Entengeschichten
Interview vom ID-Archiv mit der radikal (Teil II)

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Teil II
Teil III
Teil IV
Teil V
Teil VI
Teil VII

ID-Archiv: Wie wird mit dem Mythos der radikal, der sich vor allem eben am Namen festmacht, von euch und euren LeserInnen umgegangen ? Das wer (ist) ja eine immerwährende Kritik, dem die radikal bisher öffentlich wenig entgegengesetzt hat.

radi: mythen werden wohl immer bestehen im politischen kampf, denn die meisten menschen brauchen fixpunkte und orientierungen, in gewissem sinne auch idole. das ist schließlich gesellschaftlicher normalzustand. so wie andere auf popstars abfahren, wird halt in der politszene z.b. eine gruppe hochgehalten und idealisiert.

der mythos 'radikal' nistete anfangs auch in unseren köpfen. je mehr du dich damit auseinandergesetzt hast, desto klarer kommt raus, worum es dabei geht und wie du dich davon befreist. also der mythos war zunächst weniger ein problem zwischen uns und leserInnen, sondern hauptsächlich der eigene konflikt. mythos ist ja ein ziemlich weitläufiger begriff. er wird in der politischen auseinandersetzung oft verwendet. meistens geht es darum, die substanz und basis eines kampfes zu verneinen. also nicht infragestellen, sondern zu sagen: da ist was aufgeblähtes und elitäres, zu dem ich mich nicht verhalten brauche und das sogar falsch ist. das soll jetzt nicht heißen, daß es keine mythen gibt, sondern wie damit politisch umgegangen wird. der mythos radikal hat dieselben ursprünge wie der mythos raf, rz oder der mythos hafenstraße. das geht noch weiter. es gibt den mythos des/der vermummten, der militanz oder der klasse, die das maul aufmacht und sich wehrt. wir möchten den begriff mal übersetzen mit vorbild oder bewunderung jenen gegenüber, die etwas sagen und tun, was du selbst gern sagen und tun würdest.
entscheidend ist, wie du selber damit umgehst. also es gibt vorbilder, aus deren erfahrungen und entschlossenheit du lernen kannst, weil du sie gleichberechtigt als Menschen siehst. das können viele bücher sein von leila khaled bis hin zu den texten der rz, die in vielen wg's die regale füllen. ihr vorhandensein sagt aber nix darüber, wie sie gelesen werden. viele machen aus den menschen übermenschen, sie werden bestaunt und ihre erfahrungen nachgeplappert. so wird aus lebendigkeit ein totes idal. vielleicht weil dein alltag keine Gleichberechtigung mit ihnen zuläßt. du kannst dich identifizieren, aber die radikalltät nicht bei dir selbst umsetzen. es gibt auch leute, die ihr minderwertigkeitsgefühl gegenüber ihren persönlichen mythen noch beschissener verarbeiten. die fangen dann nicht bei sich selber an, sondern zerfleischen eine an sich richtige politik, weil sie mit den eigenen Ansprüchen konfrontiert werden und die nicht raffen. das ziehn wir uns nicht aus dem kopf. solche phänomene haben wir abgekriegt, und es hat ziemlich lang gedauert, das auch so zu blicken. erst bist du überrascht und läßt dich immer wieder auf die kritik ein, bis du akzeptieren mußt, daß es gar nicht um kritik geht, sondern daß sich leute einfach wehren gegen die existenz der zeitung, die beteiligung fordert und ihre zufriedenheit angreift.
mythen verändern die realität, das geschehene verändert sich, was du siehst, wird etwas glattes ohne ecken und kanten. also ein abziehbild oder eine schablone, die jederzeit gezückt werden kann und konstruktive auseinandersetzung unmöglich macht. oft ist es egal, ob der mythos sich als vorbild oder haßsymbol bildet. meist wechselt das eine im laufe der zeit in's andere: karl's vorbild in der schule war immer atze, weil er gut im tor war, während er selbst nur mäßig spielen konnte. bis zum tag des schulturniers. da kassierte atze gleich 5 tore in einem spiel und wurde von der klasse total zur sau gemacht. karl hatte die wahl: mitbrüllen, also sein eigenes vorbild runtermachen, oder ihn verteidigen. ein vorbild gegen alle zu verteidigen geht aber nicht, denn es darf numal keine schwächen haben. ab da war atze nur noch der letzte depp, weil er im entscheidenden moment versagte und von karl's aufgebautem sockel fiel. ähnliche mechanismen spielten sich unserer meinung nach auch innerhalb der linken in den 70ger Jahren ab. als die raf den bewaffneten kampf aufnahm, gab es zunächst viel symphatie für diesen schritt. ihre methoden stießen auf bewunderung, ihre konsequenz schien unerreichbar. mit der zeit veränderte sich die guerilla in den augen vieler zu einem haufen übermenschen, die genosslnnen waren aus dem eigenen alltag verschwunden. als die euphorie nachließ und die zeit der rückschläge folgte, war es passiert. aus kritik wurde ablehnung, ein großteil der linken distanzierte sich und begann wenig später, die heldinnen von einst und vor allem die eigentlich gemeinsamen ziele zu bekämpfen.
das mag jetzt vereinfacht klingen, ist ja auch nur die eine seite der geschichte. wie mythen entstehen und welche auswirkungen sie haben, hängt auch von denjenigen ab, die merken müssen, wenn sie hochgejubelt werden. entscheidendes hat die raf selbst verbrockt. sie haben mit dem mythos politik gemacht, ihn sogar kräftig vorangetrieben, indem auf kritik meist selbstgefäälig geantwortet, und bewegungen und sonstige entwicklungen innerhalb der linken ignoriert oder höchstenfalls abfällig kommentiert wurden. die avantgarderolle bedingt unserer meinung nach die mythenbildung zu einem wesentlichen teil. andere haben gegen ihren mythos angekämpft, wie z.b. die rz. sie haben sich selbst als menschen in einer entwicklung beschrieben, mit ganz menschlichen problemen und engsten. ihre aktionen orientieren sich nicht ausschließlich am eigenen stand, d.h. es wird versucht, revolutionäre politik als wechselspiel zu entwickeln, damit sie für viele aus ihren eigenen bedingungen heraus machbar wird. das ist ein grundsätzlich anderer ansatz als jener der bewaffneten sperrspitze. wenn sie bricht oder stumpf wird, kannst du den ganzen speer wegwerfen. also es steckt sehr viel dahinter, ob du auf einem mythos aufbaust oder gegen ihn ankämpfst. einmal konzentrierst du dich auf die eigene position und verlierst den weg dorthin aus den augen. andersrum konzentrierst du dich auf diesen weg und förderst eigenständiges wollen und handeln. verschiedene positionen können sich dann ergänzen, es gibt nicht das allgemeingültige programm oder die absolute weisheit, nach der genosslnnen eingeteilt werden.
ein anderes beispiel, das wohl viele nachvollziehen können, ist, wie genosslnnen aus der hafenstraße politik gemacht haben. der mythos hafenstr. ist vorhanden in jeder phase ihres widerstandes, der den erhalt der häuser und eine weiterentwicklung von Leuten zum ziel hatte. die genosslnnen haben sich nicht in ihre häuser gesetzt und gesagt, schaut her wie gut wir drauf sind und bewegt eure ärsche. sie haben im stadtteil organisiert, sind in anderen politischen bereichert aktiv und haben ihre positionen und ihr selbstverständnis soweit vermittelt, daß radikale politik selbstbestimmt unterstützt wurde. dann haben sie in vielen städten nicht etwa podiumsdiskussionen geleitet, sondern sich selbst und ihre gefühle rübergebracht, die andere bei sich wiederfinden. also nicht gefordert und leere parolen geschwungen, sondern eigenständigkeit mobilisiert. das ist wohl ein wesentlicher grund für die solidarität mit der hafenstr.. sie hat vielmehr substanz als eine mythen-solidarität gegenüber heldInnen, und pflanzt sich von mund zu mund weiter.
wir reden gerade über andere kämfe und gleichzeitig über unseren. es gibt wohl unterschiede, also wir können uns z.b. nicht öffentlich hinsetzen und erzählen. im gegensatz zu den hamburger genosslnnen verschwinden unsere gesichter und unser leben hinter papier. ihre möglichkeiten haben wir nicht, weil die kommunikation aus der illegalität heraus nur abstrakt laufen kann. wir machen die zeitung, schreiben briefe und diskutieren mit genossInnen zu denen es ein vertrauen gibt innerhalb der gemeinsamen arbeit. oder wir machen dies interview. es ist eine andere ebene, im wesentlichen aber derselbe inhalt. auch wir haben an einem mythos mitgebastelt. zunächst die legale redaktion, indem mit selbstbewußtsein geprotzt wurde, von dem nach dem urteil 84 kaum was übrigblieb. in ähnlichem tonfall erschien auch die erste illegale ausgabe, wo der stolz, den bullen auf der nase rumzutanzen, nicht zu verkennen war. hinter dem selbstsicheren frohlocken steckte allerdings nicht viel substanz. schon der. titel der nr.128 - 'anleitung für den herzinfarkt von staat und staatsanwalt' unter einem abgebildeten grab - macht deutlich, daß wir uns eher am unterstellten zorn der gegner aufgebaut haben, als an eigener selbstbestimmung. ungewollt haben wir so eine mystische sichtweise bestärkt, weil sie auch unter uns vorhanden war. die radi erschien als selbstzweck gegen die repression, solange und sogut sie weiterbesteht und organisatorische antworten auf die jeweiligen Schläge findet. demgegenüber spielte der inhalt eine untergeordnete rolle, obwohl wichtigster faktor, wenn du sinn und zweck einer zeitung beurteilst.
an den folgen der anfangszeit haben wir auch heute zu knabbern. wir versuchen dem illegalen prestige unsere eigene veränderung entgegenzusetzen. in die zeitung soll einfließen, daß sie von stinknormalen menschen gemacht wird, die wie alle anderen auf demos gehen und weder gurus noch perfekt sind und sein wollen. wir haben schiß und pauer, sind schwach und stark. wir sind selbstbewußt, wenn viele zustimmen und zweifeln, wenn es arschtritte hagelt. aber wir wissen, daß sich eine kontinuierliche arbeit lohnt, egal in welchem bereich. daß du gruppen brauchst und banden, wo du dich gegenseitig auffängst und bestärkst, daß es keine alternative zu vereinzelung und kriminalisierung gibt, außer kollektivität und vertrauen. so kommen wir zusammen weiter, jeder in seinem und ihrem bereich.
jetzt noch was zum speziellen mythos, dem namen 'radikal'.
ob wir ihn beibehalten oder ändern, ist ein schwarz-roter faden in der diskussion der letzten jahre. hinzu kommt die kritik von außen: wenn gesagt wird, andere leute machen eine andere zeitung, dann ist das festhalten am namen 'radikal' nur noch ein festhalten an der symbolik.
da sind wir durch, also es ist kein zufall, daß die zeitung weiter so heißt. wir verbinden damit nicht nur einen namen, sondern eine gemeinsame entwicklung und ein selbstverständnis. keineR von uns würde heute eine andere zeitung ausprobieren. die alte redaktion hat die geschichte und das, was der name der zeitung ausgedrückt hat, in ihren letzten ausgaben so ziemlich versaut. der name stand relativ inhaltslos für eine fast schon institution der bewegung. viele genosslnnen kritisierten den ton der letzten ausgaben oder die schwammigen aussagen zum prozeß, unterstützten aber trotzdem. nach dem urteil wurde das projekt als gescheitert angesehen, und der damit verbundene mythos schien nicht mehr zu knacken. jedenfalls wurde die möglichkeit eines neuanfangs belächelt, und wir bekamen sogut wie keine unterstützung von denen, die vorher aktiv waren. das war lange der hintergrund unseres zappelns, daß wir innerhalb der damaligen szene so eine art privatding ohne perspektive abmachen. entsprechend schwankten wir zwischen selbstaufgabe und durchbeißen, wie in einem heiß-frostigen wechselbad. 'radikal' hat bedeutet, daß da ein tierisches vertriebsnetz liegt, um das sich keineR kümmert. es ging nicht darum, irgendeine zeitung oder überhaupt eine zeitung zu machen, sondern genau diese anhand der struktur die sich entwickelt hatte. der name stand für die möglichkeit, auch nach der repression mit neuen mitteln sinnvoll zeitung zu machen. und zwar ohne sich selbst irgendeinem politischen sachzwang unterzuordnen. als nächstes kamen taktische Überlegungen, mit denen iir von außen auch heute noch konfrontiert werden: wechselst du den namen, werden die bullen verarscht und du verschickst mit weniger panik denselben inhalt über denselben verteiler. das argument kommt immer wieder. in unserer diskussion ging es auch um die radi in die knäste - das waren nicht wenige zeitungen - die mit anderem namen evtl. häufiger an der zensur vorbeigehen.
je mehr wir überlegten, desto deutlicher wurde die kurzsichtigkeit der idee. du hast dich umgeschaut in der radikalen zeitungslandschaft, und die meisten waren regional und hatten verfahren am arsch. nirgendwo gab es eine offensive illegale organisierung, d.h. alle haben aufgehört früher oder später, wenn die repression zu stark wurde und kein entsprechender rückhalt vorhanden war.
der name radikal war bekannt, und eine breite verteilung war darüber möglich. also ein prima ansatz gegen die isolation in der illegalität. änderst du den namen der radi, werden die leserInnen schneller und länger verwirrt, als die repression.
den bullen geht es ja nicht um einen namen, sondern um den verbreiteten inhalt der zeitung. die kriegen ziemlich schnell den taktischen schachzug mit, jedenfalls schneller als die eigene struktur. mit der konkreten erfahrung im rücken haben wir ausgerechnet, daß die scheinbar neue zeitung ziemlich schnell als 'nachfolgeprojekt' oder sonstwas denselben 129a rangekriegt hätte. der einzige schutz dagegen wäre eine stärkere basis für die zeitung gewesen, und die war mitnichten in sicht. wir hätten uns wohl selbst schachmatt gesetzt und eine entwicklung wie sie heute stattfindet verbaut. insofern haben wir auf dem mythos 'radikal' auch aufgebaut. das hieß aber nicht, ihn zu akzeptieren, sondern möglichkeiten die bei keiner anderen zeitung vorhanden waren konstruktiv nutzen. während wir mit taktischen varianten jonglierten, wurde die wichtigste sache überhaupt klarer: wenn du taktierst oder nur daran denkst zu taktieren, muß vorher ein konkretes selbstverständnis da sein, über das jedwede tricks definiert werden. es muß klar sein, was wir überhaupt wollen. da wir gezwungen waren, uns mit den namen 'radikal' auseinanderzusetzen, hat sich einiges im gemeinsamen wollen darüber entwickelt. am anfang hat es sich etwa so angehört: wenn die schweine dir verbieten zu sagen und zu diskutieren, was wir wollen, dann ist das eine unverschämtheit. egal was in ihren gesetzen steht. und wenn sie deshalb eine zeitung mit dem namen 'radikal' verbieten, weichst du nicht aus, sondern organisierst dich besser, und machst genau die zeitung weiter. das hat nichts mit trotz zu tun, sondern wie aufrecht du selbst in den spiegel schauen kannst. wir müssen eh schon genug akzeptieren, aber das nicht. da ist unsere grenze erreicht. inzwischen können wir das selbstverständnis genauer beschreiben. da liegt ja eine längere entwicklung und immer wieder kritik von außen dazwischen. besonders nach der repression 86/87 mußten wir begründen können, warum die zeitung auch weiter so heißt. es geht dabei weniger um die symbolträchtige geschichte, sondern um unsere deutung des wertes 'radikal'. wir finden keinen besseren namen für diese zeitung, der unseren politischen ansatz besser ausdrücken würde. vielleicht hilft ein beispiel weiter: es gibt ja mehrere zeitungen, die als name ein hauptwort haben. das entspricht in etwa politischen positionen in der autonomen und antiimperialistischen bewegung. ein hauptwort ist etwas festes, während z.B. eigenschaftsworte alle hauptwörter beschreiben und interpretieren können. nach langem suchen hat sich die 'karlsruher stadtzeitung' später 'wildcat' genannt. die wildkatze ist das symbol bestimmter arbeitskämpfe, d.h. die genosslnnen haben in dem namen eine aussage für die politische position und den inhalt der zeitung getroffen. da kannst du einen ganz anderen politischen bereich erwarten, als bei einer zeitung, die z.b. 'zwischenlösung' genannt wird. wir haben kein hauptwort und auch keine ausschließliche position, unter der wir alles betrachten und einordnen. wir sehen radikale politik als etwas lebendiges, was sich ständig verändert, und vor allem von vielen unterschiedlichen menschen getragen wird. wir legen uns weder auf häuserkampf fest, noch auf z.b. anti-akw-kampf. in manchen bereichen ist der widerstand gegen etwas bestimmend, in anderen wird stark für selbständige ziele gekämpft. dann gibt es kämpfe und genosslnnen, die sich antiimperialistisch, sozialrevolutionär, antifaschistisch oder kommunistisch begreifen. kein ansatz beschreibt für sich genommen den weg zur revolution oder kann eine allesumfassende wahrheit vermitteln.
umgekehrt: in allen bereichen und mit jeder position werden wichtige ansätze verfolgt. sie müssen sich ergänzen und ineinanderfließen, damit etwas starkes gemeinsames rauskomt.'

noch einen schritt weiter: wir denken, daß viele autonome zu sehr von der eigenen betroffenheit ausgehen und andere kämpfe teils nichtmal wahrnehmen, weil sie nicht so spektakulär sind wie die eigenen. aber widerstand ist so vielfältig, wie es für die unterdrückten weltweit unterschiedliche bedingungen und möglichkeiten gibt, sich zu wehren und zu organisieren. viele kämpfe werden kaum beachtet, weil sich in andere menschen und situationen nicht reingedacht wird. oder es entstehen wunschbilder, die mit den wirklichen menschen nix zu tun haben. gerade die vereinzelten, spontanen und meist unspektakulären kämpfe müssen erkannt und unterstützt werden, damit die radikale linke eben teil einer revolutionären kraft wird. wenn wir näher hinschauen, ist eine wichtige verbindung der kämpfe ein neues klassenbewußtsein, das begriffe wie abhängigkeit, entfremdung, unterdrückung nicht allein auf das arbeits und lohnverhältnis reduziert. der antipatriarchale kampf der frauen hat z.b. deutlich gernacht, daß herrschaftssicherung und bevormundung nicht allein in der fabrik vorhanden sind, sondern daß unterdrückungsmechanismen erstrecht in familien und beziehungen zwischen männern und frauen ablaufen. es gibt nicht nur den klassischen rassismus gegen ausländerinnen, sondern die eine hälfte der menschen fast überall - die frauen - werden vom sexismus existenziell angegriffen. der kampf der frauen hat ein radikales selbstverständnis. theoretisch und praktisch darf der antipatriarchale ansatz in keinem kampf um autonomie und in keiner politischen position fehlen, wenn der widerstand konsequent für eine menschenwürdige gesellschaft eintritt. wir nehmen ein eigenschaftswort, das für jede hauptwort-position gültigkeit hat. wenn genosslnnen z.b. für kommunismus eintreten, dann müssen ihr theoretisches gebäude und ihre praxis die vorhandene realität radikal erfassen und radikal verändern wollen. nicht alle mittel heiligen den zweck, d.h. es gibt genug geschichtliche beispiele von beschissenen revolutionen, wo eine herrschaft die andere ersetzt. wenn das reale unterdrückungsverhältnis zwischen mann und frau nicht angetastet wird, wird die basis von elite und herrschaft nicht angetastet. das bezieht sich dann auch auf die treffsicherheit der kämpfe, also der alleinige klassenstandpunkt erfaßt das wesen von herrschaft, kapitalismus und faschismus nicht vollständig, und eine entsprechende politik stößt auf grenzen. radikal ist ja nicht irgendeine worthülse. das wort wird von vielen gebraucht, um ein selbstverständnis auszudrücken. es zeigt sich in der geschichte seit 68 und aktuell, daß zwischen 'der linken' und der 'radikalen linken' ein unterschied wie zwischen himmel und hölle bestehen kann. 'die linke' hätte nach dem verbot der zeitung aufgehört oder was neues probiert. 'die linke' agiert innerhalb des systems und klammert ihre persönliche existenz an kapitalistische nischen, während es für radikale eine logische konsequenz ist, innerhalb einer politischen entwicklung gejagt zu werden und wahrscheinlich im knast zu landen. die grenzen dazwischen sind fließend, entscheidend ist nicht immer was einer tut, sondern wie und mit welchem bewußtsein. du kannst z.B. innerhalb eines staatlichen apparates für leichte veränderungen eintreten, oder deine stellung zur radikalen sabotage nutzen. letzteres bedeutet, daß du von deiner position nicht abhängig werden darfst, daß du jederzeit bereit bist, woanders ganz neu anzufangen. zwischen den unterschiedlichen herangehensweisen liegt ein bruch, der dein ganzes leben bestimmt.
das wort radikal bedeutet an der wurzel anpacken, ursachen finden, angreifen und verändern. es bedeutet, den eigenen erfahrungsbereich auch verlassen zu können und z.b. nicht von frieden zu sprechen, während du selbst von mord und ausbeutung profitierst. eine solche sichtweise darf nicht bei moralischer betroffenheit enden, sondem in aktiver solidarität.
radikal bedeutet, daß 'persönlich' und 'politisch' nicht getrennt werden können. also es gibt nicht nur politische notwendigkeiten, sondern auch die eigene verweigerung im radikalen leben. es ist voller veränderung und risiken, und es besteht aus extremen höhen und tiefen, je mehr die ruhe bürgerlicher zufriedenheit und sicherheit verändert wird. ein radikales selbstverständnis setzt nicht nur bei einem feindbild an, sondern auch bei dir selber und deinen verhaltensweisen. so ähnlich gehen wir mit dem mythos radikal um. wir sprechen ihn an, wenn es möglich ist, und wir schreiben briefe und kommunizieren außerhalb der zeitungsarbeit, soweit wir die kraft und konzentration dafür aufbringen. wir denken, daß sich einiges schon verändert hat und sich in dem maße weiterverändert, je mehr genosslnnen in verschiedenen regionen mitarbeiten, statt außerhalb zu stehen. im wesentlichen geht es nur darum. es sind heute größtenteils andere leute als vor 5 jahren, die die radi lesen. je mehr ein eigenständiges und gleichberechtigtes verhältnis zu der zeitung entsteht, desto weniger wird über mythen gesprochen werden müssen. das wird hoffentlich auch jenen genosslnnen deutlich, die sich noch ziemlich stark an der geschichte der zeitung orientieren. welche genauer hinschauen, entdecken die schwächen und stärken der entwicklung über die jahre. mythen entstehen oft, wenn wenige aktiv sind. sind es viele, wird der mythos durch die machbare realität abgelöst, auch wenn sie gestern unrealistisch schien.

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 28.6.1997