Kein
Inselurlaub für Neonazis
Erneuter rechter Anschlag auf IG Metall, diesmal in Pinneberg
Von
Peter Müller und Andreas Speit
Mehrere Gewerkschaften haben vom rot-grünen Hamburger Senat und der
rot-grünen schleswig-holsteinischen Landesregierung ein Verbot militanter
Neonazigruppen gefordert. Hintergrund sind die Morddrohungen gegen den
Elmshorner IG Metall-Chef Uwe Zabel und der Anschlag auf das IG Metall-Büro
in Pinneberg. Unbekannte hatten gestern nacht die Scheiben der "Personalentwickungsgesellschaft
Pinneberg" eingeschlagen, in deren Räumen erst am Samstag die
Elmshorner IG Metall ihre Pinneberger Nebenstelle eingerichtet hatte.
Einer Polizeistreife war bei einer Patrouillenfahrt im Rahmen des
angeordneten Objektschutzes das zerdepperte Glas aufgefalllen.
Grund des Anschlages ist die bei der Eröffnung verkündete Ausweitung
des Bündnisses "Keine Toleranz für Neonazis in Elmshorn" auf
die Region Pinneberg. "Ein Bekennerschreiben gibt es aber
nicht", so die Itzehoer Staatschützerin Sigrun Schümann.
Die IG Metall, die derzeit als einer der Motoren der Kampagne "Faschimus
ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" gilt, ist bereits mehrfach
ins Visier von Neonazis geraten. Für Zabel ist Personenschutz vom Kieler
Landeskriminalamt angeordnet worden, die Frankfurter IG Metall-Zentrale
hat überdies private Schutzmaßnahmen geordert. Am Freitag hatten
Neonazis, die im Umfeld des Hamburger Sturms vermutet werden,
Morddrohungen gegen Zabel ausgestoßen. "Die Ermittlungen
laufen", so Schümann, "langsam sind aber andere am Zuge."
Bislang tat sich die Itzehoer Staatsanwaltschaft nach taz-Informationen
schwer, bei der Verfolgung rechter Straftäter alle Register zu ziehen.
Die IG Metall Küste, der DGB-Kreis Unterelbe und die
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di verlangen nun "entschiedenes
Handeln". Dazu gehört auch ein Verbot der bekannten gewalttätigen
Neonazigruppen", erklärte gestern IG Metall-Bezirksleiter Frank
Teichmüller. Gemeint seien "Hamburger Sturm", "Flensburger
Sturm", "Freie Nationalisten" und das "Aktionsbüro
Norddeutschland".
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig hat gestern das Verbot des
als Gedenkkundgebung für den Nazi-Revisionisten Thies Christophersen
deklarierten Aufmarsches des "Volksbundes Deutsches Reich" am
heutigen Hitlergeburtstag auf der Insel Föhr bestätigt. Das
Verwaltungsgericht hatte das Verbot tags zuvor aufgehoben. Das OVG hält
es für fraglich, so Sprecher Manfred Vosswinkel, dass der
Veranstaltungsleiter "auf die Einhaltung der Gesetze hinwirken"
werde. So sollte ein wegen Volksverhetzung vorbestrafter
"Ritterkreuzträger" auftreten. Dem "Volksbund" waren
nach dem Verbot der "Deutschnationalen Partei" 1995 viele
militante Nazis beigetreten.
Auch das Lüneburger Verwaltungsgericht muss sich mit einem rechten
Aufmarsch beschäftigen: Gegen das Verbot einer Neonazi-Veranstaltung am
Samstag in Tostedt ist Klage erhoben worden.
taz Hamburg Nr. 6124 vom 20.4.2000 Seite 22 Hamburg Aktuell 43 Zeilen
TAZ-Bericht Peter Müller / Andreas Speit
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Rechtsextreme sichtbar gemacht
Seit in Elmshorn eine große Allianz antifaschistische Plakate klebt,
müssen die BürgerInnen der Kleinstadt Rückgrat beweisen. Trotz rechter
Bedrohung wird das linke Bündnis immer breiter
Von
Nadia Berr
Und dann endet das Ganze auch noch mit "Hochachtungsvoll".
Oft schon hat Brigitte Fronzek den Bescheid gelesen, mit dem die
Kreisverwaltung Pinneberg den Neonazis die Demo-Route bestätigte. Sie
kennt jede Formulierung, jedes noch so kleine Detail. Trotzdem sitzt sie
davor, als könne sie immer noch nicht glauben, dass Neonazis am 5.
Februar durch Elmshorn marschieren durften, genehmigt, von der Polizei vor
AntifaschistInnen geschützt. Vergeblich war die Intervention der SPD-Bürgermeisterin
beim zuständigen Landrat. Auch dass sie die Anmeldung des
Rechtsextremisten Clemens Otto, der diese versehentlich ins Elmshorner
Rathaus und damit an die falsche Adresse geschickt hatte, nicht behördenintern
weitergeleitet, sondern einfach zurückgesandt hatte, brachte keinen
Erfolg. Sie erntete Kritik. Eine Bürgermeisterin, sagt etwa die örtliche
CDU, habe neutral zu sein. "Stimmt", sagt Fronzek und klappt die
Akte zu. "Aber ich bin nicht neutral gegenüber Verbrechern."
Seit Anfang November ist das nachzulesen. Überall in der Stadt steht
es geschrieben, in gelben Buchstaben auf poppig-buntem Hintergrund:
"Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen". Und:
"Keine Toleranz für Neonazis in Elmshorn und anderswo". Es sind
nicht - wie zumeist üblich - nur unabhängige Antifa-Gruppen, die auf dem
Plakat vor einem neuen Faschismus warnen. Auch Betriebe, Verbände,
Gewerkschaften, Schulen und Geschäfte aus Elmshorn haben ihren Namen
darunter gesetzt. Initiiert wurde die Kampagne von einem Bündnis
"gegen Neonazis. Wir nennen uns bewusst nicht Bündnis gegen Rechts,
damit sich die CDU nicht angesprochen fühlt", sagt Fronzek. 200
Schilder mit Plakaten stellten die InitiatorInnen im Dezember über die
Stadt verteilt auf, 500 weitere Ende Januar, als die anderen bereits alle
abgerissen oder mit Hakenkreuzen beschmiert wurden.
Ursprünglich sollte das Verkleben des Plakates die Kampagne sein. Das
öffentliche Bild sollte nicht von Rechtsextremen, sondern von
AntifaschistInnen geprägt werden. Zwei Monate später stellt es sich als
Anfang dar, der zahlreiche Folgeaktionen nach sich zieht. Das Signal, dass
Neonazis nicht toleriert werden sollen, kam auch bei diesen an. Sie haben
reagiert. Seither tauchen Schriftzüge "Juden raus" in der Stadt
auf. Die Gewerkschaft IG Metall hat mittlerweile Plexiglas vor den
Fenstern, nachdem die Scheiben mit NPD-Plakaten und Spuckis der
Skinheadgruppe "Hamburger Sturm" beklebt worden waren. Das
Mahnmal für die Selbstbefreiung Elmshorns vom Hitler-Faschismus 1945
wurde zerstört. Vorige Woche bekamen Mitglieder des "Bündnis gegen
Neonazis" Drohbriefe - an ihre Privatadresse: "Wir kriegen euch
alle - Nationaler Widerstand Elmshorn". Manche BewohnerInnen werfen
dem Bündnis vor, mit den Plakaten die Neonazis erst nach Elmshorn gelockt
zu haben.
Die Punker stehen neben der Nikolai-Kirche, wo bis vor wenigen Tagen
noch die Gedenktafel für die Befreiung vom Faschismus stand. Einer thront
auf einer Stufe, die Dose Holsten geöffnet in der linken Hand. Beim
Aufmarsch der Nazis Anfang Februar waren auch die Punks unter den
GegendemonstrantInnen. Üble Verletzungen haben einige abbekommen. Während
das Bündnis, angemeldet vom DGB, in einem anderen Teil der Stadt eine
Kundgebung abhielt, hatten andere AntifaschistInnen versucht, sich den
Rechten in den Weg zu stellen. Als die Nazis vorbeigezogen waren und
endlich die DGB-Demo kam, war diese mit wütendem "Ihr kommt zu spät"
begrüßt worden. Trotzdem findet er das Bündnis "echt okay",
sagt der Wortführer auf der Treppe und nickt anerkennend. "Unseren
Kopf hinhalten müssen wir sowieso immer. Und besser die anderen
demonstrieren friedlich als gar nicht." Er verschränkt die Arme vor
der Brust. Ein Schluck Holsten schwappt aufs Pflaster. "Jeder mit
seinen Mitteln". Das findet sein Kumpel auch. Dass sich nun auch
"Normalbürger" gegen die Faschis-ten bekennen, hat ihn
beeindruckt. "Jung und alt, alles dabei", lobt er die große
Allianz, die in der Bundesrepublik bislang einmalig ist.
Nur in einzelnen Geschäften in der Einkaufsstraße hängen Plakate an
der Wand. Mitglieder des Bündnis hatten im Dezember eine Runde bei den
Geschäftsleuten gedreht und sie aufgefordert, sich an der Kampagne zu
beteiligen. "Viele haben das Plakat genommen und nie aufgehängt",
weiß eine Gewerkschafterin. In einem Eisladen hätte der Besitzer das
Poster sofort in die Tür geklebt. Einen Tag später hing es außen an
einer Wand - zwei Meter entfernt.
"Wir hatten es im Fenster, aber schon nach einem Tag hat ein Kind
es abgerissen, das ist hier immer so", sagt die Verkäuferin bei
"Steffis Kindermoden" und krault den Bauch ihres Babys, das vor
ihr auf dem Verkaufstresen liegt. In der Boutique nebenan findet eine
Angestellte es "nicht so ratsam, die Schaufensterscheiben zu verhängen,
dann können die Kunden die Ware nicht mehr sehen". Der örtliche
Kunstverein allerdings macht hübsche Plakate, die hängt sie manchmal
auf.
Angst, das Augenmerk von RechtsextremistInnen auf sich zu ziehen, ist
in der Stadt aber auch zu vernehmen. Der Besitzer des
"Casablanca" hat das antifaschistische Bekenntnis zwar aufgehängt.
In der Kneipe. Draußen aber nicht. Er steht "als Unterzeichner drauf
und auch inhaltlich dahinter", sagt er. Aber dass Nazis ihm die
Scheibe einwerfen, will er lieber nicht riskieren, "man muss es ja
nicht auf die Spitze treiben". Die Mitbesitzerin der kleinen Eisdiele
in der Einkaufsstraße hält das Poster zum ersten Mal in der Hand. Sie
liest es durch. "Oho", entfährt es ihr: "Das ist ein
bisschen gefährlich." Ihre Reaktion ist ihr peinlich, schließlich
ist auch sie gegen Rechtsextremismus. Sie errötet. "Sie können es
trotzdem hier aufhängen", bietet sie dann an.
Bürgermeisterin Brigitte Fronzek sagt entschlossen, man dürfe sich
jetzt nicht einschüchtern lassen. Vielen Menschen sei vorher nicht klar
gewesen, wie gewaltbereit Neonazis sind, ihr selber auch nicht. Ob sie die
Kampagne mitgestartet hätte, wären die Folgen absehbar gewesen, weiß
sie nicht genau, aber die Frage stellt sich ihr heute ohnehin nicht mehr:
"Jetzt ist es um so wichtiger weiterzumachen." Auch denjenigen
zum Trotz, die unken, das Bündnis habe die Nazis erst in die Kleinstadt
gelockt. "Die Leute denken, die Gefahr gibt es nicht, weil sie sie
nicht sehen", sagt die Bürgermeisterin. "Wir haben die Neonazis
sichtbar gemacht. Dafür waren die Plakate wichtig und richtig."
Abgesprungen vom Bündnis ist noch niemand. Im Gegenteil: Der Trägerkreis
hat sich ausgeweitet. Nachdem die Nazis die ersten Stellschilder zerstört
hatten, stellten rund 200 Elmshorner BürgerInnen gemeinsam 500 neue auf,
Ende Januar, im strömenden Regen. Der Leiter der Schule Bismarckstraße
ermöglichte eine SchülerInnenversammlung zur Unterrichtszeit, in der Bündnis-Mitglieder
über neonazistische Strukturen aufklären und zur Gegendemonstration
aufrufen konnten. In der Kooperativen Gesamtschule (KGSE) wurden vorigen
Montag SchülerInnen von der letzten Stunde freigestellt, um eine
Veranstaltung über rechte Musik zu besuchen.
Die junge Punkerin vor der Nikolai-Kirche teilt die Ansicht der Bürgermeisterin,
Rechte seien durch die Kampagne lediglich sichtbar gemacht worden:
"Natürlich gibt es hier Nazis", sagt sie. Sie blickt die
Einkaufsstraße hinunter. "Wenn ich mir die Ergebnisse der letzten
Kommunalwahlen ansehe, weiß ich, dass ich in einem rechten Stadtteil
wohne."
taz Hamburg Nr. 6079 vom 28.2.2000 Seite 22 Hamburg Aktuell 104 Zeilen
TAZ-Bericht Nadia Berr
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Kampfansage an braunen Mob
Über 20 Gewerkschafts-Chefs fordern von Landesregierungen Verbot
militanter Neonazigruppen in Norddeutschland
Von
Peter Müller
Die DGB-Gewerkschaften im Norden machen nun gemeinsam gegen Neonazis
mobil. Das Verbot militanter Neonazigruppen haben gestern über 20
Gewerkschaftsvorsitzende aus der Region gefordert. Sie sind
ErstunterzeichnerInnen der Unterschriftenkampagne "Faschismus ist
keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Wehrt Euch - jetzt!". In dem
Aufruf heißt es unter anderem, "die Gewalt der Neonazis im Norden
hat ein unerträgliches Ausmaß erreicht".
Zu den Erstunterzeichnern gehören neben dem DGB-Nordchef Peter
Deutschland, IG Metall-Bezirksleiter Frank Teichmüller und HBV-Landeschef
Hinrich Feddersen auch Hamburgs DGB-Vorsitzzender und SPD-Bürgerschaftsabgeordneter
Erhard Pummm und der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Konrad
Freiberg.
Anlässe sind die Morddrohungen gegen den Elmshorner IG Metall-Chef Uwe
Zabel, die Internetfahndung gegen den Bergedorfer DGB-Ortskartellchef
Dieter Born und die Anschläge auf IG Metall-Büros in Elmshorn und
Pinneberg (taz berichtete mehrfach). Nach Auffassung der
Gewerkschaften belegen die jüngsten Zahlen des Bundesamtes für
Verfassungsschutz (VS) den bundesweiten Terror der Neonazi, deren
ideologische Drahtzieher im Norden sitzen. 11.049 Straftaten, ein Toter,
13 versuchte Tötungen, 630 Körperverletzungen und 35 Brandstiftungen
lautet die VS-Bilanz. "In manchen Bundesländern werden inzwischen Dörfer
von dem braunen Mob terrorisiert," stellen die GewerkschafterInnen
entsetzt fest. Der Brandanschlag auf die Synagoge in Erfurt sei nun der
"traurige Höhepunkt".
Die Unterzeichner erwarten daher vor allem von den rot-grün regierten
Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein sowie von Niedersachsen (rot) und
Mecklenburg-Vorpommern (doppelrot) - wo der Hamburger Neonazi-Führer
Thomas Wulff gerade ein rechtes Schulungszentrum aufbaut - hartes
Durchgreifen. "Zum Beispiel ein Verbot von Aufmärschen: Dazu gehört
auch ein Verbot aller bekannten gewalttätigigen Neonazigruppen und ihrer
Dachorganisationen". Gemeint ist vor allem das Netzwerk der
"Freien Kameradschaften" um das "Aktionsbüro
Norddeutschland" sowie der Kampftrupp "Hamburger Sturm"
oder der Neumünsteraner Rechtsrock-Rekrutierungstreff "Club
88". Neonazigruppen müssen nicht vom Bundesverfassungsgericht,
sondern können von Länderregierungen verboten werden.
Daher gerät Hamburg, wo sich das "Aktionsbüro" befindet und
der "Hamburger Sturm" seinen Sitz hat, zunehmend unter Druck.
Innenbehördensprecherin Susanne Fischer blieb auf Nachfrage wortkarg:
"Dazu geben wir keine Auskunft." Und auch Hamburgs VS-Chef
Reinhard Wagner gibt sich bedeckt: "Der Verfassungsschutz ist nicht für
Verbote zuständig und denkt darüber auch nicht laut nach."
taz Hamburg Nr. 6129 vom 28.4.2000 Seite 21 Hamburg Aktuell 39 Zeilen
TAZ-Bericht Peter Müller
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"Tot oder lebendig"
Neonazis in
Elmshorn setzen Kopfgeld auf IG Metall-Gewerkschafter aus
Der rechte Psychoterror in Elmshorn nimmt neue Dimensionen an. Gestern
früh stellten Autobahnpolizisten bei Tornesch zwei Transparente mit der
Aufschrift sicher: "Uwe Zabel - Kopfgeld: 10.000 Mark - tot oder
lebendig" sowie "Elmshorner macht euch frei von der
Judentyrannei." Das "s" war in Form einer
"SS-Rune" gemalt.
Uwe Zabel ist Chef der Elmshorner IG Metall und im "Bündnis gegen
Neonazis" engagiert, dessen Schirmherrin SPD-Bürgermeisterin
Brigitte Fronzek ist. Seit Anfang des Jahres sind vier Farb-Anschläge auf
das IG Metall-Büro und auf Fronzeks Haus verübt sowie Drohbriefe an Bündnismitglieder
versandt worden. "Wir müssen die Drohung sehr ernst nehmen", so
der Itzehoer Staatsschützer Horst Klüver zur taz. Daher habe man
die Landeskiminalämter (LKA) Kiel und Hamburg informiert. Das LKA Kiel
bot dem Gewerkschafter sofort Personenschutz an.
Noch am Donnerstagabend hatten auf Einladung der Gewerkschaft ÖTV in
Elmshorn 120 GewerkschafterInnen mit Schleswig-Holsteins
Verfassungsschutzchef Michael Wolf über rechte Gewalt diskutiert. Vier
Neonazis des "Pinneberger Sturm", welche die Veranstaltung zu stören
versuchten, wurden von der Polizei vorübergehend festgenommen.
Wolfs Ausführungen - "Neonazis sind ein ernstes Problem für die
Gesellschaft, aber kein Problem für die Demokratie" - fanden
angesichts der spürbaren Bedrohung wenig Anklang. Wolf begründete seine
These mit den geringen Mitgliederzahlen und dem sinkenden Einfluss rechter
Parteien bei Wahlen. Stark entwickelt habe sich aber seit der
"Vereinigung eine rechte provokative aggressive
Jugendsubkultur". Der Hamburger Staatsrechtler Norman Paech und der
Anwalt Alexander Hoffmann forderten dagegen ein kategorisches Verbot von
Neonazi- und Skinaufmärschen. "Ihr Hass und ihre Ausländerfeindlichkeit
verstößt gegen die Verfassung", so Paech. "Wenn sich eine ausländische
Frau nicht mehr auf die Straße trauen kann", findet Hoffmann,
"ist die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht erst in Gefahr,
wenn eine Partei 20 Prozent bei Wahlen erreicht." pemü
taz Hamburg Nr. 6120 vom 15.4.2000 Seite 21 Hamburg Aktuell 31 Zeilen
TAZ-Bericht pemü
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Bürgermeisterin greift Genossen an
Elmshorn: 15 Festnahmen bei antifaschistischem Protest. Polizei greift
DGB-Demo an. Neonazis durften unbehelligt "Ruhm und Ehre der
Waffen-SS" skandieren
Von
Peter Müller
Elmshorns SPD-Bürgermeisterin Brigitte Fronzek und das "Bündnis
gegen Rechts" haben gegen den Landrat des Kreises Pinneberg, Berend
Harms (SPD), sowie gegen die Kieler Landesregierung wegen des
polizeilichen Vorgehens bei dem Neonazi-Aufmarsch am Samstag schwere Vorwürfe
erhoben. Sie fordern Rechenschaft darüber, warum die Polizei trotz
massiver Gewaltaufrufe gegen einzelne Personen und das skandieren
verfassungsfeindlicher Parolen nicht die Demo der 80 Rechten aufgelöst
hat. Stattdessen war die Polizei im Anschluss an den rechten Spuk gegen
Teilnehmer der DGB-Gegenkundgebung "für Toleranz und
Integration" vorgegangen.
Schon vorige Woche war es zu einem heftigen Disput zwischen Fronzek und
Harms gekommen. Nach diversen Anschlägen auf Mitglieder des Bündnis
gegen Rechts und auf das IG Metall-Büro (taz hamburg berichtete)
hatte die Bürgermeisterin vom Landrat ein Verbot des Neonazi-Aufmarsches
verlangt. Obwohl klar war, dass sich unter der Tarnkappe der "Jungen
Nationaldemokraten" der militante "Hamburger Sturm" und die
"Freien Nationalisten" verbergen würden, hatte die Kreisbehörde
die Demo mit dem Hinweis erlaubt, dass es sich um eine "legale
Organisation" handele.
Während sich am Samstag Mittag vor dem antifaschistischen Mahnmal an
der Nikolaikirche rund 600 Elmshorner zu einer antirassistischen
Gegen-Kundgebung versammelten, fuhren die Neonazis in Elmshorns Osten
unbehelligt auf und formierten sich: Im Abstand von 300 Metern vor dem
Treck der Rechtsradikalen machten zwei Wasserwerfer, ein Räumpanzer sowie
eine Spezialeinheit der Polizei den Weg frei. Einzelnen Anwohnern, die
"Nazis raus" riefen, wurden Platzverweise angedroht.
Auch als Hamburgs Neonaziführer Christian Worch speziell Bürgemeisterin
Brigitte Fronzek aufs Korn nahm, blieb die Polizei gleichgültig.
"Wenn sich der Wind zu einem Sturm steigert", so Worch in
Hitler-Rhetorik, "dann wird auch sie weggefegt." Daraufhin die
Parole: "Rote haben einen Namen und eine Adresse - kein Vergeben,
kein Vergessen." Insgesamt sechs Kilometer marschierten die Neonazis
durch Elmshorm und skandierten immer wieder: "Ruhm und Ehre der
Waffen-SS."
Am Bahnhof, am Ende des Neonazi-Aufmarsches, trafen sich beide
Demonstrationszüge; es kam zu einem kurzen Gerangel. Einige
Antifaschisten versuchten auf die Gleise zu klettern und so die Abfahrt
der Rechten zu behindern. Dabei wurden sie allerdings von der Polizei
abgedrängt. Als die Kundgebung eigentlich schon zu Ende und die Leute zurück
auf dem Weg zu ihrem Ausgangspunkt an der Nikolaikirche waren, griff eine
Spezialeinheit der Polizei sie an, um die angeblichen Gewälttäter
ausfindig zu machen. Die Polizei nahm 15 Personen fest. Ein DGB-Ordner
wurde dabei durch Knüppelschläge krankenhausreif geschlagen.
taz Hamburg Nr. 6061 vom 7.2.2000 Seite 22 Hamburg Aktuell 42 Zeilen
TAZ-Bericht Peter Müller
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"Umso wichtiger, jetzt weiterzumachen"
Trotz Drohungen findet Bündnis gegen Neonazis in Elmshorn weiter
Zulauf
Von
Peter Müller
Farbanschläge auf das Elmshorner IG Metall-Büro, 300 zerstörte
Plakate, zerbrochene Scheiben in Läden und bei der Bürgermeisterin,
Neonazi-Schmiereien an Schulen, Drohbriefe an GewerkschafterInnen und
zuletzt die Morddrohung gegen IG Metall-Chef Uwe Zabel: Trotz des seit
Anfang des Jahres andauernden Neonazi-Terrors in Elmshorn zeigt das
"Bündnis gegen Neonazis" weiterhin mit der Plakataktion
"Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen - keine
Toleranz den Neonazis" Flagge gegen rechte Gewalt. "Jetzt ist es
umso wichtiger weiterzumachen", sagt SPD-Bürgermeisterin Brigitte
Fronzek, Schirmherrin der Aktion.
Die Einschüchterungsversuche haben ihr Ziel sichtlich verfehlt. Unter
der Neuauflage des bislang einzigartigen Bündnis-Plakates - das von
etlichen Unternehmensleitungen und Betriebsräten gemeinsam unterzeichnet
wurde - werden weitere 40 Verbände und Institutionen stehen - Firmen,
Sportvereine, Parteien, Gewerkschaften, Geschäfte und Musikbands. Uwe
Zabel: "Es haben Firmen unterschrieben, von denen ich es wirklich
nicht erwartet hätte."
Aufgrund des vom Landrat in Pinneberg nicht verbotenen Elmshorner
Neonazi-Aufmarsches im Februar hat sich das Bündnis nun auf das
Kreisgebiet ausgeweitet. Zum 1. Mai wird ein Double des Elmshorner Plakats
auch für den "Kreis Pinneberg" erscheinen, das von Bürgermeistern
in der Region sowie etlichen Firmen und Verbänden unterzeichnet worden
ist.
Nach den Urhebern des Steckbriefes gegen Zabel ("10.000 Mark
Belohnung - tot oder lebendig") wird noch gefahndet. "Wir
ermitteln in eine bestimmte Zielrichtung", so eine Itzehoer Staatsschützerin
zur taz. Die zunehmende rechte Gewalt, deren Zentrum in Hamburg und
Umgebung liegt, haben die Gewerkschaften wachgerüttelt. Mit der
Infoschrift "Jetzt handeln!" klären derzeit die IG Metall
Bezirk Küste, die ÖTV-Nord und die DGB-Jugend über das Netzwerk der
Neonazi-Szene auf und fordern von Staat und Justiz Konsequenzen.
Der für Ostersamstag angemeldete militante Neonziaufmarsch in Tostedt
ist gestern verboten worden. Polizeisprecher Jürgen Ha-cker: "Wir
bereiten uns darauf vor, das Verbot durchzusetzen." Und auch einefür
den "Führergeburtstag" am Donnerstag geplanter und als
Gedenkfeier für den Nazi-Autor Thies Christophersen deklarierter
Aufmarsch in Wyk auf Föhr ist vom Kreis Nordfriesland untersagt worden.
Die Neumünsteraner grüne Bundestagsabgeordnete Angelika Beer begrüßte
gestern das Verbot. Nun gelte es, auch die Schließung des neonazistischen
Rekrutierungstreffs "Club 88" in Neumünster durchzusetzen.
"Jetzt handeln": Bestellungen bei IG
Metall-Verwaltungsstellen im Bezirk Küste, Kreisverwaltungen der ÖTV-Nord
und der DGB-Jugend-Nord, Besenbinderhof 60, 20097 Hamburg.
taz Hamburg Nr. 6122 vom 18.4.2000 Seite 22 Hamburg Aktuell 42 Zeilen
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