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Deutsche Unternehmen und Talsperren in Kurdistan

von Ercan Ayboga

Deutsche Unternehmen sind in die Planung und den Bau von Talsperren und Wasserkraftwerken in Kurdistan in erheblichem Maße involviert. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Projekte in Türkisch-Kurdistan, während in den anderen drei Teilen Kurdistans aufgrund von meistens politischen Gründen deutsche Bau- und Wasserkraftunternehmen bisher kaum beteiligt waren bzw. insgesamt relativ wenige gebaut wurden.
Die Türkei hat ab den 70er Jahren erste nennenswert große Talsperren und Wasserkraftwerke in Türkisch-Kurdistan angefangen zu errichten. Dies beschleunigte sich ab den 90er Jahren immer mehr. Heute gehört die Türkei weltweit zu den Staaten mit den höchsten laufenden Talsperren- und Wasserkraftwerksprojekten.
Die Türkei hat bis heute mindestens 1300 Talsperren gebaut, von denen über 150 – darunter alle größeren – ein Wasserkraftwerk haben. 2000 weitere sind entweder vom Staat oder von privaten Unternehmen geplant.
Die bisher errichteten Projekte haben weitreichende problematische soziale, kulturelle, ökologische und politische Folgen gehabt. Gleichzeitig war der Nutzen insgesamt, insbesondere für die betroffene und lokale Bevölkerung sehr gering. Profitieren tuen große Industrien und Großstädte in der Türkei, während Türkisch-Kurdistan und mehrere ländliche Regionen der Türkei darunter leiden. So wurden bisher in Türkisch-Kurdistan knapp 200.000 Menschen durch Talsperren und Wasserkraftwerke aus ihren Heimatorten vertrieben; ausser den Großgrundbesitzern landeten alle diese Menschen aufgrund der miserablen Umsiedlungspolitik fast ausnahmslos in der Armut. Da es sich bei Türkisch-Kurdistan um Obermesopotamien handelt, wurden viele hunderte archäologische Stätten überflutet ohne wissenschaftlich und umfangreich ausgegraben worden zu sein und eine sehr spezifische, ans Wasser gebundene Kultur wurde für immer in vielen Gebieten vertrieben. Die Talsperren haben auch zur Zerstörung von gut funktionierenden Ökosystemen mit einer hohen Biodiversität geführt und in einigen Region – vor allem am Euphrat – das regionale Klima verändert. Neben dem Verlust von fruchtbaren Böden entlang der Flüsse wurden hunderttausende Hektare an ebenen Agrarflächen zu Monokulturen verwandel, die zum einen Flora und Fauna vernichteten und zum anderen kleine Landwirte vertrieben. Die Talsperren tragen auch dazu bei, dass zusätzlich zu den etwa drei Millionen vertriebenen KurdInnen in den 90er Jahren weitere Landstriche menschenleer gemacht werden und somit die Assimilierung noch mehr vorangetrieben wird. Schließlich wird das Konfliktpotential in Türkisch-Kurdistan und in der Region insgesamt erhöht. Denn der Krieg des türkischen Staates gegen die kurdische Freiheitskämpfer geht in den Bergen weiter und die Flüsse Euhprat und Tigris fliessen in der politisch instabilen Region des Mittleren Ostens weiter nach Syrien und in den Irak. Die Türkei kann das aufgestaute sowohl als politische Waffe und als Ware gegen seine Nachbarn einsetzen.

Wenn nun deutsche und europäische Unternehmen an diesen Talsperren- und Wasserkraftwerksprojekten mitwirken, machen sie sich an diesen Menschenrechsverletzungen, Zerstörungen von Kultur und Ökosystemen und der Erhöhung des Konfliktpotentials in entscheidender Weise mit. Denn die türkischen Unternehmen können die größeren Projekten nicht alleine verwirklichen und die größeren Projekte in Türkisch-Kurdistan, aber auch in der Türkei, führen eben zu den katastrophalen Auswirkungen.

Die deutschen Bau- und Wasserkraftunternehmen beteiligten und beteiligen sich an sehr vielen Projekten in der Republik Türkei, allerdings oft in Zusammenarbeit mit österreichischen, schweizerischen und französischen Unternehmen. In vielen Großprojekten sind in der Regel Unternehmen aus mindestens zwei dieser vier Staaten in einem Konsortium mit türkischen Unternehmen. Die am meisten sich beteiligenden deutschen Unternehmen sind Züblin, Bilfinger+Berger und Lahmeyer (vor ihrem Konkurs auch Philip Holzmann). Aus Österreich ist das Unternehmen Andritz und aus der Schweiz-Frankreich Alstom in sehr viele Projekte involviert. Dies zeigte sich zuletzt am momentan größten Talsperren- und Wasserkraftwerksprojekt Ilisu, in dem bis zum letzten Sommer Züblin, Alstom und Andritz dabei waren, bevor sie aufgrund der zurückgezogenen Kreditbürgschaft durch ihre eigenen Regierungen aus dem Projekt aussteigen mussten.
Diese genannten Unternehmen sind direkt oder indirekt in schätzungsweise 70-80% der bereits installierten und in Bau befindlichen Wasserkraft beteiligt. Sie spielen also eine dominierende Rolle in der Wasserkraft, die für die Türkei etwa 25 % der momentanen Stromerzeugung ausmacht.

Der Profit bei der Wasserkraft ist sehr hoch. Dies treibt die Konzerne nach mehr dazu an, an den Projekten wegen des Gewinnwillens mitzumachen. Das Ilisu-Projekt würde sich nach der vorliegenden Planung nach sieben Jahren amortisieren. Die Invesititionskosten von 1,2 Mrd. Euro würden nach sieben Jahren Stromerzeugung durch Zusicherungen der türkischen Regierung eingespielt werden. Diese Profitrate ist viel höher als bei anderen Infrastruktur- oder Energieprojekten.

Türkisch-Kurdistan ist für den Bau von Talsperren und Wasserkraftwerksprojekten sehr geeignet, da es sehr bergig ist und der Niederschlag relativ hoch ist. Hier entspringen die beiden großen Flüße Euphrat und Tigris, die wieder mehrere weitere große Nebenflüsse haben. In Iranisch-Kurdistan fließen auch mehrere größere Flüsse, weshalb der iranische Staat in den 90er Jahren angefangen hat, Talsperren zu errichten. Diese Talsperren erlauben eine hohe Stromproduktion, wovon der türkische Staat in hohem Maße profitiert. Die Wasserkraftwerksprojekte am Euphrat Atatürk, Karakaya und Keban sind für die Stabilisierung des türkischen Stromnetzes und die Abdeckung von Spitzenzeiten sehr wichtig.
Hinzukommt, dass die in Kurdistan entspringenden Flüsse weiter in den Iran, die Türkei und vor allem in die arabischen Länder weiterfließen, was den jeweiligen Staaten die Möglichkeit des Kontrolles des Wassers erlauben. Diesem Ziel des türkischen Staates helfen die deutschen Unternehmen durch ihre Beteiligung in erheblichem Maße mit. Die internationalen Unternehmen kommen dadurch auch in eine strategische Lage bei dem regionalen Machtspiel im Mittleren Osten. Doch ihr Engagement ist nicht unabhängig von ihren eigenen Staaten zu verstehen. Deutsche Unternehmen handeln im Interesse des deutschen Staates.

Mehrere Großprojekte des türkischen Staates im Wasserbereich werden nicht wie ursprünglich vorgeschrieben ausgeschrieben, sondern durch zwischenstaatliche Verträge an ein gewünschtes Konsortium aus bestimmten Unternehmen vergeben. Das aktuellste Beispiel ist das Ilisu Projekt, was auf Basis eines Vertrages mit Österreich und Deutschland an ein internationales Konsortium vergeben wurde. Dies zeigt, dass strategisch-ökonomische Interessen der Türkei, Deutschlands und anderer Staaten selbst die eigene Rechtssprechung übergehen können.

Bei den Beteiligungen von deutschen Konzernen an Talsperren- und Wasserkraftsprojekten nimmt die durch die deutsche Regierung vergebene Hermesbürgschaft (Kreditbürgschaft) eine kritische Rolle ein. Ohne diese Kreditbürgschaft investieren die deutschen Unternehmen oft nicht in politisch und wirtschaftlich instabile Regionen wir Türkisch-Kurdistan. Hier gehen also Unternehmen und Regierung Hand in Hand, sie sind kaum voneinander zu trennen. Wie bei keinem anderen Projekt wie Ilisu hat die deutsche Regierung sich eingehängt und auch wegen den Protesten im Vorfeld etwa 150 Auflagen an die türkische Regierung vor einer endgültigen Vergabe der Kreditbürgschaft gestellt. Diese wurden nach über zwei Jahren Diskussion in einem einmaligen Vorgehen zurückgezogen. Diese von 2006 bis 2009 geführte Diskussion ist für alle Investitionen deutsche Unternehmen in der Türkei von Bedeutung. Denn wenn die türkische Regierung diese Auflagen – die nur eine kleine Verbesserung der Umsetzung des Projekts geführt hätten – zumindest teilweise erfüllt hätte, hätte die deutsche Regierung das Argument in der Hand, dass die Türkei die Kapazitäten hätte, Infrastrulturprojekte nach hohen internationalen Standarts umsetzen könne. Im Anschluss hätte die deutsche Regierung sagen können, dass alle anderen Projekte deutscher (auch anderer westlicher) Unternehmen in der Republik Türkei ohne große Bedenken durchgeführt werden können, da die Türkei die Garantierung schon bei Ilisu gezeigt hätte. Auch wenn dies positiverweise nicht der Fall, hat sich nichts Wirkliches in der deutschen Außenexportwirtschaft i Hinblick auf die getan. Die Regierung und Unternehmen tun so, als es den Fall Ilisu nie gegeben hätte. Schließlich gilt für diese der Profit vor dem Menschen und der Natur. Für uns aber nicht!