellte die
Regierung bereits zu diesem Zeitpunkt den endgueltigen Beschluss,
die UNAM zu raeumen.
In den Folgetagen gab es mehrere Zwischenfaelle, an denen Streikgegner
und -Befuerworter beteiligt waren. Doch unabhaengige Zeitungen
erwaehnten vor allem den Anteil der Provokateure an den eskalierenden
Disputen. Nach einigen Zeugenaussagen wurden sie direkt von der
UNAM-Verwaltung oder Regierungsstellen angeheuert. Die Geruechte
ueber eine bevorstehende Raeumung verdichteten sich, als der Rektor
am Freitag nur ueber die Uebergabe der Universitaet, aber nicht
ueber Inhalte mit der Streikvertretung diskutieren wollten. Trotzdem
hatten die Studenten nicht damit gerechnet, so kurz danach vom
Campus in die Haftzellen zu kommen.
Fuer die Regierung ist die Situation aber nicht ausgestanden.
Obwohl die staatliche Menschenrechtskommission eilfertig attestierte,
bei der Raeumung seien alle Rechte der Studenten gewahrt worden
und es nach den vorliegenden Meldungen keinen einzigen Verletzten
gab, wird der Staat kaum rechtfertigen koennen, insgesamt mehr
als 800 Studenten laengere Zeit in Haft zu halten. Fuer jeden
Studentenfuehrer, dem der Prozess wegen Hausfriedensbruch und
vielleicht sogar Sabotage und Terrorismus gemacht wird, werden
viele andere protestieren. Wenn die Polizei wie vorgesehen mehrere
Wochen auf dem Universitaetgelaende bleibt, ist an die Aufnahme
eines regulaeren Uni-Betriebes auch nach dem Streikende nicht
zu denken.
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