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Dezember 2002
Meinungstribunal zu Coca Cola in Bogotá

 

Morde an Gewerkschaftern in Kolumbien - Folge des Neoliberalismus?

Interview: jW sprach mit Pedro Julián Cote, Mitglied des nationalen Vorstandes des kolumbianischen Gewerkschaftsverbandes "Unión Sindical Obrera" (USO)

Interview: Melanie Lucas, Barrancabermeja

F: In Kolumbien sind in den vergangenen Monaten Dutzende Gewerkschaftsaktivisten von rechten Gruppen, vor allem Paramilitärs, ermordet worden. Besonders betroffen war die USO. Warum rücken Sie ins Visier der Todesschwadrone?

Unsere Gewerkschaft existiert seit fast 80 Jahren, heute haben wir etwa 7000 Mitglieder Die USO ist eine Gewerkschaft, die von ihren Ursprüngen bis heute für die Verteidigung der natürlichen Ressourcen steht. Es ist eine Tradition linker Gewerkschafter, für die Nationalisierung der Bodenschätze zu kämpfen.

F: Ist das nicht erst ein Phänomen der letzten Jahre?

Schon 1905, als die ersten multinationalen Unternehmen nach Kolumbien kamen, begann die Ausbeutung unserer Bodenschätze. Leider gab es schon damals Verträge, die lediglich fünf Prozent der Gewinne dem Land überließen. 95 Prozent des Erdöls etwa strichen die ausländischen Firmen ein. Diese vertragliche Regelung galt bis zur Reform unter Präsident Alfonso López 1974. Er richtete ein Vertragssystem ein, mit dem der Erlös halbiert wird, nachdem zuvor 20 Prozent für die Sozialkasse abgeführt worden sind.

F: Das klingt durchaus fortschrittlich. Warum wird die soziale Situation breiter Bevölkerungsteile trotzdem schlechter?
Während der letzten drei Regierungen ist diese Regelung zunehmend zu Lasten des Staates ausgehöhlt worden, insbesondere unter der Regierung Pastrana. Heute haben wir wieder Vertragsverhältnisse wie 1905.

F: Wie und woran arbeiten Sie?

Ein typischer Förderungsvertrag existiert zum Beispiel in Cicucu, einem sehr guten Ölfeld in der Nähe von Barrancabermeja. Dort besteht dieses 95-zu-5-Verhältnis. Die USO hat sich öfters gegen den Ausverkauf der natürlicher Rohstoffe gewandt und dieses Anliegen ins Zentrum des gewerkschaftlichen Kampfes gestellt. Damit waren wir Sand im Getriebe sowohl der Interessen der multinationalen Konzerne wie auch der Interessen der nationalen Bourgeoisie. Seit 1996 hat sich die Gewerkschaft auch im Friedensprozeß zu Wort gemeldet. Wir folgen seither dem Motto "Erdöl muß Frieden fördern, nicht den Krieg!" Das bedeutet, die Gewerkschaft steht für eine Verhandlungslösung des bewaffneten sozialen Konfliktes.

F: Diese Positionen haben Sie zu militärischen Angriffszielen gemacht?

In den letzten zehn Jahren sind Hunderte unserer Beschäftigten und Aktivisten ermordet worden. Allein in den letzten drei Monaten wurden fünf Compañeros umgebracht - Morde, die von den paramilitärischen Gruppen begangen werden.

F: Wieso wird das Problem von der Regierung nicht unter Kontrolle gebracht?

Paramilitarismus ist ein Projekt des Staates. Finanziert und logistisch unterstützt wird es von Viehzüchtern, der Armee, Regionalpolitikern, der Texaco Oil Company und den Kokainhändlern des Medellínkartells. Das Problem ist unter der Regierung Pastrana stark angewachsen: Von sechstausend auf heute zwanzigtausend Bewaffnete, besonders in den Erdölregionen des Landes. Die kolumbianische ECOPETROL verhandelt im Jahr über Förderrechte im Werte von umgerechnet etwa 200 Millionen Euro, was ihnen - gerade in einer Kriegsökonomie - eine bedeutende Stellung verleiht. Das Erdöl steht damit im Zentrum des Konfliktes- und unsere Gewerkschaft mittendrin.

F: Im letzten Jahr wurden in Kolumbien 165 Gewerkschaftsfunktionäre ermordet, eine Rekordzahl in der Welt. Welche Konsequenzen erwarten Sie im sich abzeichnenden Fall der Wahl des ultrarechten Präsidentschaftskandidaten Álvaro Uribe Vélez?

Uribe Vélez ist der Kandidat der Paramilitärs. In verschiedenen Regionen konnte nachgewiesen werden, daß paramilitärische Gruppen massiven Druck ausüben, damit die Leute ihm ihre Stimme geben. Schon jetzt bleibt angesichts der Repression der Gewerkschaft kein anderes Mittel, als die Produktion zu stoppen und die Vernichtungsstrategie gegen alle sozialen Bewegungen anzuprangern.

F: Sie sind gegen die fortschreitende Privatisierung im Land, die Paramilitärs aber unterstützen die Privatisierungsprogramme...?

Natürlich, sie vertreten die Interessen der Multis und der Großgrundbesitzer. Barrancabermeja war ein Zentrum des sozialen Kampfes - hier ist die Erdölförderung gewachsen, hier hat es Einfluß linker Gewerkschaften gegeben. Heute dominiert Angst in der Stadt. Alle haben wir Angst vor den Paramilitärs, vor dem täglichen Terror. Ich glaube, das ist auch für Kollegen in Deutschland nachzuvollziehen. Wir hoffen in diesen schweren Zeiten auf die Solidarität von außerhalb, eine internationale Solidarität. Die Menschen mögen hierher kommen und nicht nur alles von weitem betrachten.

(Quelle: junge Welt vom 19.04.2002)

 
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