Louis Mercier Vega:
"Reisende ohne Namen"
"Die Organisationen funktionierten nicht mehr. Durch die Mobilisierung hatten sie ihren Sinn verloren, die polizeiliche Überwachung hatte sie lahmgelegt. Die wenigen geöffneten Versammlungslokale waren bekannt und wurden wie Fallen gemieden..."
So beginnt der autobiographische Roman "Reisende ohne Namen" des Anarchisten Louis Mercier Vega.
Louis Vega, geboren 1914, war als Freund Durrutis, ein Begründer der Internationalen Gruppe in der Kolonne Durruti und selbst Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg. Darüber hinaus war er Mitarbeiter zahlloser anarchistischer Zeitungen in aller Welt und Autor mehrerer Bücher über den Anarchosyndikalismus, sowie über die ArbeiterInnenbewegung in Lateinamerika.
Eindrucksvoll beschreibt der Verfasser am Beispiel seiner eigenen Flucht die Situation Europas nach der Niederlage der spanischen Republik, der Ausbreitung des Faschismus und den Beginn des zweiten Weltkriegs. "Reisende ohne Namen", das sind eine Gruppe von AnarchistInnen auf der Flucht, die geprägt ist von der Erinnerung an die gerade vergangenen Kämpfe in Belgien, Frankreich und im spanischen Bürgerkrieg. Die beschriebene Gemeinschaft der Emigranten, Flüchtlinge und Deserteure gewährt tiefe Einblicke in die internationalistische ArbeiterInnenbewegung der 30er Jahre.
An dem Roman fasziniert besonders seine Authenzität, gepaart mit der meist indirekten Schilderung der historischen Situation. Jeder Ort an welchem die Gruppe während ihrer "Reise" Station macht, ist zugleich ein Punkt der Reflexion und der Erinnerung. Ob Marseille, Paris, Brüssel und Antwerpen - von dem aus schließlich an Bord eines "Seelenverkäufers" die Flucht nach Südamerika gelingt - in Europa; oder Buenes Aires und Santiago de Chile in Lateinamerika, ständig erhält der/die LeserIn interessante Einsichten sowohl in den Alltag der Gruppe, als auch in die historische Situation in den einzelnen Städten. Besonders auch im zweiten Teil des Buches, in dem das Engagement der Flüchtlinge in der südamerikanischen Linken und deren Lage um 1940 herum geschildert wird.
Schwerpunkt sind vor allem die Diskussionen unter den Flüchtenden, über den Faschismus, den Krieg und die Perspektiven der Linken.
Neben dem Übersetzer verdient auch die Gestaltung des Nachwortes großes Lob, stellt dieses doch unter dem Titel "Der bittere Stolz auf den eigenen illusionslosen Klarblick" eine hervorragende Ergänzung zum Text dar, in dem es das Leben des Autors nachzeichnet, der 1939 schrieb "die abscheuliche Gewohnheit, die sich die meisten Revolutionäre - unter dem Einfluß der weinerlichen und reaktionären Demokratien - zu eigen gemacht haben, die Tatsachen nur noch nach Maßgabe ihrer passiven Sentimentalität zu betrachten ... Die sozialen Kämpfe zu bestehen , indem man Tag für Tag eine Antwort auf die anstehenden Probleme findet; mit der Gewißheit zu kämpfen, daß man für jeden Schlag, den man austeilt, auch einen einsteckt; eine Theorie aufzustellen , ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren und die Realität aus reiner Prinzipienreiterei zu verleugnen, so lautet das Programm, das jeder beherzigen sollte, der politisch aktiv ist."
Ferner sind dem Bericht eine Reihe von Artikeln angegliedert, die der Autor 1936 über den spanischen Bürgerkrieg schrieb. Sowie einige zeitgenössische Fotos von Stationen der "Reise".
Alles zusammen ergibt ein Buch, zudem vor allem ein Begriff paßt: "faszinierend", in jeder Hinsicht.