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FEBRUAR 2004

One Way Zupfer

Friede - die Fortsezung des Krieges mit anderen Mitteln...


9 Monate sind mittlerweile vergangen, seit Georg W. Bush am 1. Mai des vergangenen Jahres das offizielle Ende der Kriegshandlungen im Irak verkündete. Das Land ist seither nicht zur Ruhe gekommen, im Gegenteil: Die wirtschaftlichen Verhältnisse für die Menschen im Irak haben sich weiter verschlechtert und der Widerstand gegen die Besatzungstruppen wächst Tag für Tag. Von den propagierten Kriegsgründen der US-Regierung und ihrer Verbündeten ist nichts mehr geblieben, hingegen hat der Ausverkauf des Landes an transnationale Konzerne unter Führung der US-Wirtschaft längst begonnen.

Nachkriegschaos

Es sollte schon was ganz besonderes sein. Ein Flugzeugträger auf dem offenen Meer vielleicht, um der Welt heroisch und im Kreise seiner tapferen Jungs, den Sieg über Saddam Hussein und das Ende der offiziellen Kriegshandlungen im Irak zu verkünden. Wie so vieles in diesem Krieg zerplatzte auch dieser Auftritt des US-Präsidenten in seiner eigenen Propaganda. Denn wer glaubt, der Krieg sei damit zu Ende, der irrt gewaltig. Statt einer regulären Armee steht den Invasoren nun ein irakischer Widerstand gegenüber, der die Taktik des Guerilla-Kriegs anwendet und damit die Besatzungsmächte gehörig in Bedrängnis bringt, denn auf politischer und militärischer Ebene steht die USA im Irak kurz gesagt vor einem Chaos. Nur ein geringer Teil der irakischen Bevölkerung unterstützt die Besatzer, auf politischer Ebene sind dies fast ausschließlich die Exil-Irakischen Oppositionsgruppen, die vom Westen gefördert und aufgebaut wurden. Eine konservativ-liberale und nach Ethnien aufgeteilte Machtclique, die die wenigen Pfründe durch ihre Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten unter sich aufteilen wollen. Und sie sind es auch, die größtenteils das belanglose Marionettenkabinett der US-Besatzungsbehörden stellen, den sog. Irakischen Übergangsrat, der nur wenig Vertrauen in der irakischen Bevölkerung genießt. Auch ein Großteil derjenigen Gruppen, die bis zum Ende des Baath-Regimes in blutiger Opposition zu Saddam Hussein standen und z.T. auch die US-Invasion gut hießen, fordern heute den schnellstmöglichen Abzug der Besatzungstruppen und unabhängige Wahlen. Schiitisch-religiöse Gruppen demonstrieren dafür mit Tausenden Anhängern im Süden des Landes und auch im Norden erhöht die kurdische Bevölkerung den Druck auf ihre politischen Führungsclans. Wieder einmal träumen die Kurden und Kurdinnen von einem selbstverwalteten Land und Unabhängigkeit und wieder einmal werden ihnen die USA einen Strich durch die Rechnung machen, wenn sie als 5. Kolonne nicht mehr benötigt werden. Und der Türkei versicherte die US-Regierung bereits, sie werde keine kurdische Unabhängigkeit zulassen. Der Türkische Generalstab drohte den irakischen Kurden seinerseits mit einer „schweren und blutigen Zukunft“, sollten sie weiter an ihren Autonomieplänen festhalten. Die nächsten Konflikte sind also bereits vorprogrammiert. Und neben all dem hat sich ein bewaffneter Widerstand etabliert, von dem die USA noch Alpträume bekommen könnten. Während die einen für den Abzug demonstrieren, richtet sich die USA militärisch immer deutlicher langfristig ein, in ihrer eigenen Militärmachtsstrategie ist lediglich die Ausbildung von irakischen Fußsoldaten, Sicherheitskräften und Polizeieinheiten vorgesehen, die als Kanonenfutter gegen die gut organisierten Guerillagruppen eingesetzt werden und damit selbst immer mehr zum Angriffsziel werden, während sich die US-Truppen verstärkt im Hintergrund halten wollen, um die Zahl in Plastiksärgen zurückkehrender GIs zu reduzieren. Die für Juli geplanten Wahlen sollen nach US-Plänen und unter Mithilfe der UN nun auf einen Nimmerleinstag verschoben werden, da es für Direktwahlen im Irak, so die US-Regierung, noch zu früh sei und die für Juli anvisierte Übergangsregierung deshalb von US-gesteuerten Wahlausschüssen bestimmt werden sollte. Nachdem die Suche nach Massenvernichtungswaffen bereits eingestellt wurde, da es diese einfach nicht gab, wie mittlerweile selbst höchste US-Regierungsbeamte zugeben müssen, hegt die USA auch keine Zweifel, dem postsaddamistischen Irak die Unabhängigkeit vorzuenthalten.

Wirtschaftlicher Ausverkauf

Zupfer im PanzerNeben all dem Chaos, das im Irak herrscht, setzt die USA allerdings in einem anderen Sektor konsequent ihre Pläne und damit die realen Gründe des Krieges um: Denn der ökonomische Ausverkauf des Landes läuft bereits auf Hochtouren. Und hier wurden die wesentlichen Weichen auch schon lange zuvor gestellt. In einem 100 seitigen Papier des US State Departement wurden u.a. die Wirtschafts- und Steuergesetzgebung, Copyright-Bestimmungen sowie der Umbau des Bankensektors detailliert vorformuliert, selbst an den Entwurf eines Antrags auf Mitgliedschaft des Iraks in der WTO wurde gedacht. Dabei geht es nicht nur um die oft erwähnte Aneignung der Ölressourcen des Iraks, sondern u.a. auch um die Gesundheitsdienste, Wasser, Elektrizität, Transport, Erziehung oder Telekommunikation. Alle staatlichen Betriebe und Einrichtungen einschließlich der Grundversorgung sollen nach den neoliberalen Wirtschaftskonzepten privatisiert und somit an ausländische und transnationale Konzerne übergeben werden. Im September 2003 verabschiedete die Besatzungsbehörde ein radikales Wirtschaftsprogramm, das ausländischen Unternehmen erlaubt, irakische Unternehmen zu 100% zu übernehmen. Knapp 200 staatliche Unternehmen wurden bereits zum Ausverkauf freigegeben. Eine Ausnahme stellt nur die Öl- und Gaswirtschaft, die weiterhin einem US-geführten Fonds unterstellt bleibt. Begonnen wurde auch mit einer bereits im Juni 2003 während einer WEF-Tagung angekündigten „Schocktherapie“ für den Irak: Die totale wirtschaftliche Öffnung des Iraks und Streichung aller staatlichen Subventionen. Sie beraubt die Bevölkerung der bisherigen staatlichen Unterstützung und treibt die angeschlagenen irakischen Firmen und landwirtschaftlichen Betriebe damit vollends in den Ruin. Auch hier hat der Krieg eine neue Form angenommen, über die Besatzung zur Invasion der Konzerne. Erst im Januar wurden auf einer 5-tägigen Wirtschaftsmesse in Kuwait unter dem Titel „Rebuild Iraq“ Vertragsabschlüsse im Wert von 50 Milliarden Dollar unterzeichnet, mehr als 1350 Firmen aus 48 Ländern nahmen daran teil. Auch 60 deutsche Unternehmen waren in Kuwait, die nun auch wieder auf Vertragsvergaben hoffen dürfen, da Gerhard Schröder einige Tage zuvor den Einsatz deutscher Soldaten zur Aufrechterhaltung der US-Besatzung im Irak in Aussicht gestellt hatte. „Der Reichtum des Landes wird nun in einer offenen internationalen Auktion verscherbelt“ schrieben drei historische Führungspersönlichkeiten der irakischen KP. Der Großteil der Menschen hingegen hat nach den Kriegen und einem 13-jährigen Wirtschaftsembargo noch weniger zu lachen als bisher. Neben der weiterhin fatalen Gesundheitsversorgung und der Einstellung aller staatlichen Hilfsleistungen sind mehr als sieben Millionen Menschen oder 70% der Arbeitskräfte derzeit ohne Arbeit und Einkommen, können sich und ihre Familien nicht weiter ernähren oder haben keine Wohnungen mehr. Hinzu kommt der permanente Ausnahmezustand im andauernden Krieg der USA gegen die irakische Bevölkerung durch Bombardements, unzählige Tötungen, über die es keine Statistiken mehr gibt, sowie massenhafte Verhaftungen: Mehr als 16.000 Menschen sollen sich derzeit rechtlos in US-Gefangenschaft befinden.

Widerstand

Kein Wunder also, dass sich Tausende Menschen dem irakischen Widerstand anschließen, der so vielfältig ist, wie die Bevölkerung selbst. Selten ist es einer Widerstandsbewegung so schnell gelungen wie im Irak, die Niederlage der regulären Militäreinheiten in einen schlagkräftigen Guerilla-Krieg umzuwandeln. Wer genau hinter den jeweiligen tagtäglichen Anschlägen im Irak steckt und wie viele Menschen sich dem bewaffneten Kampf gegen die Besatzung angeschlossen haben, darüber rätseln auch die US-Geheimdienste. Dafür versuchen sie, den bewaffneten Widerstand generell als Terror zu diffamieren und dieses Bild kommt auch mehr und mehr in den westlichen Medien an. Doch so einfach ist es nicht: Die verschiedenen Widerstandsgruppen, denen bis zu 30.000 Menschen angehören sollen, verfolgen unter der gemeinsamen Prämisse der Beendigung der Besatzung durchaus unterschiedlichste Ziele und agieren mit unterschiedlichen Aktionen. Teil des Widerstands sind zum einen die Anhänger Saddam Husseins, der ehemaligen Regierung und der Baath-Partei, rechte, arabisch-nationalistische Gruppen, vereint mit ehemaligen Mitgliedern der irakischen Armee. Zum anderen kämpfen aber auch fundamental-islamistische Kräfte gegen die Besatzung, die mit dem Sturz Saddam Husseins starken Zulauf erhalten haben. Daneben beteiligen sich auch demokratische und linke Kräfte am bewaffneten Widerstand, ihr Einfluß ist allerdings geringer als der der oben genannten Gruppierungen. Hauptangriffsziele der Widerstandsgruppen sind die Besatzungsarmeen, aber auch die Kollaborateure der Besatzung werden von vielen mittlerweile als legitimes Angriffsziel betrachtet. Die Kommunistische Partei Iraks (Kader) veröffentlichte Anfang des Jahres eine erste Bilanz: Bislang seien demnach 3250 US-Soldaten gefallen, 3440 verletzt und 1120 Militärfahrzeuge, 55 Eisenbahnwaggons, 52 Helikopter, 4 Transportflugzeuge, 5 Kriegsschiffe zerstört worden. Bis dahin sollen 83 Angriffe auf Pipelines und 98 Angriffe auf US-Stützpunkte durchgeführt worden sein. Das US-Militär spricht dagegen Ende Januar von nur etwas mehr als 500 toten Soldaten. Auch die offizielle Zahl der Kriegsdienstverweigerer in Höhe von knapp 10.000 US-Soldaten dürfte stark untertrieben sein. Die Schlagkraft und Beweglichkeit der Guerilla lässt sich wohl nur durch ihren starken Rückhalt in größeren Teilen der Bevölkerung erklären.

Volksfrontkonzept?

Ähnlich wie in Palästina haben sich unterschiedliche Widerstandsgruppen zu einer taktischen sog. antiimperialistischen Front zusammen geschlossen, mit dem primären Ziel der Bekämpfung und Vertreibung der Besatzungskräfte, auch wenn sie im Grunde erbitterte Gegner sind, die vollkommen diametrale Vorstellungen über zukünftige Gesellschafts- und Ökonomiesysteme haben. In der Geschichte antiimperialistischer Befreiungskämpfe gab und gibt es dieses Phänomen immer wieder, eine zunächst gemeinsame Front gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner aufzubauen. In der chinesischen Revolution hatte diese Strategie beispielsweise Erfolg, eine gemeinsame Front mit reaktionären Kräften gegen den japanischen Imperialismus aufzubauen, was dann im weiteren Verlauf der Revolution zu einem Sieg der KommunistInnen führte. In Indonesien oder im Iran hatte allerdings ein Bündnis mit der reaktionären und radikal-islamistischen Bewegung fatale Folgen für die Linke, die letztendlich vollkommen zerschlagen wurde. Es ist also auch eine Frage der Kräfteverhältnisse, und im Irak scheinen die reaktionären, nationalistischen und islamistischen Gruppen unverhältnismäßig stärker zu sein, als die linken Kräfte, was im konkreten Fall also gegen eine Bündnispolitik und Volksfrontpolitik sprechen würde. Zahlreiche Anschläge auf kommunistische Büros und Zentren der letzten Monate weisen auch in diese Richtung. Die Linke selbst ist im Irak dabei uneins und stark zersplittert. Von der ursprünglichen Kommunistischen Partei haben sich unzählige Gruppierungen abgespalten, die heute einen mehr oder weniger großen Einfluß auf die Gesellschaft ausüben. Während die Führung der offiziellen KP offen mit den Besatzern kollaboriert und damit immer mehr Unterstützung an der Basis verliert, befinden sich die meisten anderen Gruppen im Widerstand, zum Teil auch bewaffnet. Breite Kritik wird allerdings an Aktionen geäußert, bei denen ZivilistInnen miteinbezogen werden aber auch am eben beschriebenen Volksfrontkonzept gibt es viel Kritik. Die ArbeiterInnenklasse und verarmte Bevölkerung brauche einen unabhängigen und eigenen Ausdruck und müsse den Widerstand gegen die US-Besatzung eigenständig führen. Eine politische Sprengkraft könnten auch die neu entstandenen nichtlegalen Gewerkschaften bekommen, allen voran die Bewegung von Arbeitslosen, in denen die Linke verankert ist. Doch auch sie geraten ins Ziel der Besatzungsmächte, auf mehreren Demonstrationen starben Gewerkschafter und Arbeitslose im Kugelhagel britischer Soldaten, andere werden verhaftet und ihre Publikationen verboten. Denn was im Irak veröffentlicht werden darf, bestimmt einzig und allein die Besatzungsverwaltung.

Kritik und Solidarität

Für die weltweite Antikriegsbewegung steht der Kampf gegen die Besatzung und die Solidarität mit der irakischen Bevölkerung weiter ganz oben auf der Tagesordnung. Insbesondere die Bewegungen des Trikonts zeigen dabei ihre Entschlossenheit, wohl auch deshalb, weil sie alle ihre eigenen Erfahrungen mit dem US-Imperialismus haben. Auf dem Weltsozialforum und dem zeitgleichen Mumbai-Resistance-Treffen der radikaleren Gruppen war der Irak eines der zentralen Themen und für den 20. März, den Jahrestag des Beginns des Angriffskrieges auf den Irak stehen weltweit Massenproteste an. Der Ausflug nach Indien tat dem WSF scheinbar gut, da er das Kräfteverhältnis zwischen der westlich/europäischen Mittelstandslinken und den Basisbewegungen des Trikonts zu Gunsten der Letzteren verschoben hat. Und selbst die prominente indische Schriftstellerin Arundhati Roy sprach dabei klare Worte, und rief zum globalen Widerstand gegen die Besatzung im Irak auf. Aufgrund der aggressiven imperialistischen US-Politik müsse sich die Globalisierungsbewegung „als im Krieg befindlich betrachten“. Eindeutige Worte und sympathisch oben drein, die sie in ihrer Analyse der radikalen Linken näher rückt: Krieg dem imperialistischen Krieg. Während sich die friedliebende DFG-VK mit ihrer pazifistischen Kritik an Roy ins Abseits manövriert, sorgt innerhalb der radikalen Linken eine andere Kampagne für Diskussionsstoff: Unter dem Titel „10 Euro für den irakischen Widerstand“ rufen mehrere antiimperialistische Gruppen zur Unterstützung der „Irakischen Patriotischen Allianz“ (IPA) auf, die das Volksfrontkonzept in die Praxis umzusetzen versucht, in der die Linke allerdings nur marginal vertreten ist. Aus diesem Grund stößt die 10 Euro-Kampagne auf heftige Kritik und wenig Zuspruch in großen Teilen der Linken. Gemeint sind damit nicht die unsäglichen Verlautbarungen antideutscher BellizistInnen, die wohl lieber heute als morgen in einem us-amerikanischen und israelischen Gemeinschaftsprojekt den Abwurf von Atombomben über allen arabischen Staaten gutheißen würden. In Nürnberg stößt die Kampagne wie in zahlreichen anderen Städten bis auf vereinzelte Ausnahmen auf wenig Gegenliebe. In einer Stellungnahme der organisierten autonomie (oa) zur aktuellen Diskussion und über die Zukunft der linken Antikriegsbewegung heißt es dazu u.a.: „Natürlich ist der bewaffnete Widerstand im Irak gegen die Besatzungsmächte legitim. Und nicht wenige haben mehr als klammheimliche Freude über jede gezielte und gelungene Aktion des Widerstands und jeden ausgeschalteten GI. Konkret unterstützt werden sollten im Irak allerdings ausschließlich die fortschrittlichen und linken Kräfte, um sie so in ihrem Kampf gegen die Besatzung sowie gegenüber den nationalistischen, reaktionären und radikal-islamitsischen Gruppen zu stärken. … Neben dem Blick auf den Irak und die US-imperialistische Weltmachtpolitik sollten für die Linke hierzulande aber insbesondere auch die europäischen Weltmachtambitionen ins Fadenkreuz der Kritik und Praxis gerückt werden, die sowohl auf ökonomischer wie auf militärischer Ebene unter erheblichem Einfluß der BRD immer zügiger umgesetzt werden. … Bereits Anfang Februar besteht in München die Gelegenheit, der Nato-Kriegspolitik zu zeigen, was man von ihr hält … Wir sind mit dabei … fight global war - smash global capitalism!“ Was sollte dem noch hinzugefügt werden …

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