TATblatt    

LeserInnen-Kommentar
Einige Anmerkungen zur Opernballdemo.

Ich bin erst später gekommen, aus diesem Grund habe ich die blutigen Köpfe am Schwarzenbergplatz nicht mitbekommen. Bei der Operngasse, wo ich dazu gestoßen bin, war die Demonstration unschlüssig, ob es weitergehen soll oder nicht. Danach haben uns die PolizistInnen schubweise durch die Stadt getrieben. Besonders gefährlich habe ich das überstürzte Weglaufen vor der Polizei gefunden, weil dadurch einige Menschen stürzten und anschließend von der Polizei verprügelt wurden. Es war aber nur logisch, daß in dieser Situation immer mehr Wurfgeschoße geflogen sind und Mistkübel auf die Straße geworfen wurden. Ich wurde selbst mit dem Polizeiknüppel vertrieben, als ich beobachtete, wie die Polizei auf am Boden liegende DemonstrantInnen eindrosch. Daß es sich um keine überlegten Aktionen handelte, zeigte die Situation bei den brennenden Mistkübeln. Vor den Augen (vermummter) Zivilpolizisten und Kameras haben sich einige Leute aufgeführt, die nur darauf zu warten schienen, festgenommen zu werden. Ich bin dann von der Mariahilfer Straße heimgegangen, um die mediale Aufregung über die Demo im Fernsehen zu verfolgen.
Es war anders als die Opernballdemos in den 80ern, weil die Aktionen in Bewegung passiert sind und nicht die Konfrontation mit der übermächtigen Staatsmacht gesucht wurde. Durch die verschiedenen Berichte (auch im Internet) ist mir erst klar geworden, wie sich die Polizei (besonders am Schwarzenbergplatz) aufgeführt hat. Im Laufe der nächsten zwei Wochen habe ich dann mit verschiedenen Menschen gesprochen, die empört und wütend waren. Nach (vielleicht übertriebenen) Berichten haben halbe Schulklassen Barrikaden gebaut und Steine auf PolizistInnen geschmissen. Ich habe auch mit Menschen aus der so genannten anarchistischen Szene gesprochen, aber dort herrschte eher die Ansicht, daß die Wickel wegen der drohenden Repression sinnlos waren.
Erstaunlich war, daß die Medienhetze nicht sehr andauernd war. Natürlich hat es die üblichen Distanzierungen und Verurteilungen gegeben, natürlich haben Krone und Kurier einmal mehr sensationelle Polizeiberichte gebracht, die eine bedrohliche gewaltbereite Szene konstruierten, aber die Diskussion dazu war kurz und heftig. Nicht einmal die FPÖ hat die Demonstration mehr als im üblichen Ausmaß ausgenutzt. Ein Grund scheint zu sein, daß bei einer ausführlicheren Diskussion auch die Polizeibrutalität an eine größere Öffentlichkeit gekommen wäre.
Die Argumentation, daß die Polizei die Straßenschlacht wollte und es Provokateure und irgendwelche dummen Kerle (und Frauen) gegeben habe, die darauf eingestiegen sind, halte ich nur teilweise für richtig. Meiner Einschätzung nach durften die PolizistInnen diesmal prügeln, u.a. weil sie durch die Donnerstagsdemos, wo sie nicht zuschlagen dürfen, frustriert sind (einmal im Jahr dürfen sie das Gesindel schlagen). Sie haben den Ort gewählt (Schwarzenbergplatz) und den kleinsten Anlaß genommen (das Wegziehen des Sperrgitters) und haben erwartet, daß sie dadurch die Menge zerstreuen und demoralisieren. Womit sie nicht gerechnet haben, war die Verbreiterung der Militanz, die Knüppelschläge bewirkten. Sollte es am Anfang so genannte "Gewaltbereite" gegeben haben, beteiligten sich nachher einige hundert an militanten Aktionen und am Bau symbolischer Barrikaden.
Jetz noch einige Thesen zur Diskussion:
(1) Militanz wirkt von außen immer stärker als für die Beteiligten, das betrifft sowohl die positive Wirkung wie auch die Projektion einer Bedrohung. Für die Außenwirkung spielt die Medienresonanz (das Spektakel) eine große Rolle. Was "wirklich" passiert ist, ist unwichtig. Für das Spektakel waren die brennenden Mistkübel, auf die sich die Kameras Österreichs stürzten, am wichtigsten, nur aus diesem Grund wirkte diese Demo als echter "Riot" für die Menschen außerhalb Wiens oder außerhalb Österreichs. Für die direkt Beteiligten dominiert immer der drohende Polizeiknüppel und die Wahrnehmung der eigenen Unsicherheit und Verletzbarkeit (wie u.a. die Diskussion im Internet zeigt). Und in Österreich waren es immer "Straßenschlachten", wenn die Polizei DemonstrantInnen jagte und verprügelte.
(2) Als positives Element der Bewegung gegen Schwarzblau sehe ich, daß sie nicht die Konfrontation sucht. Durch die Bewegung (die Wandertage) bezieht sie sich auf die neuen Formen von Herrschaft und Unterdrückung im Postfordismus. Die Macht verschanzt sich nicht mehr hauptsächlich hinter Grenzen, sondern hat die ganze Gesellschaft ergriffen. An einzelnen Punkten tauchen zwar die "Feinde" auf (wie z.B. Finanzminister Grasser im Hotel Marriott), aber die festen Orte, die anzugreifen wären, werden immer weniger. Natürlich gibt es die Gefängnisse, in denen MigrantInnen (und Unangepasste) festgehalten, gedemütigt, auch gefoltert oder umgebracht werden, aber die Machtausübung z.B. durch den Rassismus durchzieht die Gesellschaft bis in unser eigenes Verhalten und ist damit viel entscheidender. So ist auch der "Widerstand" der Donnerstagdemos ein Versuch, symbolisch für die Gesellschaft die Stadt zu durchstreifen, kurzfristig zu "erobern" und dadurch Veränderungen auszulösen. Der Widerwillen einiger DiskutantInnen im Internet auf das Einsteigen eines alten Konfrontationsrituals zum Opernball ist aus dieser Situation zu erklären. Durch den Polizeiterror ist aber auch die Opernballdemo in Bewegung geraten und der Konfrontation "davongelaufen". Insofern sehe ich heuer nicht einfach eine Wiederholung der Demos der 80er-Jahre. Durch das spektakuläre Bild einer Konfrontation in einer "Straßenschlacht", aber auch durch die Repression könnte jetzt aber eine Idealisierung der Militanz und der Konfrontation entstehen, die sich wieder auf die herrschenden Strukturen einläßt und die einerseits die Niederlage, andererseits die Gefahr autoritärer Züge in sich tragen würde.
(3) Was Gewalt ist, wird immer von den herrschenden Strukturen bestimmt. Meine Erfahrung ist, daß wir immer dann gewalttätig waren, wenn wir verprügelt wurden. Insofern ist es wichtig, sich gegen Distanzierungen zu wehren, andererseits aber auch eine Idealisierung der Militanz zu kritisieren. Es gibt Situationen, in denen sich die durch die Spektakelmaschine der Medien produzierte "Gewalt" kontraproduktiv auswirkt und andere Situationen, wo sie Mut zur Revolte macht.
(4) Einen Punkt gibt es, den ich wichtig finde, zu diskutieren, ich weiß nicht, inwiefern das für die Opernballdemo zutrifft, aber in Berlin der 80er hat es Diskussionen gegeben, inwieweit "Straßenkampf" nicht ein typisch männliches Macho-Ritual ist. Einige DiskussionspartnerInnen meinten, in Wien seien genauso Frauen beteiligt gewesen, ich bin da eher skeptisch. Aber da es sich bei der Militanz nur um singuläre Spektakel handelt und es eigentlich um eine Veränderung der gesamten gesellschaftlichen Struktur geht, dürften die Probleme mit der sexistischen Ausbeutung und Unterdrückung in anderen Bereichen viel gravierender sein. Wenn die Medien von "gewalttätige Frauen" schreiben würden, wäre das ein Zeichen, daß sich das Patriarchat bedroht sieht.
Zusammenfassung: Die Polizei wollte eine Auseinandersetzung, hat aber nicht mit der Breite der Beteiligung und die nachfolgende Intensität gerechnet. Meiner Ansicht nach war es positiv, daß sich die Auseinandersetzung nicht auf einen Punkt, die Oper bezogen hat, sondern sich tendenziell in die Stadt ausgebreitet hat. Die brennenden Mistkübel haben genug Spektakel erzeugt, um einem Teil der Widerständigen Mut zu machen und einen Mythos von Militanz zu erzeugen, der von "der Szene" in Wien ausgeht. Es geht jetzt darum, sich gegen eine Distanzierung von der durch die Medien produzierten Gewalt zu wehren, aber auch eine Idealisierung und Mythisierung der Militanz zu kritisieren. Meine Erfahrung in Bewegungen der letzten Jahrzehnte war immer, daß in der Niederlage propagiert wurde, daß wir militanter und besser organisiert werden müssten. In diesen Punkten ist die herrschende (Staats-)macht aber immer überlegen. Sie hat die bessere Organisation und die besseren Mittel der Gewaltanwendung. Subversion statt Konfrontation, Bewegung statt dem Aufbau einer Front, Militanz und Gewaltfreiheit, lassen wir uns unsere Aktionsformen nicht vorschreiben. Unkontrollierbar sein.

 
aus TATblatt Nr. +161 vom 1. März 2001:
  Ergänzendendes:


Opernball-Donnerstagsdemo 2001

Demobericht aus der TATblatt-WiderstandsChronologie
Protokolle einer Amtshandlung AugenzeugInnen und Betroffene berichten
§274 Landfriedensbruch Das Strafgesetz als Handlungsanleitung für die Polizei
Jetzt auch in Wien: Zero Tolerance
Restauration Rot-Schwarz in Aktion
Aussendung der Rechtshilfe zur Opernball-Donnerstagsdemo vom 22.2.
Aktuelles von Gefangenen und Verfahren

Polizei stürmt EKH

Anklopfen nach WEGA-Art Bericht aus dem EKH
Offener Brief aus dem EKH An SW-General Schnabl
Stellungnahme Hausdurchsuchung in TATblatt-Redaktion

 




Protestnote

von Eltern, Angehörigen und FreundInnen der bei der Opernball-Donnerstagsdemo vom 22. Februar Festgenommenen

aus TATblatt Nr. +162 vom 29. März 2001
 
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