Quelle: Südkurier (Baden-Württemberg) vom 18.01.01 | |
Startseite |
Was vor der Jugendkammer des Konstanzer Landgerichts als bandenhaftes, verabredetes Vorgehen eines Skinhead-Mobs angeklagt wurde, könnte in einigen Tagen als ziellose Prügelei einer Clique von betrunkenen, gewaltbereiten Skinheads enden, deren Weltbild allerdings deutlich rechtsradikale Züge trägt.
Das Bild von den Ereignissen während des letztjährigen Konstanzer Seenachtfestes ist auch am dritten Verhandlungstag nicht klarer geworden: Freundinnen der Angeklagten belasteten ihre Gefährten und widerriefen, als deutlicher nachgefragt wurde. Andere wollten immer dann gerade zur Seite gesehen haben, als sich in dieser Sommernacht die Gewaltszenen gegen eine Gruppe von vier ausländischen Festbesuchern abspielten. Schließlich bot einer der Anwälte den türkischen Wirt des Stammlokals, eine türkische Freundin aus der Narrenzunft und den Arbeitgeber auf, die dem 26-jährigen hauptangeklagten Kupferschmied aus Markdorf bescheinigten, ein tadelloser Mensch und Mitarbeiter und keinesfalls ausländerfeindlich zu sein.
Die 22-jährige Verlobte des Hauptangeklagten räumte ein, ihr Partner habe den schwarzen Festbesucher als "Scheiß Neger" bezeichnet und sei kurz darauf in eine Schlägerei mit dem Mann verwickelt gewesen. Sie sieht ihren Verlobten allerdings eher als Opfer: "Der haut ihm das Standbein weg und er ist umgefallen wie ein nasser Sack." Heute verstehe der seit fünf Monaten Inhaftierte die Welt nicht mehr. "Das einzige was er will, ist zurück zu mir und zu den Katzen."
Die Bauingenieur-Studentin bestätigte auf Vorhalt des Staatsanwalts aber auch, ihr Freund sei unter Alkoholeinfluss eine lebende Bombe, die jederzeit losgehen könne. Auch die Zugehörigkeit zur Skinheadszene räumt sie ein. Ihre eigene Weltsicht beschrieb die junge Frau als "rechtskonservativ, aber unpolitisch". Eine angehende Winzerin aus Markdorf bekräftigt die Tatversion der Kollegin: Der Hauptangeklagte wollte dem Schwarzen "eine verpassen", sei aber "vor lauter Suff" gleich umgefallen. Auch diese Zeugin bezeichnet sich als Gesinnungsfreundin der Skins und hat laut Polizeiprotokoll angegeben, Ausländer hätten in Deutschland soviele Rechte und würden überall bevorzugt.
Ein ebenfalls in der Clique anwesender junger Gernsbacher gab früher zu Protokoll, die drei männlichen Ausländer hätten gerufen "Scheiß Skins, euch kriegen wir auch noch aus Deutschland raus!" Vor Gericht konnte er sich an solche Aussagen und an andere Vorgänge nicht mehr erinnern. Gegen den 23-jährigen Maurer läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Teilnahme an einer verbotenen NPD-Demonstration. Er bezeichnet sich als "Gesinnungsfreund" des Hauptangeklagten.
Der aber soll alles andere als ein Ausländerhasser sein. Anwalt Michael Loeper, Überlingen, bot Entlastungszeugen auf und veranstaltete damit absurdes Theater: Ein schwäbisch sprechender Wirt des Stammlokals und eine warmherzig um den Angeklagten bemühte, ebenfalls schwäbisch sprechende Türkin aus einer Mengener Narrenzunft berichten von ihren langjährigen Freundschaften mit dem Angeklagten.
"Ich würde ihm meine Kinder anvertrauen", sagt die Narrenfreundin. Was sie offenbar nicht weiß: Der nüchtern gutmütige und verlässliche Freund hat vor nicht allzulanger Zeit unter Alkoholwirkung eine schwangere Frau niedergetreten. Deshalb steht er unter Bewährung und sitzt nun ein. Er habe nicht gewusst, dass sie schwanger war, ruft er zu seiner Rechtfertigung in den Gerichtssaal.
Wegen fehlender Flucht- und Verdunkelungsgefahr beantragte Anwalt Loeper gestern, seinen Mandanten aus der Haft zu entlassen. Die Staatsanwaltschaft trat dem Antrag ausdrücklich entgegen. Ab kommenden Montag wird weiterverhandelt.
Tobias Engelsing
Startseite |
sw, 18.01.01