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FEBRUAR 2004

RAUS AUS DER DEFENSIVE

Die radikale Linke und der große, böse Sozialraub


Vorbereitung und Charakter des Angriffs

Alle reden jetzt von DEM Angriff auf die ArbeiterInnenklasse, seiner Intensität und davon, dass gerade jetzt immense Verschlechterungen durchgesetzt werden.. Das ist soweit natürlich auch richtig, vorbereitet wurde der großangelegte Roll-Back aber bereits vor Jahrzehnten durch neoliberale Wirtschaftswissenschaftler. Politisch eingeleutet in den 80ern durch konservative Regierungen (Reagan, Thatcher, Kohl ...) noch zu Zeiten der Systemkonkurrenz. Der Zusammenbruch der real existierenden sozialistischen Staaten war ein weiterer wichtiger Meilenstein in dieser kapitalistischen Entwicklung und die Verschärfung fand ihre Fortsetzung seit der 2. Hälfte der 90er unter Clinton, Blairs „New Labour“ und Schröders Sozialdemokratie.

Das Ende des sozialistischen Blocks und damit vieler an ihm orientierten Parteien bedeutete auch den Wegfall vieler Möglichkeiten und Hoffnungen (berechtigte oder unberechtiogte).

Das absolute Nachkriegstief der internationalen Linken direkt nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers wurde aber schon bald wieder überwunden. Der internationale Aufschwung der Kämpfe bahnte sich bereits in der finsteren Phase der 90er an. Mit so disparaten Erscheinungen wie dem Mobilisierungserfolg der Zapatistas in Chiapas 94 und dem heftigen ups-Streik in den USA 97, die schliesslich in Massenprotesten gegen Wirtschafts-, Kriegs-, und Politgipfel einen gemeinsamen Ausdruck fanden.

Abwehrkämpfe

Die Abwehr des Sozialraubs steht auf der Tagesordnung. Die Linke und die zahmen Gewerkschaften bleiben zur Zeit in der sozialen Frage immer einen Schritt zurück und können so allenfalls Spitzen der Grausamkeiten verhindern oder hinausschieben. Die Gegenseite rechnet das mit ein. Einige Vorstöße der KapitalistInnen haben hauptsächlich den Zweck, verhindert zu werden und den Lohnabhängigen und ihren Organisationen so „Erfolge“ zu bescheren. Außerdem ist der Mehrheit der Kapitalverbände trotz gegenteiliger Behauptungen bewußt, was sie an den reformistischen Gewerkschaften haben. Einstweilen liegt es nicht im Interesse des Kapitals, dass die bestehenden Gewerkschaften vollends ihr Gesicht und ihre Daseinslegitimation verlieren.

Die Verwirrung angesichts bereits durchgesetzter, geplanter und verworfener Reformvorschläge ist groß und das soll auch so sein.

Aufheben können wir sie, wenn wir uns auf Diskussionen um die sozialverträgliche Modifizierung der „Reformen“ nicht einlassen.

Wir müssen wieder dahin kommen, die Inhalte des öffentlichen Diskurses zu bestimmen.

Nicht die sozialverträgliche Gestaltung des Kapitalismus ist unser Ziel, sondern seine Abschaffung.

Das ist es, was uns von den ReformistInnen aller Couleur unterscheidet: Wir wissen um die Möglichkeit einer befreiten Gesellschaft und wir wissen, dass soziale Gerechtigkeit im Kapitalismus ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Was haben wir aber zu halten von den Vorwürfen an die ArbeiterInnenklasse ( oder an den „Arbeiterbewegungsmarxismus“ o.ä., wo der Begriff „Klasse“ abgelehnt wird), sie würde mit ihrem Ringen um Verteidigung oder Ausbau ihrer Rechte, mit dem Kampf um einen höheren Preis für ihre Arbeitskraft lediglich die Verhältnisse und ihre eigene „Abhängigkeit vom Fetisch Arbeit“ zementieren und eben der Illusion eines gerechten Kapitalismus erliegen.

Kampf um Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung ist nichts anderes als das Ringen darum, wie hoch der unbezahlte Anteil der Arbeit ist. Das Rezept, die Festsetzung dieser Rate den KapitalvertreterInnen zu überlassen ist schon recht abstrus.

Das Wissen darum, dass der Verzicht auf den Kampf um Reformen Verzicht auf u.a. ein arbeitsfreies Wochenende und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall heißt, ist zum Glück noch weit verbreitet.

Wo aber TheoretikerInnen keine gegensätzlichen ökonomischen Interessen mehr wahrnehmen wollen, gelten für sie alle gleichermaßen als Opfer des Kapitalismus.

Das läuft dann auf die alte idealistische „Lösung“ hinaus: Es müßten nur „die Menschen“ ein richtiges Bewußtsein entwickeln (wahrscheinlich durch intensive Lektüre einschlägiger Schriften), dann würde sich der Kapitalismus schon irgendwann in Wohlgefallen auflösen.

Da alle Kampfmaßnahmen der dummen und rückschrittlichen ArbeiterInnenbewegung als reformistisch und dem Ziel abträglich denunziert werden, gibt es objektive Nutznießer dieser Theorie - und das sind nicht die Lohnabhängigen.

Darüber hinaus würden die Schöpfer solcher Theorien und ihre Epigonen nur ungern auf z.B. Nahrungsmittel oder die Müllabfuhr verzichten, auch wenn sie den ProduzentInnen von Gütern und Dienstleistungen vorrechnen, dass ihre Arbeit überflüssig und so gut wie abgeschafft sei und ihnen zurufen: „macht endlich Schluß!“

Wo die VertreterInnen des eben behandelten Spektrums versuchen, eine eigene Praxis zu entwickeln, ähneln ihre Vorschläge plötzlich denen der sonst verachteten selbsternannten SozialreformerInnen.

Deren jüngstes Steckenpferd - Sozialforen als „Fürsprecher für die Benachteiligten“ im öffentlichen Raum - wollen wir uns noch ansehen.

Freilich gibt es sinnvoll arbeitende, gute Sozialforen. Welche Bedingungen diese unseres Erachtens zu erfüllen haben, reißen wir diesmal nur kurz an. Wir hoffen aber, bald mehr Grund zu haben, uns mit ihnen zu befassen.

Fürs erste zur schlechten Variante:

Schlimmstenfalls fungiert ein schlechtes Sozialforum nur als ein Zweckbündnis und Sammelbecken für Vereine zur Wahrung von Partikularinteressen und als Ausdruck der Summe dieser Interessen - als Spielwiese für ReformerInnen und NachwuchspolitikerInnen. Was Sozialforen auch sein können: Vehikel zur weiteren Politisierung, Instrumente zur Zusammenführung und Weiterentwicklung der unterschiedlichen Anliegen - lebendiges und authentisches Forum für die Stimmen und Aktionen von unten, getragen von Menschen, die darauf setzen, dass die Lohnabhängigen sich organisieren, von der Basis aus andauernde Kämpfe für ihre gemeinsamen Interessen führen.

Das ist dann das Gegenteil der gelegentlichen Praxis, dass FunktionärInnen ihre Forderungen, unterstrichen von Massenprotesten, an die große Politik stellen und ihren Willen zu einer gerechteren Gestaltung des Kapitalismus signalisieren.

Demonstrationen und Kundgebungen können als Teil von Kämpfen eine wichtige Rolle spielen. Für die revolutionäre Linke sind sie als Kampfmittel unverzichtbar, aber sie müssen als Teil des Kampfes gesehen werden und nicht als der Kampf selbst. Allerdings sieht es manchmal so aus, als fiele den OrganisatorInnen von Kampagnen kaum etwas anderes ein als allein die Vorbereitung der jeweils nächsten öffentlichen Protestkundgebung (am besten mit Massenbeteiligung und einer Medienpolitik a la Greenpeace). So bringt mensch wichtige Themen für 15 Sekunden in die Abendnachrichten, die eine oder andere Schlagzeile springt dabei raus, wenn´s gut läuft, nehmen die Beteiligten neuen Elan für Kämpfe die sie zu Hause führen mit.

Wo Großkundgebungen isoliert von kämpferischer Praxis in Betrieben, Schulen, Stadtteilen und Ämtern abgespult werden, dienen sie aber auch als Ventil. Auf die Frage: was kommt danach? Haben die VeranstalterInnen allzuoft keine Antwort. Stattdessen der stolze Verweis auf TeilnehmerInnenzahlen: mit der Illusion von Stärke haben wir aber noch nichts gewonnen.

Wie die DGB-Gewerkschaften fixiert auf Betriebsräte und Aufsichtsräte schließlich die Einflußnahme auf die bürgerliche Großpolitik sind, so glauben manche AkteurInnen - entgegen ihren eigenen Theorien - gegen die kapitalistische Globalisierung ohne Basiskämpfe vorgehen zu können, gestützt allein auf philosophische Diskurse, Großveranstaltungen und virtuelle Strukturen.

Offenbar haben manche ihrer AnhängerInnen zeitweise das Vertrauen in bürgerliche Politikformen zurückgewonnen, in das Delegieren der Durchsetzung eigener Interessen an StellvertreterInnen.

Setzen wir dagegen auf wirkliche Kämpfe wirklicher Menschen, da wo sie leben, im sozialen Alltag, in ihrem Arbeitsalltag.

Für den Kampf um soziale Verbesserungen, die Verteidigung und den Ausbau der bisher von der ArbeiterInnenbewegung erkämpften Rechte braucht sich die radikale Linke nicht zu entschuldigen. Sie führt diesen Kampf nicht mit dem Ziel eines reformierten Kapitalismus und sie führt ihn im Wissen darum, dass mit Abwehrschlachten allein Ausbeutung und Unterdrückung nicht beseitigt werden.

Wir denken, dass die Vergeblichkeit von Lösungsversuchen, die im vom System gesteckten Rahmen bleiben, wieder mehr Menschen deutlich wird.

Es gibt sicher keine Veranlassung, im sozialen Kampf bei den eigenen Inhalten Abstriche zu machen, wenn wir versuchen alle zu erreichen, die wirklich aktiv sind oder aktiv werden für eine endlich wirklich menschliche Gesellschaft.

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