III. Das Jahr 2000-1 beginnt

Kriegsdrohungen gegen Syrien / Öcalan in Rom
Die Europäisierung der Kurdenfrage
Die Reise von Rom ins "Ungewisse"
Öcalans Auslieferung an die Türkei
Einige Reaktionen aus Deutschland und Europa
Schily zu den Aktionen aus Anlass der Verschleppung Öcalans
Kay Nehm: "PKK keine Terrororganisation"
Der Vorfall in Berlin - die Tatsachen widerlegen Schily
Der Europäische Rat der EU zu den Demonstrationen und zum Öcalan-Prozess"
ERNK: "Aktivitäten im Rahmen der demokratischen Regeln und mit Vernunft entfalten"
Erklärung der deutschen Friedensbewegung
Wie sah es in Kurdistan aus?
Öcalan auf Imrali
Ein weiteres Beispiel der Zusammenarbeit: Schließung von MED-TV
Nach den Parlaments- und Kommunalwahlen: Trotz Repressalien viele Kommunen in den Händen der HADEP
Tribunal gegen Öcalan

Geteiltes Echo
Internationale Reaktionen auf das Urteil
Reaktionen der türkischen und kurdischen Seite
"Diplomatie und Piraterie"


"Diplomatie und Piraterie"

Am 23. Juli 1999 kommentierte die Frankfurter Rundschau mit der obigen Überschrift die Entführung eines Kurden aus Moldawien in die Türkei.
Cevat Soysal wurde während eines legalen Aufenthaltes in Moldawien am 13. Juli festgenommen und am 18. Juli an die Türkei ausgeliefert, obwohl er im Besitz eines gültigen deutschen Flüchtlingspasses war. "Punktgenau zum Eintreffen des deutschen Außenministers (21.7.99) hat die Türkei ihren Gast mit einem Piratenstück gegen die deutsche und internationale Asylgewährung brüskiert, und Joschka Fischer beschwört unbeirrt zuversichtlich die Menschenrechte" schrieb die FR.
Dieser äußerte sich folgendermaßen: "Ich sehe für uns keinen Handlungsbedarf und rechne mit einem rechtstaatlichen Verfahren für Cevat Soysal."
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Ob ein Land für jemanden, dem es politisches Asyl und Schutz vor Verfolgung gewährte und mit einem Pass versorgte, einen Handlungsbedarf sieht oder nicht, hängt vielleicht auch von der Nationalität der betreffenden Person ab. Wie hätte sich wohl ein Bundesminister, der sich gerade in Belgrad aufhält, verhalten, wenn ein in Deutschland lebender und asylberechtigter Kosovare piratenartig nach Jugoslawien entführt worden wäre? Hätte er dann nicht zumindest dessen Auslieferung verlangt und womöglich seine Reise sogar unter Protest abgebrochen?
Viele Kurden fragten sich, ob ein kleines Land wie Moldawien ohne jegliche internationale Unterstützung jemanden, dem ein einflussreiches Land wie Deutschland politisches Asyl und internationalen Schutz gewährt hat, an ein drittes Land ausliefern könnte? Auch dass der Verfassungsschutz Tage vorher über die Verhaftung Bescheid wusste und nicht handelte,
(77) verlangt doch wohl nach einer Erklärung!
Mit der Verschleppung Soysals wurde eine Jagd auf Funktionäre von legalen Organisationen, Parteien und Gewerkschaften gestartet. Andererseits wurde an die im Ausland lebenden aktiven Kurden die Botschaft gerichtet: "Es wird Euch allen gleich ergehen".
(78) Tatsächlich wurden nach und nach Haftbefehle gegen viele in Europa lebende aktive KurdInnen erlassen und Auslieferungsanträge gestellt.
"Die von NTV ausgestrahlten Bilder erinnern an die Verschleppung des PKK-Chefs Öcalan im Februar. Zwei mit Skimützen maskierte Agenten kommen mit ihrer Beute, der die Augen verbunden sind, auf dem Flughafen in Istanbul an. Es war die Wiederholung eines nationalen Triumphes, der dem türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit vor dem Treffen mit Fischer zumindest nicht gelegen kommt. Denn von Fischer wird erwartet, dass er die Menschenrechtssituation anspricht und auf eine politische Lösung des Kurdenproblems drängt."
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Die Bilder Soysals, die durch die Welt gingen, waren Belege dafür, was die Türkei unter einer "rechtsstaatlichen" Behandlung versteht. Soysal äußerte sich später dazu: "Er sei nach seiner Verschleppung elf Tage lang von Mitarbeitern des MIT (Geheimdienst der Türkei) und des Sicherheitsamtes zur Bekämpfung des Terrorismus verhört und gefoltert worden. Unter anderem mittels Elektroschocks, nacktem Liegen auf Eisblöcken und Abspritzen mit einem Hochdruck-Wasserstrahl. Die Anwälte stellten an den Beinen, Rücken und den Armen von Soysal Wundmale fest."
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Am 22. Juli 1999 nahm der Präsidialrat der PKK zur Verschleppung Stellung und verurteilte sie:
"Cevat Soysal wurde (...) in Moldawien verhaftet und anschließend unter Ausnutzung schwarzer Kanäle in einer Nacht- und Nebelaktion in die Türkei verbracht. Wie bei der Entführung unseres Parteivorsitzenden Abdullah Öcalan, wurde mit diesem terroristischen Piratenakt internationales Recht mit Füßen getreten.
Die Stellungnahme von höchster Stelle (Ministerpräsident Ecevit) ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Türkei auch weiterhin das internationale Recht verletzen wird. Dabei deutet die lobende Erwähnung des Falles Cevat Soysal darauf hin, dass die Akte internationaler Piraterie weitergeführt werden und die Form einer (gängigen) Politik annehmen sollen. Der türkische Staat lässt damit erkennen, dass er das internationale Recht nicht zu beachten und dessen Vergewaltigung fortzuführen gedenkt".
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(76)FR, 23.7.99

(77)taz, 23.7.99

(78)taz, 22.7.99

(79)FR, 22.7.99 taz, 22.7.99

(80)taz, 28.7.99

(81)KIZ, 22.7.99