Morde an Gewerkschaftern in Kolumbien - Folge des Neoliberalismus?
Interview: jW sprach mit Pedro Julián Cote, Mitglied des
nationalen Vorstandes des kolumbianischen Gewerkschaftsverbandes
"Unión Sindical Obrera" (USO)
Interview: Melanie Lucas, Barrancabermeja
F: In Kolumbien sind in den vergangenen Monaten Dutzende Gewerkschaftsaktivisten
von rechten Gruppen, vor allem Paramilitärs, ermordet worden.
Besonders betroffen war die USO. Warum rücken Sie ins Visier
der Todesschwadrone?
Unsere Gewerkschaft existiert seit fast 80 Jahren, heute haben
wir etwa 7000 Mitglieder Die USO ist eine Gewerkschaft, die von
ihren Ursprüngen bis heute für die Verteidigung der natürlichen
Ressourcen steht. Es ist eine Tradition linker Gewerkschafter, für
die Nationalisierung der Bodenschätze zu kämpfen.
F: Ist das nicht erst ein Phänomen der letzten Jahre?
Schon 1905, als die ersten multinationalen Unternehmen nach Kolumbien
kamen, begann die Ausbeutung unserer Bodenschätze. Leider gab
es schon damals Verträge, die lediglich fünf Prozent der
Gewinne dem Land überließen. 95 Prozent des Erdöls
etwa strichen die ausländischen Firmen ein. Diese vertragliche
Regelung galt bis zur Reform unter Präsident Alfonso López
1974. Er richtete ein Vertragssystem ein, mit dem der Erlös
halbiert wird, nachdem zuvor 20 Prozent für die Sozialkasse
abgeführt worden sind.
F: Das klingt durchaus fortschrittlich. Warum wird die soziale
Situation breiter Bevölkerungsteile trotzdem schlechter?
Während der letzten drei Regierungen ist diese Regelung zunehmend
zu Lasten des Staates ausgehöhlt worden, insbesondere unter
der Regierung Pastrana. Heute haben wir wieder Vertragsverhältnisse
wie 1905.
F: Wie und woran arbeiten Sie?
Ein typischer Förderungsvertrag existiert zum Beispiel in
Cicucu, einem sehr guten Ölfeld in der Nähe von Barrancabermeja.
Dort besteht dieses 95-zu-5-Verhältnis. Die USO hat sich öfters
gegen den Ausverkauf der natürlicher Rohstoffe gewandt und
dieses Anliegen ins Zentrum des gewerkschaftlichen Kampfes gestellt.
Damit waren wir Sand im Getriebe sowohl der Interessen der multinationalen
Konzerne wie auch der Interessen der nationalen Bourgeoisie. Seit
1996 hat sich die Gewerkschaft auch im Friedensprozeß zu Wort
gemeldet. Wir folgen seither dem Motto "Erdöl muß
Frieden fördern, nicht den Krieg!" Das bedeutet, die Gewerkschaft
steht für eine Verhandlungslösung des bewaffneten sozialen
Konfliktes.
F: Diese Positionen haben Sie zu militärischen Angriffszielen
gemacht?
In den letzten zehn Jahren sind Hunderte unserer Beschäftigten
und Aktivisten ermordet worden. Allein in den letzten drei Monaten
wurden fünf Compañeros umgebracht - Morde, die von den
paramilitärischen Gruppen begangen werden.
F: Wieso wird das Problem von der Regierung nicht unter Kontrolle
gebracht?
Paramilitarismus ist ein Projekt des Staates. Finanziert und logistisch
unterstützt wird es von Viehzüchtern, der Armee, Regionalpolitikern,
der Texaco Oil Company und den Kokainhändlern des Medellínkartells.
Das Problem ist unter der Regierung Pastrana stark angewachsen:
Von sechstausend auf heute zwanzigtausend Bewaffnete, besonders
in den Erdölregionen des Landes. Die kolumbianische ECOPETROL
verhandelt im Jahr über Förderrechte im Werte von umgerechnet
etwa 200 Millionen Euro, was ihnen - gerade in einer Kriegsökonomie
- eine bedeutende Stellung verleiht. Das Erdöl steht damit
im Zentrum des Konfliktes- und unsere Gewerkschaft mittendrin.
F: Im letzten Jahr wurden in Kolumbien 165 Gewerkschaftsfunktionäre
ermordet, eine Rekordzahl in der Welt. Welche Konsequenzen erwarten
Sie im sich abzeichnenden Fall der Wahl des ultrarechten Präsidentschaftskandidaten
Álvaro Uribe Vélez?
Uribe Vélez ist der Kandidat der Paramilitärs. In verschiedenen
Regionen konnte nachgewiesen werden, daß paramilitärische
Gruppen massiven Druck ausüben, damit die Leute ihm ihre Stimme
geben. Schon jetzt bleibt angesichts der Repression der Gewerkschaft
kein anderes Mittel, als die Produktion zu stoppen und die Vernichtungsstrategie
gegen alle sozialen Bewegungen anzuprangern.
F: Sie sind gegen die fortschreitende Privatisierung im Land, die
Paramilitärs aber unterstützen die Privatisierungsprogramme...?
Natürlich, sie vertreten die Interessen der Multis und der
Großgrundbesitzer. Barrancabermeja war ein Zentrum des sozialen
Kampfes - hier ist die Erdölförderung gewachsen, hier
hat es Einfluß linker Gewerkschaften gegeben. Heute dominiert
Angst in der Stadt. Alle haben wir Angst vor den Paramilitärs,
vor dem täglichen Terror. Ich glaube, das ist auch für
Kollegen in Deutschland nachzuvollziehen. Wir hoffen in diesen schweren
Zeiten auf die Solidarität von außerhalb, eine internationale
Solidarität. Die Menschen mögen hierher kommen und nicht
nur alles von weitem betrachten.
(Quelle: junge
Welt vom 19.04.2002)
|