Nürnberg:
Bratwürste, Reichsparteitage, Rassengesetze, Menschenrechte
Mit
großem Brimborium bemühen sich die bürgerlichen
Parteien, Nürnberg den Ruf einer Stadt der Menschenrechte
zu verpassen.
Zur
Schau gestelltes Gutmenschentum neben faschistischer Kontinuität,
Menschenrechtsfilmfestivals und rassistische Behördenpraxis,
Friedenstafeln, organisiert und getragen von den
Parteien, die für deutsche Kriegseinsätze verantwortlich
sind:
Warum
das Nürnberger Rathaus, regiert von denselben Parteien, die auch
die Bundesregierung stellen und als solche verantwortlich zeichnen
für die Toten an der BRD-Grenze, für die Abschiebungen in
Folterstaaten und ins Elend, für die Opfer ihrer uniformierten
Killer im In- und Ausland, warum die Stadtregierung Nürnbergs
alljährlich einen Menschenrechtspreis verleihen kann, ohne
öffentlich verlacht zu werden - diese Frage brachte uns zu ein
paar Überlegungen über Menschenrechte, bürgerlichen
Anspruch und die Ausblendung der Wirklichkeit.
Sehen
wir uns zunächst die Geschichte der Menschenrechtsidee an: Mit
dem Aufstieg der Bourgeoisie zur ökonomisch bestimmenden und
später zur herrschenden Klasse wurde das alte Feudalrecht mit
seinen ständischen Einschränkungen, Privilegien und Rechten
zu einem wirtschaftlichen Hemmnis. Zwar war die staatliche
Rechtsprechung und die allgemeine Rechtssicherheit bereits im Verlauf
des Mittelalters ausgebaut worden, rechtliche Gleichheit aber gab es
nur vor Gott, absolute Rechtssicherheit und nicht durch den Stand
eingeschränkten Zugang gewährte allein die himmlische
Gerechtigkeit. Den Bürgern war allerdings an mehr gelegen als an
ihrer unsterblichen Seele. Sie benötigten eine Rechtsordnung,
die der neuen Art des Wirtschaftens und der dominierenden Rolle des
Bürgertums gerecht würde.
In
Holland, Nordamerika und Frankreich: Wo immer die Bourgeoisie in
einer Umwälzung die Macht ergriff, tat sie das nicht im Namen
der eigenen Interessen, sondern im Namen aller unterdrückten
Klassen, manchmal gar im Namen der gesamten Menschheit. So wurde (und
wird) in den bürgerlichen Verfassungen und
Menschenrechtserklärungen dem Bankier und Minister genauso die
Sicherheit seines Eigentums vor willkürlichem Zugriff verbrieft
wie der Bettlerin. Die Gleichheit der Geburt und die Gleichheit vor
dem Gesetz erklärt das Bürgertum für alle
Marktakteure, für den Kapitalisten wie für das in der
Fabrik schuftende Kind.
Im
Artikel 1 der Virginia Bill of Rights von 1776, in dem
alle Menschen (also alle weißen Männer) als von Natur aus
gleichermaßen frei erklärt werden, zählt zu den
angeborenen Rechten der Genuss des Lebens und der
Freiheit und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu
besitzen und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen.
Hier wird nichts weniger als der Wille der Natur erklärt, die
für das aufgeklärte Bürgertum Gott ersetzt hat und die
identisch ist mit den Gegebenheiten der kapitalistischen
Gesellschaft. Ihr nicht zu gehorchen käme nur Idioten in den
Sinn, ihrem Willen sind zweifelsfrei alle Menschen
unterworfen.
In
allen folgenden bürgerlichen Erklärungen angeborener
Menschenrechte finden wir beides wieder: die behauptete
Allgemeingültigkeit und das Recht auf Eigentumserwerb als
wesentlichen Punkt. Da das Recht auf Eigentum nichts weiter ist als
das Recht, fremde Arbeitskraft zu kommandieren und sich das Resultat
fremder Arbeit anzueignen wird klar, dass dieses Recht nicht von
allen genossen werden kann: Kein Diebstahl ohne Bestohlene, kein
Kapitalist ohne Menschen, die eben kein Kapital haben und daher ihre
Arbeitskraft verkaufen müssen.
Deutlich
und umfangreich festgeschrieben wurde die bürgerliche
Menschenrechtsidee das erste Mal in der Déclaration des
droits de l´homme et du citoyen von 1789. Diese Erklärung
der französischen Nationalversammlung feiert in Artikel XVII das
Eigentum als heiliges und unverletzliches Recht, in Artikel I
verordnet sie die Freiheit von Geburt an und die Gleichheit an
Rechten, mit dem feinsinnigen Zusatz: Soziale Unterschiede
dürfen nur im allgemeinen (!) Nutzen begründet sein.
Als
Katechismus des freien Marktes verkauft uns die
Menschenrechtserklärung den freien Kapitalisten und die doppelt
freien ArbeiterInnen als gleich. Die formelle Chancengleichheit und
Gleichheit bei gesetzlichem Schutz wie gesetzlicher Strafe ist
gleichzeitig Garant für den Zugang zu Ämtern usw. nach dem
Kriterium der Effizienz, Versprechen auf individuellen Aufstieg durch
individuelle Tüchtigkeit und, im Umkehrschluß,
Rechtfertigung der Unterschiede durch das Argument des individuellen
Versagens.
Den
AnhängerInnen der Menschenrechtsidee ist es, damals wie heute,
in der Regel nicht um die Verwirklichung ihrer Ansprüche zu tun.
Sie müssen Ansprüche bleiben. Wenn die Opfer des
kapitalistischen Wirtschaftens ernsthaft ihr Recht auf z.B.
körperliche Unversehrtheit, Leben, Freiheit durchsetzen wollen,
begegnen die Träger der Menschenrechtsidee ihnen, damals wie
heute, mit Gewalt.
Schon
immer stand der bürgerliche Anspruch im Gegensatz zur
bürgerlichen Praxis. Auf einen eklatanten Mangel wies bereits
1791 eine bürgerliche Revolutionärin mit ihrem Pamphlet
Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin hin.
Den Schöpfern der Menschenrechtserklärung und der
Verfassung war es gelungen, die Hälfte der Menschheit schon mal
auszuklammern. Dass auch die bürgerlichen Frauen kein Wahlrecht
besaßen und rechtlich weiterhin benachteiligt waren schien
nicht aufzufallen: Der Bourgeois hatte schon immer die Fähigkeit,
sich mit dem Menschen schlechthin gleichzusetzen.
Bereits
mit der französischen Revolution begann auch das Ringen um die
Rolle, die sozialen Rechten im Rahmen einer Verfassung eingeräumt
werden darf- also solch einfachen und wenig abstrakten Rechten wie
dem auf Wohnung, Arbeit, Freiheit von Hunger etc.
Schärfer
noch als damals trat der Widerspruch zwischen bürgerlicher
Abstraktion (der es in den Menschenrechten nicht um Menschen, sondern
um den Menschen geht) und dem Willen, wirklichen Menschen wirklich zu
helfen nach dem Ende des 2. Weltkriegs zu Tage.
Mit
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der
Vereinten Nationen konnte das kapitalistische Lager sich in
wesentlichen Punkten durchsetzen. Sie fordert wiederum die Würde
des Menschen in einer Welt des Elends, das Recht auf freie
Meinungsäußerung ohne den Zugang zu Informationen zu
gewährleisten, kurz, sie verbleibt in der Abstraktion und der
Verschleierung von Herrschaft. Sechs sozialistische Staaten
enthielten sich bei der Abstimmung, da die geforderte Festschreibung
sozialer Rechte nur ungenügend durchgesetzt werden konnte. Im
Dezember 1948 wurde die Erklärung verabschiedet, der
Menschenrechtskatalog der Vereinten Nationen in den folgenden
Jahrzehnten um weitere schöne Ansprüche erweitert.
Die
Stimmenthaltung (nicht Ablehnung) einiger sozialistischer Regierungen
war durchaus vernünftig, da jene Rechte, in deren Namen heute
Kriege geführt werden, ihre Ambivalenz haben.
Eine
Linke, die den Begriff der Menschenrechte unreflektiert übernimmt,
die Funktion der Menschenrechtsansprüche nicht kritisiert und
aufdeckt, wird ihrer Aufgabe nicht gerecht. Allerdings kann die
Tatsache, dass die Herrschaft des Kapitals niemals ganz unverblümt
daherkommen kann (nicht einmal im Faschismus) gegen die Herrschaft
genutzt werden. Das bürgerliche Bewußtsein mit den eigenen
Unstimmigkeiten zu konfrontieren ist hilfreich.
Bürgerliche
Menschenrechtsorganisationen leisten oft nützliche Arbeit zwar
im Namen, aber nicht im Dienste einer Abstraktion. Sie helfen
Menschen. Diese Arbeit abzulehnen wäre dumm, allerdings müssen
ihre Grenzen und ihre Beschränktheit aufgezeigt werden.
Übel
wird es, wenn die Herrschaft selber mit den Menschenrechten
daherkommt und als Retterin aus der Not, die sie selbst produziert
gesehen werden will.
Unser
Vorschlag:
Hauen
wir den Kriegsparteien SPD und Grüne ihr Gesülze in Bezug
auf Menschenrechte um die Ohren!
Konfrontieren
wir bürgerliche MenschenrechtlerInnen immer wieder mit der
Wirklichkeit, die ihrem Anspruch entgegensteht!
Schaffen
wir einer linken Kritik an den ideellen bürgerlichen Ansprüchen
eine breitere Basis!
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