Islamismus
Feindbild Islam?
In der Zeit nach dem elften September 2001 waren die politisch Verantwortlichen
schnell bemüht, einer anti-muslimischen Progromstimmung in
der Bevölkerung der westlichen Statten entgegenzuwirken, sei
es , dass Präsident Bush sich beim Besuch einer Moschee filmen
ließ oder Bundespräsident Rau den "Dialog der Kulturen"
beschwor.
Gleichzeitig aber defilierte in Deutschland eine Heerschar tatsächlicher,
meist aber doch eher selbsternannter IslamexpertInnen durch die
Medien um das Phänomen "Islam" zu erklären.
So verbreitete sich der unvermeidliche Peter Scholl-Latour über
die "kriegerische Rasse der Afghanen" und nannte den Islam
eine kriegerische Religion, der man ebenso militant begegnen müsse,
der Spiegel fragte besorgt "Jeder Muslim eine Bombe?"
(Spiegel 15.10.2001) und der Stern schwadronierte über "fanatische
Krieger im Namen Allahs". Hierbei wurde selten unterschieden,
ob mit "Islam" die Religion, der Islamismus, die muslimischen
Länder des Nahen und Mittleren Ostens oder alle islamisch geprägten
Länder gemeint sind.
All diese journalistischen Verallgemeinerungen verbanden sich aufs
trefflichste mit dem rassistischen gesellschaftlichen Konsens, der
ohnehin vom Fremden, speziell vom "arabisch" anmutenden
Fremden, noch nie etwas Gutes erwartet hatte. Die Gestalt des "Schläfers"
eignete sich hervorragend als Projektionsfläche aller dumpfen
Vorurteile und Ressentiments. So verbreiteten sich die Harburger
NachbarInnen der mutmaßlichen Attentäter des 11. Septembers
in Interviews bereitwillig über die absonderlichen Gewohnheiten
ihrer Hausmitbewohner, die zum Beispiel darin bestanden, ein unauffälliges
Leben zu führen und hin und wieder Besucher zu empfangen, die
offensichtlich aus dem selben Kulturkreis stammten wie sie selbst.
Ebenso wurde die Rasterfahndung unter rechtlich sehr bedenklichen
Vorraussetzungen ausschließlich an ausländischen, männlichen
Studierenden vollzogen. Zusammenfassend lässt sich also sagen,
dass mangels anderer Kriterien ausschließlich das irgendwie
"arabische", "muslimische" herhalten musste,
um eine Person der schrecklichsten Gräultaten zu verdächtigen.
Die Bedrohung durch "den" Islam schien allgegenwärtig
zu sein und den Einsatz härtester Mittel zu rechtfertigen.
Dabei sind viele wichtige Verbündete der westlichen Staaten
auch Regierungen des islamischen Kulturkreises oder sogar selbst
islamistisch. Eine wirklich anti-islamistische Außenpolitik
wäre aus diesem Grunde schwer durchzuhalten. Die islamistische
"Gefahr" wird daher mit politischem Kalkül je nach
Opportunität beschworen oder ausgeblendet. Bedrohlich ist dabei,
dass die imperialistische Politik je nach Bedarf auf den rassistischen
gesellschaftlichen Konsens gegen das Feindbild Islamismus zurückgreifen
kann. Dies war auch ein Aspekt der ideologischen Begründung
des Kriegs gegen Afghanistan.
Völlig ausgeblendet wird und wurde dabei das Wissen über
militärische, ökonomische und kulturelle Hegemonien. Trotz
des grausigen "Erfolgs" der Anschläge ist keine islamistische
Gruppe und kein islamisches Land auch nur entfernt in der Lage,
an diesen Hegemonien zu rütteln.
Der politische Islam
Die unbestreitbar in jeder Hinsicht reaktionären Inhalte islamistischer
Gruppen und Regierungen sind nicht Ausdruck unüberwundener
mittelalterlicher Verhältnisse, sondern vielmehr Folge moderner
ökonomischer und sozialer Veränderungen in den jeweiligen
Ländern. Der heutige politische Islam begann nicht zufällig
Ende der siebziger Jahre populärer zu werden, als die steigende
Massenarmut verdeutlichte, dass sowohl nationalstaatlich gesteuerte
Projekte einer nachholenden Industrialisierung als auch der Versuch,
sozialistische Gesellschaften in den Ländern der sogenannten
Dritten Welt aufzubauen, gescheitert waren. Islamismus lässt
sich also auch als "Ideologie" einer Zusammenbruchsreligion
entziffern, die vom Staatssozialismus nichts zu erwarten hatte und
vom weltweiten Kapitalismus noch weniger. "Somit ist der
Islamismus in den meisten seiner Spielarten nicht angetreten, um
die Welt zu erobern, sondern um die aus seiner Sicht zerüttete
innere Ordnung der muslimischen Gesellschaften wieder herzustellen."
(Bernhard Schmid in: Jungle World, 42/01)
Der Islamismus ist ein modernes politisch - religiöses Phänomen,
das den Säkularisierungsprozess und die Modernisierung der
islamischen Gesellschaften seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begleitet.
Er ist somit auch unter dem Eindruck der Kolonialisierung durch
die europäischen Mächte und vor dem Hintergrund der Trennung
von Religion und Staat entstanden, die er wieder aufzuheben sucht.
Obwohl er in vielen muslimischen Ländern seine Basis in den
ärmsten sozialen Schichten hat, die sich von den regierenden
politischen Eliten keinerlei Verbesserung ihrer Lage mehr erhoffen
und in denen die islamistischen Bewegungen teilweise die einzige
Form sozialer Sicherung organisieren, ist er doch in dieser Hinsicht
nicht im mindesten emanzipatorisch. Der Islamismus hat keinerlei
sozialrevolutionäre Ambitionen. Seine gesellschaftlichen Utopien
beschränken sich in ökonomischer Hinsicht auf das gute
Funktionieren des islamischen Almosenmodells und der gemeinschaftlichen
Verpflichtung, sich um die "Armen" zu kümmern. Das
kapitalistische Wirtschaftsmodell wird von den islamistischen Bewegungen
nicht in Frage gestellt.
Der politische Islam ist dabei keine geschlossene Bewegung, kein
Block mit einer einheitliche Ideologie. Es gibt den schiitischen
politischen Islam im Iran, der als "Ableger" die Hizbollah
im Libanon unterstützt. Es gibt den Wahhabismus Saudi-Arabiens,
der den islamistischen Widerstand in Afghanistan unterstützte
und aus dem auch Usama bin Laden stammt. Es gibt die Taliban, die
den Suniiten zuzurechnen sind und das Schiitentum als Ketzerei bekämpfen.
Es gibt islamistische Staaten wie den Sudan. Daneben gibt es starke
islamistische Bewegungen in säkularisierten Staaten wie Algerien,
die sich teilweise auf eine starke Basis in der Bevölkerung
stützen können, aber auch eine Organisation wie Al Quaida,
die versucht, global zu operieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Islamismus ist kein Atavismus.
An seiner Entstehung waren Kolonialismus und Imperialismus mitbeteiligt.
Er tritt in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf. Er hat
keine sozialrevolutionären Anteile, verträgt sich also
mit dem Kapitalismus aufs beste.
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