Repression
gegen KurdInnen in Deutschland und Europa
Aufgrund
der geostrategischen Lage Kurdistans und dem emanzipatorischen Potential
der kurdischen Befreiungsbewegung gibt es enge internationale Kooperationen
und Absprachen, um die kurdische Bewegung sowohl auf militärischem als
auch auf politischem Gebiet auszuschalten. In Europa und speziell in Deutschland
geht es vor allem darum, Verbindungen der kurdisch stämmigen Bevölkerung
mit der Bewegung in Kurdistan zu unterbinden. ... weiter
»Ich muß mich
täglich bei der Stuttgarter Polizei melden«
Gespräch
mit Muzaffer Ayata. Über 20 Jahre Gefängnishaft in der Türkei, Folter
in Diyarbakir und die anhaltende politische Verfolgung in Deutschland
Muzaffer
Ayata ist Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), der er
bis zu seiner Verhaftung 1980 angehörte. Er war über 20 Jahre lang in
türkischen Gefängnissen inhaftiert und wurde mehrfach schwer gefoltert.
Nach seiner Freilassung im Jahr 2000 war er Berater der später ebenfalls
verbotenen kurdischen Partei der Demokratie des Volkes (HADEP) sowie zeitweilig
deren offizieller Vertreter in Deutschland. ... weiter
Repression
gegen KurdInnen in Deutschland und Europa
Aufgrund der geostrategischen
Lage Kurdistans und dem emanzipatorischen Potential der kurdischen Befreiungsbewegung
gibt es enge internationale Kooperationen und Absprachen, um die kurdische
Bewegung sowohl auf militärischem als auch auf politischem Gebiet auszuschalten.
In Europa und speziell in Deutschland geht es vor allem darum, Verbindungen
der kurdisch stämmigen Bevölkerung mit der Bewegung in Kurdistan zu unterbinden.
Im Einzelnen stehen bei der Verfolgung folgende Ziele im Vordergrund:
• Unterbindung politischer
Einflussnahme kurdischer Exilstrukturen in den europäischen Ländern durch
Kriminalisierung und Stigmatisierung der kurdischen Bewegung als "terroristische
Organisation"
• Einschränkung der Handlungs-
und Bewegungsfreiheit kurdischer PolitikerInnen durch Repression und Vollzug
der von der Türkei ausgestellten internationalen Haftbefehle
• Abschreckung kurdisch stämmiger
Menschen an politischer Teilhabe in Vereinen und Organisationen durch
straf- und ausländerrechtliche Sanktionen
• Kriminalisierung von öffentlichkeitswirksamen
Aktionen wie Demonstrationen und Kundgebungen
• Unterbindung finanzieller
Zuwendungen an die kurdische Bewegung in Kurdistan von Europa aus durch
strafrechtliche Maßnahmen
• Verhinderung freier Informationen
über die Situation in Kurdistan und der entsprechenden Bewusstseinsbildung
bei den kurdisch stämmigen Menschen in Europa durch Repression gegen kurdische
Medien
• Verhinderung einer objektiven
Berichterstattung in den europäischen Medien und der Entwicklung von Solidarität
in der europäischen Bevölkerung durch Stigmatisierung der kurdischen Bewegung
als "terroristische Vereinigung"
• psychologische Kriegsführung
gegen die Bevölkerung in Kurdistan, um ihr die Aussichtslosigkeit einer
Lösung vor Augen zu führen, solange sie an der PKK als politischer Vertretung
festhält
Den allgemeinen Rahmen für
die Kriminalisierung bildet die EU-einheitliche Liste terroristischer
Organisationen, in welche 2004 die PKK und so genannte Nachfolgeorganisationen
aufgenommen wurden. Speziell in Deutschland gilt seit 1993 das vom damaligen
Innenminister verhängte PKK-Verbot als Grundlage zur Kriminalisierung
auf vereinsrechtlicher Ebene. In Deutschland umfassen die Sanktionen gegen
politisch aktive Menschen kurdischer Herkunft sowohl strafrechtliche als
auch ausländerrechtliche Maßnahmen:
1. Strafrechtliche
Maßnahmen:
§129 StrGB:
In verantwortlicher Position politisch arbeitende KurdInnen werden in
Deutschland unter dem Vorwurf der "Bildung einer kriminellen Vereinigung
(§129)" verfolgt. In der Regel lautet der Vorwurf, als sogenannte
"Gebietsverantwortliche der PKK" tätig gewesen zu sein. Ohne
dass individuelle Straftaten nachgewiesen werden, erfolgen in der Regel
Verurteilungen zu zweieinhalb bis vier Jahren Gefängnis. Diese Verurteilungen
treffen umso härter, als dass viele der davon Betroffenen schon in der
Türkei zum Teil über zwanzig Jahre in Haft verbracht hatten, bevor sie
in Deutschland Asyl bekamen. In jüngerer Zeit erfolgen zunehmend auch
Anklagen nach §129 für das einfache Einsammeln von Spendengeldern.
§20 Vereinsgesetz:
Der §20 Vereinsgesetz bildet die Grundlage für die meisten Strafverfahren
gegen die kurdische Bewegung in Deutschland. Der Vorwurf beinhaltet gegen
das in Deutschland seit 1993 bestehende politische Betätigungsverbot der
PKK und sogenannter Nachfolgeorganisationen verstoßen zu haben. Kriminalisiert
werden vor allem Solidaritätsbezeugungen der kurdisch stämmigen Bevölkerung
in Form von Fahnen, Transparenten und Parolen auf öffentlichen Demonstrationen
und Kundgebungen. Der Artikel dient auch zur Begründung der regelmäßigen
Razzien in kurdischen Vereinen und Privatwohnungen, die von der Polizei
mit großer Brutalität und unter bewusster Zerstörung des Inventars durchgeführt
werden.
Internationale
Haftbefehle:
Es ist gängige Praxis des türkischen Staates, gegen politisch missliebige
kurdische AktivistInnen im Exil internationale Haftbefehle auszustellen.
Die Vorwürfe lauten meist pauschal auf Beteiligung an terroristischen
Aktivitäten und sind nach Überprüfung durch europäische Gerichte oft substanzlos.
Da aber eine inhaltliche Überprüfung der Haftbefehle erst nach der Festnahme
erfolgt, werden kurdische Politikerinnen erst einmal über Wochen in Untersuchungs-
bzw. Auslieferungshaft gehalten. Damit einher geht die entsprechende Stigmatisierung
und die Angst der Betroffenen, doch an die Türkei ausgeliefert zu werden.
Bezeichnend ist hier der Fall des jetzigen Kongra Gel Vorsitzenden Dr.
Remizi Kartal, der 2005 in Deutschland aufgrund eines internationalen
Haftbefehls mehrere Wochen im Gefängnis saß und letztes Jahr wiederum
erneut in Spanien wegen derselben Vorwürfe festgenommen wurde.
2. Ausländerrechtliche
Maßnahmen:
Asylwiderruf
In den letzten Jahren wird kurdischen AktivistInnen in zunehmenden Maße
in Widerrufsverfahren die Asylwürdigkeit aberkannt wegen angeblicher Teilnahme
an terroristischen Aktivitäten. Bezeichnerderweise werden hier oft genau
die Gründe genannt, die in den ursprünglichen Verfahren zur Anerkennung
des Asylstatus geführt hatten. Für die Betroffenen, die oft durch lange
Haftstrafen und Folter in der Türkei traumatisiert sind, bedeutet dies,
sich nun erneut mit der Gefahr einer Abschiebung konfrontiert zu sehen.
Einbürgerung:
Viele der in Deutschland lebenden kurdisch stämmigen Menschen sind hier
aufgewachsen und erfüllen den Rechtsanspruch auf Einbürgerung. Eine Einbürgerung
kann von den deutschen Behörden allerdings abgelehnt werden, wenn dem
Antragsteller extremistische Bestrebungen unterstellt werden. Dieser Passus
wird bei KurdInnen extrem weit ausgelegt. Schon der öftere Besuch kurdischer
Vereine und die Teilnahme an legalen Demonstrationen werden regelmäßig
von den Behörden als Gründe angeführt, eine Einbürgerung zu verweigern.
Die gängige Praxis zielt klar darauf hin, durch das Grundgesetz geschützte
Rechte auf politische Betätigung durch das Ausländerrecht auszuhebeln
und politisches Wohlverhalten zu erzwingen.
Bespitzelung:
Der unsichere Aufenthaltsstatus der kurdischen MigrantInnen dient dem
Verfassungsschutz als Einfallstor, um innerhalb der kurdischen Bevölkerung
Spitzel anzuwerben. Durch Drohungen und Lockungen werden Menschen in einen
Konflikt des Verrats geführt, aus dem sich in der Vergangenheit einige
nur durch Selbstmord befreien konnten.
3. Kurdische
Medien:
Ein besonderer Dorn im Auge
der Türkei, aber auch der EU und der USA sind die kurdischen Medien, die
in Europa betrieben werden. Während die EU im Rahmen der Beitrittsverhandlungen
mit der Türkei Druck macht, dort mehr Medienfreiheit zu gewähren, werden
die bestehenden kurdischen Einrichtungen in Europa kontinuierlich mit
Repression überzogen. Gegen die vor allem in Deutschland verbreitete kurdische
Zeitung "Özgür Politica" wurde 2005 von dem damaligen Innenminister
Schily ein Verbot verhängt. Auch gegen den kurdischen TV-Sender "Roj
TV", der aus Brüssel sendet und sich in Kurdistan und Europa eines
Millionenpublikums erfreut, wurde 2009 in Deutschland ein Betätigungsverbot
ausgesprochen. Auch wenn die Betätigungsverbote sowohl gegen "Özgür
Politica" als auch gegen "Roj Tv" nach einigen Monaten
von deutschen Gerichten wieder aufgehoben wurden, wird durch die unterbrochene
Kontinuität und den materiellen Schaden die Arbeit der entsprechenden
Medien erheblich erschwert. Den letzten Höhepunkt bildete im März 2010
die Stürmung des Brüsseler Studios von "Roj Tv" durch Sondereinheiten
der belgischen Polizei, bei dem durch bewusste Verwüstung der Sendeeinrichtungen
ein Schaden von 1.200.000 € angerichtet wurde.
Zusammenfassung:
Die im obigen Text in trockenen
Paragraphen aufgelisteten Zusammenhänge bestimmen für viele kurdisch stämmige
Menschen in Deutschland den Alltag. Ihre Identität aus der Erfahrung und
Erinnerung brutaler Unterdrückung in der Türkei, Haft und Folter sowie
verlorener Angehöriger hat in Deutschland keinen Platz. Mit der kalten
Präzision des "demokratischen Rechtstaats" wird alles beiseite
geräumt und zerschlagen, was den außenpolitischen Interessen Deutschlands
und der EU entgegensteht.
Wenn man zurückschaut auf die jetzt schon siebzehnjährige Geschichte des
PKK-Verbots in Deutschland, haben die Herrschenden weitgehendst Erfolg
gehabt. Viele KurdInnen halten sich von politischen Aktivitäten fern,
um ihren als MigrantInnenen schwer erreichten Status in Deutschland nicht
zu gefährden. Wenn schon mal einen Zeitungsartikel über die Situation
in Kurdistan berichtet, dann immer mit dem Hinweis am Ende, dass die PKK
von der EU auf der Liste terroristischer Organisationen geführt wird.
Positiv bleibt zu vermerken, dass sich seit einigen Jahren in der deutschen
Linken wieder verstärkt Interesse und Solidarität in Bezug auf die kurdische
Befreiungsbewegung entwickelt. Ein Hauptziel muss es sein, die Repression
gegen politisch aktive KurdInnen in Deutschland zu beenden.
Nähere Informationen:
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/azadi/
»Ich
muß mich täglich bei der Stuttgarter Polizei melden«
Gespräch mit
Muzaffer Ayata. Über 20 Jahre Gefängnishaft in der Türkei, Folter in Diyarbakir
und die anhaltende politische Verfolgung in Deutschland
Interview: Alexander Bahar
Muzaffer Ayata ist Gründungsmitglied
der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), der er bis zu seiner Verhaftung 1980
angehörte. Er war über 20 Jahre lang in türkischen Gefängnissen inhaftiert
und wurde mehrfach schwer gefoltert. Nach seiner Freilassung im Jahr 2000
war er Berater der später ebenfalls verbotenen kurdischen Partei der Demokratie
des Volkes (HADEP) sowie zeitweilig deren offizieller Vertreter in Deutschland.
Aus Sicht
der türkischen Behörden haben Sie in Ihrer Funktion als Vertreter der
HADEP von Deutschland aus »terroristische« Operationen der verbotenen
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) der Türkei organisiert. Was sagen Sie
dazu?
Das ist völliger Unsinn. All diese Anschuldigungen basieren auf Geschehnissen
aus der Zeit vor 1980. Leider haben die deutschen Behörden diese Vorwürfe
aus der Türkei, die nahezu alle vom türkischen Geheimdienst oder der türkischen
Polizei stammen, so gut wie ungeprüft übernommen.
Aus Ihrer
Nähe zur PKK haben Sie aber nie ein Hehl gemacht?
Das ist richtig. Ich habe in allen Gerichtsverfahren in der Türkei meine
frühere PKK-Mitgliedschaft offen verteidigt. Nachdem ich im Jahr 2000
aus der türkischen Haft entlassen wurde, habe ich mich politisch aber
ausschließlich auf legaler Ebene betätigt. Zuerst innerhalb der HADEP,
als diese dann verboten wurde, innerhalb der Nachfolgepartei DEHAP. Wie
Ihren Lesern sicher bekannt ist, wurde auch diese in der Zwischenzeit
verboten, genauso wie alle anderen demokratischen kurdischen Parteien,
die danach gegründet wurden.
Sie gehörten
zum engeren Kreis des 1999 entführten und seither auf der Insel Imrali
in Isolationshaft gehaltenen PKK-Führers Abdullah Öcalan. Wie sind Sie
zur PKK gestoßen?
Ich wurde 1956 in einem Dorf in der Nähe von Siverek in der Provinz Urfa
im Südosten der Türkei geboren. In der Schule wurden die Existenz des
kurdischen Volkes, seine Sprache und Geschichte geleugnet, und es war
auch verboten, darüber zu sprechen. Als ich etwa 16 Jahre alt war, fing
ich damit an, Bücher über die Kultur und die Geschichte unseres Volkes
zu lesen. Durch Kontakte zu Vertretern der revolutionären Linken in der
Türkei wurde ich mir zum ersten Mal meiner Identität als Kurde bewußt.
In den frühen 1970er Jahren tauchten die ersten studentischen Bewegungen
auf. Allerdings gab es zu dieser Zeit noch keine kurdische Organisation.
In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre entstanden dann einige dezidiert
linke kurdische Gruppierungen. All diese Gruppierungen waren sich in ihren
Grundzügen ähnlich, alle hatten sie die Idee, es müsse auch auf politischer
Ebene eine Vertretung der Kurden geben. Eine herausragende Stellung nahm
von Anfang an die Bewegung von Abdullah Öcalan ein. Sie konnte sich auch
als einzige etablieren. Als Biologiestudent in Ankara habe ich 1976 beschlossen,
dieser Organisation beizutreten. Sie wurden damals als »Revolutionäre
Kurdistans« bezeichnet. 1978 habe ich aus diesem Grund auch mein Studium
abgebrochen, bin zurück in meine Heimat und habe in Urfa zusammen mit
anderen am 27. November 1978 die PKK gegründet. Offiziell wurde die Gründung
allerdings erst im Juli 1979 vollzogen.
Und wie kam
es dann zu Ihrer Verhaftung? Gab es denn zu jener Zeit schon militärische
Auseinandersetzungen zwischen PKK und türkischem Militär?
Als ich im März 1980 verhaftet wurde, war es noch zu keinen militärischen
Auseinandersetzungen gekommen. Allerdings hatten die Behörden nach dem
Massaker von Maras am 22. Dezember 1978, bei dem über 1000 kurdisch-alevitische
Zivilisten getötet worden waren, den Ausnahmezustand erklärt. Es gab einen
Haftbefehl gegen mich, mein Haus wurde durchsucht, und ich wurde festgenommen.
Infolge des militärischen Ausnahmezustands hatte der Staat Sondereinheiten
gebildet. Das waren Polizisten, die man eigens für Folterverhöre ausgebildet
hatte. Eine dieser Sondereinheiten des Innenministeriums kam damals nach
Urfa und hat uns über 15 Tage lang verhört und gefoltert. Die Verhöre
verliefen extrem brutal. Wir wurden mittels Elektroschocks – auch an den
Genitalien – gefoltert, mit den Füßen oder mit zusammengebundenen Händen
an der Decke aufgehängt usw. Man hat uns tagelang nichts zu essen und
zu trinken gegeben, hat uns nicht schlafen lassen. Um es kurz zu machen:
Man hat uns auf die verschiedenste Art gefoltert, um uns auszuquetschen,
Informationen, Namen aus uns herauszupressen. Dabei wurde zwischen Männern,
Frauen und Kindern kein Unterschied gemacht. Einige von uns sind infolge
der Folterungen gestorben.
Nach der Verhängung des Ausnahmezustands
hatte das Militär eigene Gerichte gebildet, die unabhängig von jeder politischen
Kontrolle agierten und in denen das Militär nach seinen eigenen Regeln
urteilte. Von einem solchen Militärgericht wurde ich wie viele andere
im Mai 1983 zum Tode verurteilt. Zunächst wurde das Urteil damit begründet,
wir hätten versucht, das Territorium des türkischen Staats aufzuteilen
und einen eigenen Staat zu gründen. Zu diesem Zweck hätten wir eine politische
Partei ins Leben gerufen und uns politisch betätigt. Das ganze Verfahren
beruhte auf dem damaligen Paragraphen 125 des türkischen Strafgesetzes
über die Unantastbarkeit des türkischen Staates, das von März 1981 bis
Mai 1983 Bestand hatte. Im Mai 1983 wurden etwa 500 Personen aufgrund
dieses Paragraphen verurteilt. Dieses Gesetz hatte das Militär damals
speziell geschaffen, um gegen politische Aktivisten vorzugehen. Wer aufgrund
dieses Paragraphen verurteilt wurde, erhielt in der Regel die Todesstrafe.
Die Verhängung der Todesstrafe mußte allerdings zunächst vom türkischen
Parlament abgesegnet werden. Jahrelang hat man das hinausgezögert. 1996
stimmte dann das Parlament der Verhängung der Todesstrafe gegen mich zu.
Noch im selben Jahr jedoch wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach alle
Todesurteile in 40jährige Haftstrafen umzuwandeln seien. Die Zahl der
politischen Häftlinge war damals so stark angewachsen, daß deren massenhafte
Hinrichtung dem türkischen Staat nicht mehr opportun erschien.
Was haben
Sie persönlich in Ihrer Zeit als politischer Gefangener in der Türkei
erlebt?
Ich selbst war von 1980 bis 1987 im Gefängnis von Diyarbakir inhaftiert,
anschließend ein Jahr lang in Eskishehir, ein Jahr in Amasya, mehr als
vier Jahre in Antep und etwa sechseinhalb Jahre bis zu meiner Entlassung
in Bursa. Das Gefängnis in Diyarbakir war eines der schlimmsten Foltergefängnisse
weltweit. Gefoltert wurde dort zunächst bis 1984. Vor allem vor dem Hintergrund
des Ausnahmezustands durften die Beamten und Soldaten dort nach Gutdünken
foltern. Nach Beendigung des militärischen Ausnahmezustands haben die
Folterungen nachgelassen, zwar gab es auch danach vereinzelt immer wieder
Fälle von Folter, aber nicht in dem Ausmaß wie zuvor. Zwischen 1980/81
und 1984 sind dort 33 Menschen umgekommen. Einige davon haben Selbstmord
begangen, weil sie es nicht mehr aushielten. Andere wiederum wurden mittels
Folter und Schlägen vom Wachpersonal umgebracht. Einen weiteren Höhepunkt
erreichten die Folterungen und Mißhandlungen im Jahr 1996. Mit Billigung
der Staatsanwaltschaft haben Polizei und Militär das Gefängnis angegriffen
und dort eine Art Willkürregime errichtet.
Was waren
das für Foltermethoden?
Eine bei den türkischen Beamten beliebte Methode ist als »palästinensische
Schaukel« benannt. Man bindet die Hände des Gefangenen hinter dem Rücken
fest und hängt ihn dann mit zusammengebundenen Händen an der Decke auf.
Wenn man nicht aufpaßt und sich falsch bewegt, kann man daran sterben.
Eine weitere Methode bestand darin, einen an den Oberarmen aufzuhängen.
Daß wir die Gefängnishaft,
vor allem die Zeit in Diyarbakir überlebt haben, grenzt an ein Wunder.
Sehr viele Menschen, die dort inhaftiert waren, litten danach an schweren
psychischen und physischen Problemen, viele leiden bis heute an den Folgen.
Bei mir hat das dazu geführt, daß ich mit 25 fast alle Zähne verloren
habe. Vergeßlichkeit, hormonelle Störungen, Störungen des Gleichgewichtssinnes
sowie Probleme mit dem Verdauungsapparat und mit den Nieren sind geblieben.
Auch meine Konzentrationsfähigkeit sowie allgemein meine geistige Leistungsfähigkeit
haben infolge dieser Erlebnisse stark nachgelassen. Mein Immunsystem wurde
ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Ich bin insgesamt viel empfindlicher
und anfälliger gegenüber Infektionskrankheiten. Was mich bis heute auf
den Beinen hält, was uns allen geholfen hat zu überleben, das ist unsere
Überzeugung von der Richtigkeit der Sache, für die wir uns eingesetzt
und für die wir gekämpft haben.
Wie ist Ihr
Leben nach der Entlassung verlaufen?
Nachdem ich 2000 auf Bewährung aus dem Gefängnis kam, habe ich Kontakt
mit der damaligen legalen kurdischen Partei HADEP aufgenommen. Da mir
der türkische Staat verboten hat, mich politisch zu betätigen, habe ich
mich allerdings nicht offiziell engagiert. Ich fungierte lediglich als
Berater. Obwohl ich 20 Jahre meiner Strafe abgesessen hatte, war es mir
aufgrund dieses Politikverbots nicht möglich, eine offizielle Position
einzunehmen. Auf den Rat meiner Anwälte hin habe ich mich dann entschlossen,
die Türkei zu verlassen und nach Europa, konkret nach Deutschland zu gehen.
Ich bin dann auch ganz legal Anfang Januar 2002 mit meinem Reisepaß eingereist.
Wie wurden
Sie vom deutschen Staat empfangen?
In den ersten Monaten des Jahres 2002 habe ich mich zusammen mit einigen
Kollegen schriftlich an das Außenministerium gewandt und einen Antrag
gestellt, in Deutschland eine offizielle Vertretung der HADEP zu eröffnen.
Das Ministerium reagierte zunächst positiv. Doch die Bearbeitung unseres
Antrags zog sich in die Länge. In dieser Zeit ist mein Visum abgelaufen.
Bei einer allgemeinen Polizeikontrolle wurde ich zunächst in Gewahrsam
genommen. Um nicht sofort in die Türkei abgeschoben zu werden, blieb mir
keine andere Wahl, als einen Asylantrag zu stellen. Es hat dann etwa sieben
bis acht Monate gedauert, bis mein Antrag beantwortet wurde. In dieser
Zeit hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Informationen
bei den türkischen Behörden eingeholt. Aufgrund dieser Informationen kam
es zu dem Schluß, ich sei immer noch für die PKK aktiv. Mit dieser Begründung
wurde mein Asylantrag schließlich abgelehnt. Ich habe dann über meine
Anwälte gegen diese Entscheidung geklagt. Das Gericht hat sich jedoch
auf den BAMF-Beschluß berufen und nochmals bestätigt, daß mir kein politisches
Asyl gewährt werden kann. Dennoch kam man zu dem Schluß, daß eine Auslieferung
an die Türkei für mich zu gefährlich wäre, weil ich ja »erst« 20 Jahre
meiner Strafe abgesessen hätte und außerdem der türkische Geheimdienst
über meine Aktivitäten unterrichtet sei. Man hat mich deshalb zunächst
einmal nicht ausgewiesen. Das war am 21. März 2005.
Eine schizophrene
Entscheidung …
Diese paradoxe Entscheidung ist typisch für den Umgang der deutschen Behörden
mit uns Kurden. Das einzige, worauf man sich bei diesen Entscheidungen
stützt, sind die Berichte und die Dokumente, die von den türkischen Behörden
– Polizei und Geheimdiensten – übermittelt werden. Was wir selbst und
unsere Verteidiger sagen, ist nicht von Bedeutung. Das ist nicht nur bei
mir so, das ist das Standardverfahren bei allen kurdischen Politikern
und politisch Aktiven. Uns wird kein Verfahren nach rechtsstaatlichen,
demokratischen Standards gewährt. Ich bin mir sicher, daß das an den geheimen
Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei liegt. Der Vorwurf, ich sei
illegal aktiv, kann schon von daher nicht der Wahrheit entsprechen, daß
ich als bekannte politische Persönlichkeit gar nicht die Möglichkeiten
habe, mich illegal zu betätigen. Alles, was ich mache, ist öffentlich
und bewegt sich im legalen Rahmen. Was mir vorgeworfen wird, sind auch
keine konkreten Taten, es ist vielmehr meine Vergangenheit. All diese
Vorwürfe basieren ausschließlich auf den Unterlagen des türkischen Geheimdienstes.
Noch einmal:
Was genau wirft man Ihnen vor?
Man wirft mir ganz allgemein die Unterstützung der PKK vor. Meine Festnahme
im August 2006 in Deutschland und meine Verurteilung zu einer Haftstrafe
von schließlich drei Jahren und zwei Monaten durch das Oberlandesgericht
(OLG) Frankfurt am Main wurde einzig und allein mit meinen Aktivitäten
im Zeitraum 2005/2006 begründet. Man hat mir vorgeworfen, in diesem Zeitraum
in Süddeutschland als illegaler Leiter für die PKK gearbeitet und sie
in diesem Raum organisiert zu haben – ohne konkrete Beweise. Das war die
ganze Begründung für eine über drei Jahre währende Gefängnishaft, aus
der ich erst im Oktober 2009 entlassen wurde.
Alle Anschuldigungen basieren
letztlich auf den Vorwürfen des türkischen Staates. Das zeigt, daß der
deutsche Staat als Handlanger der Türkei agiert, um die kurdische Freiheitsbewegung
zu illegalisieren und in ihren politischen Aktivitäten zu blockieren.
Ich bin mir sicher, daß die USA hier ihre Finger mit im Spiel haben. Kurz
bevor ich 2006 in Süddeutschland festgenommen wurde, hatte es beispielsweise
ein Gespräch zwischen Vertretern der USA und Deutschlands gegeben. Mir
ist auch bekannt, daß es Abkommen zwischen allen NATO-Ländern hinsichtlich
des Umgangs mit der PKK gibt. Bis vor einigen Jahren betraf das fast ausschließlich
Deutschland als den Staat, der am intensivsten gegen kurdische Politiker
und Aktivisten vorgegangen ist. Das liegt nicht zuletzt daran, daß hier
in Deutschland die meisten Kurden in Europa außerhalb Kurdistans leben.
Durch den Druck der USA haben in den letzten Jahren auch die anderen europäischen
Länder immer stärker damit begonnen, gegen kurdische Einrichtungen und
Vereine vorzugehen.
Wie verhält
sich die Regierung Barack Obamas in der Kurden-Frage?
Der Druck von seiten der USA hat zugenommen, als George W. Bush sich 2007
mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen
und die PKK öffentlich als den gemeinsamen Feind bezeichnet hat. Das wurde
seinerzeit von den Medien entsprechend breitgetreten. Präsident Barack
Obama macht nun nichts anderes, als diese Politik fortzuführen. Das wurde
noch verstärkt durch Abkommen zwischen der Türkei und der USA etwa hinsichtlich
der militärischen Unterstützung für den Krieg der USA in Afghanistan,
wo die Türkei eng kooperiert.
Wie ist der
aktuelle Stand in Ihrem Verfahren?
Drei Tage nach meiner Verhaftung in Deutschland hatte die Staatsanwalt
von Diyarbakir Haftbefehl gegen mich erlassen. Darin wurde mir nur ganz
allgemein vorgeworfen, ich würde von Deutschland aus die illegalen Aktivitäten
der PKK in der Türkei organisieren. Damit verbunden war die Androhung
einer lebenslänglichen Haftstrafe und die Forderung, mich an die Türkei
auszuliefern. Obwohl die Staatsanwaltschaft von Diyarbakir dafür keinerlei
Beweise vorlegen konnte, hat die Staatsanwaltschaft am OLG Frankfurt am
Main diese Vorwürfe nahezu vollständig übernommen. Das Gericht hat daraufhin
im Jahr 2008 entschieden, ich solle an die Türkei ausgeliefert werden.
Gegen diesen Ausweisungsbeschluß habe ich über meine Anwälte Widerspruch
eingelegt. Nachdem die türkische Staatsanwaltschaft auch nach sechs Monaten
noch keine Beweise gegen mich vorlegen konnte, hat das OLG meinen Widerspruch
akzeptiert. Damit wurde meine Abschiebung erst einmal gestoppt. Trotzdem
ist mein Aufenthalt hier stark gefährdet. Ich habe Residenz- und Meldepflicht.
Das bedeutet, daß ich das Stadtgebiet von Stuttgart nicht verlassen darf
und mich täglich um eine bestimmte Uhrzeit persönlich bei der Polizeibehörde
einfinden muß, um zu beweisen, daß ich auch tatsächlich hier bin.
Während meiner Haft in Deutschland
hatte das Land Baden-Württemberg zunächst dem Ausweisungsbeschluß des
Frankfurter OLG zugestimmt. Bei der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht
in Stuttgart richtete mein Anwalt an den Richter die Frage: »Warum hat
man meinen Mandanten zu einer mehr als dreijährigen Haftstrafe verurteilt?«
Der Richter mußte dann bestätigen, daß in allen ihm bekannten Fällen,
auch wenn es um höhere PKK-Kader ging, keiner eine Haftstrafe von mehr
als drei Jahre erhalten habe. Er kommentierte das dann sinngemäß mit den
Worten, in meinem Fall habe man dieses Strafmaß wohl deshalb überschritten,
um meine Ausweisung aus Deutschland zu erleichtern. Jemanden, der eine
über dreijährige Haftstrafe erhält, kann man nämlich juristisch gesehen
leichter ausweisen. Obwohl er mit der Situation in Kurdistan und dem Vorgehen
der türkischen Behörden gegenüber der PKK durchaus vertraut sei, müsse
er, so fügte der Richter hinzu, dem Entschluß, mich auszuweisen, leider
zustimmen, selbst vor dem Hintergrund, daß mir in der Türkei weitere 20
Jahre Haftstrafe drohten.
In seinem Urteil vom Januar
2010 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart zwar betont, daß sich die Gesetzeslage
in der Türkei in den letzten Jahren allgemein verbessert hat, zugleich
mußte es jedoch einräumen, daß sich die türkischen Behörden häufig nicht
an diese Gesetze halten. Trotzdem hat das Gericht eine gegen die Ausweisungsverfügung
des Regierungspräsidiums Stuttgart gerichtete Klage abgewiesen. Dagegen
haben meine Rechtsanwälte beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
in Mannheim Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Vor diesem Hintergrund
hat man die Ausweisung zunächst gestoppt. Gegen das seitens des BAMF eingeleitete
Widerrufsverfahren habe ich ebenfalls beim Verwaltungsgericht Stuttgart
Klage erhoben. Meiner Klage wurde stattgegeben. Das BAMF hat dagegen beim
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Zulassung der Berufung beantragt.
Beide Berufungsverfahren sind beim Verwaltungsgerichtshof anhängig.
Die deutschen
Regierungsbehörden versuchen also nach wie vor, Ihre Ausweisung durchzusetzen?
Man will mich offensichtlich dazu bringen, Deutschland zu verlassen. Man
schiebt mich zwar nicht ab, man weist mich auch nicht aus, aber man macht
mir das Leben hier so schwer wie nur möglich – mit der offenkundigen Absicht,
mir jede Energie und jede Motivation zu rauben, zu bleiben. Es ist, als
wolle man mir zeigen: Du hast hier keine Perspektive, wir wollen dich
nicht.
junge Welt, 15.05.2010 |