Iran: Verschleierter Ausnahmezustand
Wenn im Iran die warme Jahreszeit beginnt und die Menschen sich etwas freier kleiden, ist dies jedes Mal ein Anlass für die Regierung, die Vorschriften der Verschleierung in Erinnerung zu bringen. Dieses Jahr greift sie jedoch schärfer durch als sonst:
Sie hat gleich mehrere Institutionen in Bewegung gesetzt, um der Sünderinnen habhaft zu werden. Uniformierte Polizei und Freiwilligenmilizen machen die Straßen unsicher, dazu kommen noch der Geheimdienst, der zu allem Überfluss auch nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Und diesmal trifft es auch die Männer, die zwar keinen Schleier tragen müssen, aber kurzärmlige T-Shirts oder gestylte Haare passen auch nicht ins Modekonzept der Islamisten, und so kommt es, dass auch sie sich auf Festnahmen und Schlimmeres gefasst machen müssen. Tückisch ist auch, dass die Opfer nie wissen, womit sie rechnen müssen. Einige der Festgenommenen sind bis heute nicht wieder freigelassen worden und man weiß nicht, wo sie stecken.
Dass dieses Jahr auch der Geheimdienst mit von der Partie ist, hat mehrere Gründe. So ist es üblich, dass die Menschen auf der Straße sich gegenseitig warnen, wenn irgendwo eine Kontrolle ist. Dann können sich die potentiellen Opfer entweder so präsentieren, wie die Regierung es will, oder der Kontrolle aus dem Weg gehen. Die Anwesenheit des Geheimdienstes durchkreuzt diese Taktik und vermittelt den von der Regierung gewünschten Eindruck, dass der Staat überall ist und man ihm nicht entkommen kann. Zudem dient der Geheimdienst auch der Überwachung zu lascher Beamten, die vielleicht auch mal ein Auge zudrücken. Auch stehen Polizei und Freiwilligenmilizen laufend in Kontakt mit der Bevölkerung und müssen sich in Acht nehmen, dass sie es nicht zu sehr übertreiben. Dieses Problem hat der Geheimdienst nicht. Und wenn er feststellt, dass bestimmte Beamten nicht die nötige Strenge walten lassen, ist es ein kurzer Weg bis zur Entlassung.
Warum aber so viel Aufwand für ein letztlich kosmetisches Problem?
Die ständigen Streiks der letzten Monate und auch die Protestkundgebungen zum 1. Mai machen deutlich, dass die Wirtschaftskrise immer weitere Bevölkerungskreise auf die Beine bringt. Die Wirtschaftskrise kann die Regierung nicht beheben, aber die Bevölkerung einschüchtern kann sie. Also versucht sie letzteres.