Grenzcamp 2000

3. antirassistisches Grenzcamp
der Kampagne 'Kein Mensch ist illegal'
vom 29. Juli bis 6. August 2000
in Forst / Brandenburg
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Antideutsche Gruppe Wuppertal
[25.07.2000]

Kritik an dem "Aufruf zu einem Teach-in gegen Antisemitismus..."

„Und allemal kann es auch eine bessere Form des Eingedenkens sein, zur Shoa dann den Mund zu halten, bevor man anfängt, Unfug darüber zu erzählen."

Das von Deutschen an den Jüdinnen und Juden begangene Verbrechen der Shoa macht es allerdings nötig, Antisemitismus und die dazugehörige - allein in Deutschland rein auf ihren Begriff gekommene - Volksgemeinschaft zu kritisieren. Der Aufruf zu einem Teach-in gegen Antisemitismus im Rahmen des Grenzcamps 2000 stellt hingegen mit ihrem positiven Bezug auf die deutsche Bevölkerung damals wie heute deren Entlastung sowie eine Verharmlosung ihres Vernichtungswahns dar. Die Verantwortung für Auschwitz wird hier einmal mehr auf „die Herrschenden" (so wie die eigentlichen BrandstifterInnen in der jeweiligen Regierungshauptstadt sitzen sollen) projiziert: „Wir wissen nicht, wie viele der dort (gemeint ist der Friedhof für Wehrmachtssoldaten, wo das Teach-in stattfinden soll, die Verf.) begrabenen Wehrmachtssoldaten in einem direkten Sinne an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung beteiligt waren. Manche waren dafür vermutlich noch zu jung, als sie von der damals herrschenden Nazimörderclique in den sicheren Tod gehetzt wurden." In Gutmenschenmanier wird hier fast zwanghaft die massenhafte Bereitschaft der Einzelnen zum Aufgehen im NS-Volksstaat wegdifferenziert. Der NS zeichnete sich gerade durch das ununterscheidbare Verschmelzen der sich aus der empirischen Bevölkerung herausschälenden, sich ihrer Leistungsfähigkeit versichernden (Staats-)Bürger mit dem Staat zur völkischen Gemeinschaft aus. Dieser Umstand erst machte das gemeinsam begangene Verbrechen Auschwitz möglich.

Es scheint fast so, als würden hier die VerfasserInnen bereits mit schlechtem Gewissen auf dem Soldatenfriedhof stehen und wollten - um nur ja nicht in den Verdacht zu geraten, man hege mit der Beleidigung ihrer Väter und Großväter einen Antisemitismusvorwurf gegen die Ortsansässigen - den Gubener Volksgenossen ein wirksames Argument gegen Antisemitismus verkaufen: weil es uns Deutschen unterm NS ja auch schlecht ging, habe die Befreiung der KZs und der hierfür notwendige Blutzoll der eigenen Soldaten letztlich Sinn gemacht. Dieser habe nämlich „sogar dafür gesorgt, auch der deutschen Bevölkerung wieder ein besseres Leben zu ermöglichen." Die allzu gern thematisierte „soziale Frage", die einige autonome AntirassistInnen immer dann in Anschlag bringen, wenn sie Gefahr laufen, mit unpopulären Themen eine beharrlich sich nicht aufklären lassen wollende Bevölkerung zu brüskieren, wird so nolens (?) volens gegen den real existierenden rassistischen Konsens verrechnet, der aber gerade die spezifische Artikulation ist, in der richtige Deutsche die soziale Frage auf die ihnen eigene Art thematisieren. Die sich dementsprechend durch den Aufruf ziehende Stilisierung der Deutschen zu Opfern führt zu der geradezu wahnhaften Vorstellung, sie selbst seien von antisemitischen Progromen potenziell betroffen: „Ein großer Teil der hier Lebenden glauben, durch die Verwüstung jüdischer Friedhöfe nicht eigentlich gemeint, geschweige denn bedroht zu sein."

„Das schleichende Gift des Antisemitismus"

Jene Deutschen, die sich in Banden zusammenrotten und im Progrom gegen unwertes und überwertiges Leben sich ihrer Identität als produktive, „wertvolle" Subjekte des Warentausches versichern, meinen eben gerade nicht ihre „hier lebenden" deutschen Volksgenossen. Stattdessen wird hier der Versuch gemacht, die prinzipielle Nichtigkeit ihrer Existenz als Privatpersonen unterm Kapitalverhältnis durch das völkische Aufladen ihrer Identität als StaatsbürgerInnen konformistisch zu kompensieren. Nicht schleichendes Gift, das irgendwelche „Mördercliquen" der ahnungslosen Bevölkerung heimlich ins Hirn träufeln, sondern umgekehrt: die Fetischisierung unbegriffener abstrakter Herrschaftsverhältnisse zu konkreter Giftmischerei fremder Mächte, die das eigene Volk von innen zerstören, führt zum antisemitischen Ressentiment, in dem das Volk erst tatsächlich, durch die gemeinsame Tat zu sich selbst kommt. Der positive Bezug der VerfasserInnen auf die deutsche Bevölkerung verkehrt hier die Kritik am Antisemitismus in ihr Gegenteil, nämlich in Ausblenden und Affirmation der deutschen Volksgemeinschaft(sideologie), deren Kritik im Zentrum aller theoretischen und praktischen Bemühungen gegen Antisemitismus stehen müßte.

Man kann nicht auf den Stätten der Täter den Opfern gedenken, wenn Täter zu Opfern gemacht werden!


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