Hunderte Morde an Gewerkschaftern
Angriffe auf Coca-Cola-Arbeiter in Kolumbien sind keine Einzelfälle.
200 Opfer des schmutzigen Krieges allein im vorigen Jahr
von GERHARD DILGER
Die Killer kamen mit dem Motorrad. Vor dem Werktor der Coca-Cola-Abfüllanlage
im nordkolumbianischen Carepa durchsiebten sie den Gewerkschaftssekretär
Isidro Segundo Gil mit zehn Schüssen. Wenig später zündeten
ihre Kumpane das örtliche Büro der Lebensmittelgewerkschaft
Sinaltrainal an. Dann versammelten sie die Arbeiter in der Fabrik
und forderten sie auf, aus der Gewerkschaft auszutreten - sonst
blühe ihnen das gleiche Schicksal wie Gil.
Hinter der Aktion steckten stadtbekannte paramilitärische
Gruppen. Wenige Tage zuvor hatte der Manager der Firma auf einem
Fest geprahlt, mit Hilfe der rechtsexteremen "Paras" werde
er die Gewerkschaft ausschalten. Nach dem Mord an Gil erhielt die
Sinaltrainal 43 getippte Austrittserklärungen mit identischem
Wortlaut. Mehrere Menschen wurden verhaftet - allerdings nicht die
Täter, sondern Kollegen des Ermordeten. Das war im Dezember
1996.
Die Attacken von Carepa waren kein Einzelfall. Vier weitere Coca-Cola-Arbeiter
wurden in den letzten Jahren in Kolumbien ermordet, andere entführt,
gefoltert und bedroht. Viele mussten fliehen. Und immer wieder gab
es Hinweise auf eine Zusammenarbeit zwischen dem Management diverser
Fabriken und den Todesschwadronen. Erst vor fünf Wochen versuchten
Unbekannte, die Tochter des Sinaltrainal-Chefs in Barrancabermeja
zu entführen.
"All diese Fälle sind der kolumbianischen Justiz bekannt,
aber es herrscht absolute Straflosigkeit", sagt Javier Correa,
der Vorsitzende der Sinaltrainal in Bogotá. Deswegen habe
man sich zur Klage in den USA entschlossen. "Wir wollen Gerechtigkeit,
wir wollen Entschädigungen für die Opfer dieser Verbrechen."
"Sehr tragisch" seien die Vorkommnisse, findet Rodrigo
Calderón, ein hoher Coca-Cola-Manager aus Mexiko. "Doch
unsere Firma und die Abfüller haben damit nichts zu tun."
Vielmehr leide das Geschäft unter dem Krieg in Kolumbien, Guerillagruppen
erpressten die Firma und steckten ihre Lastwagen in Brand. In achtzig
Gemeinden des Landes könnten die Produkte des Hauses gar nicht
vertrieben werden.
Ähnlich argumentiert die kolumbianische Regierung. Die Verletzung
von Gewerkschaftsrechten sei eine Folge des "bewaffneten Konflikts",
nur 5 bis 10 Prozent aller Morde an Gewerkschaftern hingen mit deren
Funktion zusammen. Das ist Auslegungssache: Denn in Kolumbien fiel
der "schmutzige Krieg", der seit Mitte der Achtzigerjahre
gegen die Linke tobt, mit der neoliberalen "Flexibilisierung"
der Arbeitsverhältnisse zusammen. Bei Coca-Cola etwa machen
Zeitarbeiter drei Viertel aller Beschäftigten aus. Landesweit
sind nur noch rund 6 Prozent aller Arbeiter gewerkschaftlich organisiert
- 1976 waren es noch 17 Prozent.
Kolumbiens Gewerkschaften seien "vom Aussterben bedroht",
diagnostiziert der sozialdemokratische Internationale Bund Freier
Gewerkschaften (IBFG) in seinem Jahresbericht. Danach starben im
letztenJahr 185 Gewerkschafter gewaltsam - 27 Prozent mehr als im
Vorjahr. Dazu kommen zwölf "verschwundene" Aktivisten.
Hinter neun von zehn Fällen stecken die paramilitärischen
Organisationen, die oft eng mit den regulären Streitkräften
zusammenarbeiten. Ihr Vorgehen ist im Vergleich zu früher gezielter:
Zunehmend rücken prominente Gewerkschafter ins Visier. 2002
wurden bereits mindestens 87 ermordet.
Für den Menschenrechtler Javier Giraldo ist dieser Vernichtungsfeldzug
Teil einer gezielten Strategie. Die Todesschwadronen seien der "klandestine
Arm des Staates", sagt der Jesuit. Dass sich das mit dem Amtsantritt
des neuen Präsidenten Álvaro Uribe ändern wird,
hoffen nur unverbesserliche Optimisten. Denn als Gouverneur von
Antioquia war Uribe der prominenteste Förderer privater Sicherheitskooperativen.
Als diese auf Druck von außen hin verboten wurden, gingen
sie nahtlos in die paramilitärischen Verbände über.
(Quelle: taz
vom 22.7.2002, Seite 9)
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