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Dezember 2002
Meinungstribunal zu Coca Cola in Bogotá

 

Kolumbien: Der Krieg gegen die Armen

Zur Situation in Kolumbien Dezember 2000

von Raul Zelik

In dem Land werden jährlich so viele Oppositionelle ermordet wie in Chile in 17 Jahren PinochetDiktatur zusammengezählt!

Wenn das Stichwort Kolumbien fällt, sind die ersten Assoziationen immer die gleichen: Man denkt an Kokain, Mafia, Terrorismus und Gewalt. In Europa lebende KolumbianerInnen betonen dann gerne, dass ihre Heimat auch ganz andere Seiten besitze. Sie verweisen auf die kulturelle Vielfalt des Landes, das afrikanische, indigene, europäische und arabische Einflüsse aufgenommen hat, auf die Literatur von Schriftstellern wie Gabriel García Márquez' oder die reichen Musiktraditionen. Für deutsche Rucksacktouristen schließlich ist Kolumbien einfach 'der Geheimtip', ein Land, wo man von tropischen Regenwäldern und Wüsten bishin zu Gletscherlandschaften alles haben kann.

Wirtschaftliche und strategische Interessen

Seltener wird darüber gesprochen, daß die Gewalt in Kolumbien, von der man diffus immer wieder in Medien hört, recht rationale Erklärungen besitzt. Der Bürgerkrieg und die schätzungsweise 30.000 Morde jährlich haben viel mit den sozialen Verhältnissen zu tun. Kolumbien ist ein für die Industriestaaten geopolitisch wichtiges Land. Mit 1,2 Millionen Quadratkilometer dreieinhalb Mal so groß wie die BRD, besitzt es schon aufgrund seiner Ausdehnung und der Lage am Isthmus von Panamá immense militärstrategische Bedeutung. Es ist so etwas wie die natürliche Drehscheibe zwischen Zentral- und Südamerika, besitzt Zugang zu beiden Ozeanen, der für den kapitalistischen Welthandel so wichtige Panamá-Kanal liegt ganz in der Nähe, und die Außengrenzen zu Venezuela (dem wichtigsten Erdölproduzenten des Kontinents), Brasilien (dem Industriegiganten Lateinamerikas, Perus und Ecuadors (einem weiteren wichtigen Erdölproduzenten) gelten als unkontrollierbar. Das ist der Hintergrund, warum US-Strategen Kolumbien seit 1988 mit steter Regelmäßigkeit als "Unsicherheitsfaktor für die ganze Region" bezeichnen.

Aber nicht nur geostrategisch, auch wirtschaftlich ist das Land von Bedeutung. Der ehemalige US-Präsidentschaftsberater Bernard Aronson nannte Kolumbien vor einigen Jahren "das bestgehütete Geheimnis Lateinamerikas". Kontinuierliche Wachstumraten, eine relativ niedrige Auslandsverschuldung und gigantische Rohstoffvorkommen machen das Land für ausländische Investoren hochinteressant. So ist Kolumbien heute der weltweit größte Exporteur von Qualitätskaffee und Smaragden sowie einer der wichtigsten Exporteure von Schnittblumen und Bananen. Die von der BP und der US-amerikanischen OXY beanspruchten Erdölvorkommen im Osten des Landes gehören zu den größten auf dem Kontinent, in Nordkolumbien befinden sich gewaltige Steinkohleminen, die von EXXON (Esso) im Tagebau ausgebeutet werden, und unweit der Touristenstadt Cartagena wurden vor kurzem Goldreserven entdeckt, die zu den wichtigsten in Amerika zählen sollen.

Von diesen gewaltigen Reichtümern hat die Bevölkerung allerdings wenig. Nach gewerkschaftlichen Zahlen leben 55 Prozent der (knapp 40 Millionen) KolumbianerInnen in Armut, 20 Prozent in absolutem Elend, 50 Prozent haben keine Sozialversicherung, 20 Prozent der Erwachsenen sind arbeitslos, 1,8 Millionen Menschen leben von Gelegenheitsarbeiten, eine Million Familien haben kein Dach über dem Kopf, 15 Prozent der Haushalte verfügen über keinen Trinkwasseranschluß. Gleichzeitig befinden sich mehr als 90 Prozent der kolumbianischen Aktienanteile in den Händen von weniger als 0,9 Prozent der Aktionäre.

"Gefährlicher, eine Gewerkschaft aufzubauen als eine Guerillaorganisation."

Am charakteristischen für Kolumbien ist, dass die Oberschicht alles unternimmt, um den herrschenden Status Quo mit Gewalt aufrecht zu erhalten. In keinem anderen Land Amerikas besitzt der Terror gegen die Opposition vergleichbare Ausmaße, nirgends gibt es so viele Massaker an der Zivilbevölkerung, nirgends sind die Spielräume für eine legale Opposition so klein wie hier. Paramilitärs überfallen mit Rückendeckung von Armee und Polizei ganze Dörfer und ermorden 50 Personen auf einen Schlag, Bauern werden bei lebendigem Leib mit der Motorsäge zerteilt, politische Aktivisten entführt und 'beseitigt'. Die Gewalt überschreitet die Grenzen der Vorstellungskraft. So bemerkte der Jesuitenpater Javier Giraldo, Gründer der kirchlichen Untersuchungskommission JUSTICIA Y PAZ und inzwischen selbst exiliert, in seinem Buch The genocidal democracy :

"Die Wahrheitskommission in Chile registrierte in den 17 Jahren brutaler Militärdiktatur 2700 Fälle von politischen Mord und Verschwundenen. Diese Zahl, so schrecklich sie ist, ist weitaus niedriger als die Anzahl von Fällen, die unsere Datenbank jährlich registriert hat, seitdem wir unsere Arbeit aufgenommen haben." (Giraldo 1996, S. 24)

Nach Angaben Giraldos sind zwischen 1988 und 1995 6177 Menschen aus 'politischen' und weitere 10 556 aus 'wahrscheinlich politischen Gründen' ermordet worden. 2459 Personen wurden zum Opfer sozialer Säuberungen, wie sie Polizei und Paramilitärs gegen Straßenkinder, Drogenabhängige und Prostituierte durchführen, 1451 Personen verschwanden. Dazu kommen jährlich Zehntausende, die Opfer einer diffusen sozialen Gewalt werden, und die Tendenz ist weiter steigend.

Die Medien schieben diese Verbrechen in der Regel diffus "Gewalttätern" oder "Extremisten von rechts und links" in die Schuhe. Unabhängige Untersuchungen belegen jedoch, daß der Großteil der Morde auf das Konto von rechten Privatarmeen geht, die von Industriellen, Viehzüchtern und Drogenhändlern finanziert werden und logistisch von den Sicherheitsorganen unterstützt werden. Das Ziel dieser Aktivitäten ist die physische Vernichtung der sozialen Bewegungen. Tatsächlich hat allein das sozialistische Wahlbündnis UNIÓN PATRIÓTICA zwischen 1985 und 1995 knapp 4000 AktivistInnen verloren, darunter zwei Präsidentschaftskandidaten. Die Gewerkschaftsbewegung ihrerseits musste seit 1990 mehr als 2000 Todesopfer beklagen. In diese Fälle involviert sind auch transnationale Unternehmen, die in Ruhe ihrem Geschäft nachgehen wollen. So engagierten die Erdölmultis TEXACO und BP private Sicherheitsdienste, um die Gewerkschaftsarbeit auf den Erdölfeldern zu überwachen und ein Spitzelnetz in der Nachbarschaft der Förderanlagen aufzubauen. Bei COCA COLA wurde 1995 die Betriebsgewerkschaft in Carepa (Nordkolumbien) durch Paramilitärs zerschlagen, der Präsident der Gewerkschaft erschossen. Und den Goldunternehmen CORONA GOLDFIELDS und FRONTIN GOLDMINES wird sogar eine direkte Beteiligung bei der Vorbereitung von Massakern vorgeworfen.

Auf dem Land hat diese Politik, die auf ihre Weise auch eine Facette der Globalisierung darstellt - es geht darum, dem Weltmarkt Ressourcen zur Vefügung zu stellen -, immer neue Flüchtlingsströmen verursacht. Von den 9 Millionen BäuerInnen Kolumbiens befinden sich inzwischen fast zwei Millionen auf der Flucht. Wer Vertriebene befragt, stellt fest, dass diese Vertreibungen nicht einfach "Folge von bewaffneten Zusammenstößen zwischen Guerilla und Armee sind", wie vielfach behauptet wird, sondern eine klar umrissene ökonomische Logik besitzen. Auf dem "Ersten landesweiten Treffen von Kriegsflüchtlingen" im Februar 2000 in Bogotá wiesen fast alle 35 RednerInnen auf den Zusammenhang von neoliberaler Wirtschaftspolitik, den Interessen der Multis und den Verbrechen der Paramilitärs hin: Zu Vertreibungen komme es immer dort, so die Bauern, wo finanziell einträchtige Großprojekte (wie Staudämme oder Straßenverbindungen) geplant sind oder große Rohstoffvorkommen vermutet werden. "Wir haben eine mehr als 500jährige Geschichte der Vertreibung", so ein Vertreter der 'Sozialen Bewegung der Vertriebenen Antioquias'. "Zuerst war-en wir Opfer von Kirche und der Krone, später der Viehzüchter und heute der Drogenhändler und transnationalen Unternehmen. Sie alle verbindet das Interesse, sich unser Land anzueignen." Die Sprecherin der Indígena-Organisation ONIC sprach gar von einer "zweiten Conquista."

Die kolumbianische Regierung nützt natürlich alle Möglichkeiten, diese Systematik zu vertuschen und sich als Verteidiger der Menschenrechte zu. Der angeblich so demokratische Präsident Andrés Pastrana, der 1998 Friedensgespräche mit der Guerilla aufnahm und sich im Ausland als Friedensstifter feiern lässt, erklärt seit 2 Jahren, dass er "hart gegen die Paramilitärs vórgehen werde". Doch geschehen ist nichts, im Gegenteil. Während seiner Präsidentschaft (seit 1998) hat es so viele Massaker gegeben wie noch nie in den vergangenen 40 Jahren. Die engen Verbindungen zwischen politischen Eliten, Armee und Industriellen einerseits und den Paramilitärs andererseits bestehen fort. Während die Militärs zur Guerillabekämpfung aufgerüstet werden, können die Todesschwadrone weiterhin mit Straflosigkeit rechnen. Generäle, denen schwere Kriegsverbrechen nachgewiesen wurden, bleiben im Dienst. Die Regierung Pastrana und ihr Menschenrechtsbeauftragter, Vizepräsident Bell, bemühen sich darum, noch mehr Militärhilfe zu erhalten, und der Innenminister profiliert sich als Rechter. Die Friedenspolitik des Präsidenten Pastrana ist eine Farce, die 'Demokratie' im Land noch blutrünstiger und intoleranter ist, als es eine Militärdiktatur jemals sein könnte.

Ein Krieg des Nordens

Möglich ist dieser Krieg nur aufgrund der massiven US-Unterstützung für das kolumbianische Regime. Seit 1997 wird die Einmischung des großen Nachbarns immer offensichtlicher, die Militärintervention hat längst begonnen. Seit Sommer 1999 nehmen Aufklärungsflugzeuge der US-Luftwaffe direkt an Angriffen auf Guerillaeinheiten teil. Von ecuadorianischen Stützpunkten aus überfliegen US-Maschinen kontinuierlich kolumbianisches Gebiet, um alle Bewegungen der Guerilla zu beobachten. Gesandte des US State Department haben 1998 / 99 in Peru und Argentinien für die Zusammenstellung einer internationalen Eingreiftruppe geworben, die in Kolumbien einmarschieren soll, während US-amerikanische Special Operation Forces gleichzeitig entlang der kolumbianischen Grenzen Vorposten aufgebaut haben. Anfang 2000 bewilligte der US-Kongress eine Militärhilfe in Höhe von knapp 1,5 Milliarden US-Dollar, der sogenannte 'Plan Colombia'. Das ist fünf Mal so viel, wie das salvadorenische Regime in den 80er Jahren zur Aufstandsbekämpfung erhielt. Außerdem wurde bekannt, dass sich mehrere Hundert US-Militärberater n Kolumbien befinden und dort vor allem die Geheimdienstarbeit auf Vordermann bringen sollen.

Doch nicht nur die US-Regierung unterstützt den schmutzigen Krieg der kolumbianischen Eliten. Britische Sicherheitsunternehmen, wie das (von ehemaligen MI-5-Agenten gegründete) Defense System Limited, spielen eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung von Privattruppen im Dienste der Erdöl-Companies. Und die französische Polizei bildet Sondereinheiten der kolumbianischen GAULA aus, welche wiederum nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten mehrmals Oppositionelle entführt und an Paramilitärs übergeben haben. Offiziell dient diese Waffenhilfe dem Kampf gegen die Drogenmafia. Doch interessanterweise gibt es nur in jenen kolumbianischen Gebieten Anti-Drogenoperationen, in denen die Guerilla oder Bauernbewegungen stark sind. Das nordkolumbianische Urabá hingegen, das von der XVII. Armeebrigade und paramilitärischen Einheiten des Drogenbarons Carlos Castaño Hand in Hand kontrolliert wird, bleibt von solchen Aktionen unberührt, und das obwohl dort nach Zahlen der US-Regierung 80% des für den nordamerikanischen Marktes bestimmten Kokains verschifft wird.

Der schwierige Kampf einer kriminalisierten Opposition

Wer in Kolumbien regimekritisch ist, hat es schwer. Die Guerillaorganisationen FARC und ELN sind trotz des immensen militärischen Druck in den letzten Jahren gewachsen. Zusammen mobilisieren sie heute an die 20.000 KämpferInnen, die im ganzen Land präsent sind. Auch wenn die beiden Organisationen nach wie vor eine sozialistische Gesellschaft anstreben, versuchen sie den Bürgerkrieg in Kolumbien mit Verhandlungen zu beenden. Sie haben 1998 Gespräche mit Regierung und Gesellschaft aufgenommen und sich zum Ziel gesetzt, die sozialen Ursachen beseitigen, die zum Entstehen der Guerillas führten. Anders als in Zentralamerika geht es bei den Verhandlungen also nicht um eine Demobilisierung der Guerilla, sondern vor allem um den Kampf gegen Armut und Marginalisierung, um eine Demokratisierung der Gesellschaft und die Abschaffung der Nationalen Sicherheitsdoktrin.

Und schließlich gibt es neben der kaum zu übersehenden politischen Apathie und der in den Städten kaum präsenten Guerilla, auch weiterhin überraschend aktive Gewerkschafs- und Bauernbewegungen, sowie Indigene- und Schwarze Gemeinschaften, die sich der neoliberalen Verarmungspolitik entgegenstellen. So hat es seit 1996 eine Vielzahl sozialer Proteste gegeben: Bauernmärsche, Straßensperren, Generalstreiks, Gefängnisaufstände, spontane Proteste von StadtteilbewohnerInnen. Diese Demonstrationen zeigen, dass es in Kolumbien um mehr geht als um den undurchschaubaren Kampf zwischen Mafias. Es handelt sich um einen militarisierten sozialen Konflikt, um einen Krieg der Besitzenden gegen die Bevölkerungsmehrheit, der international ignoriert wird. Dass es für die AktivistInnen der kolumbianischen Basisbewegungen in der Vergangenheit kaum Solidarität gab, ist schrecklich, denn wahrscheinlich hätte die internationale Öffentlichkeit Tausende von Morden verhinden können. Doch noch beschämender wäre es, wenn die kolumbianische Opposition auch jetzt, angesichts der massiven Militärhilfe für das Regime, erneut im Stich gelassen wird. Andere Beispiele in Lateinamerika haben schließlich gezeigt, dass das Ausland eine wesentliche Rolle spielen kann, um die Politik der Todesschwadrone zu stoppen.

 
v0.2 | last update: 14|12|02
     
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