Kolumbien - staatlicher Terror gegen die Opposition
Wohl in keinem anderen Land der Welt werden so viele Linke ermordet
wie in Kolumbien. Mehr als 5000 Menschen werden jedes Jahr von paramilitärischen
Gruppen umgebracht - massakriert, gefoltert, manchmal mit Motorsägen
zerstückelt. Die dafür verantwortlichen Todesschwadronen
agieren mit Rückendeckung des kolumbianischen Staates und üben
die Rolle einer Privatarmee im Dienste der Besitzenden aus. Die
Morden folgen fast immer auch einem wirtschaftlichen Kalkül:
GroßgrundbesitzerInnen vertreiben KleinbäuerInnen, Unternehmen
lassen unliebsame GewerkschafterInnen aus dem Weg räumen, die
Regierung sorgt dafür, dass geplante Großprojekte (wie
Staudämme und Erdölbohrungen) reibungslos durchgeführt
werden können. Der Terror der Paramilitärs ebnet der Globalisierung
den Weg: Mit der Zerschlagung von Gewerkschaften wird die Abschaffung
von Arbeitsschutzgesetzen erleichtert und damit der Arbeitsmarkt
"flexibilisiert", die Vertreibung von Kleinbauern ermöglicht
die Erschließung bisher kaum "entwickelter" Regionen,
die Einschüchterung der Gewerkschaften bahnt den von IWF und
Weltbank angemahnten Privatisierungsprozessen den Weg ...
Transnationale Unternehmen spielen dabei eine Schlüsselrolle.
Während eines Pipeline-Baus von British Petroleum in Kolumbien
ermordeten Todesschwadronen in der Nähe der Bautrasse Hunderte
von Menschen, die als Gegner des Projekts galten. Abgesichert wurde
der Bau von dem berüchtigten britischen Söldnerunternehmen
Defence Systems Ltd. Gegen den Kohle-Multi Drummonds ist wegen der
Ermordung von Gewerkschaftern eine Anklage in den USA erhoben worden.
Und auch bei Nestlé gibt es eine auffällige Häufung
von Anschlägen im Vorfeld von Tarifverhandlungen. Doch besonders
stark kritisiert wird die Politik Coca Colas, das wichtige Kapitalanteile
an dem kolumbianischen Coca Cola-Abfüllunternehmen Panamco
besitzt.
Coca Cola sucks!
In den Abfüllanlagen der formal von Coca Cola unabhängigen,
de facto aber über Kapitalanteile an den US-Konzern gebundenen
kolumbianischen Firma Panamco tobt ein regelrechter Krieg gegen
die Gewerkschaften.
Mehr als 120 Angriffe hat die Ernährungswerkschaft SINALTRAINAL
seit 1990 protokolliert: Ermordungen, Entführungen, Drohanrufe,
inszenierte Terrorismusverfahren. In der von Armee und Paramilitärs
besonders streng kontrollierten nordkolumbianischen Region Urabá
wurde die Gewerkschaft sogar im wörtlichen Sinne physisch eliminiert.
Im Dezember 1996 ermordeten "Unbekannte" den regionalen
SINALTRAINAL-Sekretär Isidro Segundo Gil, ein weiterer Funktionär
konnte einer Entführung nur knapp entkommen. Das Gewerkschaftsgebäude
in der Stadt Carepa wurde in Brand gesetzt, die ArbeiterInnen des
Unternehmens von Bewaffneten gezwungen, "bis 4 Uhr nachmittags
aus der Gewerkschaft auszutreten".
Und die Situation verschlechtert sich weiter. Der Druck auf jene
Coca-Cola-Arbeiter, die noch gewerkschaftlich organisiert sind,
wird immer größer. AktivistInnen können ihre Wohnungen
nicht mehr ungeschützt verlassen und erhalten regelmäßig
Morddrohungen. Die Gewerkschaftssektionen von Barrancabermeja und
Bucaramanga sind im "inneren Exil". Die GewerkschafterInnen
verbringen aus Sicherheitsgründen die meiste Zeit in der Hauptstadt
Bogotá.
Diese Firmenpolitik scheint im übrigen nicht auf Kolumbien
beschränkt zu sein. Gegen Coca-Cola-GewerkschafterInnen in
Guatemala und Peru hat es in den vergangenen Jahren ähnliche
Gewalttaten gegeben.
Internationale Kampagne zu Coca Cola
Vor diesem Hintergrund mobilisieren kolumbianische Gewerkschaften
und die "Kampagne gegen Straflosigkeit - Colombia Clama Justicia"
zur Zeit für eine internationale Kampagne gegen Coca Cola.
In den USA hat die Stahlarbeitergewerkschaft United Steel Workers
aus Solidarität mit den kolumbianischen KollegInnen eine Klage
gegen Coca Cola vor dem Distriktgericht von Südflorida eingereicht.
Parallel dazu will ein breites Bündnis von baptistischen Kirchen,
Trade Unions und Menschenrechtsgruppen in den USA in diesem Sommer
auf die Arbeitsbedingungen bei dem Getränkekonzern hinweisen.
Auch Gruppen in Italien, Belgien und Großbritannien haben
ihre Unterstützung zugesagt.
Konkret in Vorbereitung sind drei sogenannte Audiencias Publicas:
Meinungstribunale, mit denen internationale Öffentlichkeit
hergestellt werden sollen: Mitte Juli in Atlanta/USA, am 12. Oktober
in Brüssel / Belgien und am 5. Dezember in Bogotá. Außerdem
soll es zahlreiche dezentrale Aktionen und Veranstaltungen geben.
Die Meinungstribunale reihen sich ein in die "Kampagne gegen
Straflosigkeit - Kolumbien fordert Gerechtigkeit", die von
mehr als 100 kolumbianischen Organisationen, darunter auch dem Gewerkschaftsverband
CUT, getragen wird und bereits mehrere internationale Meinungstribunale
in Kanada, Spanien und Kolumbien organisiert hat.
Was wir mit der Kampagne erreichen wollen
Um eins gleich klar zu stellen: Uns geht es nicht darum, Coca Cola
als Symbol einer vermeintlichen US-Kultur zu brandmarken. Bei der
Politik der transnationalen Unternehmen spielt es keine Rolle, ob
sich der jeweilige Firmensitz nun in den USA, Großbritannien,
der Schweiz oder in Deutschland befindet. BP, Nestlé oder
Mercedes-Benz haben nicht weniger Dreck am Stecken als Coca Cola.
Wenn wir in diesem Fall jedoch über Coca Cola sprechen, dann
deswegen, weil es konkrete Ereignisse gibt, die konkrete Solidarität
erforderlich machen.
Mit der Kampagne wollen wir mehrere Ziele verfolgen:
- Globalisierungskritik leisten: Wir denken, dass sich der gewalttätige
Aspekt von Globalisierung am Beispiel Coca Cola-Kolumbien gut aufzeigen
lässt. Was die Mächtigen als ganz normalen Fortschritt
bezeichnen, bedeutet für die Betroffenen häufig noch mehr
Ausbeutung und Terror.
- eine Schnittstelle zwischen Anti-Globalisierungsbewegung und Gewerkschaften
schaffen: Die Kampagne bietet die Möglichkeit, dass verschiedene
Gruppen aus unterschiedlichen politischen Spektren bei einem konkreten
Anliegen zusammenarbeiten. Wie bei der deportation class-Kampagne
gegen Lufthansa soll es den Gruppen dabei möglich sein mitzumachen,
ohne großartige Absprachen treffen zu müssen.
- international agieren: Wenn es darum geht, Menschen in verschiedenen
Ländern gegeneinander auszuspielen, wird immer wieder die "Standortkonkurrenz"
ins Feld geführt. Die einzige funktionierende Antwort darauf
ist: Wir müssen selbst transnational handeln. Arbeitsrechte
lassen sich nur noch in einem internationalen Rahmen verteidigen.
- konkret Arbeitsbedingungen verbessern: V. a. aber geht es uns
darum, die konkreten Bedingungen für die Gewerkschaft SINALTRAINAL
in Kolumbien zu verbessern. Gewerkschaftsarbeit ist dort kaum noch
möglich, betriebliche Organisierung wird durch Entlassungen
und Anschläge verhindert. Für gewerkschaftliche Arbeit
gibt es kaum noch eine andere Chance als die Mobilisierung außerhalb
des Unternehmens. Unser Druck kann - wie zahlreiche Beispiele in
der Vergangenheit bewiesen haben - etwas zur Veränderung der
Situation beitragen. Diese Chance wollen wir nützen.
Was kann man tun?
Es gibt viele Möglichkeiten, an diese Kampagne anzudocken.
Jede/r kann sich Aktionsformen ausdenken. In Italien kündigten
AktivistInnen an, sie wollten Coca-Cola-Getränke öffentlichkeitswirksam
aus einem Supermarkt auf die Straße räumen. Gute Idee!
Man kann aber auch Kundgebungen organisieren, Unterschriftenlisten
sammeln und an Coca Cola schicken, die Hotline des Konzerns nerven
oder imageschädigende Websites ins Netz stellen. Man kann Aufkleber
entwerfen, Veranstaltungen machen, zu einem Boykott aufrufen. Oder
auf Aktionärsversammlungen auftauchen ... Und natürlich
sollte man sich zahlreich an den Meinungstribunalen im Oktober in
Brüssel und im Dezember in Bogotá beteiligen. Gäste
sind herzlich willkommen!!
Wenn Ihr Hintergrundinformationen braucht, könnt Ihr diese
jederzeit bei uns erhalten. Wir stellen uns nur ein konkretes Ziel:
Die Kampagne gegen Coca Cola sollte so lange gehen, bis der Konzern
seine Entlassungspolitik einstellt, gewerkschaftliche Organisierung
akzeptiert und Maßnahmen gegen den Paramilitarismus im und
um den Betrieb herum ergreift. Coca Cola darf sich nicht darauf
zurückziehen, dass die Abfüllanlagen nicht zum Mutterkonzern
gehören. Wäre in einer kolumbianischen Abfüllanlage
Gift in die Getränkeflaschen gelangt, hätte Coca Cola
sicherlich auch scharf durchgegriffen. Also kann das Unternehmen
durchaus handeln, wenn seine Lizenznehmer GewerkschafterInnen erschießen
lassen!
Schluß mit dem Terror gegen GewerkschafterInnen!
Solidarität mit SINALTRAINAL!
Coca Cola sucks!
Erst-UnterstützerInnen
Callcenteroffensive Berlin, Labournet, Chemiekreis Wuppertal, Solidaritätsnetzwerk
(ISNRSI), TIE, FELS-Berlin, Ulla Jelpke und Carsten Hübner
(MdB-PDS), Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre,
Yavuz Fersoglu (PDS-Hamburg), Gruppe fidi.direct in verdi, Citi-Critic
e.v. (Verein zur Förderung von Demokratie in Arbeitswelt und
Gesellschaft), FDCL-Berlin (Forschungs- und Dokumentationszentrum
Chile-Lateinamerika), Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall
Berlin, Linkes Bündnis Dortmund, Wissenschaftlich-humanitäres
Komitee (Regionalgruppe Ruhr), Astrid Keller (Stadtrat Dortmund),
Lateinamerikanachrichten, Save the Planet (Hamburg), Professor Wolfgang
Fritz Haug, Infobüro Nicaragua, CUBA SI, Rote Hilfe e. V.,
Kolumbien-Gruppe Berlin, ASW (Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt),
Gruppe BASTA Münster, DJ-Crew LUCHA AMADA, Stiftung Menschenwürde
und Arbeitswelt, FAU Berlin, Verlag Assoziation A
Kontakt
Kampagne "Coca Cola-Kolumbien"
Kolumbien-odyssee@gmx.net
C/o Schwarze Risse
Gneisenaustr. 2a
10961 Berlin
Ein ganz normaler Sommer bei Coca Cola-Kolumbien
* Im Juni 2001 werden die ArbeiterInnen auf Zwangsversammlungen
dazu aufgefordert, auf ihre bisherigen Arbeitsverträge zu verzichten.
Einige ArbeiterInnen, die sich weigern, werden entlassen. Insgesamt
baut das Unternehmen auf diese Weise in kurzer Zeit mehr als 1000
feste Stellen ab oder verwandelt sie in prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
* Am 21. Juni 2001 wird der Coca Cola-Arbeiter Oscar Darío,
just an einem internationalen Aktionstag zum Gedenken an die Menschenrechtsverletzungen
bei Coca Cola in Guatemala, in Montería / Nordkolumbien erschossen.
* Am 30. Juni fordert der Sicherheitschef bei Coca Cola in Medellín,
ein Kapitän der Armee im Ruhestand, die Gewerkschaftsmitglieder
im Betrieb auf, sich bei den Tarifverhandlungen zurückzuhalten
und unterstellt ihnen Verbindungen zur Guerilla - in Kolumbien eine
unverhohlene Todesdrohung. * Am 13. Juli beschuldigt der Geschäftsführer
von Coca Cola in Bucaramanga / Nordostkolumbien Carlos Cañas
die Führer der Ernährungsgewerkschaft SINALTRAINAL wegen
ihrer Kritik an Coca Cola der Verleumdung und der Gründung
einer kriminellen Vereinigung. * Ebenfalls am 13. Juli gehen Todesschwadronen
vor dem Haus des SINALTRAINAL-Präsidenten in Barrancabermeja
Juan Carlos Galvis in Stellung. * Vom 21. bis 23. Juli lassen die
Abfüllunternehmen ihre ArbeiterInnen in ganz Kolumbien Blankopapiere
unterschreiben, die danach als gewerkschaftskritische Briefe der
Belegschaft präsentiert werden. * Am 22. Juli werden der Gewerkschafter
Galvis und seine Ehefrau von Todesschwadronen durch Barrancabermeja
verfolgt. * Am 3. August taucht ein Paramilitärkommando ebenfalls
in Barrancabermeja beim SINALTRAINAL-Aktivisten William Mendoza
auf, der sich jedoch nicht zu Hause befindet. Zur gleichen Zeit
wird die Ehefrau von Juan Carlos Galvis von Todesschwadronen kurzzeitig
entführt. * Am 13. des gleichen Monats wird ein Coca Cola-LKW
östlich von Medellín gestoppt. Die Paramilitärs
erklären den Fahrern, dass man ein Problem mit der Gewerkschaft
habe und diese sich zu einem Gespräch zur Verfügung zu
stellen habe. * Am 21. August stehen Paramilitärs vor dem Wohnhaus
des Präsidenten von SINALTRAINAL in der Karibikstadt Barranquilla,
Osvaldo Camargo. Einen Tag später nähert sich Killerkommando
dem Gewerkschafter und zückt eine Waffe. Camargo komm kommt
nur deshalb mit dem Leben davon, weil unerwartet ein Passant auftaucht.
Interview
Von der kolumbianischen Ernährungsmittelgewerkschaft SINALTRAINAL
könnten wir in Europa viel lernen. Obwohl die zum Dachverband
CUT gehörende Branchengewerkschaft aufgrund von Anschlägen
und Entlassungen auf inzwischen unter 2000 Mitglieder geschrumpft
ist, gehen von ihr immer noch zahlreiche Initiativen aus. SINALTRAINAL
beschränkt sich nicht auf die Interessenvertretung der Belegschaften.
Sie begreift gewerkschaftlichen Kampf auch als politische Auseinandersetzung.
In diesem Zusammenhang unterstützt die Gewerkschaft die Organisierung
von Kleinbauern oder führt Solidaritätsaktionen für
Flüchtlinge durch. Bei den Tarifverhandlungen bringt die Gewerkschaft
Sozialprogramme in Slums, die Verwendung genetisch manipulierter
Produkte und ökologische Fragen der Getränkeproduktion
zur Sprache. SINALTRAINAL unterstützt (fast als einzige Organisation)
die streikenden Blumenarbeiterinnen in der Sabana de Bogotá
und hat mit den "proyecto agroalimentario" auch einen
Vorschlag ausgearbeitet, wie der Hunger in Kolumbien beseitigt werden
könnten: nämlich durch den Aufbau von Konsumenten- und
Produzentenkooperativen. Wegen dieser politischen Aktivitäten
ist die Gewerkschaft heute Ziel von Anschlägen.
Gewerkschaften wird - nicht nur in Kolumbien - häufig vorgeworfen,
sich nur für die eigenen Mitglieder einzusetzen. Wenn sie jedoch
darüber hinaus gehen, droht ihnen ein Schicksal wie das von
SINALTRAINAL.
Unter welchen Bedingungen arbeiten Gewerkschafter in Kolumbien?
In keinem Land der Welt sterben so viele Gewerkschafter eines
gewaltsamen Todes wie in Kolumbien. Fast 160 waren es im vergangenen
Jahr, nahezu 4000 im Laufe des vergangenen Jahrzehnts. Auffällig
ist dabei die Zunahme der Morde während Arbeitskämpfen
und Betriebskonflikten. D. h. Gewerkschaftsführer sind meist
bewaffnet, haben auf jeden Fall bewaffnete Leibwächter und
gepanzerte Fahrzeuge und auch die Gewerkschaftszentralen sind gepanzert
und mit Kameras ausgerüstet. Darüber hinaus darf ein Gewerkschafter
niemals in Routine verfallen, das wäre sein sicherer Tod. Er
darf nie zweimal hintereinander den gleichen Weg gehen, er darf
keine regelmäßigen Termine oder Zeitabläufe haben
und er muss immer sehr aufmerksam beobachten, was um ihn herum passiert.
Aber selbst das kann sie meistens nicht vor dem Tod retten. Als
z. B. Anfang Dezember vergangenen Jahres Aury Sará Marrugo,
Vorsitzender der Erdölgewerkschaft USO in Cartagena, entführt,
brutal gefoltert und ermordet wurde, waren daran 15 bestens bewaffnete
und ausgerüstete Paramilitärs beteiligt. Gegen eine solche
Übermacht kann man nicht viel unternehmen.
Wann begann der organisierte militärische Angriff auf die
Gewerkschaften?
In den 80er Jahren. Führend daran beteiligt sind transnationale
Unternehmen wie Coca Cola. Die Methoden reichen von Drohungen, Verschleppungen
und Folter bis hin zu Mord. Bei einer Feier 1996 mit viel Alkohol
verkündete Mario Mosquera, Firmenleiter von Panamco (dem kolumbianische
Coca Cola-Abfüller), in Carepa lauthals, dass er mit Hilfe
der Paramilitärs der Gewerkschaft ein Ende setzen werde. Seitdem
sind in Carepa mehrere Gewerkschaftsaktivisten ermordet worden,
und die Paramilitärs bewegen sich ungestört auf dem Werksgelände.
Von der kolumbianischen Regierung ist keine Hilfe zu erwarten. Bisher
blieben alle diese Verbrechen ungeahndet. Schlimmer noch. Als Coca-Cola
einmal fünf Gewerkschaftsführer des Terrorismus anklagte,
wurden sie anderthalb Jahre lang inhaftiert. Dann wurden sie einfach
freigelassen, da der Vorwurf absurd war. Aber sie bekamen keine
Entschädigung, und es wurde auch nicht erklärt, warum
sie überhaupt 18 Monate lang fest gehalten wurden.
Was steht hinter diesen Angriffen auf Gewerkschafter?
Anfang der 90er Jahre arbeiteten in den verschiedenen Coca-Cola-Niederlassungen
Kolumbiens etwas über 10.000 Arbeiter, sie verfügten alle
über unbefristete Verträge und ein durchschnittliches
Einkommen von 600-700 US-Dollar. Heute, nach einer grundlegenden
Umstrukturierung des Unternehmens, haben nur noch etwa 2.500 Arbeiter
Verträge von Coca-Cola, aber nur 500 davon feste Verträge,
weitere 7.500 sind über Subunternehmer beschäftigt. Ihr
durchschnittliches Monatseinkommen beträgt nur noch etwa 150
US-Dollar. Im Zusammenhang mit 2 Streiks wurden bei Coca-Cola Kolumbien
1995/1996 sieben unserer Gewerkschaftsführer ermordet, über
50 mussten ihre Regionen verlassen, und über 6000 der insgesamt
10.000 Beschäftigten wurden während des vergangenen Jahrzehnts
ausgetauscht. Die Zahl unsrer Mitglieder bei Coca-Cola sank von
ehemals 2.500 auf nur noch 500. Doch auch den mit Hilfe des Unternehmens
gegründeten neuen Mini-Gewerkschaften, die im Sinne von Coca-Cola
handeln sollen, ergeht es nicht gut, sobald sie zu viel fordern.
Im vergangenen Jahr musste die Unternehmertreue Kleinstgewerkschaft
Sinaltrainbec diese Erfahrung machen, als zwei ihrer Vertreter von
Paramilitärs ermordet wurden.
2001 reichte die Gewerkschaft Sinaltrainal eine Zivilklage
gegen den Konzern in Florida ein. Wie sieht es aktuell aus?
Die Klage wurde zugelassen und befindet sich in der Phase der
Beweisaufnahme. Wir wollen erreichen, dass die Verantwortung des
Konzerns für die Übergriffe und Morde an Gewerkschaftern
festgestellt werden, eine moralische und ökonomische Entschädigung
für die Opfer erfolgt und auf die Situation der Gewerkschaften
in Kolumbien aufmerksam gemacht wird. Unterstützt werden wir
dabei von dem 20 Millionen Mitglieder fassenden US-amerikanischen
Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO, den Transportarbeitern der Teamsters,
der Metallarbeitergewerkschaft, der internationalen Union der Lebensmittelarbeitergewerkschaften
(IUL). Doch die Klage allein ist unserer Ansicht nach nicht ausreichend.
Gemeinsam mit den genannten Gewerkschaften und dem kanadischen Gewerkschaftsdachverband
WCA, vielen schwarzen Gemeinden, protestantischen Kirchen und zahlreichen
weiteren Organisationen bereiten wir für den 22. Juli in Atlanta
/ Georgia, wo sich die Coca-Cola-Firmenzentrale befindet, ein öffentliches
Tribunal gegen Coca-Cola vor. Solche Tribunale wollen wir dann auch
am 10. Oktober in Brüssel und am 5. Dezember in Bogotà
veranstalten. Coca-Cola soll mit dieser globalen Kampagne gezwungen
werden einen Verhaltenskodex mit den Gewerkschaften zu unterschreiben,
der derartige Menschen- und Arbeitsrechtverletzungen wie in der
Vergangenheit ausschließt.
Wie hat den Coca-Cola auf die Klage reagiert?
Coca-Cola scheint sehr um das eigene Image besorgt zu sein. Sie
streiten jede Verantwortung und Verwicklung in die Geschehnisse
ab und haben eine Klage wegen Verleumdung und üble Nachrede
gegen uns eingereicht. Auch die US-Regierung hat sich sehr für
den Fall interessiert. Jetzt bekommen wir ständig Besuch von
Vertretern des US-Außenministeriums und der US-Botschaft in
Kolumbien, die uns sagen, die Weltlage sei nicht so, wie wir sie
sehen, und wir sollten noch einmal überlegen, ob es nicht außergerichtliche
Alternativen gibt, um Probleme zu lösen. Im Januar wurde in
Bogotá auch ein ehemaliger Coca-Cola-Arbeiter von Paramilitärs
entführt und bedroht. Es wurde ihm gesagt, wenn er seine Aktivitäten
fortsetze, würden sie ihn töten. Zwei weiteren Ex-Coca-Cola-Arbeiter,
die in dem Verfahren als Zeugen auftreten sollen, wurde mitgeteilt,
die Paramilitärs würden sie suchen, um sie zu ermorden.
Der Konzern soll damit nichts zu tun haben?
Wie sieht den die Verwicklung des Staates in diese Verbrechen
aus?
Die Paramilitärs sind integraler Bestandteil der staatlichen
Strategie. Die Verbindungen der Armee zu den Paramilitärs sind
so eng, dass die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human
Rights Watch im vergangenen Jahr die Paramilitärs als die "VI.
Division der Streitkräfte" bezeichnete. Ein sehr konkretes
Beispiel: Im Dezember 2000 wurde ein Mordanschlag auf den Vorsitzenden
der Gewerkschaft der staatlichen Angestellten Wilson Borja verübt.
Er entging dem Tod nur knapp, und bei dem Feuergefecht zwischen
seinen Leibwächtern und den Attentätern wurde ein Paramilitär
erschossen. In seinem Mobiltelefon waren die Telefonnummern mehrerer
hoher Repräsentanten der Sicherheitskräfte und der Armee
gespeichert. Mittlerweile wird gegen einen Polizeikapitän und
Militärangehörige ermittelt ... Doch vermutlich wird auch
dieses Verbrechen ungestraft bleiben.
Welche Folgen wird die Wahl des neuen Präsidenten Uribe
Vélez für Gewerkschaften und soziale Bewegungen haben?
Der Paramilitarismus hat nun noch freiere Hand, die Offensive
gegen uns wird intensiver werden. Das heißt, wir haben Solidarität
nötiger denn je. Außerdem müssen wir auch innerhalb
der kolumbianischen Gewerkschaftsbewegung den Kampf gegen die extreme
Rechte aufnehmen. Es gibt bereits einige Gewerkschaften, die von
den Paramilitärs übernommen wurden, nachdem die alte Führung
ermordet oder ins Exil gezwungen wurde, und diese Gewerkschaften
treten in Kolumbien wie international als Arbeitervertretungen auf.
Wir müssen dafür sorgen, dass ihre Führer in der
Gewerkschaftsbewegung isoliert werden. Letztlich müssen wir
dazu kommen eine linke soziale und politische Bewegung aufzubauen,
die Alternativen und Vorschläge für die Lösung des
Konflikt entwickeln kann.
Welche Vorschläge hat Sinaltrainal für die Zukunft
Kolumbiens?
Aus unserer Sicht als Gewerkschaft im Lebensmittelsektor denken
wir, dass es notwendig ist, die Monopole aufzulösen, eine Landreform
durchzuführen, das Land zu demokratisieren, den Zentralismus
des Staates abzuschaffen und den Regionen mehr Entscheidungsspielräume
zu geben. Die Produktion sollte darauf ausgerichtet sein, eine regionale
und nationale Lebensmittelselbstversorgung zu erzielen ... Wir wollen
ein Modell demokratischer Entwicklung, das dem neoliberalen Modell
entgegensteht. Kolumbien gehört zu den reichsten Ländern
der Welt, was Bodenschätze, Wasser, Anbauflächen, Biodiversität
usw. betrifft, und gleichzeitig leben 26 der 43 Millionen Einwohner
unterhalb der Armutsgrenze, acht Millionen von ihnen gelten als
mittellos und vier Millionen sterben an Hunger. Trotz seines immensen
Reichtums gehört Kolumbien zu den zehn Ländern der Erde,
in denen am meisten Menschen hungern.
Interview: Dario Azzellini / Labornet
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