Daniel
[30.07.2000]
Notizen zu einer Veranstaltung zu Identitaetspolitik und Organisierung
Die Veranstaltung soll zur Entwicklung einer Politik beitragen, die
- strategische Identitaetspolitik mit transversaler Buendnispolitik
zu kombinieren sucht
- darauf abzielt, die Dominanz selbstzufriedener weisser
heterosexueller AntifeministInnen in der radikalen Linken zu brechen
- eine Neudefinition von was eigentlich linksradikal heisst anstrebt
- Klassenunterschiede innerhalb und zwischen den diversen
linksradikalen Milieus ernstnimmt; z.B. indem ein gewisses Mass
an Umverteilung praktiziert wird und versucht wird, die durch
Sozialisation in einer Klassengesellschaft entstandenen (und
alltaeglich kulturell verstaerkten) angst- und abwehrbeladenen
Klassen-Stereotype abzubauen
- versucht, rassistische Ausschluesse zu vermeiden; z.B. indem
zukuenftige linksradikale Organisationsstrukturen nicht als
selbstverstaendlich deutsche sondern als zumindest potentiell
multiethnisch (bzw. trans/anti-ethnisch) konzipiert werden
- den sexistischen Konsens in der radikalen Linken angreift;
z.B. indem die Reduzierung des patriarchalen Geschlechterverhaeltnisses
auf ein Spezialthema fuer Frauengruppen abgelehnt und stattdessen
eine klare antisexistische Praxis zum Kriterium gemacht wird, ob
eine Gruppierung als linksradikal gelten kann oder nicht
Hier einige Thesen zur Diskussion um Identitaetspolitik:
- Kritik an Identitaetspolitik wurde in den 90ern benutzt um
(pro)feministische Politik ueberhaupt zu diffamieren. Dieser
Integration antiessentialistischer Kritikelemente in einen
backlash-Diskurs muss entgegengetreten werden.
- Geschlechtliche und ethnische Identitaet passen schlecht in
eine gemeinsame Kategorie. Insofern ist der Begriff
"Identitaetspolitik" an sich zu hinterfragen.
- Es geht um den Entwurf einer strategischen Identitaetspolitik,
die Einheiten ueber Differenzen hinweg konstruiert, ohne die
Differenzen zu leugnen und ohne die Einheiten als natuerlich zu
setzen; die sich der Gefahren der Essentialisierung, Naturalisierung,
Homogenisierung bewusst bleibt. Daraus folgt ein pragmatischer und
flexibler Umgang mit "identitaetsbestimmten Gruppen", eine
unaufhoerliche Problematisierung von Homogenisierung nach innen
und Abgrenzung nach aussen.
- Identitaetspolitik privilegierter Gruppen wirft voellig andere
Problematiken auf als die unterprivilegierter/unterdrueckter Gruppen.
Identitaetspolitik Privilegierter kann nur als selbstaufhebende oder
"negative" Identitaetspolitik progressive Praxis sein. Das bedeutet,
dass das Ziel der Aufhebung der eigenen Identitaet nicht nur - wie
in jeder nicht-reaktionaeren Identitaetspolitik - praesent sein muss,
sondern ganz klar im Vordergrund stehen und den Propagandisten der
Maennlichkeit, der Heimat, der Nation und sonstiger Widerwaertigkeiten
kompromisslos entgegengesetzt werden sollte.
- "Negative Identitaetspolitik" bedeutet den Aufruf an Deutsche,
antideutsche antinationale Politik zu machen, an heterosexuelle
Maenner antimaskuline antiheterosexistische antipatriarchale Politik
zu machen. Damit widerspricht sie der orthodoxen linken Tradition,
aus einem homogenisierten "Opfer"- oder Betroffenen-"Wir" heraus - nach
dem Motto "wir Guten hier unten gegen Euch Boese da oben" - Politik
machen zu wollen, fundamental.
Ideen fuer "praktische" Projekte in der fernen Zukunft:
- Ein Kongress zum Problem der Weissheit (fuer Weisse und NichtWeisse)
mit AGs zu Weissheit und Christentum, Weissheit und Maennlichkeit,
Weissheit und Kolonialgeschichte?
- Ein antirassistisches Grenzcamp zu Frauenhandel, Sextourismus
und Prostitution, geschlechts- und sexualitaetsspezifischer Verfolgung?
Einige Textfragmente zu Buendnis- und Identitaetspolitik:
In "Gender and Nation" (1997) schreibt N. Yuval-Davis:
"transversal politics aims to be an alternative to the
universalism/relativism dichotomy which is at the heart of
the modernist/postmodernist feminist debate. It aims at
providing answers to the crucial theoretical/political questions
of how and with whom we should work if/when we accept that we are
all different as deconstructionist theories argue."
(p125, Hervorhebung von mir).
In diesem Zusammenhang zitiert sie Spivak (1991):
"Deconstruction does not say anything against the usefulness
of mobilizing unities. All it says is that because it is useful
it ought not to be monumentalized as the way things really are."
und Stuart Hall (1987):
"all identity is constructed across difference?"
(in: Yuval-Davis, 1997, p126).
Weiter schreibt sie:
"In ´transversal politics´, perceived unity and
homogeneity are replaced by dialogues which give recognition to
the specific positionings of those who participate in them as
well as to the ´unfinished knowledge´ that each such
situated positioning can offer."(p131)
In der Einleitung zu "Mappings - Feminism and the cultural
geographies of encounter" (1998) beschreibt S. Stanford Friedman
ihr Projekt so:
"The book insists on going ´beyond´ both fundamentalist
identity politics and absolutist poststructuralist theories as they
pose essentialist notions of identity on the one hand and refuse all
traffic with identity on the other."(p4)
Sie nennt ihre Politik "locational feminism":
"A locational approach to feminism incorporates diverse formations
because its positional analysis requires a kind of geopolitical
literacy built out of a recognition of how different times and
places produce different and changing gender systems as these
intersect with other different and changing societal stratifications
and movements for social justice."(p5, Hervorhebungen von mir)
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