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Strassenmedizin
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0. Vorwort

"Gasangriff im Taxölderner Forst" (Krill 1986) und "Wer CS einsetzt, nimmt den Tod in Kauf" (Spiegel 1986) titelten bundesdeutsche Zeitungen angesichts erstmaliger massiver Einsätze des Reizstoffes ortho-Chlorbenzyliden-malodinitril (CS) in der Bundesrepublik Deutschland. Als Folgen dieser polizeilichen Massnahme anlässlich grosser Anti-Atomkraft-Demonstrationen in Brokdorf und Wackersdorf führte "Der Spiegel" (ebd.) u.a. an: "beginnendes Lungenödem und Atemschock", "Brustschmerzen und Atembeschwerden" (S. 45), "fünfmarkstückgrosse Blasen mit Wasser", eine "deutlich erhöhte Blutungsneigung" und einen "ganz schweren Halsabszess" (S. 46).

In ihrem unnachahmlichen Erfindungsreichtum im Hinblick auf Schädigung und Tötung ihresgleichen greifen die Menschen schon seit langem auf »chemische Waffen« zurück: Vor über 2000 Jahren sollen die Chinesen bereits die vorübergehende Sehbehinderung ihrer Gegner mittels zerstäubten Pfeffers entdeckt haben; und über spartanische Krieger wird berichtet, sie hätten 428 vor unserer Zeitrechnung mit Pech und Schwefel gesättigtes Holz zur Erzeugung erstickenden Qualms benutzt (Getschow 1978).

Die besonders offensichtliche Grausamkeit chemischer Kampfstoffe (s. Harris und Paxman 1985) führte nach ihrem extensiven Gebrauch im ersten Weltkrieg 1925 zum völkerrechtlichen Verbot ihrer Anwendung im Krieg (Reichsgesetzblatt 1929). Entwicklung und Produktion gingen dennoch weiter, und während die USA im Vietnamkrieg ein ganzes Land chemisch verseuchten (vgl. Russell und Sartre 1969, Fukushima und Watanuki 1983), bekräftigte die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1969 die Gültigkeit dieses Verbots für "any che-mical agents of warfare - chemical substances, whethergaseous, liquider solid -which might be employed because oftheir direct toxic effects on man, ammais orplants" -in internationalen bewaffneten Konflikten (United Nations 1970, S. 16; s. dazu Steiner 1970). Seitdem wird in Genf zwischen 40 Nationen über eine umfassende Abrüstung chemischer Waffen verhandelt, ohne dass ein erfolgreicher Abschluss in Aussicht steht (Dorsch 1988; vgl. Presseberichterstattung zur Pariser Chemiewaffenkonferenz im Januar 1989). Ebensowenig hinderte das den Irak als Mitunterzeichner der Konvention, im sogenannten Golfkrieg wiederholt tödliche Kampfgase einzusetzen (Gesellschaft für bedrohte Völker 1988, Zumach 1988, Smolowe 1988).

Auf innerstaatliche Auseinandersetzungen ist das völkerrechtliche Verbot dagegen dem Wortlaut nach nicht einmal anwendbar (s. Steiner 1970, Holzhaider 1988, Siegler 1988). Jüngste Beispiele für »Tränengas«-Einsätze grösseren Ausmasses gegen die eigene Bevölkerung bzw. innerhalb beanspruchten Staatsgebietes geben Südkorea im Sommer 1987 und Israel in den besetzten Gebieten Westbank und Gaza-Streifen seit Dezember 1987 (vgl. Physicians for Human Rights 1987, Amnesty International 1988).

In einigen bundesdeutschen Länderpolizeigesetzen werden "Reiz- und Betäubungsstoffe" auch nicht als Waffen eingestuft, sondern als "Hilfsmittel polizeilicher Gewalt", und sind daher weniger restriktiv einsetzbar (Krüger 1981: tabellarische Übersicht der Gesetzgebung auf S. 381; Damm 1988c). Angesichts der oben angedeuteten und im folgenden detaillierter aufgezeigten Auswirkungen auf Menschen und Tiere mag der allgemein gebräuchliche Ausdruck »Tränengase« für die nun zu betrachtenden Substanzen verharmlosend erscheinen.