Entengeschichten
Interview vom ID-Archiv mit der radikal (Teil VII)

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Teil II
Teil III
Teil IV
Teil V
Teil VI
Teil VII

ID-Archiv: Die linksradikale Szene ist ja nicht gerade arm an eigenen Publikationen.So unterschiedlich die Richtungen (autonom, anarchistisch, antiimperialistisch), so vielfältig sind die Zeitungen.Neben überregionalen, nennen wir sie mal Strömungsblätter mit unterschiedlichem Selbstverständnis, gibt es seit ca. 2 Jahren in einigen Städten sogenannte Infosammlungen.U.a. erscheint in Berlin wöchentlich 'Interim', in Hamburg 'sabot', für das Rhein/MainGebiet gibt es 'Swing' und das 'Rhein-Main- Info'.Die Zeitungen veröffentlichen Flugblätter, Erklärungen und Texte zur linksradikalen Diskussion, meist unkommentiert und ohne größeren redaktionellen Teil.Manchmal bezeichnen sie sich selbstkritisch auch als "Dienstleistungsunternehmen' für die Szene.Worin seht ihr die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der radikal zu anderen linksradikalen Zeitungen, und läßt sich deraus eine konkrete Perspektive für das Projekt 'radikal' entwickeln ?

radi: du nennst ganz bestimmte beispiele aus ganz bestimmten städten: vor der 'Interim' in Berlin gab es die radi als Stadtzeitung, vor der `sabot` in hamburg gab es die 'große freiheit' und vor `swing' und 'rhein-main-info' die 'krasse zeiten' in rhein/main. zufall oder nicht, die beispiele sind treffend und leider einzigartig, oder? berlin, hamburg und rhein/main sind die zentren der radikalen linken, die metropolen. die geschichte und kontinuität der politischen arbeit wird an genau diesen drei punkten immer wieder zeitungen hervorbringen. ein großes ABER: obwohl sich viel dort konzentriert und impulse ausgehen, sind sie nicht repräsentativ. du kannst die zeitungen und infos gar nicht zählen, die in kleineren städten oder in der provinz kursieren, z.b. hinterland im wendland, 'Aufruhr' im ruhrgebiet, 'freiraum' in bayern, alle mit ihrer eigenen geschichte. unser verhältnis zu allen zeitungen des widerstandes ist durchweg solidarisch. mit fast allen ziehen wir am gleichen strang, auch wenn wir woanders anpacken. der zusammenhalt ergibt sich aus der gemeinsamen arbeit, denn mit jeder zeitungsarbeit veröffentlichst du dich auch selber, d.h. auch wenn wir die genossInnen nicht persönlich kennen, werden uns durch die zeitung ihre positionen und die menschen dahinter bekannter. hinter dem 'knispelkraant' haben wir lange vor dessen boykott ein kaderdenken vermutet, weil mit der zeitung eben kaderpolitik vermittelt wird. früher hießen die zeitungen 'Gegenwind, eschhausheft, blatt, große freiheit', um relativ bekannte zu nennen. lauter namen, die heute vielen nichts sagen. es waren regionale oder stadtzeitungen, die nicht allein infos von unten oder eine plattform für diskussionen gewährleisten wollten. die redaktionen hatten den anspruch, auch selber politik zu machen, d.h. linien verfolgen und statt relativ neutraler dokumentation besonders auswahl und bewertung derselben. im prinzip mußte der ganze inhalt der zeitung diskutiert werden, egal ob er von dir selbst oder von außen kommt. vom anspruch und arbeitsaufwand her, ist das ein großer unterschied zu den heutigen infosammlungen. fast alle zeitungen sind verschwunden. wegen der repression, und weil sie über jahre oft nicht das bewirken konnten, was sie anstrebten. dazwischen gab es den versuch, daß sich mehrere regionale redaktionen koordinieren und zusammen eine bundesweite zeitung herstellen. es war gedacht als schutz gegen die repression, und als versuch, über die bündelung der kräfte mehr wirkung und verankerung in der radikalen linken zu erreichen. das konzept einer bundesweiten autonomen zeitung, getragen von mehreren redaktionen, ist später von der unzertrennlich' aufgegriffen worden. aber trotz der 2jährigen praxis scheint auch auch hier nicht die struktur möglich, die das projekt tragen müßte.
die entwicklung der radi hat viel mit der geschichte anderer und den 'alten' ansätzen an zeitungsarbeit zu tun. wir haben wenig mitgemacht, aber umso mehr beobachtet. wir halten zwar auch eine bundesweite zeitung für notwendig, und es ist auch realistisch, daß besser viele gruppen ihre kraft in ein projekt reinstecken, als einzeln einzugehen. aber alleinige erwägungen der vernunft machen die praktische zusammenarbeit noch lange nicht möglich. wir haben uns rausgehalten, weil wir nicht nur eine bundesweite, sondern auch eine verdeckt organisierte zeitung wollten, und die damalige diskussion ging in die entgegengesetzte richtung. darin steckt keine wertung, weil es zu jedem ziel unterschiedliche wege geben kann. trotzdem können sie in der praxis konkurrieren. es gibt eh nur wenige genosslnnen, die zeitungsarbeit zu ihrem politischen schwerpunkt machen wollen, und wenn es zu viele projekte gleichzeitig gibt, können alle an der aufsplitterung der kräfte scheitern. das ist keine theorie, sondern eine individuelle entscheidung die wir erlebt haben.
die vergangenheit kann in der kürze nur oberflächlich beschrieben werden, manche mögen uns kreuzigen. es kommt uns darauf an, daß die heutigen infosammlungen in einem zusammenhang gesehen werden.'interim' oder 'swing' sind eine weiterentwicklung des alten stadtzeitungskonzeptes. sie fordern eine selbständige beteiligung nicht nur ein, sondern machen sie zur voraussetzung ihrer zeit. das ist direkt und entspricht autonomen selbstverständnis. nicht einige spezialistinnen schaffen ein Organ für alle und fördern bewußtsein, sondern sie bauen auf etwas vorhandenem auf. sie schaffen die voraussetzung, die technischen möglichkeiten für ein kommunikationsmittel, das, wenn es vorhanden ist, schon fast automatisch von unten genutzt wird. und wenn ein großteil der inhaltlichen verantwortung für die redaktionen wegfällt - denn es sind ja gar keine redaktionen mehr, die sich die verantwortung für das geschreibsel anderer reintun - dann können sie ihre kraft darauf verwenden, daß die zeitung häufig erscheint. und dann wird sie zum forum für aktuellen austausch und diskussionen. es ist ja so, daß die häufigkeit einer zeitung entscheidend dafür ist, ob und wie intensiv sie genutzt werden kann.
das wort "dienstleistungsunternehmen" verstehen wir weniger als selbstkritik, sondern als treffenden zynismus. die genossInnen machen eine absolut notwenige arbeit, die für viele einen nutzen hat. sie stecken unbezahlte arbeitskraft in die verwirklichung einer voraussetzung, auf der alle aufbauen können, ohne daß bedingungen gestellt werden. ihre arbeit vermindert die arbeit anderer, also wenn konkret ein flugi oder ein diskussionspapier verbreitet werden soll, müssen nicht einzelne hundertfach durch kneipen laufen, sondern es nur in einen postkasten stecken. der umgekehrte weg wird auch erleichtert. es ist weniger notwendig, sich auf die taz zu verlassen oder die einzelnen infos sonstwoher zusammenzuklauben, denn du kriegst sie gebündelt und relativ aktuell in einer zeitung. eine infosammlung können viele machen, wenn sie sich dafür zeit nehmen. obwohl deren notwendigkeit und praktischer nutzen für autonome strukturen offensichtlich ist, sind kaum welche dazu bereit. stattdessen werden manchmal erwartungen z.b. gegenüber der 'interim' formuliert, die an den absichten der genossInnen ziemlich vorbeigehen.
warum müssen die soviel mehr verantwortung übernehmen, bloß weil sie etwas tun, was andere nicht auf die reihe kriegen? es ist doch klar, daß welche aus dem zugeschickten inhalt auswählen, und das passiert logisch nach den eigenen kriterien. es wird nirgendwo behauptet, daß sie für alle richtig oder allgemeingültig sind. wenn welche anders bewerten, dann sollen sie eine neue zeitung machen. -das kann nur konstruktiv sein, weil die vielfalt ein bestandteil radikaler politik ist. es ist leider nicht unüblich, daß eher die praxis anderer kritisiert und miesgemacht wird, statt selber aktiv zu werden und es einfach besser zu machen.

das wollen wir in dem zusamenhang schon mal loswerden: im prinzip "dienstleistung" auch für andere. in der heutigen situation kassierst du für deinen idealismus den lohn der angst. leserInnen müssen befürchten, daß sie ein kommunikationsmittel verlieren, aber die redaktionen autonomer zeitungen dürfen sich über kurz oder lang auf prozesse und knast einstellen. in derselben zeit, wo du papier schichtest, beschreibst und versuchst, mit der verantwortung dabei klarzukommen, könntest du dir auch einen schönen lenz machen oder im lebendigen alltag mitdiskutieren und mitmischen. also eine "dienstleistung" wird normalerweise bezahlt, und wenn diese motivation wegfällt, muß ein anderes interesse vorhanden sein, mit dem soviel streß eingegangen wird. klar, es kann selbstzweck und eigennutz sein. speziell mit der radi könntest du dich daran berauschen, daß wir mit der macht der hohen auflage unseren senf durch die gegend pusten, weil allein das wort 'illegal' ansehen und prestige in gewissen kreisen einbringt.
wir würden uns wünschen, daß so manche leute ein bißchen weiterdenken, und dabei nicht vergessen, daß eine zeitung nicht unbedingt von machtbesessenen gemacht werden muß. vielleicht ist vorstellbar, daß aus einer kritik u.a. am monopol und der politik der taz etwas konstruktiv neues probiert werden könnte, das eher vertrauen als mißtrauen braucht. welche eine zeitung machen, stehen immer auf der patte, weil eine zeitung eben was öffentliches ist. uns persönlich wäre es recht, wenn andere den job weitermachen, denn dieses im rampenlicht stehen, würden wir oft und gerne gegen einen platz im publikum eintauschen. empörung beiseite, zurück zur sachlichkeit. wir haben ja weiter oben versucht zu erklären, daß wir von der grundsätzlichen verbundenheit aller zeitungen ausgehen, die von unten gemacht werden und nicht gewinnorientiert funktionieren. daß einige anarchistisch oder antiimperialistisch argumentieren, und wieder andere antifaschismus oder klassenbewußtsein im betrieb zu ihrem schwerpunkt machen, ist eine stärke. all diese ansätze sind in der radikalen linken vertreten. wir denken, daß keine einzige position die alleinvertretung beanspruchen kann. wenn du so willst, ist das eine art arbeitsteilung.
auch daß die meisten zeitungen legal und offen vertrieben werden und die radi verdeckt, sehen wir als ergänzung. im ersten fall entsteht gegenöffentlichkeit durch - sagen wir mal - die dokumentation unterdrückter nachrichten und diskussionen, die anhand legaler strukturen viele erreichen können. im zweiten fall kann offen und deutlich position bezogen werden. das wird verboten, und deshalb sind die möglichkeiten der verbreitung begrenzter. noch deutlicher wird die ergänzung, wenn du wirkung und inhalt der regionalen zeitungen mit der von überregionalen zeitungen vergleichst. erstere veröffentlichen kontinuierlich infos und ermöglichen lebendige diskussionen. nicht wenige greifen zum stift und schreiben ihre einschätzung auf, weil es eine zeitung gibt, die das veröffentlicht. wenn dann z.b. 'Swing' in anderen regionen ausliegt, können sich die dortigen genossInnen ein bild davon machen, was innerhalb der bewegung in rhein/main abläuft und gerade diskutiert wird.PRIMA! noch primeliger wär's, wenn jede region und bewegung ihre eigene zeitung hätte.
die radi ist erstens bundesweit und zweitens illegal. die ausgaben in großen abständen können weder eine regionale entwicklung vermitteln, noch in aktuelle entwicklungen eingreifen. aber wir können schwerpunktmäßig dort weitermachen, wo das regionale oder die reine dokumentation aufhört, bzw. auch in regionen forschen, wo es keine infosammlung gibt.
wenn z.b. tonnenweise flugblätter zu einem ereignis wie dem 1. mai in kreuzberg erscheinen, ist es notwenig, sie zusammenzufassen und wesentliche positionen herauszuarbeiten. erstmal geht es um die genossInnen in der provinz und in anderen politischen bereichen, die hauptsächlich auf die medienberichterstattung angewiesen sind, weil sie keine eigenen zeitungen oder korrespondentInnen vor art haben. sowas könnte auch für berlin selbst notwendig sein, wenn sich dort keiner die mühe einer umfassenden nachbereitung macht, bzw. diese veröffentlicht. dasselbe gilt für den hungerstreik. trotz regionaler infobüros gibt es keine zusammenfassung der bundesweiten und internationalen solidaritätsaktionen. wenn du dir das info der angehörigen durchließt, entsteht das bild, der streik der gefangenen wäre allein von einer öffentlichkeitskampagne unterstützt worden. außerdem wird allein durch die gewichtung eine wertung des kampfes von gefangenen aus der guerilla zu anderen gefangenen vorgenommen. wir sehen das anders. es mag sein, daß viele direkte und militante aktionen im info deshalb fehlen, weil wegen der repression nicht darüber berichtet werden kann. gut oder schlecht, jedenfalls ein beispiel der ergänzung, denn in der radi ist das möglich.
es fallen uns noch eine menge politische themen ein, die versanden oder oberflächlich bleiben, weil sich nicht weitergehend damit beschäftigt wird. wenn ein großteil der radikalen linken von einem ereignis zum nächsten hechtet, sollte die wiederholung von fehlern vermieden werden. dazu ist eine genauere aufarbeitung der kämpfe notwendig. regionale sammlungen wollen und können das nicht leisten, sie veröffentlichen das, was vorhanden ist. das tun wir zwar auch, aber bei einigen sachen können wir es nicht dem zufall überlassen, ob sich nun in der szene eine auseinandersetzung entwickelt oder nicht. schließlich ist unser blickwinkel ein anderer. wir versuchen regionale entwicklungen danach zu beurteilen, ob sie bundesweit von bedeutung sein können. die schwerpunkte der radi suchen wir auch unabhängig aktueller ereignisse, z.b. wenn sich regional etwas wiederholt, was mal grundsätzlich auseinandergenommen werden müßte. bei der nr.137 war ein schwerpunkt 'faschismus', vorher ging es um `spitzel in der radikalen linken und widerstand. in beiden fällen haben wir eine übersicht und zusammenfassung versucht. noch ein punkt, an dem sich die arbeit ergänzen kann: in einigen Großstädten besteht ein derartiges angebot an zeitungen, broschüren und flugis auch aus anderen regionen und ländern, daß nur ein bruchteil davon überhaupt gelesen werden kann. woanders existiert gar nix, außer der taz oder zeitweilig auch 'clockwork'. also während hier im Überfluß ausgewählt werden kann, was du von woanders erfahren willst, besteht in dem woanders nichtmal die möglichkeit zur auswahl. der extrem unterschiedliche informationsstand begründet das gefalle innerhalb der radikalen linken, das zuallererst ausgeglichen werden muß, bevor über eine gerneinsame strategie auch nur spekuliert wird. es sei denn, sie beschränkt sich auf einen stadteil wie kreuzberg oder auf eine region wie rhein/main.
wenn in der radi anhalte auftauchen, die auf dem politischen stand in der provinz oder bei nicht so ganz radikalen menschen ansetzen, gibt es aus der metropole schelte: das wissen wir doch schon lange, sagen genossInnen. die arroganz in dieser sichtweise haben wir schon so fressen müssen, daß wir kaum noch darauf eingehen. bedauerlich ist nur, daß es schön wäre, wenn genosslnnen bei sich mehr wert darauf legen würden, ihre politik und entwicklung nicht allein dem bewährten dunstkreis zugänglich zu machen. immerhin reden viele von perspektiven mit so wertvollen aber oft abstrakten begriffen wie 'revolutionäre basis' oder dergleichen. an dieser stelle hätten regionale zeitungen auch für unsere arbeit eine große bedeutung, wenn sie über die ursprüngliche region hinaus breiter verteilt werden würden. das ist aber leider nicht der fall, denn sie entstehen und wandern meistens nur von einer metropole in die andere, und die überwiegende mehrheit an unbekannten zeitungen geht überhaupt nicht rum. solang das so ist, werden in der radi immer wieder artikel oder flugis auftauchen, die in der metropole bekannt sind, aber woanders nicht.

so, jetzt sind wir am ende. das faß ist leer. immerhin ist Sommer, und wir hocken hier rum, voller neid auf das leben draußen. wenn es nicht so verdammt wichtig wäre, was in diesen seiten von 5 jahren rüberkommt...
wir können uns das kaum noch vorstellen. vielleicht politrocker für die einen, und pubertäre schwachköpfe für die anderen. zum glück sind wir beides. aber bitte nicht vergessen, wir sprechen als eine gruppe nicht unbedingt für alle. trotzdem hoffen wir die gemeinsame basis hingekriegt zu haben, was meint ihr "alle"? wenn uns welche jetzt ankacken wollen - unsere adresse ist bekannt. bitte nicht vorsichtig sein und mit balsam blubbern, wir vetragen harte kritik ganz gut, wenn sie ehrlich ist. wir sind auch ehrlich gespannt darauf. distanzierungen über die blume wandern in den müll, aber wir lesen vorher umd wissen dann, warum ihr uns für trottelInnen haltet.
ansonsten sind wir froh, wenn die struktur bis in's unermeßliche wächst.
wenn ihr wollt, bestellt die radi, beteiligt euch inhaltlich, macht eigene zeitungen, wir werden gewinnen.

kein daumen der reglementiert.
scheiß bullen, scheiß staat!
venceremos!

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 28.6.1997