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Einführungspapier zur Nabucco-Pipeline

Erdgas über Kurdistan für die BRD und EU?

April 2010
Ercan Ayboga

Im Juli 2009 wurde zwischen den vier europäischen Staaten Österreich, Ungarn, Rumänien und Bulgarien und der Türkei ein Rahmenabkommen über den Bau der Nabucco-Pipeline feierlich unterzeichnet. Damit ist ein einheitlicher Rechtsrahmen für das seit zehn Jahren diskutierte Projekt zur Erdgasversorgung gelegt.
Die geplante Nabucco-Pipeline soll diesem Abkommen zufolge ab 2014/2015 Erdgas aus der Türkei bis nach Österreich pumpen, damit die Europäische Union (EU) mit den Erdgasvorkommen des Kaspischen Meeres – längerfristig auch mit denen des Mittleren Ostens – verbunden wird. Sowohl die Unterzeichnerstaaten als auch die EU selbst betrachten die Nabucco-Pipeline als ein zentrales Projekt für ihre Energieversorgungssicherheit. Doch neueste Äußerungen des EU Kommissars Oettinger vom März 2010 gehen davon aus, dass die Nabucco-Pipeline nicht vor 2018 in Betrieb gehen wird.
Mit angeschlagenen 7,9 Mrd. Euro Investitionskosten, 3.300 km Länge (allein 2.000 km in der Türkei) und einer maximalen Förderkapazität von rund 31 Milliarden Kubikmeter pro Jahr gehört die Nabucco-Pipeline zu den größten Infrastrukturprojekten im Energiesektor. Sie soll im Osten der Türkei – genauer gesagt in Türkisch-Kurdistan – beginnen und über Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich führen, wo sie an vorhandene zentrale Verteilerzentren angeschlossen würde.

Motivation des Projekts
Der Grund für den anvisierten Bau der Nabucco-Pipeline liegt im Interesse der EU, die zum einen den angeblich steigenden Energiebedarf decken will und zum anderen um eine Diversifizierung der Erdgasquellen bestrebt ist. Die EU gibt hierzu offiziell an, dass der Erdgasbedarf in etwa zwanzig Jahren von 485 Mrd. auf 575 Mrd. Kubikmeter Erdgas wahrscheinlich ansteigen wird, während gleichzeitig die Eigenförderung sinken wird. Um diesen steigenden Erdgasimportbedarf decken zu können und weniger vom russischen Erdgasförderer und -verteiler Gazprom abhängig zu werden, soll vor allem die Nabucco-Pipeline ins Spiel kommen. Der russisch-ukrainische Gasstreit von 2005/2006 hat hierbei das Nabucco-Pipeline Projekt zweifellos beschleunigt.

Konsortium und Finanzierung
Initiator des Projektes ist die österreichische OMV AG. Daneben sind nationale Gesellschaften wie die MOL aus Ungarn, S.N.T.G.N. Transgaz S.A. aus Rumänien, Bulgargaz-Holding EAD aus Bulgarien und BOTAŞ Petroleum Pipeline Corporation aus der Türkei im Konsortium. Diese nationalen Gesellschaften haben als Tochtergesellschaften die Nabucco Gas Pipeline International GmbH ins Leben gerufen, welche das Projekt durchführen soll.
Wegen dem besonderen Interesse Deutschlands an der Nabucco-Pipeline ist auch das deutsche Energieunternehmen RWE mit einem gleichen Anteil von 16,67 % eingestiegen.
Die Finanzierung soll zu einem Drittel durch das Betreiberkonsortium selbst, zu zwei Drittel durch Kredite aufgebracht werden. Die Kredite werden wegen dem strategischen Interesse wahrscheinlich von der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Wiederaufbau- und Entwicklungsbank (ERDB) kommen. Beide Banken erklärten bereits, dass sie eine Finanzierung für möglich halten. Das im Juli 2009 geschlossene Regierungsrahmenabkommen soll zur Absicherung der Finanzierung des Projektes dienen. Ob wie geplant die endgültige Bauentscheidung noch im Jahre 2010 gefällt wird, ist wegen den neusten Entwicklungen unklar geworden.

Unsichere Auslastung und Risiken
Über die Nabucco-Pipeline wird viel diskutiert und ihr Sinn erfragt, da bis heute unsicher ist, wie die Pipeline ausgelastet werden soll. Denn bis heute haben nur Aserbaidschan und vor allem Turkmenistan grundsätzlich zugesichert, Erdgas einzuspeisen. Doch ist das fraglich, da Turkmenistan mit den größeren Reserven (ca. 8 Bio m³) gegenüber Russland und China Erdgas in großen Mengen erst kürzlich zukünftig vertraglich zugesichert hat und zwar fast die gesamte geplante Jahresproduktion. Hinzu kommt die Kritik vieler Kreise, dass nämlich am Kaspischen Meer doch nicht so viel Erdgas vorhanden ist wie Turkmenistan offiziell angibt. Weiterhin könnte die notwendige transkaspische unterseeische Pipeline aus Turkmenistan nach Aserbaidschan wegen des ungünstigen Meeresprofils extrem hohe Investitionen erfordern. In Zusammenhang damit ist der rechtliche Status des Kaspischen Meeres und seiner Aufteilung zwischen den Staaten noch nicht geklärt. Zu den seit Jahren am Verhandlungsprozess teilnehmenden Staaten gehören auch der Iran und Russland.
Die Gasreserven Kasachstans sind mit etwa 2 Bio. m³ nicht gering, aber es wird zusammen mit Erdöl gefördert und muss zur Hälfte wegen Instabilität in die Erdölfelder gepumpt werden. Langfristig wird die Produktion steigen, aber wann das der Fall sein wird und inwiefern es der Nabucco-Pipeline zugute kommt ist unklar, da Russland und China starkes Interesse hat – einige Verpflichtungen sind getroffen worden – und die Felder viel weiter entfernter sind als die südkaspischen. Und wie bei Turkmenistan gibt es die Unklarheit über die Aufteilung der Hoheit des Kaspisches Meer.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist Aserbaidschan, der ein Absichtsabkommen – kein verbindlicher Vertrag – mit Russland in Höhe von 13 Mrd. m³ Erdgaslieferung abgeschlossen hat. Demnach soll 8 von 13 Mrd. m³ Erdgas der geplanten jährlichen Produktion vom wichtigen Erdgasfeld Schah Deniz 2 nach Russland transportiert werden, wodurch der Nabucco-Pipeline 4-5 Mrd. m³ Erdgas übrig blieben. Aber gerade dieses zu erschließende Gas soll ja in der Anfangszeit mittels Nabucco nach Europa geliefert werden. Hinzu kamen im April 2010 Nachrichten, wonach aus diversen Gründen nicht vor 2017 – beabsichtigt war 2014 – mit Lieferungen aus Aserbaidschan zu rechnen ist. Weiterhin sind die türkisch-aserbaidschanischen Beziehungen nicht mehr die besten, da Aserbaidschan der Türkei wegen ihren verschiedenen regionalen Vorstößen – wie die Entspannungspolitik mit Armenien – nicht mehr ganz traut.
Die Türkei verknüpft gerne die Nabucco-Pipeline mit ihrer anvisierten EU Mitgliedschaft, was die türkische Regierung schon auch offen angedeutet hat. Auch wenn sich das im Rahmenabkommen von Juli 2009 niedergeschlagen hat, kann es immer wieder zu türkischen Vorstößen kommen, mehr als nu Transitland zu werden. Denn die Türkei hat das strategische Interesse, vor allem mittels der Nabucco-Pipeline zu einer sogenannten „Energiedrehscheibe“ zu werden.


Bild 1: Nabucco-Pipeline

Die Nabucco-Pipeline steht in Konkurrenz zu deutlich kleineren, aber realistischeren Erdgastransportprojekten im südlichen Gaskorridor, wie etwa die Pipelines Interconnector Turkey-Greece-Italy (ITGI) und Trans-Adriatic Pipeline (TAP).
Die Nabucco-Pipeline steht aber vor allem in Konkurrenz zur South Stream Pipeline (47 Milliarden Kubikmeter jährliche Transportkapazität), die von Russland über das Schwarze Meer nach Bulgarien führen soll. Diese soll vor allem Erdgas vom Kaspischen Meer nach Europa pumpen, was insbesondere von Italien favorisiert wird. Vor Kurzem begann der Bau der North Stream Pipeline (55 Milliarden Kubikmeter jährlich) aus Russland über die Ostsee nach Mitteleuropa/Deutschland. Mit dem Bau der drei großen Pipelines North Stream, South Stream und Nabucco würde eine sehr große Überkapazität bestehen. Deshalb schlug im April 2010 das italienische Staatsunternehmen ENI, welches in großem Maße an der South Stream Pipeline beteiligt ist, vor, South Stream und Nabucco zusammenzulegen. Gerade diese beiden Pipelines würden sehr in Konkurrenz stehen.

Interesse am Erdgas des Mittleren Ostens
Es ist zu erkennen, dass die Erdgasreserven des Kaspischen Meeres die Nabucco-Pipeline höchstwahrscheinlich nicht auslasten kann. Trotzdem will die EU dieses Projekt verwirklichen. Daraus schließt sich die Folgerung, dass die EU mit der Nabucco-Pipeline langfristig auch Erdgas aus dem Mittleren Osten nach Europa bringen zu beabsichtigt. Hier liegen sehr große Reserven an Erdgas, die das Kaspische Meer und Russland gemeinsam weitaus übertreffen. Gegenüber der Kaspischen Region kann der Mittlere Osten relativ einfach über den Seeweg oder andere bestehende Leitungen Erdgas den Weltmarkt beliefern, weshalb bisher von dieser Region keine große Initiative gestartet wurde und vielmehr die EU ihr Interesse bekundet.
Für die Nabucco Pipeline kommen die folgenden vier Staaten als potentielle Einspeiserstaaten des Mittleren Ostens in Betracht: Iran, Irak, Katar und Ägypten. Diese haben große Reserven, die teilweise kaum gut erschlossen sind und somit durch keine Verträge für andere versprochen sind. Während Iran und Irak relativ nahe zur geplanten Nabucco-Pipeline – genauer gesagt zu Türkisch Kurdistan – liegen, befinden sich die Erdgasfelder von Ägypten und Katar weiter entfernt.
Weil die Beziehungen des Westens zum weltweit zweitgrößten Erdgasreservenbesitzer (ca. 15% der jährlichen Produktion, gesamte Reserven: 27,8 Bio. m³) Iran aus politischer Sicht problematisch sind, wird höchstwahrscheinlich in absehbarer Zeit zunächst kein Vertrag mit dem Iran geschlossen werden können. Zwischen dem Iran und der Türkei existiert bereits eine Pipeline mit einer nicht ganz ausgelasteten Kapazität von 10 Mrd. m³, welche die Türkei auch mit Erdgas versorgt. Die Türkei möchte ihre Erdgasbezüge aus dem Iran erweitern und diese eventuell dazu nutzen, Nabucco zu versorgen. In den letzten Jahren haben beide Staaten ihre Beziehungen verbessert, was auch an der ungelösten kurdischen Frage auf beiden Seiten liegt. Beide Staaten unerdrücken die KurdInnen in ihrem Staatsgebiet und arbeiten auch inzwischen militärisch zusammen. In diesem Sinne erklärten beide Staaten im November 2008 in einem Memorandum ihre Absicht, eine neue Pipeline vom größten iranischen Gasvorkommen, dem Pars-Süd-Feld, bis an die türkische Grenze zu bauen. Diese sogenannte Persian Pipeline liegt jedoch auf Eis, genauso wie die Erschließung von Teilen des Feldes Pars Süd durch die türkische TPAO, aus denen das Gas für die Türkei zum größten Teil kommen soll. Diese Stagnation liegt zum einen an Unstimmigkeiten bei der vorgesehenen Mitentscheidungsmöglichkeit bei Preisgestaltung und sonstigen Lieferbedingungen durch die Türkei und zum anderen an ökonomisch-politischen Faktoren (wie Einwände der USA, ein strategischer Verbündeter der Türkei), die als Hindernis wirken. Wenn viel Erdgas zukünftig aus dem Iran kommen sollte, wäre das ein wichtiger Schritt in Richtung Stärkung der Türkei bei dem komplexen Gasspiel.
Es ist immer wieder zu lesen, dass die EU und vor allem die türkische Regierung mit dem Irak Verhandlungen über mögliche Erdgaslieferungen führen. Die Option eines Iraks als Einspeiser in die Nabucco Pipeline erscheint möglich, weil zum einen die momentane AKP-Regierung der Türkei in den vergangenen Jahren die Beziehungen zu den islamischen Staaten – inklusive Irak – verbessert hat und die großen irakischen Erdgasreserven (insgesamt 3,2 Bio. m³ geschätzte Reserven) kaum an den Weltmarkt angeschlossen sind, woran der Irak starkes Interesse daran hat. Kurz nach der Unterzeichnung des Rahmenabkommens der Nabucco Pipeline im Juli 2009 hat die irakische Regierung offen ihr Interesse geäußert. Da wäre zunächst das Erdgasfeld von Akkas direkt an der Grenze zu Syrien. Zusammen mit einem weiteren Feld weiter in Richtung Bagdad könnten insgesamt 90 Mrd. m³ Erdgas über Syrien (zusammen mit Erdgas aus Ägypten) an die Nabucco-Pipeline angeschlossen werden. Dafür gibt es jedoch verschiedene Hindernisse wie das spannungsvolle Verhältnis zwischen Syrien und Irak, Streiteren zwischen der irakischen Zentralregierung und lokalen Verwaltungen und Preisforderungen, die von Unternehmen zu hoch betrachtet werden. Im der Autonomen Region Kurdistan (KRG) im Norden des Staates Irak liegen auch große Erdgasfelder, die zu einem erheblichen Teil mit einer Erlaubnis der KRG Regierung zurzeit von der österreichischen OMV erschlossen werden. Spekulationen sprechen von bis zu jährlich 30 Mrd. m³ zu förderndem Erdgas, wovon die Hälfte exportiert werden könnte. Dagegen sprechen die anhaltenden politischen Spannungen zwischen der KRG und der irakischen Zentralregierung. Die ungelöste kurdische Frage in der Türkei fließt in diese Spannungen auch ein, weil die Türkei Druck auf den Irak und besonders auf die KRG-Regierung ausübt, gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorzugehen. Wenn diese irakisch-kurdische Option realisiert würde, wäre die Nabucco-Pipeline insgesamt gut ausgelastet. Zwar müsste eine ganz neue Erdgas-Pipeline vom Irak bis weit in die Türkei gebaut werden, um Erdgas aus dem Irak in die Nabucco-Pipeline einzuspeisen. Doch könnte sie sich an der bestehenden Kirkuk-Ceyhan Erdöl Pipeline – nach über 20 Jahren ständigen Unterbrechungen transportiert sie seit Anfang 2009 wieder regelmäßig Erdöl – orientieren. Solch eine Pipeline könnte auch Gas aus arabischen Gebieten transportieren.
Kurz nach der Unterzeichnung des Nabucco Rahmenabkommens beschloss die Türkei und der Katar Untersuchungen über eine mögliche Erdgas-Pipeline durchzuführen. Wenn die großen katarischen Reserven von 25,5 Bio. m³ an die Türkei angeschlossen werden, wäre eine interessante Entwicklung. Dies könnte über die vorhandene ägyptisch-jordanisch-syrische Pipeline oder über Saudi-Arabien und den Irak realisiert werden. Doch ist diese Option Zukunftsmusik, da Katar bisher vermehrt nach Asien Erdgas exportiert.
Ägypten besitzt auch große Erdgasfelder an der Mittelmeerküste und zwar 2 Bio. m³, die seit Jahren exportiert werden. Heute wird jährlich 1 Mrd. m³ dieses Erdgases an Jordanien und Syrien verkauft. Dies wird durch eine um Israel geführte Pipeline bewerkstelligt. Wenn Ägypten ins Nabucco Pipeline Spiel kommen sollte, würde diese Pipeline über Syrien weiter in die Türkei geführt werden, was ohnehin Plan zwischen den beteiligten ist. So könnten etwa 2 bis 4 Mrd. m³ Erdgas in die Nabucco-Pipeline eingespeist werden. Wenn allerdings der Bedarf Ägypten, Syrien und Jordaniens rapide ansteigt, wäre diese Einspeisung gefährdet.

Im Mittleren Osten ist aus Sicht der Nabucco-Pipeline zurzeit ein Vertrag mit dem Irak am wahrscheinlichsten, denn die aktuellen Bemühungen der Türkei und der internationalen Konzerne konzentrieren sich darauf. Die Rolle der Türkei ist besonders hervorzuheben, weil die Türkei mittels der Nabucco-Pipeline langfristig zur Energiedrehscheibe werden will. Die Türkei hat Interesse an einer eigenen diversen Versorgung, denn sie ist zu sehr von russischem Erdgas abhängig. Hier ist die Nabucco-Pipeline eine sehr willkommene Gelegenheit, dies zu realisieren. Insofern überschneiden sich die türkischen und europäischen Interessen.

Bild 2: Nabucco-Pipeline und die verschiedenen bestehenden und geplanten Leitungen

Grundsätzliche Einwände gegen die Nabucco-Pipeline
Die Nabucco-Pipeline ist aus mehreren Gründen abzulehnen, die im Folgenden einzeln dargestellt werden.
- Obwohl es nicht sichergestellt ist, dass eine ausreichende Einspeisung erfolgen wird, soll die Nabucco-Pipeline gebaut werden. Nur Turkmenistan hat bisher Einspeisung zugesichert. Die Pipeline könnte zu einer Fehlinvestition werden und die finanzielle Situation vieler Staaten langfristig belasten.
- Es gibt genügend Pipeline-Kapazitäten für Erdgas aus Russland, Zentralasien und dem Kaukasus. Der Bau der North Stream Pipeline mit einer sehr großen Kapazität hat schon begonnen. Grundsätzlicht ist anzuzweifeln, ob die geplanten Kapazitäten überhaupt notwendig sind.
- Die Nabucco-Pipeline wird bei Verwirklichung zu gravierenden ökologischen Auswirkungen führen. 3300 km lang sollen Leitungen verlegt werden, die viele Naturflächen zerstören und Habitate voneinander abtrennen würden. Angesichts der Tatsache, dass die ökologische Zerstörung ohnehin große Ausmaße hat und die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit des Nabucco-Projekts in Frage gestellt ist, ist dieses Vorhaben sehr fraglich.
- Durch die Leitung der Pipeline werden Agrar- und Siedlungsflächen von abertausenden Menschen in Anspruch genommen. Vor allem in der Türkei, Georgien und Aserbaidschan werden die Betroffenen schlecht davon kommen. Vielen der Betroffenen droht eine Verarmung. Diese Einschätzung ist auf die Erfahrung mit anderen Infrastrukturprojekten (Talsperren, BTC Pipeline etc.) und die schlechte gesetzliche Lage zurückzuführen.
- Das diktatorische und korrupte Regime von Turkmenistan wird durch die Nabucco-Pipeline bestärkt, in dem er mehr Rohstoffe verkaufen kann. Menschen in diesem Land, die sich kritisch zur Nabucco-Pipeline geäußert haben, werden verhaftet (Beispiel Umweltaktivist Andrey Zatoka) oder werden zur Ausreise gezwungen. Wenn der Bau beginnen sollte, können solche Fälle auch in Aserbaidschan vorkommen.
- Wie oben erwähnt, würde die Nabucco-Pipeline zu mehr Repression des türkischen Staates gegenüber den KurdInnen führen, da sie noch mehr bestrebt sein wird, die Region zu kontrollieren.
- Ein Argument der Befürworter ist die angebliche Steigerung der Energiesicherheit Europas. Dies stimmt neben der Unverlässlichkeit Turkmenistan und Aserbaidschans (keine langfristigen Verträge) und den wahrscheinlich zu geringen Reserven an Erdgas auch wegen den andauernden politisch-militärischen Konflikten im Kaukasus und Türkei nicht. Die Konflikte können aus verschiedenen Gründen und in verschiedenen Formen immer wieder die Lieferung unterbrechen. Die Nabucco-Pipeline kann sogar vorhandene Konflikte verschärfen.
- Die Befürworter der Nabucco-Pipeline argumentieren auch damit, dass damit Treibhausimmissionen gespart werden. Diesem muss entgegengehalten werden, dass es nicht garantiert ist, ob das zu transportierende Erdgas wirklich schmutzigere Energiequellen ersetzen wird oder nicht. Oft wird bei solchen Vergleichen vergessen, wie viel Treibhausgas durch den Bau und den Betrieb ausgestoßen wird. Hier sei noch anzumerken, dass Erdgas viel das Treibhausgas Methan enthält, dessen Freisetzung 25 Mal mehr zur Klimaerwärmung beiträgt als CO2.
- Anstatt neue Erdgas-Pipelines zu bauen, sollten in der EU Einsparmaßnahmen tatkräftig gefördert und umgesetzt werden. Mit relativ wenig Geld könnten durch technische Erneuerungen in den mit Erdgas beheizten Gebäuden große Einsparpotentiale ausgenutzt werden. Die Vereinigung „European Insulation Manufacturers Association“ (EURIMA) schätzt, dass mit 7,9 Mrd. Euro durch Sanierung und Isolierung von Gebäuden in acht osteuropäischen Ländern dreieinhalb mal soviel Erdgas eingespart werden könnte wie die Nabucco-Pipeline transportieren soll. Weiteres Erdgas könnte durch rationaleres Verhalten der Bevölkerung eingespart werden. Da besteht aber kein Interesse, weil daran kein Unternehmen gewinnen würde.
- Riesige Investitionen in fossile Brennstoffe verhindern die Entwicklung und Förderung von erneuerbaren Energien. Damit die EU ihre Klimaziele erreichen kann, müssten große Anstrengungen weg von fossilen Energieträgern unternommen werden. Vor allem müssen lokale und regionale Ansätze für die Energieversorgung gefördert werden.

Besonderes Interesse von Deutschland
Wie angedeutet, hat Deutschland besonderes Interesse an der Nabucco-Pipeline. Dies liegt daran, dass die BRD der größte Verbraucher von Erdgas in Europa ist, was auf ihre Wirtschaftskraft zurückzuführen ist. Basierend darauf hat sie in der EU einen großen Einfluss, der sich beim Nabucco-Projekt zeigt. Durch ihren großen Bedarf an Erdgasimporten ist das rohstoffarme Deutschland bei Engpässen sehr anfällig. Das starke Interesse von Deutschland an vielen Erdgas-Pipelines bzw. -Lieferer zeigt sich auch bei der North Stream Pipeline, welches ebenso wie die Nabucco-Pipeline von deutschen Ex-Spitzenpolitikern (wie Schröder und Fischer) international beworben wird. Dass die RWE als sechster Partner bei der Nabucco Gas Pipeline International GmbH eingestiegen ist, obwohl in Deutschland keine Pipeline gebaut wird, ist ein Folge dieses Interesses.

Knotenpunkt für die Nabucco-Pipeline: Kurdistan
Das Rahmenabkommen vom Juli 2009 über die Nabucco-Pipeline kam zustande, erst als die Türkei zugestimmt hatte. Die vier europäischen Staaten waren sich relativ früh einig. Schon beim Baku-Tiflis-Ceyhan (BTC) Pipeline Projekt zum Transport von Erdöl aus Aserbaidschan zum Mittelmeer kam der Türkei eine ebenfallsgroße Bedeutung zu. Die Türkei ist sich ihrer geographischen Bedeutung für solche Energie-Pipelines bewusst, weshalb sie beim Nabucco-Projekt hoch pokert und 15 % des durchzuleitenden Erdgases für dem Eigenverbrauch und den Weiterverkauf haben will. Die Türkei erkennt bei der Nabucco-Pipeline Auseinandersetzung ihre unverzichtbare Rolle als Energiekorridor und Energiedrehscheibe. Im Falle der Nabucco-Pipeline ist deutlich zu erkennen, dass alle Pipelines aus Aserbaidschan/Turkmenistan, Iran, Irak/Katar und Ägypten sich in der Türkei sammeln und dann nach Europa führen.
Bei den Berichten und Kommentaren zur Türkei im Rahmen des Nabucco-Pipeline Projektes wird jedoch in der Regel unterschlagen, dass die geplanten Pipeline Routen aus den Nachbarstaaten der Türkei alle über Türkisch-Kurdistan in die Republik Türkei führen. Egal ob Erdgas aus dem Iran, Irak, Katar oder Ägypten in die Türkei transportiert werden sollte, sie alle führen durch kurdisch besiedeltes Gebiet. Dieser neue Umstand macht Türkisch-Kurdistan für die Regierenden der Türkei noch mal interessanter als es ohnehin ist. Für die KurdInnen bedeutet dies, dass der türkische Staat noch mehr politisch die kurdische Freiheitsbewegung bekämpfen wird.
Viele JournalistInnen und AnalystInnen stellen die neuen Initiativen und Repressionen des türkischen Staates seit 2009 gegenüber den KurdInnen auch in Verbindung mit der Nabucco-Pipeline. Eine oft vertretene Meinung ist, dass das Rahmenabkommen über die Nabucco-Pipeline vom Juli 2009 einer der wichtigen Gründe für die im August 2009 von der türkischen verkündete „Demokratische Öffnung“ sei. Denn der EU und damit auch Deutschland sei es daran gelegen, dass die politische Instabilität in Türkisch-Kurdistan nicht den Bau und Betrieb der Nabucco-Pipeline behindert. Dazu sei eine „Beruhigung“ der Lage notwendig und keine sich zuspitzenden militärischen Auseinandersetzungen.
Dieser Zusammenhang kann nicht geleugnet werden, wobei hier zu betonen ist, dass die angesprochene „Beruhigung“ keineswegs eine demokratisch-politische Lösung der kurdischen Frage impliziert. Dies zeigen auch die Entwicklungen seit letztem Sommer. Die Regierung ging mit der „demokratischen Öffnung“ groß in die Öffentlichkeit, bisher sind jedoch praktisch keine wirklichen positiven Schritte hin zu einer Lösung unternommen. Das Gegenteil ist der Fall; wenige Monate nach ihrer Verkündung setzten Repressionen gegen kurdische PolitikerInnen und Engagierte ein, die es in dieser Intensität seit 1999 nicht gab. Über 1500 Inhaftierungen von kurdischen AktivistInnen – zumeist BDP Mitglieder – fanden statt, darunter 11 BürgermeisterInnen und um die 500 kurdische Kinder. Schließlich wurde die legale pro-kurdische Partei DTP (Demokratische Gesellschaftspartei) im Dezember 2009 verboten und mehrere sehr gefährliche Lynchversuche gegen KurdInnen und andere nichttürkische kulturelle Gruppen in der Westtürkei fanden statt.
Es ist eindeutig eine Zucker und Peitsche Politik zu erkennen. Der Staat will den KurdInnen vermitteln, dass Rechte und Zugeständnisse von der Regierung kommen, weil diese es will, und dies nicht das Ergebnis der Bestrebungen von der DTP oder anderen kurdischen Organisationen ist. Die Menschen sollen sich mit den Wohltaten der Regierung begnügen. Der Staat versucht durch einige kleine und wenig bedeutende Rechte für die KurdInnen die kurdische Freiheitsbewegung zu zerschlagen, um so eine „Beruhigung“ zu erzwingen. Es ist wichtig für den türkischen Staat, dass die KurdInnen nicht als eigener Akteur auftreten und somit ihre strategische Pläne und Interessen im Mittleren Osten durchkreuzen.
Die zweite Dimension, die Kurdistan bei der Nabucco-Pipeline wichtig macht, sind die Erdgas-Felder in Irakisch-Kurdistan. Wie erwähnt, laufen viele Verhandlungen darüber, ob dieses Erdgas in die Nabucco-Pipeline eingespeist werden könnte.

Schlussfolgerungen
Dass die Nabucco-Pipeline der EU eine Diversifizierung ihrer Erdgasquellen bringen wird, steht ausser Frage. Hierbei spielt die Türkei eine wichtige Rolle, die sie aber ohne Türkisch-Kurdistan nicht hätte, da das Erdgas aus dem kaspischen und mittelöstlichen Raum bei Anschluss an Nabucco hauptsächlich über Türkisch-Kurdistan die Republik Türkei erreichen würde. Kurdistan hat beim Nabucco Projekt eine doppelte wichtige Rolle, weil die großen Erdgas-Felder Irakisch-Kurdistans im Mittleren Osten am wahrscheinlichsten über die Nabucco-Pipeline nach Europa transportiert werden könnten. Denn das meiste Erdgas aus dem Mittleren Osten hat viele andere und leichtere Wege, den Weltmarkt zu beliefern. Auch die Erdgasreserven der Kaspischen Region können auf andere Wege – über Russland und China – leichter exportiert werden, was schon zu einem gewissen Teil getan wird. Der Weg über die Türkei für kaspisches und mittelöstliches hingegen ist mit vielen wirtschaftlich und politisch unsicheren Faktoren verbunden.


Quellen:
- www.nabucco-pipeline.com – Website der Nabucco Gas Pipeline International GmbH
- CEE Bankwatch Network: http://www.bankwatch.org/project.shtml?w=162059&s=2207750
- Heinz Kramer: Die Türkei als Energiedrehscheibe – Wunschtraum ud Wirklichkeit; Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, April 2010
- die tageszeitung: Geopolitische Fantasien, 15. Juli 2009
- Die Presse: Die EU braucht einen Gas-Binnenmarkt. Oliver Geden, 17. Juli 2009
- junge Welt: Transit wird überflüssig. Von Tomasz Konicz, 12.04.2010
- Spiegel Online: Bau der Nabucco-Pipeline verspätet sich. 25.03.2010; http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,685569,00.html

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